Protokoll der Sitzung vom 02.02.2016

Zu Ihrem Gesetzentwurf konkret: Ich muss sagen, die Mindeststandards, die wir festgesetzt haben, so radikal zu streichen und ihre Steuerung aus der Hand zu geben – dabei habe ich mir oft Ihre Argumentation anhören müssen, wenn es um Standards geht –, macht mich schier fassungslos.

Frau Schott, ich weiß gar nicht – auch im Hinblick auf die Argumentation, die Sie in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem KiföG vorgetragen haben –, wie Sie jetzt sagen können, dass Sie einen Halbtagsplatz genauso fördern wollen wie einen Ganztagsplatz und dass es Ihnen egal ist, wie lange eine Kommune einen Betreuungsplatz

vorhält. Das, was Sie hier vorschlagen, ist ein Rückschritt in eine Zeit, die man sich gar nicht mehr vorstellen kann. Es ist unglaublich.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte es für wichtig, dass wir auch in dieser Legislaturperiode über das Thema Kinderbetreuung diskutieren. Ich glaube, es ist notwendig, dass es auch in dieser Legislaturperiode eine Initiative gibt. Aber ich denke, morgen haben wir eine bessere Basis für die Debatte als im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf.

Diesem Gesetzentwurf werden wir nicht zustimmen können, weil darin auf wichtige Mindeststandards verzichtet wird. Dass er trotz eines Geschenks von 520 Millionen € an die Kommunen ein Rückschritt bei der Sicherung der Qualität der Kinderbetreuung in Hessen wäre, steht fest.

Das ist alles unausgegoren und mit heißer Nadel gestrickt. Vielleicht ist es dem Kommunalwahlkampf geschuldet. Aber es ist keine Verbesserung für die Betreuungslandschaft im Land Hessen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Abg. Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Wiesmann hat vieles richtig angedeutet und abgearbeitet. Kinderbetreuung in Hessen findet in der Tat eine Menge von täglichen Problemen vor. Vor allem die Eltern, die einen Betreuungsplatz suchen, suchen vielerorts noch. Eltern suchen eine hohe Qualität in der Kinderbetreuung.

Also ist doch die Frage, mit welchen Prioritäten man eine Kinderbetreuungspolitik umsetzt. Da bedarf es klarer Linien. Ich bin auch sehr froh und dankbar, dass wir gemeinsam mit der CDU an einem Strang ziehen, wenn wir sagen: Wir haben eine Fülle von Flächen in der Kinderbetreuung, die wir quantitativ noch ausbauen müssen. Wir wollen bei der U-3-Kinderbetreuung kontinuierlich ausbauen. Wir wollen in den Kindergärten weiter die Anzahl der Ganztagsplätze erhöhen. Wir wollen in den Ausbau der Grundschulkinderbetreuung investieren. Das heißt, dass wir noch eine ganze Menge an quantitativem Ausbau zu erledigen haben. Ich glaube, wir machen kein Geheimnis daraus, dass das teuer ist.

Zweitens. Wir wissen auch um die Probleme, die angesprochen wurden: Durch die Umstellung im KiföG wird es im ländlichen Raum Probleme geben. Ist die Gruppengröße ideal? Müssen wir noch Freistellungen für Führungspersonal machen? – Andere Fragen werden gerade diskutiert. Gemeinsam haben wir am runden Tisch KiföG, den die Landesregierung einberufen hat, eine Evaluation in Auftrag gegeben. Diese läuft. Sie wird Ergebnisse zu der Frage bringen: Müssen wir noch bei der Qualität der Kinderbetreuung nachsteuern? Ich glaube, wenn es sich ergibt, dass man nachsteuern muss, wird das sicherlich auch nicht zum

Nulltarif zu haben sein. Daraus machen wir auch kein Geheimnis.

Wenn man seriös Politik macht, weiß man, welche Stellschraube wie viel kostet. Damals hat Herr Grüttner nur gesagt, was es ausmachen würde, wenn man die Freistellung für Führungskräfte ausbauen würde. Da ging es gleich um Beträge von 80 Millionen €, wenn man nur kleine qualitative Nachsteuerungen umsetzen würde und z. B. die Gruppengrößen verändern würde. Dann reden wir also bei dem Thema Qualität in der Kinderbetreuung auch über potenziell hohe Kosten.

Wir haben uns in Hessen das Ziel gesetzt, Quantität und Qualität Schritt für Schritt weiter auszubauen. Wir haben in der frühkindlichen Bildung einen Schwerpunkt gesetzt. Daran werden die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schritt für Schritt kontinuierlich arbeiten. Das kostet Geld.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Dann ist es in der Tat auch eine Frage der Seriosität, mit welchen finanzpolitischen Prioritäten man arbeitet. Die Kollegen von der LINKEN waren da deutlich ehrlicher. Sie haben die Endausbaustufe mit 520 Millionen € schon einmal berechnet. Wir kamen auf rund 600 Millionen €. Man muss nur die Betreuungsplätze mit den Elternbeiträgen multiplizieren. Da haben das Hessische Statistische Landesamt und der Landesrechnungshof ja Beiträge geliefert. Diese muss man miteinander multiplizieren. Nach unserer Rechnung kämen wir auf 600 Millionen €. Die Frage ist in der Tat: Ist es das größte Problem der Eltern, jetzt zu dieser Stunde tatsächlich Kindergärten kostenfrei zu bekommen?

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja! Das ist ein Problem!)

Oder ist es nicht eher das Problem, überhaupt einen Platz zu finden und gute Qualität vorzufinden? Wenn DIE LINKE jetzt von links ruft, Herr Kollege Schaus und Frau Schott, es sei unter Umständen ein Problem, dass sich sozial schwache Menschen das nicht leisten können, dann müssen Sie aber zur Wahrheit auch beitragen, indem Sie sagen, dass Menschen mit geringen Einkommen die Wirtschaftliche Jugendhilfe haben. Einkommensschwache Eltern haben die Möglichkeit, Zuschüsse zu bekommen.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Das habe ich doch gar nicht gesagt!)

Es ist auch in der Tat so: Wir haben bis zu 25 % oder 30 % der sozial Schwachen, die die Kindergartengebühren erstattet bekommen. Deswegen ist es keine Frage der Chancengleichheit.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Doch! Das ist es sehr wohl!)

Diese Kosten werden nämlich übernommen. Niemand, der arm ist, muss sein Kind zu Hause lassen. Das gehört auch zur Wahrheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Nein, Sie bauen da einen Popanz auf. Wer arm ist, bekommt das erstattet. Dann gibt es viele Kommunen, die zu Recht sagen: Wir haben eine Staffelung nach den Einkom

men der Eltern. Auch das ist sozial ausgewogen. Es gibt keine Gründe, zu sagen: Aus finanziellen Gründen behalte ich mein Kind zu Hause. – Die Zahlen sprechen doch eine eindeutige Sprache. Sie sprechen von den Migrationskindern. Sie sagen, viele Familien mit Migrationshintergrund ließen ihre Kinder zu Hause.

(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Wir konnten doch gerade im „Wiesbadener Kurier“ vom 28. Januar lesen: 94 % aller Migrantenkinder sind in Kindergärten. Auch 93 % der „biodeutschen“ Kinder sind in Kindergärten. Wir haben also doch eine extrem hohe Betreuungsquote. Erstens einmal stimmt die These nicht, dass Massen an Kindern zu Hause bleiben. Das stimmt überhaupt nicht. Es geht um einen sehr kleinen Teil. Zweitens ist die Begründung, dass die Eltern sie aus wirtschaftlicher Not nicht hinschicken, durch nichts zu halten. Sie sind entweder durch die Sozialhilfe oder durch eine Staffelung angehalten, hinzugehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Was bleibt also? Wie kann man sich finanzpolitisch verantwortlich bei dieser Frage verhalten? Will man Quantität und Qualität, oder machen wir jetzt tatsächlich schon die Gebührenfreiheit? Wer um die Summen weiß, über die wir reden, der muss sehen: Ich finde es – das muss man so sagen – geradezu finanzpolitisch unverantwortlich. Ich sage das auch der LINKEN noch einmal ganz deutlich. Sie verweigern die Realität dauerhaft. Sie predigen zwar, dass man auf Bundesebene Steuern erhöhen möge, z. B. die Vermögensteuer und vieles andere mehr. Teile davon haben wir als Bundes-GRÜNE bei den Steuern auch gefordert. Aber ich bitte Sie, auch zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Bundesregierung, die wir haben, die Steuergesetze nicht geändert hat. Wir haben nur diese Steuereinnahmen, die wir haben. Zu einer verantwortlichen Finanzpolitik gehört, dass man dann auch mit seinen Haushaltsmitteln verantwortlich umgeht. Da gilt die Priorität: Quantität und Qualität, und dann gibt es erst am Ende des Tages das Freibier.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Summiert man Ihre Haushaltsanträge, dann wird das selbst die Steuerforderungen der LINKEN um ein Vielfaches überfordern. Sie reden von Wohnungspolitik, Sozialbudget, Beamtengehältern, Schulen und vielem anderen mehr. Das sind Milliardenbeiträge, und jetzt kommt noch über eine halbe Milliarde on top für die gebührenfreien Kindergärten. Das ist doch alles nicht wirklich seriös bezahlbar. Das wissen Sie auch. Es geht um einen, wie ich finde, Linkspopulismus und darum, kurz vor der Kommunalwahl jetzt noch einmal zu punkten. Ich finde das fahrlässig. Das sage ich auch ganz ehrlich. Denn Sie wecken Erwartungen und Hoffnungen, die Sie wirklich, auch wenn Sie 51 % im Landtag hätten, nicht erfüllen könnten. So fördern Sie auch Politikverdrossenheit. Das ist unseriös und mit uns nicht zu machen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen Merz das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wollte mich eigentlich nicht mehr hier in die Debatte einmischen. Aber das war jetzt doch etwas arg vollmundig, lieber Kollege Bocklet, was Sie hier zu der Frage gesagt haben, ob es eine Begründung oder sogar eine Notwendigkeit gibt, Eltern von den Kindertagesstättenbeiträgen zu befreien. Selbstverständlich gibt es diese.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es gibt erstens eine logische Begründung, nämlich die, dass, wenn wir Kindertagesstätten als Bildungseinrichtung betrachten – wer täte das nicht, das haben wir alle bei jeder sich bietenden Gelegenheit rauf- und runtergebetet, zu jeder Tages- und Nachtzeit –, dann die Frage erlaubt sein wird, warum der Schulbesuch kostenlos ist – zumindest in gewissen Grenzen – und der Besuch einer Kindertagesstätte als Bildungseinrichtung auch unter anderen organisatorischen und institutionellen Vorgaben kostenpflichtig ist. Die Frage wird erlaubt sein.

Zweitens. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Warum ist das dritte Kindergartenjahr weitgehend beitragsfrei und das zweite und das erste nicht?

Drittens. Warum ist die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Hessen in dieser Frage nicht gewährleistet? Die Durchschnittszahl von 15 % nutzt doch überhaupt nichts. Davon kann sich überhaupt keiner etwas kaufen. In der einen Gegend kostet schon der Halbtagsplatz in der Kita Ü 3 150 €, und woanders kostet ein U-3-Betreuungsplatz bis zu 800 €. Da kann ich mir für den Durchschnittswert überhaupt nichts mehr kaufen. Das ist extrem unterschiedlich.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Es ist doch evident, dass wir hier dann auch ein soziales und finanzielles Problem haben.

(Beifall bei der SPD)

Zweiter Punkt. Sie haben mir gesagt, es gäbe überhaupt kein Problem für Eltern mit niedrigen Einkommen, weil das ja über die Wirtschaftliche Jugendhilfe geregelt wird. Ich weiß nicht, ob Sie die Praxis der Wirtschaftlichen Jugendhilfen in diesem Land kennen. Versuchen Sie einmal, als Mensch mit einem nicht allzu üppigen, aber über den SGB-II-Grenzen liegendem Einkommen über die Wirtschaftliche Jugendhilfe Ihren Beitrag zurückerstattet zu bekommen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Kollege, die Redezeit ist abgelaufen.

Suchen Sie einmal die Kommunen, die eigenständige Staffelbeiträge haben. Die haben nämlich bei Weitem nicht alle.

(Beifall bei der SPD)

Herr Bocklet, zur Erwiderung.

Herr Kollege Merz, die Prioritätensetzung „Quantität und Qualität vor Kita-Gebührenfreiheit“ heißt nicht, dass wir GRÜNE grundsätzlich davon Abstand nehmen, dass Bildung am Ende des Tages auch tatsächlich gebührenfrei sein muss. Das unterstelle ich im Übrigen der CDU und der FDP genauso, dass wir sagen, Bildung muss am Ende des Tages gebührenfrei sein.

Nur, wenn wir die Istsituation sehen – anders als bei Schulen, wo wir flächendeckend Schulen haben, wo wir jedem Kind einen Schulplatz bieten können, rund um die Uhr, wenn es sein muss –, ist doch die Frage, ob wir das bei den Kindergärten oder bei der U-3-Betreuung auch schon haben. Da sind wir noch nicht so weit. Das ist der Unterschied.

Wenn ich Ihre Reden zum KiföG höre, die Sie aus dem Stand ungefähr fünf Stunden lang halten könnten, wie die Qualität zu verbessern ist, dann müssen Sie sich doch einmal selbst fragen: Welche Prioritäten setzen Sie eigentlich? Es ist doch unseriös, alles gleichzeitig zu versprechen. Das ist Ihr Problem.