Ich muss Sie fragen: Worin besteht die soziale Gerechtigkeit einer Maßnahme, die zunächst einmal die Gutverdiener entlastet? Können Sie mir das erklären? – Ich glaube, das können Sie mir sehr schlecht erklären.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Warum haben Sie das dann gefordert?)
Das Zweite ist: Eltern haben typischerweise hoffentlich ein Kind, das, nachdem es geboren ist, zuerst ein Jahr alt ist, dann zwei, drei, vier, sieben Jahre usw. Ich verstehe also überhaupt nicht, warum die Freistellung des einen Kindergartenjahres, des späteren gegenüber dem früheren, eine Frage der sozialen Gerechtigkeit sein soll. Es sind dieselben Menschen, die davon profitieren, ob man ihnen ein,
zwei oder alle Kindergartenjahre freistellt. Das ist überhaupt keine Gerechtigkeitsfrage. Das ist, wenn Sie so wollen, eine Frage der finanzpolitischen Möglichkeiten und der Prioritätensetzung und der Großzügigkeit. Dazu kann man alles Mögliche sagen, aber eine Gerechtigkeitsfrage ist es nicht, weil es dieselben Menschen sind, die davon profitieren – entweder mehr oder weniger, entweder für ein Jahr, für zwei Jahre oder für mehr Jahre. Das ist keine Gerechtigkeitsfrage.
Als Letztes muss ich Ihnen sagen: Wir haben vielleicht aufgrund des großartigen Engagements unseres Ministerpräsidenten in Zukunft finanzielle Spielräume, die wir vor einiger Zeit und bis jetzt nicht haben. Es wird eine kluge Diskussion darüber nötig sein, was wir damit tun.
Wir haben heute und werden morgen und jeden Tag darüber diskutieren, dass wir enorme Herausforderungen in diesem Lande haben, von denen wir vor kurzer Zeit nichts wussten. Die Geschichte wird weitergehen und uns immer wieder neue Rahmenbedingungen bescheren. Ich glaube, wir alle zusammen – und der Ministerpräsident weiß das am allerbesten, wahrscheinlich besser als wir alle zusammen –
werden zu gegebener Zeit dazu eine vernünftige Position dazu haben. Das kann diese sein oder eine andere.
Momentan haben wir eine sehr interessante und kluge Diskussion, die Ihr Engagement für Familien und deren finanzielle Situation für mich noch einmal in einem ganz anderen Licht dastehen lässt. Denn an anderer Stelle zeigen Sie keine Unterstützung, wenn es darum geht, Familien z. B. für eigene Verantwortung und eigene Beiträge zur Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu entlasten.
Da sind Sie nämlich nicht dafür, und Sie hintertreiben das mit allen Mitteln, die Ihnen dafür zu Gebote stehen. Sie lösen Ihren Anspruch selbst nicht ein, Herr Merz. Dann machen Sie anderen auch keine Vorwürfe.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stellen zuerst einmal fest: Heute ist der zweite Teil des Überbietungswettbewerbs des linken Teils des Saals hier.
Dazu die Frage: Wer möchte eigentlich mehr Geld versprechen? Wo sitzen die Stimmungsbremsen, die die Partylaune vermiesen wollen? Das ist das, was Sie hier suggerieren wollen. Aber wir neigen mehr zu einer fachlich seriösen Diskussion, und die möchte ich jetzt beginnen.
Was sind die Herausforderungen bei der frühkindlichen Bildung aktuell? Herr Kollege Merz, auch für Sie gilt, was Sie hier schon oftmals gesagt haben: In diesem Land fehlen noch Betreuungsplätze im Bereich U 3, Ganztagskindergartenplätze und Grundschulplätze. – Gehen Sie, Herr Merz. So ist das nun einmal: Wenn man sich mit Argumenten nicht auseinandersetzen will, verlässt man den Saal. So viel zum Thema Auseinandersetzung mit den Argumenten. Auf Wiedersehen.
Es fehlt also an der Quantität, und wir geben in diesem Land schon 425 Millionen € aus – damit man einmal eine Idee bekommt, was dieses Land eigentlich schon ausgibt.
Wir haben viel diskutiert. Herr Schäfer-Gümbel, Ihr Kollege, der jetzt einen Kaffee trinken gegangen ist, hat hier mehrfach betont, dass das KiföG verbessert werden muss. Das nennt man die Verbesserung von Qualität, Herr Kollege Schäfer-Gümbel.
Quantität und Qualität, das ist auch das, was wir als Herausforderung sehen, auch als Regierungskoalition. Wir haben eine wissenschaftliche Evaluation in Auftrag gegeben, die begleiten und beantworten soll, was am KiföG noch verbessert werden muss, was bei der frühkindlichen Bildung noch verbessert werden muss und wie es uns gelingt, höhere Qualität in den Kindergärten und bei der frühkindlichen Bildung zu garantieren. Ausbau, Quantität und Qualität sind die Herausforderungen dieser Stunde, und die müssen finanziert werden. So ist momentan die Linie.
Das alles haben Sie übrigens auch mitgetragen. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, jetzt kommen wir also zu der spannenden Frage: Geht es um Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in diesem Land? Wann sind Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit denn in diesem Land garantiert? – Wenn erstens alle Eltern, die ihn brauchen, tatsächlich einen Platz für Ihre Kinder finden, wenn zweitens Eltern, die einen Kinderbetreuungsplatz finden, dort eine Qualität vorfinden, die die Kinder tatsächlich fördert, und wenn drittens alle Eltern die Möglichkeit haben, diesen Kinderbetreuungsplatz zu finanzieren.
Ich wiederhole: Menschen, die Sozialhilfe empfangen, bekommen die Wirtschaftliche Jugendhilfe. Die können also
schon einmal nicht gemeint sein. Chancengleichheit besteht, weil Menschen mit ganz geringen Einkommen die Wirtschaftliche Jugendhilfe bekommen und Menschen mit geringen Einkommen Hilfen durch gestaffelte Beiträge bekommen und ihre Kinder auch in die Kindergärten gehen können. Also ist doch die Frage bezüglich der Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit die, ob ein Platz vorhanden ist, ob die Qualität vorhanden ist und ob die Beiträge so hoch sind, dass man sich die Teilhabe nicht leisten kann. Wir sagen, im Moment kann man immer Freibier versprechen. Das ist doch nicht unser Problem.
Aber unser Problem ist, dass wir in Hessen flächendeckend einen Ausbau der Infrastruktur und eine gute Qualität gewährleisten. Das sind die Prioritätensetzungen der schwarz-grünen Koalition.
Jetzt kommen wir zu der anderen These. Herr SchäferGümbel, wir wollen uns gern auch der Frage stellen, ob denn Beitragsfreiheit tatsächlich förderlich für die Teilhabe ist. Die Bundesländer Hamburg und Rheinland-Pfalz bedürfen in diesem Zusammenhang einer genaueren Betrachtung. Dort sehe ich, die Betreuungsanteile in Hamburg liegen bei den Drei- bis Fünfjährigen beitragsfrei bei 92,5 %; Hessen hat 93 %. Man kann ja wenigstens eine Minute lang darüber nachdenken, dass die Beitragsfreiheit jetzt nicht zu 101 % geführt hat, sondern genauso hoch liegt wie in Hessen.
Zu Rheinland-Pfalz. Ich habe gesagt, wir liegen bei knapp 94 %. Rheinland-Pfalz liegt hauchdünn über dem hessischen Anteil. So frage ich Sie: Ist die Beitragsfreiheit Indikator dafür, dass tatsächlich mehr Kinder in den Kindergarten geschickt werden?
Offensichtlich lassen sich diese Zahlen zumindest nicht erhärten. Ich will ja sagen, dass es nach wie vor schön ist, wenn es Gebührenfreiheit gibt. Aber diese These, dass viele Menschen ihre Kinder aufgrund fehlender Gebührenfreiheit nicht in die Kindergärten schicken, lässt sich aufgrund dieser Zahlen des Statistischen Bundesamts nicht erhärten. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.
Wenn man bei der Frage ist, warum das die SPD eigentlich jetzt macht: Nehmen Sie doch bitte meine Verwunderung zur Kenntnis. Dann kommt man vielleicht dem Thema ein bisschen näher. Ich habe hier die Haushaltsanträge der sozialdemokratischen Fraktion vom November 2015.
Wenn das so eine bildungspolitische Priorität für die Sozialdemokratie hat: Wo waren denn dann Ihre Haushaltsanträge von 63 Millionen €? Herr Kollege, wo ist er denn? Wo waren denn Ihre Anträge? Komisch: Die gab es nicht. Gut, das kann man einmal vergessen. Das kommt vor.
(Zurufe der Abg. Norbert Schmitt (SPD), Willi van Ooyen (DIE LINKE) und Michael Boddenberg (CDU) sowie von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glockenzeichen der Präsidentin)
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe der Abg. Nancy Faeser (SPD), Janine Wissler (DIE LINKE) und Michael Boddenberg (CDU))
Gut, man kann sagen, in der Vorweihnachtszeit hat man viel zu tun. Aber ich habe hier einen Artikel – Herr Kollege Boddenberg, wir müssen da auch genau bleiben – vom 28. Januar mit dem Titel „Erstmals seit 1969 ein Plus im Haushalt“. Darin erzählt der Finanzminister – so kennen wir ihn –, was wir da an zusätzlichen Mitteln haben.
Was macht aber der Fraktionsvorsitzende der SPD, Schäfer-Gümbel? – Er sagt: Das bietet doch auch mehr Spielraum für höhere Investitionen. Notwendig sei was? – Höhere Ausgaben für Straßen, energetische Sanierung von Häusern und digitale Infrastruktur. Wo ist da denn bitte die Beitragsfreiheit für Kindergärten?