Die schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden schafft Rahmenbedingungen zur Unterstützung von Frauen. So haben wir mit dem Sozialbudget Hilfsangebote für Frauen und Kinder weiter ausgebaut. Die Mittel für Frauenhäuser, Interventionsstellen und Frauennotrufe wurden aufgestockt und über die ganze Legislaturperiode der Höhe nach gesichert. Ich glaube, es ist ein entscheidender Erfolg, dass wir über die gesamte Legislaturperiode hinweg sagen: Das ist es, was euch zusteht, und das kann euch auch nicht genommen werden.
Die Landkreise und die kreisfreien Städte sorgen im Rahmen der kommunalisierten Hilfe dafür, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Das ist ein wichtiger Baustein des Unterstützungssystems für die Frauen, die Hilfe brauchen.
Meine Damen und Herren, ich will mich noch mit einer anderen Gruppe von Frauen beschäftigen, die, wie ich glaube, unsere ganz besondere Hilfe und Unterstützung braucht. Das sind die Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Die Zahlen werden immer wieder genannt, auch ich will es noch einmal tun, weil es so wichtig ist, dies nicht zu vergessen: Mehr als ein Drittel aller in Deutschland lebenden Frauen ist bereits Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt geworden. Das derzeit gültige Sexualstrafrecht – das ist ein Bundesrecht; es ist also nichts, was wir hier in Wiesbaden verändern können – hat seit Langem bekannte Lücken. Diese müssen endlich geschlossen werden, damit Täter auch zur Rechenschaft gezogen werden können.
Meine Damen und Herren, die Bundestagsfraktion der GRÜNEN hat dies nicht erst seit den Vorfällen in Köln thematisiert; sie hat schon im Sommer des letzten Jahres einen Gesetzentwurf in das Verfahren eingebracht, mit dem die sogenannte Istanbul-Konvention umgesetzt werden sollte.
Wenn man sich mit dem Thema näher beschäftigt, könnte man meinen, das Sexualstrafrecht in der Bundesrepublik
gehe noch immer von einem Frauenbild aus, das Frauen irgendwie eine latente Mitschuld daran zuweist, dass sie Opfer von sexuellen Übergriffen werden. Wie kann man es sich anders erklären, wenn man einer Frau aufgibt, sich „hinreichend“ zu wehren, wenn ihre Anzeige eine Chance auf gerichtliche Verfolgung haben soll? Man muss sich also wirklich „hinreichend“ zur Wehr setzen, damit eine Anzeige nachher gerichtlich verfolgt wird.
Stellen Sie sich einmal folgenden Fall vor: Einer Frau wird aus einer Menschenmenge heraus von hinten an den Po gegriffen. Sie dreht sich um, stellt den Angreifer zur Rede. Dieser lacht ihr frech in das Gesicht und fasst ihr in den Schritt. – Ja, meine Damen und Herren, dann ist die Frau erst einmal völlig von der Rolle und braucht einen Moment, bis sie sich der Situation bewusst wird. Sie ist erst einmal starr vor Schreck.
Was ist aber eigentlich rein rechtlich passiert? Rein rechtlich und in der Gesetzeslogik kam dieser Angriff nicht überraschend, weil sie den Angreifer ja angeschaut hat, und sie hat sich nicht gewehrt. Also kann dieser Angreifer nach bisheriger Logik auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist passiert, weil Nein eben nicht Nein heißt. Ich glaube, liebe Frauen und Männer, das muss dringend geändert werden.
Nein muss auch Nein heißen und Nein bedeuten. Das ist auch die Linie der Hessischen Landesregierung, und ich bin der Justizministerin sehr dankbar, dass sie ihre Stimme laut und vernehmlich in diesem Sinne erhoben hat.
Sie setzt sich für die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen ein und kritisiert den bisherigen Entwurf aus dem Hause Maas an diesem Punkt als unzureichend. Ich glaube, diese Kritik ist sehr berechtigt.
Meine Damen und Herren, Menschen, die sich vertieft mit dem Thema sexualisierter Gewalt beschäftigen, merken sehr schnell, dass sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum nach geltender Rechtslage selten geahndet werden bzw. nicht geahndet werden können, weil das Recht eben so ist, wie es ist. Das Bewusstsein dafür, dass diese Rechtslage nicht gut ist, hat sich nach den Übergriffen von Köln geändert. Es ist wieder gewachsen, und das ist auch gut so.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident. – Daher habe ich die Hoffnung, dass sich jetzt etwas bewegt und dass es in die richtige Richtung geht, damit Nein auch Nein heißt. Ich freue mich auf eine gemeinsame und unterstützende Beratung unserer Anträge in den Ausschüssen. – Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth. – Als Nächste spricht Frau Abg. Schott. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich sehr gefreut, in diesem Jahr feststellen zu können, dass anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März auch aus den Regierungsfraktionen ein Antrag gekommen ist. Das bedeutet, nicht nur die Opposition beschäftigt sich damit, sondern auch die Regierungsfraktionen sind endlich dort angekommen, zu sagen: Jawohl, wir müssen uns mit diesem wichtigen Thema befassen.
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in den Vorjahren aus Regierungskreisen einen solchen Antrag hatten.
In 25 Ländern ist der 8. März ein gesetzlicher Feiertag. Es gibt wenige Gedenktage weltweit, die eine solche Bedeutung erlangt haben, dass sie fast überall in unterschiedlichen Formen begangen werden. Auch die CDU nähert sich diesem Tag, auch wenn diese Formulierung im Antrag: „Der Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau am 8. März erinnert an die Bemühungen um ein weltweites Wahlrecht für Frauen“, etwas vage bleibt.
Ich mache es dann gerne etwas konkreter. Es war Clara Zetkin, die auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 die Einführung eines Internationalen Frauentags vorgeschlagen hat. Die Idee kam aus den USA, von der Sozialistischen Partei Amerikas, die 1909 den ersten Frauentag erfolgreich feierte. Natürlich hat damals das Frauenwahlrecht im Vordergrund gestanden. Meine Damen und Herren, das haben wir zwar in den meisten Ecken der Welt erreicht, trotzdem gibt es auch in diesem Land für die Gleichstellung der Frauen noch reichlich zu tun.
Demnächst findet z. B. der Equal Pay Day statt, der uns das Gender Pay Gap immer wieder aufzeigt. Die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen betragen auch in Deutschland noch fast 22 %, und damit nimmt dieses Land den drittletzten Platz unter den 28 Ländern der Europäischen Union ein. Hinter uns liegen nur noch Österreich und Estland. Das ist beschämend. Das liegt daran, dass Frauen in den unteren Einkommensgruppen arbeiten sowie in Branchen, die eine hohe Arbeitsbelastung und eine niedrige Entlohnung haben. Das sind im Allgemeinen das Gesundheitswesen, der Einzelhandel und das Erziehungs- und Sozialwesen.
Die Aufwertung der sozialen Berufe sowie der Gesundheitsberufe war einer der sieben Punkte für die Gleichstellung von Frauen, die wir vor einem Jahr in den Landtag eingebracht hatten. Ein weiterer Punkt war, die Betreuung von Kindern während der Arbeitszeit der Eltern zu gewährleisten; denn nach wie vor sind es zumeist die Frauen, die dadurch eine Erwerbspause haben, anschließend zu
schlechteren Arbeitsbedingungen wieder eingestellt werden und weniger Rente bekommen. Dies ist weiterhin eine Baustelle in diesem Land, da die Kinderbetreuung unterfinanziert und weitgehend den Kommunen überlassen wird.
Ich will mich aber mit dem entscheidenden Punkt unseres heutigen Antrags beschäftigen, dass alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe stehen müssen. Damit komme ich auf eine erfreuliche Stelle des schwarzgrünen Antrags zu sprechen – das hat sich eben auch in der Rede gespiegelt –:
Die bestehenden Lücken im Sexualstrafrecht müssen endlich geschlossen werden, damit klar ist: „Nein heißt Nein.“
Mit dieser Formulierung muss sich die Hessische Landesregierung der Bundesratsinitiative von Rheinland-Pfalz, Hamburg und Niedersachsen anschließen und unserem Antrag zustimmen. Das ist doch eindeutig: Entweder Sie meinen, was Sie aufgeschrieben haben, oder Sie meinen es nicht. Wenn Sie es meinen, müssen Sie sich anschließen.
Die Initiative dieser drei Bundesländer geht genau in diese Richtung. Wenn Deutschland endlich die Istanbul-Konvention ratifizieren würde und das Ganze schnell und erfolgreich in Recht und Gesetz umsetzen würde, dann wären wir einen entscheidenden Schritt weiter. Es gäbe viel zu sagen, warum das erforderlich ist. Ich will aber nur einige wenige Gründe benennen und hierzu Zahlen aufzählen: Viele Vergewaltigungen werden überhaupt nicht angezeigt. Von denen, die angezeigt wurden, kam es im Jahr 2012 beispielsweise nur in 8,4 % der Fälle zu Verurteilungen.
Das ist in Hessen auch nicht viel anders. Es gab in den Jahren 2010 bis 2015 6.740 angezeigte Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen. Lediglich in 18 % der Fälle wurde Anklage erhoben und ein Strafbefehl eingeleitet. 35 % wurden eingestellt, weil der Tatverdacht nicht ausreichend war. Nur in 10 % der Fälle kam es zu einer Verurteilung. Das könnte man jetzt böswillig so lesen, als seien es die allzu bösen Frauen, die sich irgendwelche Geschichten ausdenken. Tatsächlich ist es aber so, dass wir eine Situation haben, in der Frauen, wenn sie um ihre Sicherheit, um Leib und Leben fürchten, aufgefordert sind, sich aktiv zu wehren, also selbst einen Akt der Gewalt zu begehen, vor dem sie Angst haben, weil sie von einem Täter bedroht werden. Wenn sie aber genau das nicht tun, weil sie sich fürchten, dann kann der Täter hinterher nicht bestraft werden. Das ist doch pervers. Das muss beendet werden.
Dann sieht es immer wieder so aus, als läge es an den Frauen, dass diese Vergewaltigungen nicht verurteilt werden. Frauen zeigen in der Zwischenzeit schon gar nicht mehr an, weil sie die Erfahrung von anderen Frauen kennen: Man geht durch ein furchtbares Verfahren, das entwürdigend und erniedrigend ist und das man am Ende auch noch verliert. – Das beschädigt noch einmal die schon geschädigte Würde obendrein. Das ist ein Zustand, der in diesem Land dringend beendet werden muss.
Es wäre aber nicht Schwarz-Grün, wenn in Ihrem Antrag nicht ein dicker Pferdefuß versteckt wäre. Da kommt so ein Satz daher, dass der Landtag feststellt,
Menschen, die aus patriarchalisch geprägten Milieus oder Kulturen kommen, müssen unsere Wertevorstellungen und Gesetze anerkennen und beachten, egal ob sie bereits in Deutschland leben oder zu uns kommen.
Ach ja, wo versteckt sich das Patriarchat auf der Welt? Sind die patriarchalisch geprägten Milieus und Kulturen irgendwo anders und nicht bei uns?
Das Frauenwahlrecht ist doch noch keine 100 Jahre alt. Was die Ungleichheit von Frauen und Männern hinsichtlich des Einkommens angeht, dazu habe ich etwas gesagt, auch was die Strafbarkeit von Taten hinsichtlich des sexuellen Selbstbestimmungsrechts angeht, worunter ganz überwiegend Frauen leiden. Was ist das? Ist das kein Patriarchat?
Wenn die Zugezogenen unsere Wertevorstellungen anerkennen sollen, dann erkennen sie an, dass es jährlich zu bis zu 8.000 angezeigten Vergewaltigungen kommt und es eine Dunkelziffer von 85 % gibt, wo Frauen sich nicht trauen, die Straftat gegen ihre sexuelle Selbstbestimmung anzuzeigen. Ist das unser Wertekanon, der übermittelt werden soll? Sind Sie wirklich der Meinung, dass patriarchalische Strukturen und Denkweisen in diesem Land nicht mehr vorhanden sind, mit oder ohne Eingewanderte? Wird hier ein neues oder ein altbekanntes Narrativ geschaffen?
Die Silvesternacht in Köln war für viele ein willkommener Anlass, nicht um sexuelle Übergriffe zu verurteilen und strafbar zu machen, sondern um in der Bevölkerung Vorurteile gegen Menschen, die eingewandert sind, zu schüren, gegen Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, weil sie in ihrer Heimat nicht leben konnten. Natürlich soll die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Deutschland respektiert werden, aber von allen.
Das erwarte ich von dem Richter im Strafprozess genauso wie von dem Arbeitgeber, der versucht, Frauen nach der Familienpause zu schlechteren Konditionen wieder einzustellen. Das erwarte ich ebenso von Politikern, die Gesetze verabschieden müssen, die die Benachteiligung von Frauen aufheben. Das erwarte ich natürlich von den Männern in meiner Umgebung, von denjenigen auf der Straße und natürlich auch von Ihnen, meine Herren.