Protokoll der Sitzung vom 10.03.2016

Diese bestehenden Lücken im Sexualstrafrecht müssen geschlossen werden. Das ist natürlich auch unsere feste Meinung. Dazu brauchen wir aber nicht den Antrag der LINKEN; denn der jetzt vorgelegte Referentenentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas ist der erste Schritt. Gleichzeitig – das wurde noch nicht erwähnt – gibt es eine Expertenkommission. Sie wurde berufen, um eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts vorzubereiten.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wie wäre es mit einer Expertinnenkommission?)

Meine Damen und Herren, Vergewaltigung ist ein Verbrechen, das physisch und psychisch tiefe Wunden bei den Opfern hinterlässt, ein Verbrechen, das geahndet werden muss, gleich ob sich das Opfer wehrt oder Angst hat und deshalb handlungsunfähig ist. Es kann auch nicht dem Opfer vorgeworfen werden, dass es keinen Widerstand geleistet hat. Deshalb unterstützen wir die Initiativen im Bundesrat.

Frau Schott, den dritten Punkt in Ihrem Antrag haben Sie in Ihrer Rede leider überhaupt nicht erwähnt, nämlich die Ausweitung der medizinischen Soforthilfe nach Vergewaltigung. Das unterstützt das Sozialministerium doch längst. Es war das hessische Sozialministerium, das die Arbeit des Frauennotrufs in Frankfurt unterstützt hat, um eine gerichtsfeste Dokumentation von Vergewaltigungen zu entwickeln. Denn das brauchen wir, damit wir Frauen vor Gericht schützen und unterstützen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es war auch das Sozialministerium Hessen, das in Fulda die Pilotierung der Schutzambulanz in Verbindung mit der Gerichtsmedizin in Gießen unterstützt hat. Ich lobe ausdrücklich die Initiative der acht Frankfurter Frauenkliniken, die auf diesen Grundlagen ein Hilfesystem für Opfer von sexueller Gewalt eingerichtet haben.

Ziel ist es, medizinische Hilfe und Beratung nach Vergewaltigung anzubieten, auf Wunsch Vertraulichkeit zu wahren, aber auch die Befunde für eine eventuelle spätere Anzeige zu sichern. Dies soll ausdrücklich Ausstrahlkraft auf ganz Hessen haben, und deshalb unterstützt das Sozialministerium die Beratung anderer Regionen, die Gleiches tun.

Dass dies auch in einem kleinen Krankenhaus funktioniert, das haben wir parteiübergreifend in Waldeck-Frankenberg mit dem Frauenbüro und dem örtlichen Präventionsrat auf den Weg gebracht. Die Mittel aus dem Sozialbudget ermöglichen uns das auch finanziell, und so haben wir mit dieser fachlichen Unterstützung aus dem Sozialministerium nach dem Frankfurter Modell an der Gynäkologie im Kreiskrankenhaus Frankenberg ebenfalls eine Anlaufstelle für Opfer von sexueller Gewalt eingerichtet.

Einen weiteren Punkt will ich ansprechen. Wichtig ist mir auch, dass Opfer von sexueller, körperlicher und psychischer Gewalt ein Hilfenetzwerk in Hessen vorfinden. Das ist wichtig. Das beginnt bei niederschwelligen Angeboten. Deshalb lobe ich ausdrücklich die bundesweit einheitliche Telefonnummer, wo Frauen und Kinder, die von Gewalt betroffen sind, schnelle Unterstützung und eine erste Anlaufstelle finden.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Das funktioniert aber nicht!)

Die Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt im hessischen Justizministerium bindet in vorbildlicher Art und Weise die verschiedenen Institutionen auf Landes-, Stadt- und Kreisebene zusammen. Der Landesaktionsplan gegen häusliche Gewalt unterstützt hessenweit Präventionsnetzwerke.

Das ist uns wichtig. Wir brauchen dieses umfassende Hilfswerk, damit Frauen, aber auch Kinder und selbstverständlich auch Männer, die von Gewalt betroffen sind, Anlaufstellen finden. Die Kollegin Erfurth hat auch auf das Sozialbudget hingewiesen, wo wir Frauenhäuser und eine möglichst flächendeckende Versorgung mit Interventionsstellen landesweit fördern.

Gewalt an Frauen ist nicht zu tolerieren, gleich wer sie ausübt. Deshalb halte ich die Diskussion um das Patriarchat für am Ziel vorbeigehend. Jeder, der Gewalt ausübt, darf nicht toleriert, sondern muss geächtet werden,

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

aber wir müssen uns auch anschauen, dass diejenigen, die nach Hessen kommen, die aufgrund von Flucht jetzt in Hessen sind, hier einbezogen werden.

Die geschlechtersensible Unterbringung, also das Reservieren von Bereichen für allein reisende Frauen, Kinder und Familien, ist uns hier in Hessen besonders wichtig. Das gilt auch in den Notunterkünften. Auch dort ist es uns gelungen, fast überall solche Bereiche zu bilden.

Ich möchte deshalb auch ausdrücklich Darmstadt hervorheben. Dort wurden nicht nur Schutzbereiche gebildet, sondern es gibt da jetzt auch eine Beratungs- und Hilfestruktur für traumatisierte Frauen und Kinder.

(Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Wer in Deutschland Schutz sucht und leben möchte, der muss sich in den Flüchtlingsunterkünften, aber auch im öffentlichen Leben in unserem Land von Anfang an nach unseren Wertvorstellungen und unserem Grundgesetz richten. Es darf keine Verharmlosung der Gewalt gegen Frauen geben, gleich wer sie ausübt. Deshalb möchte ich hier auch noch die Rechtsstaatsklassen erwähnen, die das Justizministerium eingerichtet hat. „Fit für den Rechtsstaat …“ ist ein wichtiger Beitrag

Frau Kollegin Ravensburg, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

ja, das komme ich –, um über unsere Werte und die Rechtsordnung zu sprechen. Das Gleiche gilt auch für die Integrationskurse. Ich halte den Weltfrauentag deshalb für wichtig, weil man damit einmal im Jahr öffentlichkeitswirksam auf die Rechte der Frauen aufmerksam machen kann.

Ich komme zum letzten Satz. Die Gleichstellung und die Achtung der Rechte von Mann und Frau sollten für uns jeden Tag Maxime unseres Handelns sein. – Danke sehr.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Rentsch für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich rede für meine Fraktion als rechtspolitischer Sprecher – deshalb spricht auch die Justizministerin –, weil es sich hier um einen auch juristisch nicht einfach zu regelnden Sachverhalt handelt. Insofern ist das heute eine wichtige Diskussion. Ich glaube, sie ist mehr als angemessen. Aber sie ist eben auch gar nicht so einfach zu einem guten Ende zu führen.

(Beifall der Abg. Nicola Beer und Wolfgang Grei- lich (FDP))

Ich glaube, dass wir da alle derselben Auffassung sind. Ich denke, das ist in diesem Haus Konsens, auch wenn Sie, Frau Kollegin Schott, das vielleicht etwas anders gesehen haben. Wir alle sind der Auffassung, dass wir das, was wir mit dem Sexualstrafrecht hinsichtlich der Frage, wie man das bei den Sexualdelikten ausformuliert, zu regeln haben, so machen, dass das wirklich zu einem effektiven Schutz der Frauen und der Männer führt. Dabei wissen wir, dass es angesichts der Anzahl der Fälle hauptsächlich Frauen sind und dass wir das mit dem aktuellen Rechtstatbestand so nicht erfüllen.

Ich glaube, es ist richtig, dass man eine intensive Diskussion darüber führt und dass man sie zu einem guten Ende führt. Man sollte aber nicht den Fehler machen – das will ich mit dieser Debatte anregen –, die Ereignisse in Köln als Grundlage dafür zu nehmen, dass wir jetzt eine Debatte darüber führen, wie wir speziell für die Kölner Situation Regeln einführen. Denn dafür gab und gibt es Regeln, Gott sei Dank.

Ich bin froh darüber, dass wir die Kölner Situation nicht dafür nehmen, Hektik in ein solches Verfahren zu bringen. Ich sage ganz offen: Da teile ich die Auffassung des Kollegen Maas nicht. Denn die Antwort auf die Frage, wie das geregelt wird, wird zum Schluss sehr wichtig sein, wenn es darum geht, diese Sexualdelikte in der Praxis so zu bewerten, dass die Täter wirklich bestraft werden.

(Beifall der Abg. Nicola Beer, Wolfgang Greilich (FDP) und Marjana Schott (DIE LINKE))

Ich glaube, das ist ein zentraler Punkt, der für die Juristen und alle anderen Kolleginnen und Kollegen hier klar sein sollte.

Ich will ausdrücklich sagen, dass das, was Frau KühneHörmann hier fachlich vorschlägt, von uns geteilt wird. Ich will aber auch sagen, dass ich das, was Herr Maas bisher als Diskussionsgrundlage, und auch das, was die eingesetzte Expertenkommission vorgelegt hat, nicht für falsch halte. Insofern sollten wir uns davon verabschieden.

Das, was wir in Köln erlebt haben – das hat Frau Kollegin Ravensburg zu Recht gesagt –, ist eine Situation, die zurzeit strafrechtlich abgebildet ist. Wir können gegen diese Täter vorgehen.

Aber ich will natürlich auch sagen, dass wir zurzeit erleben, dass vieles, was wir für normal halten und was sich Frauen in den letzten Jahren oder Jahrzehnten in dieser Gesellschaft hinsichtlich dessen erkämpft haben, wie ein Um

gang stattzufinden hat und was eben nicht mehr normal ist oder was als sexuelle Belästigung interpretiert werden kann, nicht in allen Kulturen der Welt so gesehen wird. Deshalb ist das, was in Köln vorgefallen ist, auch ein Ausdruck dessen, dass wir eine kulturelle Auseinandersetzung über die Frage brauchen, was in dieser Gesellschaft normal und was nicht normal ist. Was für Rechte haben wir gegenüber Frauen und Männern, gegenüber Andersgläubigen und gegenüber denen, die sexuell nicht das leben, was vielleicht in diesen Ländern normal ist? Ich glaube, dass diese kulturelle Auseinandersetzung notwendig ist.

Frau Kollegin Ravensburg, man kann sich nicht so einfach hierhin stellen und sagen, jetzt machen wir die Rechtsstaatskurse. Dass Sie sie machen, halte ich für richtig. Ich habe mir einiges angeschaut. Ich will Ihnen offen sagen, dass wir noch große Probleme haben werden, daraus ein effizientes Instrument zu basteln.

Hinsichtlich der sprachlichen Voraussetzungen und der Motivation der vielen Richterinnen und Richter und Staatsanwälte, die das machen, haben wir noch richtig viel Luft nach oben. Wir können jedem dankbar sein, der sich bereit erklärt, in seiner Freizeit so etwas zu machen. Aber, offen gesagt, ist das Interesse, das ich widergespiegelt bekommen habe, bei vielen, die das letztendlich nutzen, nicht so vorhanden, wie wir uns das vorstellen. Die Bretter, die wir da zu bohren haben, sind mehr als dick. Ich glaube, das sollte man bei einer solchen Debatte auch zum Ausdruck bringen.

(Beifall der Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn und Wolf- gang Greilich (FDP))

Wer sich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beschäftigt, der kommt, glaube ich, zu dem Ergebnis, dass wir aufgrund der Sachverhalte in Köln keine Eile haben – das sagte ich bereits – und dass es auch nicht richtig ist, jetzt sozusagen mit diesen Kölner Ereignissen im Rücken eine neue Debatte aufzumachen. Vielmehr sollte die Debatte, die wir bisher geführt haben, weitergeführt werden. Sie sollte zu einem guten Ende gebracht werden.

Zweitens. Das, was der Entwurf mit dem Tatbestand des Grapschens vorsieht, ist an vielen Stellen unserer Ansicht nach juristisch nicht geeignet, des Problems wirklich Herr zu werden. Auch das muss man sich sehr genau anschauen. Das führt nämlich zu einer Reihe weiterer Probleme. Ich sage auch, dass das, was jetzt als Strafandrohung im Raum steht, sich immer im Kontext dessen bewegen muss, was wir mit Straftatbeständen an anderer Stelle im Sexualstrafrecht geregelt haben. Kollegin Faeser, deshalb glaube ich, dass es sinnvoll ist, sich zu überlegen, ob man jetzt mit extrem hohen Strafen nicht das ganze Sexualstrafrecht ein bisschen außer Rand und Band bringen würde.

Ich will einen weiteren Punkt nennen, der mir wichtig ist und den Sie in der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes lesen können. Da geht es nämlich um die Frage, wie Tatbestandsmerkmale in Strafgesetzen zum Schluss auch überprüft werden können. Sie wissen, dass ein Strafgericht von der Schuld des Täters überzeugt sein muss. Diese Überzeugung kann letztendlich nur dann vorhanden sein, wenn der Nachweis gelingt, dass einzelne Straftatbestandsmerkmale auch erfüllt sind.

Wir reden hier immerhin über die §§ 179 ff. Strafgesetzbuch. Wer sich anschaut, wie in dem vorgelegten Referentenentwurf die Ausnutzung der Lage letztendlich geregelt ist, kommt zu dem Ergebnis, dass wir dann die Situation

haben werden, dass unserer Ansicht nach, so wie der Tatbestand zurzeit formuliert ist, es nicht dazu führen wird, dass es viele Nachweise für eine strafbare Handlung geben wird. Ich darf einmal zitieren, was der Deutsche Richterbund unserer Ansicht nach zu Recht schreibt:

Gerade in diesen Fällen – in denen nach derzeitiger Rechtslage eine relevante Strafbarkeitslücke besteht –

das ist unstreitig –

wird der Tatnachweis im Einzelfall nur schwer gelingen. Denn der Täter wird sich in aller Regel darauf berufen, dass er mangels jeglicher ablehnenden Äußerung oder Handlung durch das Opfer von dessen Einverständnis ausgehen konnte.

Ich glaube, darüber muss man nachdenken, wenn man diesen Referentenentwurf weiterhin diskutiert. Wenn das so bleibt, wird das ein tolles Gesetz sein. Es wird aber in der Praxis nicht dazu führen, dass der Nachweis wirklich erbracht werden kann, dass hier eine strafbare Handlung vorliegt. Das bitte ich bei dieser Frage zu bedenken.

(Beifall bei der FDP)

Ich will einen weiteren Punkt nennen, der vielleicht nicht so populär ist, der aber gerade auch für die Kollegen im Rechtsausschuss eine wichtige Grundlage ist. Das gilt sicherlich auch für die Justizministerin. Die Reformdiskussion blendet unserer Ansicht nach zu Recht aus, dass es in den letzten Jahren eine große, ansteigende Zahl falscher Beschuldigungen in diesem Bereich gegeben hat. Das ist ein sehr schwieriges Thema.

Ich glaube, damit muss man sehr sensibel umgehen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, ist etwas klar. Es gibt in der „Zeit“ einen sehr interessanten Artikel von Prof. Dr. Walter – er ist einer der Strafrechtler, die sich mit dem Thema Sexualstrafrecht massiv auseinandersetzen – zu diesem Thema, in dem diese Zahlen noch einmal konkret aufgemacht werden. Er schreibt in diesem Artikel, dass Experten die Zahl der falschen Beschuldigungen auf ein Drittel bis zur Hälfte schätzen. Zahlen aus der Gerichtsmedizin gäben Hinweise, die das stützten.

Deshalb ist bei der Neugestaltung sehr stark darauf zu achten. Das ist juristisch sehr schwer. Ich sage einmal: Es ist wahrscheinlich eine der schwierigsten Disziplinen, ein Strafrecht so auszugestalten, dass wir nachher eine Grundlage dafür haben, dass es eben dazu nicht kommt. Aber dieses Thema muss letztendlich mit in den Blick genommen werden.