Protokoll der Sitzung vom 10.03.2016

Deshalb ist bei der Neugestaltung sehr stark darauf zu achten. Das ist juristisch sehr schwer. Ich sage einmal: Es ist wahrscheinlich eine der schwierigsten Disziplinen, ein Strafrecht so auszugestalten, dass wir nachher eine Grundlage dafür haben, dass es eben dazu nicht kommt. Aber dieses Thema muss letztendlich mit in den Blick genommen werden.

Ich glaube, deshalb gilt es, nicht nur mit hohen Strafandrohungen und neuen Straftatbeständen zu agieren, wie das Herr Maas gemacht hat. Erstens muss man zum Schluss auch schauen, dass das Strafrecht anwendbar ist und es den Opfern die Möglichkeit gibt, den Nachweis zu liefern. Wenn es so wie hier ausformuliert ist, wird das nicht gelingen. Unserer Ansicht nach wäre das fatal. Zweitens darf man keine Anreize setzen, dass das missbraucht wird. Auch das ist eine Frage.

Wir diskutieren hier über einen extrem schmalen Grat. Ich will nicht verhehlen, dass ich die Kollegen nicht beneide, die das ausformulieren, weil es wirklich sehr schwierig ist.

Aber ich glaube – und das ist der Konsens, der heute hier im Hause besteht –, dass wir einen extremen Bedarf daran haben, dieses alte Sexualstrafrecht, das in Deutschland

noch existiert, neu aufzustellen. Die aktuellen Fälle sind nur ein Indiz. Sie sind aber nicht die Grundlage für die Diskussion. Die Diskussion führt viel weiter zurück. Sie geht noch von einem Gesellschaftsbild aus, das wir Gott sei Dank seit Langem nicht mehr haben. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir hoffentlich nicht mehr ernsthaft für die Gleichberechtigung von Frau und Mann kämpfen müssen und in der sicher alle 110 Parlamentarier das Thema nicht ernsthaft streitig stellen. Es geht vielmehr um die Frage: Welches moderne Gesellschaftsbild liegt einem neuen Sexualstrafrecht zugrunde? Das ist die Grundlage, über die wir diskutieren müssen.

Wir haben einen guten gemeinsamen Schritt getan, wenn die Justizministerin mit ihrer Initiative dazu beiträgt, dass wir sorgfältig und zeitnah mit dem Bundesjustizminister zu einem guten Ergebnis kommen, wenn wir zum Zweiten keine Formulierungen mehr in den Referentenentwurf und dann in das Gesetz aufnehmen, die dazu führen, dass kein Nachweis geliefert werden kann, und wenn wir uns drittens über die Frage Gedanken machen, wie man ein Recht so ausgestalten kann, dass es zum Schluss nicht zum Missbrauch angelegt ist.

Lassen Sie uns gern über den Weg und die Frage, wie es geregelt wird, streiten. Über das Grundziel sollte hier aber große Einigkeit bestehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Als Nächster hat Staatsminister Grüttner das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Anlass für diese Debatte war der Weltfrauentag, der sich am vergangenen Dienstag zum 105. Mal jährte. Das ist ein Tag, der an diejenigen Frauen und Männer erinnert, die sich unter teilweise schwierigen oder gar lebensbedrohenden Bedingungen für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Frauen und ihrer Menschenrechte eingesetzt haben. Gleichzeitig geht es hier aber auch um die Debatte über das Sexualstrafrecht und das Strafrecht bei Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Deshalb werden wir den Punkt aufteilen. Ich werde zu einem Teil des Antrags Stellung beziehen; zu dem anderen wird Frau Kollegin Kühne-Hörmann sprechen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eines steht vornan: Frauenrechte sind schlicht und einfach Menschenrechte. Unzureichend eingelöste Frauenrechte sind in jeder Gesellschaft ein zuverlässiger Gradmesser für fehlenden Fortschritt und fehlende Weiterentwicklung. Seit 1949 ist in Deutschland die Gleichberechtigung von Frauen und Männern Verfassungsauftrag, der von Elisabeth Selbert erstritten wurde. An diesem Verfassungsauftrag lässt sich auch Hessen messen.

Der vorliegende Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU stellt als Ausgangspunkt für seine Agenda die gleichen Verwirklichungschancen von Frauen und Männern heraus. Damit Frauen gleiche Verwirklichungschancen haben, müssen Hindernisse abgebaut werden, die eine selbstbestimmte Gestaltung der persönlichen Biografie erschweren. Es werden verschiedene Rahmenbe

dingungen für verschiedene Lebensphasen benötigt – von der Berufswahl über die Lohngerechtigkeit und Rollenbilder in der Gesellschaft bis hin zur Rente. Wir setzen hierbei auf ein breites Spektrum von Instrumenten.

Erstens. Das gerade erst am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretene, grundlegend überarbeitete und modernisierte Hessische Gleichberechtigungsgesetz für den öffentlichen Dienst nimmt an dieser Stelle eine Vorbildfunktion ein. Es fördert Frauen. Wir haben diese Diskussion sehr intensiv geführt. Ich denke, wenn Sie die kommentierte Fassung, die Ihnen am Dienstag zugegangen ist, ausreichend studieren, werden Sie auch an dieser Stelle sehen, wie fortschrittlich dieses Gesetz ist.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir nach wie vor verdeutlichen müssen, ist: Es gibt in Deutschland immer noch einen geschlechtsspezifischen Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern. Wir müssen alles daransetzen, den zu beseitigen. Demgemäß stehen wir bei den geplanten Maßnahmen zur Entgeltgleichheit an der Seite des Bundes. Aber wir verfolgen gleichzeitig auch eigene Strategien, z. B. mit der Arbeitsgemeinschaft Trialog Chancengleichheit Hessen. Das ist ein Zusammenschluss der Beauftragten für Chancengleichheit beider Rechtskreise, der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, des Stabs Chancengleichheit am Arbeitsmarkt der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit sowie von Expertinnen und Experten aus dem hessischen Sozialministerium. Der Fokus liegt hierbei auf der Entwicklung praxisbezogener und umsetzbarer Maßnahmen und Projekte zur Existenzsicherung von Frauen.

Ganz aktuell sehen wir momentan eine Studie des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit, die eine Trendwende bestätigt. Die Gründe hierfür sind aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht griffig genug und nicht genau erklärbar. Insofern bleibt allerdings ein Punkt, den finde ich ausgesprochen wichtig, und der ist in dieser Studie auch zum Tragen gekommen, nämlich die öffentliche Befassung der Politik mit diesem Thema. Das ist ein Grund dafür, dass kleine Schritte bei der Entgeltgleichheit gemacht werden. Insofern trägt auch diese Debatte dazu bei. Ich kann Frau Ravensburg nur zustimmen: Wir dürfen solche Debatten nicht nur im Umfeld des Weltfrauentags führen, sondern wir müssen sie in unserem Bereich häufig und permanent führen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben eben das Thema angesprochen. Frau KühneHörmann wird noch auf das Sexualstrafrecht zu sprechen kommen. Natürlich muss man einen Blick auf das Thema körperliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen richten. Ich glaube, es ist gesellschaftlicher Konsens, dass es an dieser Stelle keine Maßnahmen gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen, aber auch von Männern, geben kann. Wer diesen gesellschaftlichen Konsens verletzt, wird mit administrativen und polizeilichen Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen, egal welcher Herkunft er ist oder Religion er angehört, oder ob er Bürger oder Gast dieses Landes ist. Das ist an dieser Stelle vollkommen unerheblich.

Wir stärken in Hessen mit den kommunalisierten sozialen Hilfen ganz besonders den Schutz von Frauen vor häuslicher und sexualisierter Gewalt. Wir stellen in diesem Jahr

5,4 Millionen € aus dem Sozialbudget zur Verfügung, die vor Ort im Interesse von Frauen eingesetzt werden können. Über die gesamte Legislaturperiode gesehen ermöglicht das natürlich eine massive Stärkung von Beratungs- und Hilfsorganisationen.

Ich sage an der Stelle auch: Wir beginnen bei den Frauen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Das Projekt in Darmstadt, das als Pilotprojekt zusammen mit dem Sigmund-Freud-Institut, pro familia und IDeA von der Goethe-Universität Frankfurt am Main betrieben wird, dient zur Hilfestellung für traumatisierte Frauen. Es leistet einen Beitrag dazu, dass Integration später besser gelingen kann und mit den Partnern auch Maßnahmen entwickelt werden können, die uns die Herausforderungen, die auch hier vor uns stehen, besser bewältigen lassen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen danke ich allen Beteiligten für ihren Einsatz. Ich wünsche ihnen viel Erfolg und denke, dass es sicher noch ein paar Ausführungen zu dem Sexualstrafrecht geben wird. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Staatsministerin Kühne-Hörmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Änderung des Sexualstrafrechts ist eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben. Daran wird schon lange gearbeitet.

In der Praxis – das haben meine Vorredner gesagt – gab es kaum Verurteilungen. Es geht um die Opfer. Je schneller wir dieses Vorhaben durchbringen, desto größer ist die Chance, dass den Opfern geholfen werden kann und vor allen Dingen die Täter verurteilt werden können.

Deswegen möchte ich wiederholen: Nein heißt nein, und ein Nein muss reichen. Auch das gehört dazu.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Debatte über die Verschärfung des Sexualstrafrechts wird schon lange geführt. Schon seit Ende des Jahres 2013 und Anfang des Jahres 2014 geht es konkret um eine Änderung. Deswegen will ich ein paar Dinge zum Verfahren dieses Gesetzentwurfs sagen.

Die erste Justizministerkonferenz, an der ich teilgenommen habe – die Frühjahrstagung der Justizminister –, fand im Juni 2014 statt. Damals hat es einen regen Austausch zu dem Thema gegeben, und ich habe mich für Hessen ganz bewusst in die Debatte eingemischt.

Ich verrate jetzt kein Geheimnis, wenn ich sage, dass es eine große Zurückhaltung des Bundesjustizministers in dieser Frage gab. Am Ende muss er – wie das Kollege Rentsch dargestellt hat – einen Spagat schaffen,

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU) – Gegenruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

wobei sich in der Praxis alle darüber klar waren, dass es eine Änderung geben müsste. Damals, auf der Justizministerkonferenz, haben alle Justizminister Herrn Maas aufgefordert und gesagt, er möge sich jetzt um dieses Thema kümmern.

(Nancy Faeser (SPD): Das hat er auch getan!)

Das war im Juni 2014 – obwohl der Vorlauf in den konkreten Bereichen schon mindestens ein halbes Jahr dauerte.

Dann hat es eine weitere Aufforderung gegeben, im Sommer 2014, wieder von der CDU/CSU-Fraktion. Daraufhin ist immer noch nichts passiert.

Im Oktober 2014 haben wir Herrn Maas schriftlich aufgefordert, und zwar in der Justizministerkonferenz. Das will ich zitieren:

Wir bitten Sie,

den Justizminister –

die Prüfung zügig voranzutreiben und gegebenenfalls Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen vorzulegen.

Da war es schon Ende des Jahres 2014. Fast ein ganzes Jahr ist seit dem Beginn verstrichen. Im November 2014 hat Herr Maas selbst angekündigt, er wolle sich dieses Themas annehmen, aber dann ist wieder nichts passiert. Ich sage Ihnen: Am Ende sind 21 Monate vergangen, und wieder hat es Aufforderungen gegeben, bis Herr Maas endlich etwas vorgelegt hat. Das hat er im Juli 2015 getan und an das Kanzleramt gegeben. Das stimmt.

(Günter Rudolph (SPD): Und was ist dann monatelang passiert?)

Es hat zwei Jahre gedauert, bis der Bundesjustizminister bei diesem wichtigen Thema endlich einmal einen Gesetzentwurf vorgelegt hat,

(Günter Rudolph (SPD): Weil Ihre Innenminister das blockiert haben!)

den wir gefordert haben. Das wollte ich der Wahrheit halber nochmals darstellen: fast zwei Jahre Untätigkeit auf Bundesebene.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Unruhe – Glockenzei- chen der Präsidentin)

Des Weiteren will ich darauf hinweisen, dass dieser Gesetzentwurf im Dezember 2015 an die Länder gegangen ist und wir am 18. Februar dazu Stellung genommen haben, wie viele andere Länder, um dieses Verfahren möglichst zu beschleunigen.

Bei Herrn Maas gibt es ein Reformgremium, in dem auch hessische Richterinnen und Richter mitarbeiten. Diese Reformkommission wird dafür sorgen, dass alle Dinge bedacht werden und dass es jetzt endlich zügig vorangeht.

Zur Bundesratsinitiative will ich Folgendes sagen: Für Hessen habe ich Anfang des Jahres 2014 – als es um das Thema der Kinderpornografie ging – immer wieder angemahnt, dass auch im Sexualstrafrecht Änderungen erfolgen müssen, weil dort Strafbarkeitslücken vorhanden sind. Es hat also dazu hessische Initiativen gegeben.