Protokoll der Sitzung vom 10.03.2016

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 55 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Nach der Kommunalwahl: rechte und ras- sistische Parolen und Politik stoppen) – Drucks.

19/3199 –

Das Wort hat Frau Kollegin Janine Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Kommunalwahlergebnis der AfD hat bundesweit Beachtung gefunden: hessenweit 11,9 %, in Dietzenbach, Gießen, Wiesbaden und Neu-Isenburg zweistellige Ergebnisse für eine Partei, die offen rassistisch ist, für soziale Kälte und nationale Enge steht. Ihr Programm richtet sich gegen Arbeitnehmer, Erwerbslose und Rentner. Sie will den Mindestlohn wieder abschaffen und vertritt ein erzreaktionäres Frauen- und Familienbild. In ihren Reihen finden sich völkische Nationalisten mit Verbindungen zur NPD. An einigen Orten, in denen die AfD nicht angetreten ist, konnte die NPD zweistellige Ergebnisse erzielen, beispielsweise in Büdingen. Das Erstarken der Rechten in Deutschland und in anderen Ländern Europas ist alarmierend. Das zeigt, wie wichtig der Kampf gegen rechts ist.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Ab- geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Problem ist nicht allein der Wahlerfolg rechter Parteien. Vielmehr ist das Ausdruck einer gefährlichen Stimmung im Land. Ein rechter Mob blockiert in Clausnitz einen Bus mit Flüchtlingsfamilien, die gerade aus einem Kriegsgebiet geflüchtet sind. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, zerren Polizisten verängstigte Kinder gewaltsam aus dem Bus, um sie in eine Unterkunft zu bringen, deren Leiter AfD-Mitglied ist und dessen Bruder die Blockade organisiert hat – und am Ende gibt die Polizei den Flüchtlingen die Schuld an der Eskalation und will gegen sie ermitteln.

Meine Damen und Herren, dafür gibt es einen Namen: Das ist institutioneller Rassismus.

(Beifall bei der LINKEN)

In eben diesem Sachsen wurde jahrelang gegen „Dresden nazifrei“-Aktivisten ermittelt, während sich der NSU unbehelligt in Zwickau aufgehalten hat. Wer gesellschaftliche Mobilisierungen gegen rechts derart kriminalisiert, der schwächt die Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur zwei Tage nach Clausnitz brennt in Bautzen eine geplante Flüchtlingsunterkunft unter dem Beifall johlender Anwohner. Ein pogromartiger Rassismus bricht sich Bahn. Das erinnert an die frühen Neunzigerjahre, an Rostock, Lichtenhagen, Mölln und Solingen.

Das ist aber kein ostdeutsches Problem. Im letzten Jahr gab es bundesweit über 1.000 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, darunter auch in Hessen. Diesem Rechtsterrorismus müssen alle Demokratinnen und Demokraten entschieden entgegentreten.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wer über Neonazis spricht, der darf aber auch über den Rassismus der sogenannten Mitte nicht schweigen. Vielmehr stellt sich die Frage, wie eine solche Stimmung entstanden ist.

Da muss man sagen: Gerade Unionspolitiker haben sie mitgeschürt. Die AfD fährt nun die Ernte für die Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas ein. Die hessische AfD kann eine Dankeskarte in die Bayerische Staatskanzlei schicken. Horst Seehofer war es, der vor geraumer Zeit gesagt hat: „Wir werden uns gegen die Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren, bis zur letzten Patrone.“ – Das ist sprachlich nicht sehr weit weg von Petrys Äußerung, an der Grenze auf Flüchtlinge zu schießen. Dass der grüne Ministerpräsident Kretschmann Seehofer jetzt gegen die Kritik der eigenen GRÜNEN-Parteispitze verteidigt, finde ich, ehrlich gesagt, schon beschämend.

Meine Damen und Herren, AfD und Pegida gräbt man nicht das Wasser ab, indem man ihre Parolen und Forderungen übernimmt. Damit ermutigt man sie noch und macht sie stark.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Ich muss leider sagen, die Bundesregierung setzt im AntiAsylpaket II rechtspopulistische Forderungen in Gesetze um. Das Asylrecht wird immer weiter ausgehöhlt. Wer den Familiennachzug aussetzt, der nimmt in Kauf, dass noch mehr Frauen und Kinder in unsichere Boote steigen und noch mehr Menschen ertrinken.

(Zurufe des Abg. Florian Rentsch (FDP) und des Ministers Tarek Al-Wazir)

Die richtigen Antworten auf Fluchtbewegungen sind nicht hohen Zäune, sondern offene Grenzen für Menschen in Not, Stopp von Waffenexporten und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Ministers Ta- rek Al-Wazir – Gegenruf des Abg. Florian Rentsch (FDP): Super Antwort!)

In Wetzlar kam die NPD übrigens auf 7 %. Das ist kein Wunder, immerhin hat sie dort mit Herrn Irmer einen eifrigen Wahlhelfer. Im aktuellen „Wetzlar Kurier“ erklärt er

„Gutmenschen, Linken und Grünen“, „Multikulti ist gescheitert“. So sagt Herr Irmer wörtlich:

Auch ich bin … in Sorge, wenn es um die Islamisierung oder Verbreitung fremdländischer Kulturen geht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Haben Sie schon einmal etwas von Meinungsfreiheit gehört? Sie müssen das nicht teilen! Bei den Postkommunisten gibt es ohnehin Zensur!)

Meine Damen und Herren, was mir Angst macht, ist nicht die Verbreitung anderer Kulturen, sondern die Ausbreitung einer solchen fremdenfeindlichen Unkultur.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Hans- Jürgen Irmer (CDU))

Aber die CDU lässt Irmer und Steinbach gewähren und fischt damit bewusst am rechten Rand. Als der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Willsch vor einiger Zeit erklärte, die CDU habe mit der AfD größere Schnittmengen als mit SPD und GRÜNEN, hat ihm leider niemand laut widersprochen.

Teile des Führungspersonals der AfD stammen aus der hessischen CDU, wie Herr Gauland. Ich glaube, Herr Irmer und Frau Steinbach würden bei der AfD wohl auch nicht gerade als Linksabweichler auffallen.

(Zurufe von der CDU und der LINKEN)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Vor den Kommunalwahlen gab es an vielen Orten parteiübergreifende Wahlaufrufe gegen rechts. Wir brauchen jetzt eine Gegenbewegung. Ich finde, die Ende April in Frankfurt stattfindende bundesweite Aktionskonferenz ist ein erster Schritt dazu. Der Nährboden muss bekämpft werden. Das ist auch die soziale Spaltung in diesem Land.

Ich will mit einem Dank an die Menschen enden, die sich Naziaufmärschen in den Weg gestellt und verhindert haben, dass Pegida in Hessen Fuß fassen konnte. Bündnisse gegen rechts, Antifa-Gruppen, zivilgesellschaftliche Initiativen: Sie sind wichtig, denn nicht nur die Geschichte des NSU hat gezeigt, dass auf Geheimdienste und Sicherheitsbehörden kein Verlass im Kampf gegen rechts ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. – Doch, Frau Kollegin Nancy Faeser. Ich bitte darum, zu den Punkten Wortmeldungen vorzulegen. Noch sehen wir es nach, wenn sie nicht vorliegen, aber irgendwann ist Schluss.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, dass man zu diesem wichtigen Thema nicht in der Aktuellen Stunde reden sollte, sondern dass man sich eigentlich mehr Zeit nehmen müsste, um über Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und das Erstarken der AfD zu reden. Deswegen wird die SPD auch eine umfassende Anhörung zu diesem Themenkomplex beantragen.

(Beifall bei der SPD)

Man sieht nämlich, dass es zu kurz greift. Ich will versuchen, ein paar wichtige Punkte aufzugreifen. Frau Wissler, ich glaube aber, dass das Thema vielschichtiger ist.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das stimmt! Allerdings ist es in fünf Minuten halt schwierig! – Manfred Pentz (CDU): Das stimmt allerdings!)

Ich glaube, ein Teil der Wählerinnen und Wähler der AfD – die haben in der Tat ein sehr erschreckendes Ergebnis in Hessen – hat aus Protest gegen etablierte Parteien die AfD gewählt; übrigens nicht nur aus Protest gegen führende Politiker in Berlin, sondern auch gegen Wiesbadener Politiker, anders wäre das Ergebnis in Hessen nicht zu erklären. Vielleicht sollte der eine oder andere in Hessen auch einmal dahin schauen, um zu sehen, dass es nicht allein ein Berliner Problem ist.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Die AfD nimmt die Sorgen der Bevölkerung auf. Ich will sagen, dass sie das in einer sehr geschickten Doppelstrategie macht. Wir sehen in der Bundesrepublik, dass sie z. B. in Baden-Württemberg mit einem ehemaligen honorierten Hochschulprofessor antreten, während sie sich im Osten offen rassistisch äußern. Sie fahren diese Doppelstrategie, um die Menschen bei ihren Ängsten abzuholen und sie auch in ihren Einstellungen zu bestärken. Das ist eine gefährliche Mischung, der wir als Demokraten entschieden entgegentreten müssen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Da haben wir noch viel zu tun. Wir haben gestern über Debatten geredet. Man kann solche Phänomene nicht einfach von oben bekämpfen, sondern muss tiefer gehen und sagen: Was können wir dagegen tun, dass sich die Menschen so zurückgelassen fühlen? Ganz ehrlich, das ist kein neues Phänomen.

Mit diesem Phänomen – Teile der Bevölkerung fühlen sich abgehängt – haben wir schon etwas länger zu tun. Die Studien über den Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft haben gezeigt, dass die Menschen nicht mehr daran glauben, dass Politik etwas verändern kann, dass sie wahrgenommen werden und dass sie mit Wahlen etwas verändern können. Das wissen wir schon ein paar Jahre. Da haben wir noch viel zu tun und müssen gegensteuern. Das gehört auch zu den Aufgaben, die wir jetzt vor uns haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will aber auch den offen rechtsextremistischen Teil – gerade die Spitze der AfD bespielt dieses Feld sehr bewusst – ansprechen. Wenn eine Frau Petry als Vorsitzende davon redet, dass an der deutschen Grenze auf Flüchtlingsfrauen und -kinder geschossen wird, dann ist das offen menschenverachtend. Dem müssen wir als Politiker und Demokraten entschieden entgegentreten.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Wir müssen aber auch Haltung beweisen und viel dafür tun, dass die Gesellschaft nicht auseinanderbricht, sondern zusammengehalten wird. Dafür müssen wir in vielen Be

reichen arbeiten. Dafür – das will ich hier auch deutlich sagen – ist beispielsweise der Bildungsbereich ganz entscheidend; denn wir müssen sehr frühzeitig anfangen, die Kinder stark zu machen, dafür zu sorgen, dass sie für Rechtsextremisten nicht empfänglich sind, und sie in ihrer Wertschätzung zu stärken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)