Protokoll der Sitzung vom 13.03.2014

Die Rente ab 67 Jahren führt direkt in die Altersarmut. Das haben die Gewerkschaften immer wieder scharf kritisiert. Die Zugeständnisse, die jetzt für einen sehr kleinen Personenkreis gemacht werden, sollen davon einfach nur ablenken.

Die FDP hat jetzt eine Verbindung zum angeblichen Fachkräftemangel hergestellt. Es mag in einigen Betrieben ein Problem sein, wenn erfahrene Mitarbeiter in Rente gehen. Darüber muss man sich vielleicht mal Gedanken machen, bevor die Mitarbeiter das 60. Lebensjahr überschreiten. Man braucht da Nachwuchs.

In vielen Berufen sorgt das spätere Renteneintrittsalter aber nicht dafür, dass die Arbeitnehmer länger arbeiten, sondern einfach nur dafür, dass sie höhere Abschläge bei der Rente hinnehmen müssen. Herr Rentsch, das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt heute bei 61 Jahren. Bereits heute geht ein großer Teil der Versicherten mit Abschlägen in Rente. Nur eine kleine Minderheit schafft überhaupt den Übergang in den Ruhestand aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.

Wenn Sie sich die Realität auf dem Arbeitsmarkt für ältere Beschäftigte anschauen, werden Sie feststellen, dass nur rund 10 % der 60- bis 64-Jährigen überhaupt sozialversicherungspflichtig vollzeitbeschäftigt sind. Das heißt, die Rente ab 67 Jahren ist eine Rentenkürzung. Sie wird nicht dazu führen, dass die Fachkräfte, wie es die FDP behauptet, länger in den Betrieben bleiben, sondern sie werden einfach Einbußen bei der Rente haben.

Herr Rentsch, ich sage Ihnen: Wenn den Unternehmen Fachkräfte fehlen – sie klagen darüber –, dann liegt das nicht am Renteneintrittsalter. Das liegt z. B. an der mangelnden Ausbildungsbereitschaft. Das liegt auch an der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das liegt an den fehlenden Betreuungsplätzen.

Dazu sage ich noch einmal: Das Betreuungsgeld hilft da gar nichts. Das ist eine teure Geldverschwendung. Mit dem Geld hätte man viele gute Kindertagesstättenplätze schaffen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Fachkräftemangel ist auch auf eine schlechte Bezahlung und miese Arbeitsbedingungen zurückzuführen.

Wenn Unternehmen klagen, dass sie keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finden, dann sollten sie mehr ausbilden. Sie sollten die Beschäftigten, wie es beispielsweise in der Pflegebranche geschieht, aber auch nicht mit miserablen Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen abspeisen, sonst dürfen sie sich über Personalschwierigkeiten nicht beklagen.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. Die Demontage der gesetzlichen Rente zugunsten der privaten Versicherungswirtschaft und der wachsende Niedriglohnsektor sind die Hauptprobleme der gegenwärtigen Rentenpolitik. Die Rente mit 67 Jahren ist ein Irrweg, der in die Altersarmut führt. Stattdessen brauchen wir einen flexiblen Ausstieg aus dem Arbeitsleben, und zwar auch vor dem 65. Lebensjahr. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Das Wort hat Frau Abg. Bächle-Scholz, CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen! Die Große Koalition in Berlin betrachtet die Reform der Rentensysteme unseres Landes als die große Herausforderung ihrer Regierungszeit. Ziel soll es hierbei sein, Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Insofern kann ich Ihre Krokodilstränen, Herr Rentsch, nicht mitweinen. Die geplanten Regelungen zur Einführung der Rente mit 63 Jahren und immerhin 45 Versicherungsjahren zielt nämlich genau darauf ab, Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

(René Rock (FDP): Was ist mit den jungen Menschen?)

Ich gebe gerne zu, dass die geplanten Regelungen die Wirtschaft vor Herausforderungen stellen werden. Adäquater Ersatz für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit so vielen Jahren Berufserfahrung fällt nicht unbedingt von den Bäumen.

Frau Kollegin, der Kollege Rock möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

(Sabine Bächle-Scholz (CDU): Nein, danke!)

Nein, danke.

Wie gesagt: Hier ist die Wirtschaft gefragt, durch die Einbindung von bisherigen Zeitarbeitern, von jungen Menschen, Arbeitslosen, aber auch durch Nachwuchsförderung.

Die deutsche und gerade die hessische Wirtschaft ist weltweit wettbewerbsfähig. Sie wird diese Aufgabe ebenso wie alle anderen Herausforderungen lösen. Und die Hessische Landesregierung – daran sei auch erinnert – steht nicht erst seit diesen Plänen an ihrer Seite, sondern unterstützt sie schon seit Jahren mit einer Fachkräftekommission. Wir sind das einzige Bundesland mit einer solchen Fachkräftekommission und insofern Vorreiter in der Bundesrepublik.

(Beifall bei der CDU)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, hier werden Menschen begünstigt, die 45, teilweise bis zu 48 Jahre gearbeitet haben. Wie die Antragssteller in ihrem Text selbst anerkennen, geht es gerade um das Handwerk. Wir reden also über Menschen, die weit länger als die meisten anderen erwerbstätig waren und bei körperlich anstrengender Arbeit, z. B. als Maurer oder Dachdecker, bei Wind und Wetter zum Wohlstand dieser Gesellschaft beigetragen haben. Ich frage Sie: Ist eine solche Arbeit mit 67 Jahren noch ausführbar?

(Beifall und Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Gute Frage! Sehr gut!)

Diese außerordentliche Lebensleistung mit einem früheren Renteneintritt zu honorieren, ist nur gerecht. Auch wenn die FDP nur auf die Rente mit 63 abzielt, offenbart dieser Antrag ihre Haltung gegenüber den Rentnerinnen und Rentnern: Alle Menschen sind wertvoll, solange sie zur Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts beitragen; am Schluss des Arbeitslebens und danach sind sie bestenfalls noch als Konsumenten tauglich; im Großen und Ganzen zählt nur derjenige, der arbeitet, ganz gleich, ob er noch fit ist oder wegen der vielen Arbeitsjahre „auf dem Zahnfleisch geht“.

Glücklicherweise sieht die Regierungskoalition in Berlin das anders und hat sich neben der Rente mit 63 noch andere Änderungen im Rentensystem vorgenommen. Ich möchte als ein weiteres Herzstück die Mütterrente nennen.

(Beifall bei der CDU)

Hier wird der Leistung besonders der Frauen gedacht, die in den schwierigen Jahren nach den Weltkriegen unter erschwerten Bedingungen Kinder, d. h. die Generation, die derzeit in Arbeit steht, großgezogen haben.

Auch die Erwerbsminderungsrente wird eine Aufwertung erfahren. Mit dieser werden Menschen bedacht, die aufgrund von Krankheit nur vermindert arbeitsfähig sind und deren Anspruch in der gesetzlichen Rente nicht ausreicht, um über die Runden zu kommen. Auch hier gleichen wir Ungerechtigkeiten aus; denn gerade diese Gruppe hat in den vergangenen Jahren erhebliche Einbußen hinnehmen müssen. Man kann insofern den Sozialverbänden zustimmen, die meinen, die nun geplante Erhöhung von durchschnittlich 40 € sei zu gering. Ich würde mir auch noch mehr wünschen; nur, ich komme nicht umhin, die Zielrichtung als Schritt zur Beseitigung sozialer Ungerechtigkeit anzuerkennen.

Meine Damen und Herren, es ist eine altbekannte Tatsache, dass, ganz gleich, wo man Geld wegnimmt oder wohin man mehr Geld gibt, Interessengruppen erklären, es könnte noch mehr sein. Das ist legitim und aus der jeweiligen Sicht durchaus auch berechtigt. Aber als Politiker haben wir das große Ganze im Blick zu haben. In Art. 77 unserer Landesverfassung werden wir Abgeordneten darauf verpflichtet, Vertreter des ganzen Volkes zu sein. Wir haben daher für ein Höchstmaß an Gerechtigkeit einzutreten.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann fangt einmal an!)

Die Rentenpläne der Bundesregierung werden die Gerechtigkeit weiter erhöhen und sind daher von uns zu begrüßen. Die geplante Maßnahme ist in ihren Grundzügen sozial und gerecht, weil Menschen, die sich länger als andere für

unser aller Wohlstand krumm gemacht haben, etwas früher in den Rentenstand gehen können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Bächle-Scholz. – Das Wort hat Herr Abg. Bocklet, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Zuhörer fand ich es befremdlich, dass wir auf der einen Seite die FDP haben, die von Kosten bis zu 240 Milliarden € spricht – Herr Rentsch, Sie haben gesagt: konservativ gerechnet, 160 Milliarden € – und die völlige Panik auslöst, und dass die Kollegin Wissler andererseits sagt, was damit erreicht werde, sei praktisch

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Gar nichts!)

gar nichts. Das ist komisch. Worüber reden wir nun eigentlich? Passiert ohnehin nichts, oder werden die Staatskassen geplündert?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Man kann beides gleichzeitig machen! – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich denke, dass sowohl der Redebeitrag der FDP als auch der der LINKEN nicht zielführend sind und dass wir bei der Rentendiskussion über die Austarierung eines Konsenses sprechen müssen und darüber, ob es Generationengerechtigkeit in diesem Land gibt, wie sie definiert wird, und dann auch darüber, ob es Probleme gibt, wenn man sich auf einen solchen Konsens geeinigt hat.

Ich will damit sagen: Wir haben vor einigen Jahren bei der Rentendiskussion festgestellt, dass wir Gott sei Dank immer länger leben werden und dass es dadurch auch immer mehr Rentenempfänger geben wird. Wir haben andererseits festgestellt, dass immer weniger Menschen in die Leistungskassen einzahlen werden. Deshalb haben wir uns in einem langen und schwierigen Prozess in dieser Gesellschaft darauf geeinigt, dass das Rentenalter auf 67 heraufgesetzt wird. Daran muss man doch zunächst einmal festhalten, weil das ein wichtiger Konsens ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist überraschend!)

Wenn man die Rente mit 67 einführt, muss man das – für uns GRÜNE war das nie strittig – mit einem Maßnahmenbündel begleiten und fragen, wo dabei Probleme auftauchen. Es taucht das Problem auf, dass viele Menschen, wenn sie früh arbeitslos werden, in Armut kommen oder dass Menschen, die längere Zeit mit Niedriglöhnen abgespeist wurden, in Armut fallen können. All diese Armutsfragen sind sozusagen zu lösen. Diese lassen sich lösen, indem man ein Bündel an Maßnahmen zur Begleitung auf den Weg bringt. Lassen Sie es mich so sagen: Die Lösung, die die Bundesregierung jetzt anstrebt, ist eine unglückliche. Sie ist nicht zielführend, weil sie die Frage der Älteren in Armut nicht beantwortet.

(Beifall und Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP): Mutig!)

Wir werden erleben, dass Menschen, die in die Rente hineinkommen, trotz alledem noch unter der Grundsicherung liegen. Darauf brauchen wir Antworten. Ich weiß nicht, ob die FDP jetzt noch mitklatscht. Meine Fraktion im Bundestag hat sich deshalb schon vor der Bundestagswahl dieser Diskussion gestellt und gesagt, dass wir eine Garantierente von rund 850 € für Menschen brauchen, die unstete Erwerbsbiografien aufzuweisen haben oder Niedriglöhnen ausgesetzt waren. – Jetzt dürfen Sie klatschen, Herr Rentsch. Diese Garantierente ist ein wesentlicher Bestandteil dafür, dass man auch das Eintrittsalter bei 67 belässt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe der Abg. Flo- rian Rentsch (FDP) und Janine Wissler (DIE LIN- KE))

Nach dem jetzigen Stand – jetzt schaue ich den Wirtschaftsminister an – werden vor allem Männer und nur wenige Frauen einen Anspruch auf diese geplanten Rentenverbesserungen haben. Es profitieren nur Personen der Jahrgänge 1951 bis 1964.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das sage ich doch!)

Ältere und Jüngere werden also gar nicht in den Genuss dieser neuen Leistungen kommen. Problematisch ist natürlich auch, dass, je nach Anrechnung der Zeiten von Arbeitslosigkeit, ein weiterer Anreiz zur Frühverrentung entstehen kann.

Das ist ein wirtschaftspolitischer Aspekt, den man mit im Auge haben muss. Herr Wirtschaftsminister, er darf nicht alleine entscheiden, ganz sicher nicht. Aber natürlich haben auch wir gehofft, dass die Frühverrentungsdebatte irgendwann einmal ein Ende hat. Wir erinnern uns noch an die unsägliche 58er-Regelung. Sie hat zu einer großen Belastung geführt. Es kann doch nicht sein, dass wir durch die Hintertür wieder solche Fehlanreize schaffen, und auch deswegen ist diese Lösung unglücklich, wie sie von der Bundesregierung getroffen wurde.

Ich bin in der letzten Minute. Am Ende kann ich sagen: Wir müssen die Frage beantworten, wie wir verhindern können, dass ältere Menschen von Armut bedroht sind, wie sie ihren Lebensstandard halten können. Das ist eine Aufgabe des modernen Sozialstaats. Ich glaube, die Absenkung oder Zerlöcherung der Altersgrenze von 67 ist nicht klug. Wir halten grundsätzlich an der Grenze 67 fest. Wir sind der Meinung, es bedarf eines Bündels von Maßnahmen, um eine altersgerechte Arbeit möglich zu machen. Es muss flexible Übergangslösungen geben, wie Sie, Frau Wissler, sie angesprochen haben. Man sollte es nicht so wie die FDP machen und den Fachkräftemangel ausschließlich unter dem Wirtschaftsgesichtspunkt diskutieren. Das Renteneintrittsalter ist eine sozialpolitische Frage, eine Frage des Wohlstands für alle. Dieser Frage haben wir GRÜNE uns sehr wohl gewidmet. Es bedarf da anderer Lösungen als derer, die diese Bundesregierung jetzt vorgeschlagen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)