Protokoll der Sitzung vom 18.05.2016

(Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Die Riester-Rente, von der Herr Decker sprach, die das sinkende Versorgungsniveau abpuffern sollte, war für mich persönlich wie auch für viele andere trotz der staatlichen Förderung nicht sonderlich attraktiv.

Damit habe ich, glaube ich, einen Teil des Problems beschrieben, an dem die Säule der privaten Altersversorgung krankt. Sie ist intransparent, sie ist nicht auf Anhieb verständlich, und sie ist auch nicht für alle Menschen hinreichend attraktiv. Die Riester-Rente war der Versuch, Geringverdienerinnen und Geringverdiener zu stärken und sie in das System der privaten Vorsorge einzubeziehen. Das hat auch der Kollege Decker hier so beschrieben.

Leider hat die Riester-Rente das Versprechen, Geringverdienerinnen und Geringverdiener angemessen einzubeziehen, nicht völlig erfüllt. Nur etwa 20 % der Menschen mit geringem Erwerbseinkommen haben sich für einen Riester-Vertrag entschieden, und das liegt zum Teil sicher auch daran, dass dieses Modell einer privaten Zusatzversicherung mit der Versicherungsberatung daheim im Wohnzimmer, mit dem Versicherungsberater, der an einem Vertrag Provision verdient, nicht hinreichend gut funktioniert hat. So zeigen auch Untersuchungen der Verbraucherverbände in Baden-Württemberg, dass nahezu neun von zehn Verbraucherinnen und Verbrauchern Verträge empfohlen wurden, die auf ihren Fall nicht passen. Das finde ich eine erschreckende Zahl, dass nämlich mit Blick auf Verträge beraten wird, die tatsächlich keine Antwort auf das Altersarmutsrisiko und auf die Frage einer angemessenen Versorgung im Alter geben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Daher ist es der richtige Ansatz, darüber nachzudenken, ein auf Selbstkostenbasis betriebenes öffentliches Produkt zu entwickeln, das keine Überschüsse für Provisionen erwirtschaftet, das keine sonstigen Overheadkosten erbringen muss, das einfach verständlich ist und für alle gleich funktioniert. Das ist aus Sicht des Verbraucherschutzes ein riesiger Vorteil.

Es ist daher richtig und logisch, ein verständliches und einfach zu handhabendes Produkt zu entwickeln, gerade in der Form eines Staatsfonds, in den möglichst viele Menschen einzahlen und zu dem es auch staatlich finanzierte Zulagen gibt. Ein solches Modell würde viele verunsicherte Menschen abholen, die wissen, sie müssen etwas für ihre Altersversorgung tun, sie müssen sich kümmern, die diesen

Gedanken aber immer wieder auf die Seite schieben, weil es kompliziert ist und man sich auch Schöneres vorstellen kann, als sich durch das Versicherungschinesisch in dicken Versicherungsverträgen durchzuarbeiten, und auch nicht so richtig den Dreh hat, sich damit zu beschäftigen.

Daher ist es auch nur konsequent, mit der DeutschlandRente von der bisherigen Opt-in-Lösung auf eine Opt-outLösung umzustellen. Bisher entscheidet sich jeder Bürger, jede Bürgerin aktiv dafür: Ja, ich will eine private Zusatzversicherung machen – mit der berühmten Beratung im Wohnzimmer, wo man sich dann durch Versicherungsverträge kämpfen muss und das auch nicht immer auf Anhieb versteht.

Das Modell der Deutschland-Rente sieht als wesentlichen Beitrag eine Opt-out-Lösung vor. Das heißt, jeder und jede, der oder die nicht dabei sein will, muss aktiv widersprechen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen: Das ist der richtige Weg. Dann steigt die Quote derer, die für das Alter vorsorgen, immens an. Dann sind Versorgungsquoten um die 90 % erreichbar.

Auch die Erfahrungen mit dem bisherigen Modell der Optin-Lösung zeigen, dass sich gerade junge Menschen nicht im erforderlichen Maße mit der Altersvorsorge auseinandersetzen. Es ist auch viel schöner, im jugendlichen Alter von 20 Jahren über andere Dinge nachzudenken als darüber: Was habe ich an Geld übrig, wenn ich 65, 70 oder 80 Jahre alt werde? Womit will ich dann meinen Lebensunterhalt bestreiten? – Das schiebt man immer gerne weg. Es ist aber gerade wichtig, auch in jungen Jahren privat vorzusorgen und einen Teil der Altersversorgung dadurch abzudecken, damit man angemessene Quoten erzielt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Damit leistet der Vorschlag für die Deutschland-Rente einen wichtigen Beitrag gegen Altersarmut, weil man schon zu Beginn des Berufslebens auf eine aktive Auseinandersetzung mit den Zeiten des Ruhestandes hingewiesen wird und man es nicht einfach wegschieben kann durch Unterlassen oder sonstiges Handeln. Vielmehr ist man aktiv zu Beginn des Berufslebens gefordert, zu sagen: Ich will keine zusätzliche Vorsorge fürs Alter. – Ich glaube, dass das der Punkt ist, an dem man einen Schalter umlegen kann.

Es ist über Renditen gesprochen worden. Ja, daran kranken alle Versicherungen, egal, welche Sie nehmen, dass Renditen nicht immer gut sind. Wir haben in Hessen eine bescheidene eigene Erfahrung, nämlich über unseren Vorsorgefonds, den wir in Hessen für die Beamtinnen und Beamten anlegen. Dort haben wir durchaus attraktive Renditen, weil wir einen Teil in Aktien anlegen. Wir können also in unserem eigenen Hause sehen, dass das gar nicht so unattraktiv ist, wenn man es klug macht, wenn man nicht darauf setzt, Frau Beer, über An- und Verkäufe Renditen zu erzielen, sondern auf langfristige Anlagen setzt. Das ist das Geheimnis, mit dem man ein bisschen mehr an Rendite herausholen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, der Vorschlag für die Deutschland-Rente ist ein wichtiger Beitrag zur Debatte über ein gesellschaftliches Problem, wie wir eine armutsfeste Altersversorgung mit dem Ausbau der dritten Säule der Ren

tenversicherung in den Griff bekommen. In diesem Sinne erwarten wir GRÜNE viele weitere Anregungen und gute Debattenbeiträge, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth. – Das Wort hat Frau Abg. Janine Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Letzte Woche gab es bei „Spiegel online“ eine Kolumne darüber, wo Deutschland heute ohne die Agenda 2010 stünde. Da war zu lesen:

Nehmen wir mal an, Gerhard Schröder hätte am 14. März 2003 auf dem Weg ins Büro seine Aktentasche mit der Agenda-Rede verloren … Und er hätte ein paar Jahre vorher auch gar nicht angefangen, mit dem Briten Tony Blair den Sanierer zu geben.

Schlimm? Na ja. Dann hätte es in Deutschland natürlich auch keine Praxisgebühr gegeben, die nach ein paar Jahren ohnehin wieder abgeschafft werden musste, weil sie nichts gebracht hat. Dann hätten wir – bereits 2001 – auch keine Riester-Rente bekommen, und wir müssten uns heute nicht damit beschäftigen, ob wir sie mangels Erfolg wieder loswerden. …

Alle Renten würden noch am Monatsanfang ausgezahlt, statt am Monatsende (was allen Ernstes da- mals beschlossen wurde, um die Rentenkassen zu entlasten). … Dafür gäbe es, furchtbar, keine Hedgefonds, die im Liberalisierungseifer 2003 noch erlaubt wurden... Und auch keine Abgeltungssteuer … Noch so ein Reformkrepierer.

Und die Arbeitsmarktreform? Hat nicht die kürzere Bezugszeit von Arbeitslosengeld all jenen Druck gemacht, die (angeblich) keine Lust haben zu arbeiten? Na ja. In Deutschland ist zumindest nach wie vor ein höherer Anteil der Arbeitslosen … seit mehr als einem Jahr arbeitslos als im Schnitt der OECD-Länder … Wenn jemand einmal raus oder zu wenig qualifiziert ist, hilft es eben auch nicht, ihm die Stütze zu kürzen.

So weit „Spiegel online“ über Deutschland ohne die Agenda 2010.

(Günter Rudolph (SPD): Wenn es da steht, wird es wohl stimmen! – Minister Tarek Al-Wazir: Die Leute werden trotzdem älter!)

„Spiegel online“ schreibt auch noch dazu, dass die Agenda 2010 nicht nur die Löhne und Renten geschrumpft hat, sondern auch die SPD enorm geschrumpft hat.

(Beifall bei der LINKEN – Marcus Bocklet (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Dafür gibt es jetzt die Linkspartei! Seien Sie dankbar!)

Ein richtiger Einwand, Herr Kollege Bocklet. Ohne die Agenda 2010 würde ich heute vielleicht nicht hier stehen und reden.

Was ich damit deutlich machen will: dass wir diese Debatte nicht führen müssten, wenn die gesetzliche Rente in den letzten 15 Jahren nicht systematisch demontiert worden wäre. Die Folge ist natürlich eine dramatische Zunahme von Altersarmut, auf die wir jetzt zusteuern.

Über Jahrzehnte hinweg war es politischer Konsens, dass die gesetzliche Rente den Lebensstandard im Alter sichern muss. Mit den Reformen seit der Jahrtausendwende wurde ein fundamentaler Kurswechsel in der deutschen Rentenpolitik eingeleitet. Denn seit dem Paradigmenwechsel unter Rot-Grün 2001 ist nicht mehr die Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rente Ziel der Rentenpolitik, sondern in erster Linie die Stabilität des Beitragssatzes. Das heißt, um die Beiträge stabil zu halten, wurde das Rentenniveau abgesenkt und nach dieser Maßgabe die Rentenformel mehrfach verändert.

Die Rente ab 67 Jahren war die nächste große Kürzung. Wir haben das hier mehrfach diskutiert. Eine Krankenschwester, ein Altenpfleger, ein Erzieher, ein Dachdecker, eine Fliesenlegerin, all diese Menschen werden nicht bis 67 Jahre arbeiten können. Nein, sie werden früher in Rente gehen müssen, aber mit höheren Abschlägen.

Erst vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass CDU und SPD, die Große Koalition im Bund, jetzt auch noch die Zwangsverrentung mit 63 Jahren bei den ArbeitslosengeldII-Bezieherinnen und -Beziehern weiter erleichtern wollen. Diese Menschen sollen in eine vorgezogene und mit hohen Abschlägen gekürzte Altersrente gezwungen werden. Das heißt, man hat erst das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht. Dann zwingt man die Menschen, die erwerbslos sind, mit 63 Jahren mit horrenden Abschlägen in Rente zu gehen. Das ist wirklich nichts anderes als ein erneutes Rentenkürzungsprogramm.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Decker, ich finde es gut und richtig, dass Sie das hier kritisiert haben. Ich fände es gut, wenn die hessische SPD auch gegenüber der Arbeitsministerin Andrea Nahles deutlich machen würde, dass die Erleichterung bei der Zwangsverrentung der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden bei ihr auf großen Widerspruch trifft. Ich fände es gut und richtig, das öffentlich deutlich zu machen.

(Beifall bei der LINKEN)

All diese Rentenkürzungen wurden immer als alternativlos dargestellt. Es wurde immer von den angeblichen Sachzwängen des demografischen Wandels geredet. Auch von Herrn Al-Wazir habe ich das eben von der Regierungsbank gehört. Tatsächlich ergibt sich aber aus der Alterung der Gesellschaft überhaupt kein Sachzwang, die Lebensarbeitszeit zu verlängern oder die Renten zu kürzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sobald nämlich die Entwicklung der Produktivität berücksichtigt wird, zeigt sich, dass die finanziellen Spielräume in Zukunft nicht kleiner, sondern sogar größer werden. Das zentrale Problem ist doch ein politisches. Es geht um die gerechte Verteilung dieser Zuwächse.

Deutschland wird von Jahr zu Jahr reicher. Wir haben kein Geldproblem. Wir haben ein Verteilungsproblem.

Frau Arnoldt, es gibt da immer das Gerede von der Generationengerechtigkeit. Auch Sie reden von Generationengerechtigkeit und meinen damit, dass die Menschen zu

künftig nicht mehr von ihrer gesetzlichen Rente werden leben können.

Da frage ich mich: Was soll denn daran gerecht sein? – Die Spaltung dieser Gesellschaft verläuft doch nicht zwischen den Generationen. Die Spaltung verläuft auch nicht zwischen Alt und Jung. Die Spaltung in dieser Gesellschaft verläuft zwischen Arm und Reich. Deswegen brauchen wir eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und kein Gegeneinander-Ausspielen der Generationen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde: Wenn man sich ein bisschen damit befasst, wie die gesetzliche Rente funktioniert hat, dann kommt man auch nicht zu dem Schluss, dass sie nicht funktionieren wird, weil es mehr Rentnerinnen und Rentner gibt. Vielmehr war die gesetzliche Rente von der Anlage her natürlich sicher. Sie wurde systematisch demontiert.

Wie so oft dient diese angebliche Alternativlosigkeit, von der da geredet wird, dem Kaschieren politischer Interessen. – Der ganz große Gewinner der Reform war die Versicherungswirtschaft. Die gesetzliche Rentenversicherung mit ihren staatlichen Zuschüssen macht ein Geschäft von über 250 Milliarden € aus. Das lief lange am privaten Versicherungsmarkt vorbei.

Gerhard Schröder war es, der diesen Fleischtopf dann ab 2001 z. B. für seinen Freund Carsten Maschmeyer geöffnet hat. Er hat ihn aber auch für andere Banken und Versicherungen geöffnet, die übrigens im Gegenzug fleißig an die Parteien gespendet haben, die diese Rentenkürzung durchgesetzt haben.

Das war nicht die einzige Lobby, die daran ein Interesse hatte. Vielmehr waren es auch die Arbeitgeber, die aus der paritätischen Finanzierung herauskommen wollten. Deswegen wurde ab dem Ende der Neunzigerjahre die ganze Angst vor dem demografischen Wandel systematisch geschürt, um damit zu kaschieren, welches die wirklichen Interessen sind. Das heißt, es ging um eine Entlastung der Unternehmen. Es ging um die Förderung und Subventionierung der Versicherungswirtschaft. Das geschah auf Kosten der Beschäftigten und der Rentnerinnen und Rentner.

Heute wissen wir: Riestern ist teuer. Riestern ist zu komplex. Die Rendite bei Riester-Verträgen ist zu gering. Die Förderung erhalten vor allem die Besserverdienenden.

Immerhin gestehen CDU und GRÜNE ein, dass die Riester-Rente gescheitert ist. Die SPD braucht offensichtlich noch ein bisschen dafür. Es wird aber deutlich, dass mit der Riester-Rente die Lücke, die politisch willkürlich in die gesetzliche Rente gerissen wurde, überhaupt nicht geschlossen werden kann.