Protokoll der Sitzung vom 18.05.2016

Lassen Sie mich einen letzten Satz zur Koalition sagen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Koalition einen Antrag vorlegt, wo der Landtag feststellen soll, dass CDU und GRÜNE nicht einer Meinung sind. Das haben wir mittlerweile schon mehrfach gemacht. Ich will einmal sagen: Wir sind Gehilfe Ihres Dissenses.

(Zuruf von der CDU: Ach du lieber Gott!)

Herr Kollege, Sie müssten zum Ende kommen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will einen letzten Satz sagen. Es gibt Koalitionen, die sich durchgerungen haben, Gestaltungskoalitionen zu sein und einen Gestaltungsanspruch zu haben, die um gemeinsame Positionen ringen. Herr Kollege Boddenberg, ich kann mich daran erinnern, dass das zwischen CDU und FDP teilweise sehr schwierig war. Aber wir haben es wenigstens versucht, gemeinsame Positionen hinzubekommen. Wir haben es auch immer geschafft.

Herr Kollege, bitte letzter Satz.

Es gibt auf der anderen Seite Koalitionen, Frau Präsidentin, die sich darauf verständigt haben, sich beim Thema Macht gemeinsam zu organisieren und nicht auseinanderzulaufen. Die nehmen zwar in Anspruch, nicht einer Meinung zu sein, aber wenigstens ihren gemeinsamen Machtanspruch zu demonstrieren. Das haben Sie heute mit Ihrem Antrag wieder wunderbar belegt, da Sie diesen Antrag quasi als Machtanspruch präsentieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Heike Hofmann (SPD) – Janine Wissler (DIE LINKE): Es kann nicht jeder so viel Rückgrat haben wie die FDP! – Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Als nächster Redner spricht nun Herr Kollege Honka von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, durchaus wollte ich mit einem Zitat aus dem Deutschen Bundestag beginnen, aber nicht mit der Person, die Sie gerade angesprochen haben:

Ich fand das Gedicht von Böhmermann nicht besonders klug, nicht besonders intelligent; hohe Kunst war es auch nicht. Seine Redenschreiber sind schlecht. Wahrscheinlich war er nur neidisch auf „extra 3“ und dachte: Da setze ich was drauf.

(Wolfgang Greilich (FDP): Sehr gut!)

Sie können gerne klatschen, Herr Kollege Greilich.

(Beifall der Abg. Wolfgang Greilich und Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Das war Frau Künast. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich Frau Künast einmal zitieren würde, aber an der Stelle muss ich ihr recht geben; denn es war einfach so.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Das hat sie in der Sitzung des Deutschen Bundestags am 12. Mai gesagt. Ich finde, diese Zeilen von Frau Künast zeigen recht schön, worum es geht. Es geht um eine nicht ganz nette Geschichte, um eine nicht ganz saubere Geschichte. Es geht auf der anderen Seite auch ein bisschen darum, dass die FDP heute, da sie im Deutschen Bundestag nicht vertreten ist, anscheinend den Landtag als Ersatztribüne nutzen möchte, um die Debatte, an der sie letzte Woche im Deutschen Bundestag nicht teilnehmen konnte, hier fortzuführen. Das ehrt uns zwar vielleicht als Landtag auf der einen Seite. Aber auf der anderen Seite finde ich es nicht gerade angemessen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn ich glaube – da können wir mehr Konsens feststellen –, die Debatte ist stark getrieben von der öffentlichen Debatte, auch in den Parlamenten. Da ist die Berichterstattung. Es überschlägt sich manchmal ein bisschen, und am Ende kommt sehr häufig der eine Satz: Majestätsbeleidigung darf nicht mehr strafbar sein, daher muss § 103 StGB aufgehoben werden.

Dabei verkennen wir, dass § 103 StGB nicht allein ausländische Staatsoberhäupter schützt, sondern – wie die Juristen zu sagen pflegen – ein paar weitere Schutzgüter umfasst, darunter z. B. die Mitglieder ausländischer Regierungen in ihrem Amt und auch die beglaubigten Leiter von ausländischen diplomatischen Vertretungen hier bei uns. Von daher gehen Sinn und Zweck des ganzen Gesetzes ein bisschen weiter als das, worauf im Moment immer verkürzt wird. Als Rechtspolitiker erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass doch ein bisschen mehr dahintersteckt.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man dann noch in Ruhe ins StGB hineinschaut, was man als Jurist tun sollte, auch einmal vor oder hinter dem entsprechenden Paragrafen liest, dann stellt man fest: Es

gibt noch einen § 104a StGB. Der sagt als Tatbestandsvoraussetzung, damit überhaupt nach § 103 eine Strafverfolgung zulässig ist, dass die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen zu dem betroffenen Staat unterhalten muss und auch die Gegenseitigkeit dieser diplomatischen Beziehungen verbürgt sein muss. Das heißt, dass die Bundesrepublik in diesem ausländischen Staat denselben Rechtsschutz genießen muss wie der ausländische Diplomat oder Staatsmann hier bei uns. Ich glaube, das darf man an dieser Stelle nicht verkennen, auch wenn man es dabei gerne vergisst.

Wenn man also anfängt, wieder einmal im Strafrecht herumdoktern zu wollen, dann, finde ich, sollte man es klug machen, weil das Strafrecht als das schärfste Schwert des Staates es verdient, dass man es nicht en passant ändert. Von daher sollte man sich, gerade wenn man weiß, was der komplette Regelungsinhalt des § 103 StGB ist, bewusst machen, welche Konsequenzen die pauschale Aufhebung und vor allem die sofortige Abschaffung haben kann, die man vielleicht heute, wenn man den kompletten Regelungsinhalt bedenkt, nicht haben möchte.

In diesem Zusammenhang kommt auch gerne die Diskussion um das Thema von § 90 StGB auf, Verunglimpfung des Bundespräsidenten. Herr Kollege Rentsch, Sie haben es auch angesprochen; Ihr Antrag spricht auch davon. Auch hier geht es nicht in erster Linie um den Menschen, im Moment Bundespräsident Joachim Gauck, sondern es geht um das Amt als solches. Ich glaube, es wäre klug, wenn wir trotz des heute sehr häufig herrschenden Personenkults ein Stück zurücktreten und auf die Ämter schauen, von denen wir reden, z. B. der Bundespräsident oder auch ausländische Staatsoberhäupter, dass wir nicht immer nur auf die Person, sondern auch auf das Amt schauen.

Es wäre töricht, wenn wir auf der einen Seite erklären, wir haben einen Bundespräsidenten, der in einem geordneten Verfahren von der Bundesversammlung gewählt ist, wir haben im Moment einen Bundespräsidenten, von dem niemand sagen kann, dass er sein Amt schlecht ausübt, sondern der im Gegenteil hoch anerkannt ist –, aber am Ende sagen: Wenn einmal jemand kommt, der diesen Bundespräsidenten, dieses Amt beleidigt, dann reicht es, dass man wie bei jedem anderen nach § 185 Strafanzeige erstatten kann.

Meine Damen und Herren, nach meinem Dafürhalten wird das dem Amt nicht angemessen gerecht. Von daher halte ich diese Sichtweise für falsch. Deswegen sollte man an dieser Stelle mit der sofortigen Änderung, die von Ihrer Seite gefordert wird, sehr zurückhaltend sein.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich möchte daher mit einem Zitat enden und diesmal unseren amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck zitieren; denn auch er hat in dieser Debatte etwas sehr Kluges gesagt, gerade vor wenigen Tagen gegenüber dem Deutschlandfunk:

Das ist so ein Fall, wo ich ungerne dem Parlament, das hier erst mal zu entscheiden hat, Ratschläge geben würde. Mein Rat aber in dieser Sache ist, nicht aus einer aktuellen Erregungsphase heraus Entscheidungen zu treffen, sondern das Für und Wider noch einmal gründlich zu bewerten. Das ist bei Auseinandersetzungen, die letztlich vom Recht geprägt werden, immer wichtig. Wir sind ein bisschen kurzatmig jetzt. Wir regen uns auf. Der eine mehr in die Rich

tung, der andere mehr in die andere Richtung. Und bei solchen Sachen braucht man schon eine Phase des Nachdenkens und der Abwägung.

Meine Damen und Herren, ich finde, wir sollten uns diese Zeit des Nachdenkens gönnen, die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag auch.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Von daher war das, was die Bundeskanzlerin angekündigt hat, nicht sofort zu handeln, aber handeln zu wollen, der richtige Weg. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Wir handeln, aber nicht jetzt!)

Herr Kollege Honka, vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Herr Kollege Wilken für die Fraktion DIE LINKE. Herr Kollege, bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind viele Facetten, über die wir bei diesem Tagesordnungspunkt jetzt reden. Es geht um einen Paragrafen aus Zeiten der Fürsten und Majestäten. Es geht um Merkels schmutzigen Deal mit dem Sultan Erdogan. Es geht um Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst. Ich will gerne zu allem etwas sagen, wohl wissend, dass wir im Hessischen Landtag zwar auf allen Feldern zur Willensbildung beitragen können, aber nichts zu entscheiden haben.

Auch wir sind der Überzeugung: Der Majestätsbeleidigungsparagraf passt nicht mehr in unsere Gesellschaft. Er ist selbst nach Auffassung der Kanzlerin entbehrlich. – Ich betone: Er ist nicht nur entbehrlich, sondern er ist auch gefährlich.

Er verführt nämlich dazu, dass Despoten mithilfe dieses Paragrafens versuchen, zu verhindern, Kritik an ihren Fehlhandlungen und Fehlleistungen öffentlich werden zu lassen und öffentlich zu kommentieren. Dieser Gefahr müssen wir vorbeugen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen einen solchen Schutz nicht. Denn auch Majestäten sind Menschen. Alle Menschen sind durch die §§ 185 ff. Strafgesetzbuch vor Beleidigungen geschützt. Wir müssen hier also gar keinen Unterschied machen, schon gar nicht in einer demokratischen Gesellschaft, in der es eigentlich gar keine Majestäten mehr gibt.

Das Strafgesetzbuch regelt Beleidigungsdelikte. Die Delikte umfassen neben Beleidigung auch üble Nachrede, Verleumdung usw. Dennoch enthält das deutsche Strafrecht seit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs einen Anachronismus, der nicht nur seinesgleichen sucht, sondern auch die Gleichheit aller vor dem Gesetz aushebelt. Dabei geht es um diese sogenannten Sonderbeleidigungsdelikte. Das sind die Regelungen über die Beleidigung der Organe. Die Vorredner haben darauf hingewiesen: Es geht auch um den Bundespräsidenten. Es geht um Staatsoberhäupter anderer Nationen. Es geht auch um Staatsbesuche in unserem Land.

Diese Sonderregelungen verstoßen aber gegen unser freiheitlich-demokratisches Grundverständnis. Denn im Art. 3 Grundgesetz steht:

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Das müssen wir durchsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund und wegen des hohen Stellenwerts der Meinungsfreiheit ist eine Ermächtigung der Bundesregierung zur Strafverfolgung nicht vermittelbar. Auch diese Ermächtigung ist absolut unzeitgemäß. Wir haben es in den letzten Wochen erlebt: Denn damit wird das Verhalten von Privatpersonen wie im Fall Böhmermann zu einer Staatsaffäre.

Lassen Sie uns deshalb den alten Zopf der Majestätsbeleidigung abschaffen. § 104a Strafgesetzbuch sollten wir gleich mit abschaffen. Dadurch würden keine Strafbarkeitslücken entstehen. Ich habe ausgeführt: Es gibt genügend Straftatbestände, um die Ehrverletzung von Personen zu ahnden.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Anachronismus tritt natürlich dann besonders deutlich zutage, wenn das ausländische Staatsoberhaupt selbst nicht gerade durch Liebe zum Rechtsstaat, zur Freiheitlichkeit und zur Demokratie auf sich aufmerksam macht.

(Florian Rentsch (FDP): Das ist wohl wahr!)

Wir LINKE lehnen diesen von Frau Merkel ausgehandelten Deal der Europäischen Union mit der Türkei auch deswegen ab. Ein bürgerkriegsführender Despot darf nicht zum Garanten humanitärer Flüchtlingspolitik erhoben werden.