Protokoll der Sitzung vom 19.05.2016

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Der erste Schritt dorthin ist – das ist zugleich der wichtigste –, dass wir eine Bundesregierung haben, die sich intensiv für eine europäische Kontingentlösung einsetzt. 500 Millionen Menschen leben in der EU. Weit über 20 Staaten gehören der Europäischen Union an. Wenn es uns gelingt, eine gute Verteilquote für diese Flüchtlinge hinzubekommen, werden wir keine sozialen und keine Integrationsprobleme haben, sondern wir werden diese Flüchtlinge gut integrieren können. Das muss unser erstes Ziel sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

In einem zweiten Schritt dürfen wir nicht die Augen vor einem aktuellen Elend verschließen. Ich appelliere an alle in diesem Saal, sich die Situation genau anzuschauen. Wenn wir die Menschen in Idomeni oder in anderen unzureichend ausgestatteten Lagern sehen, müssen wir in Europa – und in Deutschland als einem Teil Europas – über unse

ren aktuellen Beitrag nachdenken: ob wir diesen akut gefährdeten Menschen helfen können.

Ich spreche mich also nicht dafür aus, willkürlich 3.000 Menschen aus Griechenland zu holen; denn ich glaube, das würde wieder eine Magnetwirkung erzeugen. Dann wird es nicht bei diesen 3.000 Menschen bleiben.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Der Hochschwangeren im Schlamm würde es helfen!)

Frau Kollegin Wissler, dann würden wir die Hoffnung wecken, dass es nicht bei diesen 3.000 Menschen bleibt.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wenn das jedes Bundesland machen würde, ginge es doch!)

Frau Kollegin Wissler, lassen Sie mich doch erst einmal den Gedanken ausführen. – Dann wären es nicht nur 3.000, sondern 30.000 oder noch mehr.

Herr Kollege, ich muss Sie an die Redezeit erinnern.

Ja. – Deswegen sage ich Ihnen: Es wird keine Lösung sein, willkürlich Menschen aus Griechenland zu holen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann lassen Sie die Schwangere im Schlamm!)

Als GRÜNE sind wir aber der festen Überzeugung, dass wir den Menschen in diesen Lagern helfen müssen. Das Land Hessen hat das übrigens schon dokumentiert: Wir haben schon mehrfach Sonderkontingente identifiziert; denken Sie an die Menschen aus dem Kosovo oder an die Jesiden.

Letzter Satz, bitte.

Ein letzter Gedanke. – Wir haben beschlossen, dass Sonderkontingente erforderlich sind, um einer in akuter Not befindlichen Menschengruppe – Schutzbedürftige, Schwangere, Kranke aus diesen Lagern – zu helfen. Wir sind der Meinung, wir sollten gemeinsam mit den anderen Bundesländern die Bundesregierung auffordern, unmittelbar eine Lösung zu finden, damit wir schutzbedürftigen Gruppen aus den Flüchtlingslagern eine direkte Perspektive bieten können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Dann machen wir erst einmal nichts!)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Als nächste Rednerin hat sich Kollegin Öztürk zu Wort gemeldet. Sie haben zweieinhalb Minuten Redezeit. Bitte schön.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen im Hessischen Landtag! Es funktioniert nicht, dass wir auf der einen Seite die Zustände in Idomeni beklagen und auf der anderen Seite hier so tun, als ob wir gar keine Abhilfe schaffen könnten. Das ist scheinheilig; das ist einfach an der Realität vorbeidiskutiert.

Deswegen wünsche ich mir heute aus diesem Haus ein klares Signal für die Initiative „Züge der Hoffnung“: dafür, dass legale Wege von Griechenland nach Hessen geschaffen werden. Meine Damen und Herren, das ist eine ernsthafte Politik, die ich von Ihnen erwarte.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir können uns auch nicht darüber beklagen, dass wir im letzten Jahr von der Flüchtlingskrise überrollt worden wären und überhaupt nicht hätten einschätzen können, dass sich diese Menschen in Massen zu uns auf die Flucht begeben würden. In den letzten acht bis neun Monaten haben wir alle zusammen versucht, in Hessen Strukturen zu schaffen, Erstaufnahmeeinrichtungen zu etablieren und vor allem viele ehrenamtlichen Initiativen zu unterstützen, die sich für die Flüchtlinge einsetzen wollen.

Jetzt haben wir die Situation, dass in Griechenland ca. 50.000 Menschen festsitzen und dass die 10.000 Menschen in Idomeni, auch aus ihrer Verzweiflung heraus, langsam anfangen, sich mit den griechischen Sicherheitskräften anzulegen. Dass die Menschen dort – Schwangere, Alte, Frauen, Kinder – anstehen müssen, um Nahrung zu bekommen, ist eine Situation, die viele Menschen in Hessen berührt, und viele hessische Bürgerinnen und Bürger wünschen sich, dass wir eine Initiative „Züge der Hoffnung“ unterstützen, also für diese Menschen legale Wege nach Deutschland schaffen.

Wir können uns dann nicht hierhin stellen und auf der einen Seite darüber reden – z. B. in der Aktuellen Stunde des letzten Plenums –, wie wir Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen können, die wir an die AfD verloren haben, und auf der anderen Seite Wählerinnen und Wähler, die die humanitäre Hilfe hochhalten wollen, einfach beiseiteschieben. Meine Damen und Herren, das geht nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte, dass wir die Kapazitäten, die wir geschaffen haben, auch für humanitäre Zwecke nutzen: um die Menschen in Griechenland, allein schon aus Solidarität mit unserem Nachbarland in Europa, dabei zu unterstützen, diese Flüchtlinge auf legalem Weg hierherzuholen. Wenn wir auf der Grundlage des Königsteiner Schlüssels die Zahl von 50.000 Flüchtlingen auf die Bundesländer herunterbrechen, stellen wir fest, dass ungefähr 3.600 Leute in Hessen aufgenommen werden können. Daher haben wir geschrieben, es sollten mindestens 3.000 Menschen aufgenommen werden. Nur dann werden wir, wie es z. B. die GRÜNENChefin Simone Peter oder auch der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, gesagt haben, unserer humanitären Verpflichtung gerecht.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Daher sage ich: Wer für legale Wege eintritt, darf Initiativen wie die „Züge der Hoffnung“ nicht einfach vom Tisch wischen. Vielmehr wünsche ich mir eine große Unterstützung unseres Antrags. Das wäre ein starkes Signal unseres Hauses nach außen, sowohl für Humanität als auch für europäische Solidarität. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Als nächster Redner hat sich Kollege Roth von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Roth, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zu dieser Aktuellen Stunde liegen drei Anträge vor. Der älteste Antrag ist der der LINKEN, der jüngste ist der der Koalition, und mittendrin liegt der, den wir eingebracht haben. Ich will mich an den drei Anträgen abarbeiten, weil ich glaube, es ist diesem Thema angemessen, an dieser Stelle nicht über alles und jedes zu diskutieren.

Wir haben in der Vergangenheit in diesem Haus oft und lange über die Flüchtlingssituation gesprochen. Das war angemessen, das war gut, und wir sind zu vielen fraktionsübergreifenden Aktivitäten und auch Entscheidungen gekommen. Darauf können wir in diesem Parlament stolz sein.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es das alles nicht gegeben hätte, wäre es falsch, sich in einer Aktuellen Stunde anhand von Fünf-Minuten-Spots mit der Flüchtlingssituation, wie sie sich darstellt, auseinandersetzen zu wollen. Eines haben die drei vorliegenden Anträge gemeinsam: Es geht jeweils um Flüchtlinge. Dann ist die Gemeinsamkeit, glaube ich, aber auch schon am Ende. Darin, wie damit umzugehen ist, unterscheiden sich die Anträge doch sehr.

Ich beginne mit dem zuerst eingebrachten, dem der LINKEN, der ein voll zu unterstützendes Anliegen aufgreift. Aber er hat einen Schwachpunkt: Er würde Hessen, wie er formuliert ist, isolieren. Er fordert die Landesregierung auf, und das wäre, glaube ich, eine falsche Botschaft.

Der Antrag der Koalition drückt sich im dritten Punkt, glaube ich, um diese Frage – in Bezug auf die menschliche Katastrophe, die nicht irgendwo ist, sondern im Herzen Europas. Von daher hat dieser Antrag oder diese Problematik zutiefst mit der Diskussion innerhalb der zweiten Aktuellen Stunde heute zu tun. Wenn etwas dran ist, dass wir der menschlichen Katastrophe angemessen begegnen wollen, müssen wir das Zeichen setzen, auch selbst aktiv zu werden, und das nicht nur anderen anraten.

(Beifall bei der SPD)

Damit komme ich zu unserem Antrag mit der Zielsetzung, dass Menschen, die derzeit in Griechenland in dieser Katastrophe leben, geholfen wird – aber nicht isoliert von uns oder weggeschoben auf die Bundesebene oder eine europäische Lösung; wir machen uns vielmehr selbst zum Akteur und nehmen andere mit ins Boot. Die Initiative „Das

Land Hessen wird aktiv“ holt andere Bundesländer mit hinein, und ich hoffe, die Bundesregierung wird es schaffen, auch die europäische Ebene an diesem Unterfangen zu beteiligen. Dann lösen wir nicht sofort die Flüchtlingsfrage – wer ist so vermessen, sie auf einen Schlag lösen zu wollen? –, aber eine menschliche Katastrophe mitten in Europa wird wenigstens gemildert.

Das ist unser Auftrag. Deshalb werden wir – das ergibt sich aus dem, was ich gesagt habe – den beiden Anträgen der LINKEN und der Koalition nicht zustimmen. Wir werden uns da enthalten und unseren Antrag in die Ausschüsse verweisen, damit wir dort in einem geordneten Verfahren die Lösung herbeiführen, die wir angesichts dieser Situation dringend brauchen. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Roth. – Für die Landesregierung spricht nun Staatsminister Beuth. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will das aufgreifen, was Kollege Roth gerade gesagt hat, indem ich ihm entgegensetze: Hessen hat bereits Zeichen gesetzt. Kollege Bocklet sagt zu Recht, Menschen auf der Flucht muss geholfen werden. Das, finde ich, haben Hessen und Deutschland im vergangenen Jahr unterstrichen. Wir können sehr stolz darauf sein, dass Deutschland und Hessen ein solches Zeichen der Menschlichkeit und Humanität gezeigt haben, wie das im vergangenen Jahr der Fall war.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Wenn Kollege Bocklet sagt, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen müssen, ist das sicherlich der wesentliche Teil, den wir erreichen müssen: in den nächsten Monaten und Jahren dafür Sorge zu tragen, dass sich die Menschen nicht mehr auf den Weg machen müssen, um vor Elend, Krieg und Ähnlichem zu fliehen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Was wir angestellt haben!)

Eines ist nämlich klar: Wir werden in Hessen und in Deutschland nicht all das erledigen können, was durch Krieg und durch Verfolgung in vielen Staaten auf diesem Planeten bereits heute geschieht. Wir werden das Elend nicht allein bei uns in Deutschland bekämpfen können.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann machen wir besser gar nichts!)

Wir müssen dann schon sehen, dass wir, nachdem wir im vergangenen Jahr wirklich Großartiges in unserem Lande geleistet haben, im Moment in einer Phase der Konsolidierung sind, auch was diese Flüchtlingsangelegenheiten angeht.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich sage ausdrücklich „Konsolidierung“. Es ist in einigen Redebeiträgen angesprochen worden: das Thema, wie wir mit unseren Unterbringungskapazitäten umgehen und Ähn