Am Nachmittag des 15. März wurde vom Bundesumweltminister zugesagt, den Ländern eine Vorlage für die Stilllegungsverfügung zukommen zu lassen, da der Bund einen einheitlichen Vollzug sicherstellen wollte. Diese Vorlage traf am 16. März ein und wurde inhaltlich unverändert in den Stilllegungsbescheid übernommen. In der Fachabteilung des Umweltministeriums gab es erhebliche inhaltliche Bedenken dagegen. Zugleich waren sich aber alle Beteiligten einig, dass es sich um eine verbindliche Vorgabe des Bundes handelte, die umzusetzen sei.
Drittens: Erklärung des Anhörungsverzichts. Eine Anhörung fand auch in allen anderen Ländern nicht statt. Ein nach der im hessischen Umweltministerium vertretenen Auffassung rechtlich möglicher Verzicht bedurfte nach fachlicher Auffassung aber der Begründung.
Viertens: Warnungen bezüglich des Anhörungsverzichts. Ein Vermerk des Justizministeriums wies auf die grundsätzliche Anhörungspflicht hin, zugleich aber auch darauf, dass mangels hinreichender Sachkenntnis die Frage eines Verzichts nicht abschließend bewertet werden konnte.
Fünftens: die Nachholung der Anhörung. Übereinstimmend wurde von Zeugen bekundet, dass über eine Nachholung der Anhörung nur am Rande diskutiert worden sei, da man im Streitverfahren den Bescheid als Ganzes verteidigen wollte und eine Anhörung schon wegen der Vorgaben des Bundes zu keiner Änderung der Behördenentscheidung hätte führen können.
Sechstens: Hinweise zur Nachholung der Anhörung. Hinweise ergaben sich aus dem Vermerk des Justizministeriums, der Klageschrift von RWE sowie aus dem Beratungsangebot einer Rechtsanwaltskanzlei. Der Ausschuss hat festgestellt, dass die Nachholung der Anhörung die Rechtsposition des Landes im Hinblick auf die spätere Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs hätte verbessern können. Das finden Sie auf Seite 317 des Berichts.
Siebtens: Entschädigungsforderungen. Bis zum 18. März, dem Tag der Ergehung der Stilllegungsverfügung, gab es keine konkreten Hinweise. Eine abstrakte Diskussion über Schadenersatzforderungen fand im Kabinett statt, bevor überhaupt feststand, dass das Land Hessen mit dem Atomkraftwerk Biblis betroffen sein könnte. Man ging von der Verantwortlichkeit des Bundes aus und wollte dies auch gegenüber RWE stets betonen. Schließlich erklärten Zeugen aus Hessen, dass es eine politische Zusage auf Schadensfreistellung des Bundes gab, worauf sich auch Hinweise in verschiedenen Aktenstücken fanden.
Achtens: Aktenführung und Dokumentation. Der Untersuchungsausschuss stellte fest, dass die seinerzeitige Aktenführung im hessischen Justizministerium und im hessischen Umweltministerium der Aufklärung des Untersuchungsgegenstands nicht förderlich war. Hierzu gibt der Bericht weiterführende Hinweise. Um dies zukünftig zu vermeiden, lesen Sie nach, was auf Seite 324 steht.
Neuntens: Gespräch mit RWE. Der Untersuchungsausschuss hat ermittelt, dass Gespräche, soweit sie geführt wurden, nach Aussagen der Zeugen ausschließlich der zeitnahen Umsetzung der Stilllegungsverfügung dienten.
Dies sind in Kurzform die Aussagen des Berichts. An dieser Stelle können natürlich nur kurze Antworten auf die Fragen im Einsetzungsbeschluss gegeben werden. Wie ich schon betonte, sollten Sie den gesamten Bericht und auch die abweichenden Berichte lesen. Dann entsteht ein plastisches Bild der Ereignisse einer unvergessenen Woche im März 2011, die letztendlich eine Wende in der Energiepolitik Deutschland bewirkte. – Hier und heute danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die folgende Debatte.
Herr Berichterstatter, ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen. – Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Norbert Schmitt, SPD-Fraktion, beginnt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem Dank beginnen: einem Dank an alle Landtagsmitarbeiter, die an dem Untersuchungsausschuss mitgewirkt haben. An erster Stelle danke ich natürlich Herrn Dr. Spalt, aber auch dem Ausschussassistenten, Herrn Dr. Barthel – selbst wenn wir in der Sache sicherlich unterschiedlicher Meinung sind.
Mein Dank geht auch an den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Herrn Heinz. Herr Heinz, Sie haben das wirklich sehr fair, sehr objektiv und sehr souverän gemacht. Sie haben den Ausschuss wirklich toll geleitet. Herr
Mein Dank geht an meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus den eigenen Reihen, die mit viel Elan und viel Einsatz gearbeitet haben, und natürlich auch an unseren wissenschaftlichen Unterstützer, Herrn Prof. Dr. Henry Schäfer, der fast für drei gearbeitet hat. Das ist ein Hinweis für Insider.
Leider ist damit das Erfreuliche an dem Untersuchungsausschuss abgeschlossen. Wir müssen nun zu dem unerfreulichen und auch deutlich längeren Teil kommen.
Herr Kaufmann hat von einem Krimi gesprochen. Das stimmt. Die Schwäche des Mehrheitsberichtes ist aber, dass er die Täter verschleiert.
Ministerpräsident Bouffier und Frau Puttrich tragen persönlich die Verantwortung für haarsträubende und dilettantische Fehler bei der vorläufigen Abschaltung der Atomkraftwerke in Biblis.
Wir fordern die Landesregierung auf, insbesondere den Finanzminister, für den jetzt schon entstandenen Schaden in Höhe von 3 Millionen €, der nicht mehr rückgängig zu machen ist, Frau Puttrich persönlich haftbar zu machen.
Warum? – Weil Frau Puttrich grob fahrlässig entschieden hat, auf eine Anhörung von RWE zu verzichten.
Damit hat sie – das steht völlig unanfechtbar fest – rechtswidrig gehandelt, und damit hat sie der Atombetreiberin RWE eine Steilvorlage für einen Schadenersatzprozess geliefert.
Das ist leider eine ganz nüchterne Feststellung. Politisch aber ist in erster Linie Ministerpräsident Bouffier verantwortlich. Er hat aus rein parteipolitischen Gründen alle rechtsstaatlichen Grundsätze beiseitegeräumt und zusammen mit seinen CDU-Ministerpräsidentenkollegen, die Atomkraftwerke in ihren Ländern hatten, und vor allem der Kanzlerin das Moratorium vereinbart. Das war ein Konsens. Das war eine gemeinsame Entscheidung zwischen Bund und Ländern.
Was war das Motiv dafür? – Das war nicht der Zweifel an der Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke nach den schlimmen Ereignissen in Fukushima. Es war nicht die Sorge um die Gesundheit der Menschen in Deutschland. Nein, das alles war nicht Ausgangspunkt für das Moratorium, sondern es war die pure Angst vor einer Niederlage der CDU bei den anstehenden Landtagswahlen im Jahr 2011 in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg und den Kommunalwahlen in Hessen.
Herr Ministerpräsident, das allein war Ihre Triebfeder und Ihr Motiv für das gemeinsame Handeln und die Zustimmung. Denn die kurz vor den schlimmen Ereignissen in Fukushima von CDU und FDP beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke erwies sich in der damaligen Wahlkampfauseinandersetzung als zentraler politischer Sprengstoff. Das wollte man aus dem Weg räumen. Da war einem der Rechtsstaat egal. Hauptsache war, man hatte noch eine Chance bei den Wahlen. Es ging dann tatsächlich sogar schief. Aber das war das einzige Motiv. Einen Rechtsstaat kann man nicht einfach außer Kraft setzen, weil man vor der Wahlniederlage Angst hat.
Die Verteidigungsstrategie der CDU in Hessen, der Bund habe das Moratorium angeordnet, ist eine ganz billige Ausrede.
Nirgendwo hat der Ministerpräsident widersprochen. Reden wir einmal über die Fakten. Wo hat er denn widersprochen? Er war doch in allen Gremien. Hat er an einer Stelle widersprochen, dass es zu dem Moratorium kommen soll? Hat er an einer Stelle gesagt, das könnten wir in Hessen nicht mittragen? Es gibt ein schönes Zitat von Seehofer, in dem er gesagt hat: Herr Bouffier hätte sagen können, dass wir das Moratorium nicht machen. – Nein, meine Damen und Herren.
Kommen wir zu den Fakten, Herr Bellino. Zusammen mit der Kanzlerin hat er das Moratorium vor der Bundespressekonferenz vorgestellt. Dann zu sagen, das habe uns der Bund aufgezwungen, und man sei nur willfähriger Befehlsempfänger und habe nur so gehandelt, wie es der Bund vorgegeben habe, bedeutet eine Verdrehung der Tatsachen.
Jedem war doch das Schadenersatzrisiko bekannt. In dem Brief hat Ministerpräsident Bouffier selbst den Bescheid umformuliert, wo er dieses Risiko formulierungsmäßig gegen den Bund hinrücken wollte. Da war doch jedem klar, dass so eine Entscheidung eines Moratoriums auch ein Schadenersatzrisiko birgt. Herr Bouffier hat es bewusst unterlassen, das Haftungsrisiko mit dem Bund vor Erlass des Moratoriums zu klären. Das ist ein ganz zentraler Fehler, dass er eben nicht geklärt hat, bevor dieser Bescheid rausging, wer das Risiko am Ende trägt, wenn geklagt wird. Das war allein Sache des Ministerpräsidenten. Dafür trägt er die politische Verantwortung.
Dieser grobe Fehler führt nun dazu, dass Bund und Land sich vor dem Landgericht in Essen beim Schadenersatzprozess von RWE in Höhe von 235 Millionen € – so hoch ist das Risiko – den Schwarzen Peter hin- und herschieben. Der Schwarze Peter wird hin- und hergeschoben. Oder, wie der Zeuge Hennenhöfer so schön gesagt hat: Man versucht, sich den toten Vogel gegenseitig in die Tasche zu schieben.
Ja, natürlich, so ist es auch. Ich erinnere daran: Ministerpräsident Bouffier hat vor dem Untersuchungsausschuss erklärt, die Kanzlerin wiederum habe erklärt, man lasse die Länder nicht im Regen stehen.
Dazu haben wir alle die Kanzlerin befragt. Und wissen Sie, was die Kanzlerin gesagt hat? – Nein, das sei nicht so gewesen. Dem hat sie entschieden widersprochen.
Herr Bouffier, Sie haben danach ziemlich pitschnass ausgesehen. Und Sie haben bis heute – das ist interessant – dieser Stellungnahme der Kanzlerin nicht widersprochen. Es gibt nicht eine Äußerung zu der Äußerung der Kanzlerin, das sei nicht so gewesen, und es habe diese Zusage nicht gegeben. Es gibt bis heute nicht eine Stellungnahme von Herrn Bouffier an dieser Stelle. Das macht nachdenklich. Das macht wirklich nachdenklich.