Protokoll der Sitzung vom 15.09.2016

(Allgemeiner Beifall)

Ich muss Ihnen sagen: Ich fand heute, dass der Beitrag des Kollegen Bellino überraschend sachlich war.

(Lachen und Zurufe von der CDU: Oh!)

Ja, jetzt lobe ich Sie einmal, dann ist das auch nicht gut.

(Zurufe der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Michael Boddenberg (CDU) – Weitere Zurufe von der SPD – Glockenzeichen des Präsidenten)

Der Beitrag war an der Sache orientiert. Kollege Bellino hat auch aus unserer Sicht überhaupt nichts Falsches gesagt. Das alles können wir unterstützen.

(Beifall bei der SPD – Janine Wissler (DIE LINKE): Das kommt nicht alle Tage vor!)

Was Kollege Frömmrich allerdings gemacht hat, fanden wir etwas seltsam.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich glaube, ihm hat mein Redebeitrag zuvor etwas gefehlt. Wir sind ein bisschen überrascht. Man kann ja loben, dass VPN einen Preis bekommen hat. Wir sind ein bisschen überrascht, dass der eigentliche Kern der Präventionsarbeit und der Zusammenarbeit mit anderen, die in Hessen tätig sind, in der Debatte völlig gefehlt hat. Das finden wir allerdings außerordentlich bedauerlich.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen einige aufzählen, die auch herausragende Arbeit in der Prävention hier in Hessen zum Thema Deradikalisierung und im Rahmen von Ausstiegsprogrammen hier in Hessen leisten. Da sei die AWO in Offenbach genannt, das Beratungsnetzwerk Hessen, das Sie sonst auch sehr stark unterstützen, das Netzwerk für Demokratie und Courage, die Anne-Frank-Begegnungsstätte in Frankfurt, die Rote Linie – Hilfen zum Ausstieg vor dem Einstieg, die Jugendinitiative Spiegelbild. Das sind nur ein paar der vielen Initiativen neben den Kirchen, die auch Beratungsangebote haben und beim Ausstieg behilflich sind, die Sie leider alle hier heute nicht erwähnt haben. Ich muss sagen, dass ich das schon sehr bedauerlich finde.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Sache nicht angemessen. Ich will Ihnen sagen: Wir hatten eine wirklich außerordentlich gute und qualitativ hochwertige Anhörung zum Thema des Salafismus und der Radikalisierung von Jugendlichen hier in Hessen. Eigentlich war das Ergebnis aller Anzuhörenden, dass wir eine feste Netzwerkstruktur, ein Landesprogramm, brauchen, wo interdisziplinär zwischen den verschiedenen Bereichen gearbeitet wird. Daran fehlt es bis heute in Hessen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Ich und meine Fraktion können überhaupt nicht verstehen, warum das in der heutigen Debatte keine Rolle spielt. Wo sind denn die Angebote im Bildungsbereich, die darauf konzentriert werden, dass Jugendliche rechtzeitig erreicht werden, dass sie stark gemacht werden und dass sie erst gar nicht in die Situation kommen, vom System abgelehnt zu werden, sondern dass das vorher aufgefangen wird? Wo ist denn die Ausweitung der Schulsozialarbeit, die in diesem Bereich sehr hilfreich wäre? Wo ist denn die Unterstützung der außerschulischen Jugendarbeit und Jugendbildung? Wo ist denn die Unterstützung der Aufklärungs- und Antidiskriminierungsarbeit der vielen hier Tätigen?

Was wir im Bildungsbereich benötigen, ist ein Strauß an Maßnahmen, die wir als Sozialdemokraten auch mit einem

Antrag eingebracht haben – gerade in der interdisziplinären Zusammenarbeit. Das wurde von Ihnen bis heute leider abgelehnt. Da passiert gar nichts.

(Beifall bei der SPD)

Das reicht eben nicht aus. Das ist es, was uns die Experten mit auf den Weg gegeben haben, und das ist nicht ausreichend. Das muss ich Ihnen leider sagen. Da haben Sie noch viele Hausaufgaben zu erledigen.

Kollege Bellino hat heute darauf hingewiesen: Es gibt eine hohe Bedrohungslage. Leider sind wir in Hessen einer der Schwerpunkte im Bereich des Salafismus und der Dschihadisten. Da mutet das etwas seltsam an – das darf ich vielleicht für die Kolleginnen und Kollegen sagen, die es nicht gehört haben –, was es gestern im Beitrag des Kollegen Tipi bei hr-iNFO zu hören gab.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja, der war bemerkenswert!)

Für diejenigen, die es nicht gehört haben: Kollege Tipi hat gestern bei hr-iNFO darauf hingewiesen, dass die Salafisten einen Bogen um Hessen machen würden.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Diese Regel kennen wir auch in anderem Zusammenhang!)

Dafür habe er Belege in Form von Messages und E-Mails.

(Günter Rudolph (SPD): Belege auf den Tisch!)

Was sind denn das für Belege? Haben Sie sie den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt? – Kollege Bellino hat hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man das nicht verharmlosen darf. Herr Kollege Tipi, ich muss Ihnen das leider sagen: Das ist kein seriöser Umgang mit diesem wichtigen Thema.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Da erwarte ich auch, dass die CDU sich dazu äußert. Ich erwarte, dass Sie sich nicht darauf ausruhen, dass Sie ein Leuchtturmprojekt in Hessen haben, das ohne Zweifel hervorragende Arbeit leistet, sondern ich fordere Sie auf, ein umfassendes Netzwerk aufzulegen. Und ich fordere Sie dazu auf, dass Ihre Abgeordneten seriös mit dem Thema umgehen und die Menschen nicht so verblenden. Ich warne davor: Wenn etwas in Hessen passiert, was wir alle nicht möchten, dann auf einen Beitrag eines Abgeordneten zu verweisen, der das vorher verharmlost hat, halte ich persönlich für extrem falsch.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Machen Sie Ihre Hausaufgaben.

Frau Kollegin Faeser, machen Sie Ihre Hausaufgaben bei der Redezeit – Sie müssen zum Ende kommen.

Ich mache meine Hausaufgaben, Herr Landtagspräsident. – Ich verweise noch einmal darauf: Wir brauchen ein umfassendes Landesprogramm zur Vermeidung von Anwerbeversuchen für Jugendliche. Wir müssen Jugendliche vorher stark machen. Machen Sie da Ihre Hausaufgaben, und konzentrieren Sie sich nicht nur darauf, in Aktuellen Stunden ein Projekt zu loben.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Faeser. – Das Wort hat der Innenminister, Staatsminister Peter Beuth.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst noch einmal deutlich machen, Herr Kollege Greilich: Niemand muss die Hessische Landesregierung, niemand muss die Polizei und die Sicherheitsbehörden in diesem Lande wach küssen. Wir arbeiten systematisch und konsequent gegen jede Art von Extremismus. Darauf dürfen Sie sich gern verlassen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist auch schon der Punkt, den ich Frau Kollegin Faeser zurufen möchte: Heute stand im Mittelpunkt die Belobigung, die wir erreicht haben. Es war eine Belobigung von einem Dritten. Wir sind ja noch nicht einmal selbst diejenigen, sondern es waren andere, die gesagt haben: „Das habt ihr außerordentlich gut gemacht“. Sie zielt eben genau auf unser Konzept zum Thema Salafismusbekämpfung.

Aber Sie haben gleichwohl recht: Man könnte darüber hinaus noch viel mehr loben, was wir in unserem Lande machen. Wir haben nämlich im vergangenen Jahr für den gesamten Bereich der Extremismusbekämpfung 3,8 Millionen € für dieses Haushaltsjahr zur Verfügung gestellt. Sie haben viele Projekte angesprochen, das Beratungsnetzwerk Hessen in Marburg und darüber hinaus. Sie alle verdienen großes Lob. Aber heute geht es insbesondere um die Salafismusbekämpfung. Da macht VPN einen großartigen Job. Wir freuen uns darüber, dass wir dafür von Dritten belobigt worden sind.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Kollege Frömmrich, bei der Aktuellen Stunde und dem Bericht vom Hessischen Rundfunk gestern war ich mir nicht ganz sicher, wie das ausgeht. Denn die normalen Reflexe hier im Hessischen Landtag hat Kollege Greilich ja gezeigt. Die normalen Reflexe sind, nicht die objektiven Erfolge ins Zentrum zu stellen, sondern zu schauen, ob es irgendwo an irgendeiner kleinen Ecke noch irgendetwas gibt, was man kritisieren und aufbauschen kann.

(Florian Rentsch (FDP): Man muss einfach realistisch bleiben!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich glaube, hier haben wir eine Chance vergeben. Die Kolleginnen und Kollegen, die vorhin oben auf der Tribüne gesessen haben, die das für uns machen, die sich darum bemühen und die sich am Ende um 104 Radikalisierte und Gefährdete ganz unmittelbar kümmern, sozusagen Face to Face, die sich um 119 Angehörige kümmern, die in 100 Workshops arbeiten und in 89 Institutionen Beratungsgespräche geführt haben, hätten wir heute in dieser Aktuellen Stunde durch gemeinschaftliches Lob motivieren können. Wir hätten anerkennen können, was sie machen. Deswegen ist es so schade, dass Sie diese Chance vergeben haben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wird aufgrund der vielen Facetten von Extremismusphänomenen immer irgendwo noch etwas geben, wo wir – trotz unserer herausragenden Präventionsarbeit – wieder Probleme haben werden. Wir können den Menschen nicht hinter die Stirn schauen. Das wollen wir auch gar nicht. Es wird immer wieder irgendwo ein Problem geben. Die Frage ist doch: Haben wir ein System? Sind wir in unserer Haltung und in dem, was wir tun, konsequent? Dazu sage ich: Ja, das sind wir. Das System, das wir haben, ist gut. – Das sage nicht ich persönlich über unser System, sondern das sagt z. B. die Innenministerkonferenz. Diese hat gesagt: So wie die Hessen das machen, ist es eine gute Rahmenkonzeption. – Das sagte am Ende auch der Partner, der uns entsprechend belobigt hat. Darüber können wir uns freuen. Darauf sind wir stolz, nicht um unserer selbst willen, sondern wir können auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das machen, sehr stolz sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, wir bleiben auch nicht stehen. Wir haben, wie ich finde, einen guten Weg gefunden. Herr Kollege Greilich, Sie haben jetzt Ihr eigenes Licht unter den Scheffel gestellt, weil das Hessische Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus schon einmal in einer früheren Wahlperiode aufgesetzt worden ist. Das, was wir im Juli 2014 gemacht haben, ist sozusagen eine Entwicklung aus dem damaligen Kompetenzzentrum heraus. Wir haben, wie ich finde, sehr richtig und klug gehandelt, indem wir gesagt haben: Wir müssen eine Beratungsstelle machen. Wir müssen den Menschen, die ein Problem haben oder eines sehen, z. B. bei Mitschülern, Kindern, Verwandten, Mitarbeitern oder wie auch immer, ein Beratungsangebot geben. Wir müssen aber auch dafür Sorge tragen, dass die Erkenntnisse, die wir sammeln, den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden, um zu verhindern, dass in unserem Lande, oder wo auch immer, etwas passiert. – Wir haben in diesem Bereich eine herausragende Gefährdungslage. Dennoch ist uns das gut gelungen.

Wir haben auf der einen Seite dafür gesorgt, dass wir Präventionsmaßnahmen haben – mit vielen Workshops, ob in Schulen oder in Institutionen. Sie haben mitbekommen, wie wir, als wir die Erstaufnahmeeinrichtungen besucht haben, die Mitarbeiter angesprochen und versucht haben, auch die Flüchtlinge selbst anzusprechen und sie für die Phänomene zu sensibilisieren. Wir gehen in Justizvollzugsanstalten. Wir machen etwas für Lehrer. Wir sorgen in Moscheegemeinden, bei Bediensteten der Landesverwaltung usw. dafür; wir versuchen überall, eine Beratung und Sensibilisierung hinzubekommen.

Auf der anderen Seite haben wir aber auch die Intervention. Wir haben die Beratung von Familienangehörigen, die Probleme haben. Wir haben die Beratung zur Deradikalisierung von Gefährdeten, von jungen Leuten, die sich auf dem Wege der Radikalisierung befinden. Darüber hinaus haben wir auch noch ein Ausstiegsprogramm gemacht. Wir haben praktisch all die Facetten, die es in der Prävention abzubilden gilt, übrigens nicht nur beim Salafismus, sondern auch bei anderen Phänomenen, sauber abgebildet.

Dieses System ist am Ende belobigt worden, weil es eben, wie gesagt, einen ganzheitlichen Ansatz für den Bereich der Salafismusprävention abbildet. Alle anderen Facetten von Extremismus verarbeiten wir auch, aber wir sind für

diesen Bereich belobigt worden. Wir sind sehr dankbar für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das beim VPN, beim Hessischen Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus und bei unseren Sicherheitsbehörden, bei der Polizei und dem Landesamt für Verfassungsschutz, machen. Wir können sehr dankbar sein für die Mühe, die sich die Kolleginnen und Kollegen dort machen.