Protokoll der Sitzung vom 12.10.2016

Ich glaube, das kann und darf nicht in unserem Interesse hier im Hessischen Landtag sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber das „gespaltene Schulwesen“ – so haben Sie das genannt – war vor fünf Jahren schon da, und es ist immer noch da. Oder wollen Sie mir ernsthaft erzählen, dass es sich jede Familie leisten kann, bis zu 600 € zuzüglich Essensgeld für den Schulbesuch eines Kindes auszugeben?

Nicht nur das. Das ist der nächste Punkt. Aus der Großen Anfrage ging leider auch hervor, dass eine wirkliche Überprüfung des Sonderungsverbots nach wie vor nicht stattfindet.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist auch falsch!)

Augenblick, abwarten. – Es gibt in Hessen keine festgelegten Kriterien, ab welcher Höhe eine Sonderung nach den Besitzverhältnissen stattfindet. Aber selbst wenn das der Fall wäre, gilt Folgendes. Ich zitiere aus einer anderen Antwort des Kultusministers:

Im Übrigen besteht insbesondere bei den neu gegründeten Schulen ein regelmäßiger Kontakt zwischen Schulamt und Schule in Bezug auf die Erweiterung der Personalausstattung. Bei diesen Gelegenheiten werden sporadisch die Schulgeldmodalitäten abgefragt.

Herr Wagner oder Herr Lorz, ich weiß nicht, was ich schlimmer finde: Es gibt nach wie vor kein gültiges Kriterium dafür, ab wann Privatschulen nicht für jedermann aufgrund der Höhe des Schulgeldes zugänglich sind. Oder ist es die Tatsache, dass es eh nur sporadische Überprüfungen der Schulgeldmodalitäten gibt?

Was ich auf jeden Fall skandalös finde, ist die Praxis, Schulämter über die Angemessenheit der Beiträge entscheiden zu lassen. Das geschieht aufgrund der Überlegung, was eine Familie im Einzugsgebiet der Schule mit mittlerem Einkommen objektiv ausgeben könnte. Die

Schulämter scheinen in allen Regionen mehrere Hundert Euro für völlig machbar zu halten.

Erklären Sie das einmal Alleinerziehenden oder Eltern mit mehreren Kindern. Was ist denn das für eine Handhabung? Dann wird mit den Gebühren der anderen Privatschulen verglichen. Da bleibt mir echt die Spucke weg.

Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, ich kann nur sagen: Sie sind an der Einhaltung des Sonderungsverbots genauso interessiert wie der Schokoladenfabrikant an einem Zuckerverbot.

(Beifall der Abg. Hermann Schaus und Marjana Schott (DIE LINKE))

Das zeigt auch die Anlage 1, in der die Schulgelder aufgelistet werden. Da war es Ihnen völlig egal, wenn Schulen keine oder falsche Angaben machten. Anscheinend wurde auch das nicht hinterfragt oder überprüft.

Herr Kultusminister, es ist für Ihre Schulen ein Armutszeugnis, dass immer mehr Eltern auf die Privatschulen zurückgreifen. Das ist Ihnen anscheinend auch egal.

Wir halten fest: Ein Sonderungsverbot existiert in Hessen nur auf dem Papier. Die Landesregierung sieht da auch keinen Handlungsbedarf. Herzlichen Glückwunsch. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin Cárdenas, vielen Dank. – Das Wort erhält Frau Abg. Bettina Wiesmann für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Fast hätte ich gesagt: alle Jahre wieder. Jedenfalls kommt auch dieses Jahr eine Große Anfrage zu den Privatschulen von der linken Seite des Hauses auf uns nieder.

(Zuruf der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Das gab es auch schon. Das steht jedem frei. Ich finde, das Thema ist wichtig. Deshalb wollte ich mich gerade dafür bedanken.

Heute liegt der Schwerpunkt auf dem Verbot der Benachteiligung, also dem Sonderungsverbot. Sie haben manches gesagt. Sie haben am Anfang ganz schön angefangen und die besonderen Beiträge der Ersatzschulen zu unserem Schulsystem gewürdigt. Ich fand das ermutigend.

Ich will mich bei dieser Gelegenheit übrigens auch für die vielen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit bedanken, die doch überwiegend sachlich und für mich auch gewinnbringend waren. Ich glaube, das war eine Ihrer letzten Reden von hier vorne aus. Von meiner Seite aus möchte ich für die Erfahrungen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, vielen Dank sagen. Alles Gute für Ihre Zukunft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Zur Sache. Für die Mitglieder der CDU-Fraktion besteht kein Anlass zu Misstrauen gegenüber nicht staatlichen Bildungsträgern, das aus manchen dieser Anfragen herausge

lesen werden kann. Wir schätzen sie nämlich auf allen Ebenen. Sie haben Kindertagesstätten, Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen. Sie alle tragen zur Angebotsvielfalt bei. Die Menschen haben die Wahl, mit welchen Werthaltungen und pädagogischen Ansätzen sie ihre Kinder oder gar sich selbst bilden oder bilden lassen.

In Hessen ist die freie Schulwahl der Eltern im Rahmen der Eignung des Kindes heute ein doch weitgehend oder fast allseits akzeptiertes Prinzip. Die Vielfalt der Schulen und der Wettbewerb zwischen ihnen bringen bessere Qualität.

Privatschulen bereichern das Schulwesen in vielfältiger Weise. Dies geschieht nicht nur durch die besonderen – ich will sie explizit erwähnen – z. B. religiösen Prägungen, die uns wertvoll sind. Sie sind außerdem Experimentierfeld und Schrittmacher neuer Konzepte.

Sie spornen damit die öffentlichen Schulen immer wieder zu Innovationen und zu neuen Entwicklungen an. Frau Cárdenas, das haben Sie in Ihren ersten Bemerkungen auch gewürdigt. Deshalb ist ein Ja zur Vielfalt der Schulen für die Mitglieder meiner Fraktion auch ein Ja zur Vielfalt der Angebote verschiedener Träger und damit auch zu Schulen in freier Trägerschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies vorangestellt, möchte ich die Antworten zu der von Ihnen eingereichten Großen Anfrage hinsichtlich des Sonderungsverbots gerne unter drei Aspekten beleuchten.

Erstens. Worüber reden wir? Welche Schulen sind eigentlich gemeint? – Wie aus der Antwort der Landesregierung, für die ich mich bedanken möchte, hervorgeht, reden wir im Wesentlichen über allgemeinbildende Ersatzschulen ohne Förderschulen. Denn die Ersatzförderschulen, von denen dort natürlich auch die Rede war, erheben mit wenigen Ausnahmen keinen Elternbeitrag.

Die Ersatzberufsschulen sind in der Mehrzahl ebenfalls kostenfrei oder verlangen überschaubare Beiträge. Zudem sind sie zumeist in hohem Maß spezialisiert, wodurch die Frage nach einer Sonderung ganz anders beleuchtet wird.

Die Ergänzungsschulen, denen Sie im Teil B Ihrer Großen Anfrage fast ein Drittel Ihrer Fragen widmen, fallen gar nicht unter das im Grundgesetz geregelte Sonderungsverbot, das Sie so umtreibt und das natürlich auch uns, den Mitgliedern der Fraktionen der CDU und der GRÜNEN, sehr wichtig ist. Das will ich an der Stelle einfach einmal sagen. Das hat gut ein Drittel der Großen Anfrage ausgemacht. Ergänzungsschulen bedürfen keiner Genehmigung, sondern nur einer Anzeige bei der Schulaufsichtsbehörde. Sie unterliegen keiner fachlichen, sondern nur einer beschränkten Rechtsaufsicht.

Sie erhalten keine Finanzleistungen des Landes. Sie profitieren also nicht von unserem sehr guten Ersatzschulfinanzierungsgesetz, zu dem ich später noch etwas sagen werde. Damit entfällt auch, wie die Landesregierung schreibt – Zitat – „jegliche Einflussnahme auf die Höhe des Schulgeldes“.

Deutsche Kinder dürfen diese Schulen nur mit Ausnahmegenehmigung besuchen. Denn sie bestehen vor allen Dingen, um ausländischen Kindern, die in Hessen wohnen und

schulpflichtig sind, ein angemessenes Schulangebot vorzuhalten.

Für die Frage nach einer eventuellen Benachteiligung nach den Besitzverhältnissen der Eltern gibt dieser Teil Ihrer Großen Anfrage schlichtweg nichts her. Denn wir wollen es wahrscheinlich nicht als soziale Benachteiligung sehen, dass nicht alle Kinder ihre Eltern auf berufliche Auslandsstationen begleiten.

Was bleibt also übrig? – Das sind die allgemeinbildenden Ersatzschulen. Diese Schulen verfügen über 6,9 % aller Schulplätze nach der Tabelle, die dort zu finden war. In absoluten Zahlen sind das 41.000 von rund 600.000 Schulplätzen in Hessen. Von diesen 41.000 Ersatzschulplätzen werden knapp 30.000, also rund drei Viertel von kirchlichen Trägern vorgehalten. Es sind etwa 8.000 von klassischen Reformschulträgern. Es sind 4.000 von anderen privaten Trägern.

Zweitens. Wie sieht es nun mit der Benachteiligung aufgrund der ökonomischen Verhältnisse der Eltern aus? Wird das Sonderungsverbot verletzt?

Ich habe das eben erwähnt. Die meisten Schulplätze, nämlich die der kirchlichen Träger, kosten nichts oder fast nichts. Es sind drei Viertel oder rund 30.000 Plätze. Schon deshalb wäre es unzulässig, pauschal von teuren Ersatzschulplätzen zu sprechen. Für die allermeisten gilt das überhaupt nicht.

Die zweitgrößte Platzzahl bieten die klassischen Reformschulen. Das sind die Montessorischulen, Waldorfschulen und ähnliche. Sie halten rund 20 % der Ersatzschulplätze vor. Sie haben ein monatliches Schulgeld, das sich mit ungefähr 200 € beim ersten Kind je nach Beurteilung an oder jenseits der oberen Grenze des im Bundesländervergleich Zuträglichen bewegt.

Ich will das einfach einmal erwähnen. Es ist nicht erstaunlich, dass gerade die Schulen, die gerne als Vorbilder für allgemeine Schulreformen dienen, denen Sie übrigens mit Ihren Empfehlungen häufig folgen, vergleichsweise teuer sind. Reformschulen mit Luxusausstattung waren nämlich schon immer Schulen für den gehobenen Mittelstand, ob uns das jetzt gefällt oder nicht. Ich stehe für die Vielfalt. Ich finde, sie gehören auch dazu.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Etwa 10 % der Ersatzschulplätze werden von recht teuren privaten Anbietern vorgehalten. Sie befinden sich vor allem im Raum Frankfurt und bedienen dort – ich will es einmal so sagen – eine besondere Klientel. Jedenfalls bedienen sie eine Gruppe an Schülern, die aus Familien stammen, die auch besondere internationale Anforderungen im Schulwesen suchen. Sie können wir anders nicht bedienen.

Weitere 5 % werden von kleinen freien Trägern in der Regel zu moderatem Schulgeld angeboten.

Für alle gilt aber – sofern sie dazu Angaben machen –, dass sie allen, die kommen und sich interessieren und die das Schulgeld in der vorgesehenen Höhe nicht zahlen können, einen Schulgelderlass oder eine Reduzierung anbieten. Deshalb glaube ich, dass letztlich genau das möglich ist, was Sie gefordert haben, nämlich dass jede Familie Zugang zu einer Ersatzschule ihrer Wahl hat.

(Zuruf von der LINKEN: Das sind immer nur be- grenzte Plätze!)

Die Antworten der Landesregierung auf die Große Anfrage bestätigen jedenfalls die Einschätzung, zu der meine Fraktion bereits im vergangenen Jahr nach der Großen Anfrage der SPD gekommen ist. Es gibt keine belastbaren Hinweise auf die von Ihnen befürchtete soziale Segregation zwischen öffentlicher und privater Schule. Ich will das noch einmal sagen, obwohl Ihre Anfrage gar nicht so sehr in die Tiefe ging, auch wenn Sie das zu Ihrem Thema gemacht haben.

Die Antwort auf die Große Anfrage aus dem Jahr 2015 hat drei Dinge gezeigt. Knapp die Hälfte der Ersatzschulen ermäßigt ihr Schulgeld um mindestens die Hälfte des durchschnittlichen Betrags. Sie vergeben mehr als 10 % ihrer Schulplätze an Kinder, die überhaupt kein Schulgeld zahlen, oder sie erheben überhaupt kein Schulgeld. Abgesehen von den spezialisierten beruflichen Schulen, die ich schon genannt habe, oder Internatsschulen, die natürlich andere Kosten in Rechnung stellen müssen, überwiegen überschaubare Beträge.

Ein zweiter Punkt von 2015. Von den knapp 200 Ersatzschulen gibt es nur an einem Viertel der Schulen keine soziale Staffelung des Schulgeldes. Laut der damals vorgelegten Tabelle verfügen 14 davon über andere Mechanismen, um dem Sonderungsverbot Rechnung zu tragen. Dies sind Sozialfonds, individuell gewährte Ermäßigungen, Befreiungen und Stipendien.