Protokoll der Sitzung vom 13.10.2016

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Heute nun, Herr Siebel, beantragt Ihre Fraktion mit der Kollegin Lisa Gnadl eine Aktuelle Stunde, um darauf hinzuweisen, dass eine weitere langwierige Baustelle frauenpolitischer Forderungen auf Bundesebene endlich einmal bearbeitet wird. Das ist ein gutes Signal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Entgeltgleichheit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Gender Pay Gap, Equal Pay Day – wie auch immer Sie dieses Problem beschreiben, es ist ein großes Ärgernis. Es ist zutiefst ungerecht – da hat die Kollegin Gnadl recht, und da hat auch die Kollegin Ravensburg recht –, dass Frauen in vielen Bereichen immer schlechter bezahlt werden als Männer. Das Statistische Bundesamt hat ermittelt, dass Frauen 2015 im Schnitt 21 % weniger verdient haben als Männer, wobei die Quote bei uns im Westen noch einmal deutlich schlechter ist als in den Ostländern. In den Ostländern sind es nur 8 %. Diese niedrige Quote sorgt dafür, dass wir gesamtdeutsch bei 21 % landen.

Jetzt kann man lange darüber streiten, ob diese Lohnlücke bereinigt oder unbereinigt diskutiert werden muss. Fest steht, dass es nicht sein darf und nicht sein kann, dass Frauen für vergleichbare Arbeit weniger Lohn bekommen als Männer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Daher ist es gut, dass jetzt begonnen werden soll, einen Regelungsrahmen zu schaffen, der solche Ungerechtigkeiten aufdecken helfen und dafür sorgen soll, dass diese Ungerechtigkeit sich verschmälert.

Ich formuliere bewusst vorsichtig an dieser Stelle; denn bisher kenne ich nur Presseerklärungen über die Eckpunkte, auf die sich das Bundeskabinett in Berlin geeinigt hat. Ich kenne noch keinen Gesetzentwurf. Ich sehe ihm aber mit einer gewissen Spannung entgegen. Es gibt die üblichen Befürchtungen von allen Seiten, wir haben sie heute hier auch gehört.

Die einen sagen, es ist bürokratisch, es ist gar nicht nötig, und überhaupt seien die Frauen teilweise selbst schuld, weil sie die falschen Berufe wählen und weil sie sich für Teilzeit entscheiden. Das haben wir in dieser Form von der FDP heute gehört.

Auf der anderen Seite gibt es die Menschen, die sagen: Es geht längst nicht weit genug. Es müsste viel mehr gemacht werden. Es fehlt noch viel zu viel. Der Schritt ist zu kurz. Es fehlt auch noch ein Verbandsklagerecht. Die Diskussion kennen wir auch aus Hessen.

Von daher haben wir noch ein großes Spannungsfeld, wie der Gesetzentwurf am langen Ende aussehen wird.

Aber, meine Damen und Herren, wie auch immer er aussehen wird, er schickt ein wichtiges Signal. Dieses Signal heißt: Die Politik will künftig nicht mehr dulden, dass es diese Lohnungleichheit gibt. – Das befördert eine öffentliche Debatte darüber und ein Bewusstsein, dass es nicht sein kann und nicht sein darf, dass Frauen weniger als Männer verdienen. Dieses Bewusstsein ist fast wichtiger als ein Gesetz; denn man kann nicht alles verordnen und in Gesetze schreiben. Von daher ist es gut, dass es diesen Gesetzentwurf gibt und dass die Debatte darüber endlich stärker in den öffentlichen Raum getragen wird. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Frau Erfurth. – Das Wort hat der Sozialminister. Herr Minister Grüttner, bitte.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Frau Kollegin Erfurth sehr dankbar, dass sie diese Debatte in einen Gesamtkontext gestellt hat; denn es geht nicht nur um eine Entgeltgleichheit für Frauen und Männer bei der Wahrnehmung gleicher Tätigkeiten, sondern es geht insgesamt um die Verwirklichung von Chancengleichheit. Dies ist ein Thema, das für uns einen hohen Stellenwert hat.

Deswegen begrüßt die Landesregierung an dieser Stelle auch ausdrücklich die Einigung des Koalitionsausschusses der Bundesregierung für Eckpunkte zu einem Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit. Wir werden sehen, ob die Festlegung eines individuellen Auskunftsanspruches, die Regelung für Prüfverfahren und die Berichtspflichten einen Schritt in die richtige Richtung darstellen. Dazu wird die Evaluation des Gesetzes, die vorgesehen ist, einen entsprechenden Beitrag leisten.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir dann erst über genaue soziale Gerechtigkeit sprechen können, wenn alle Potenziale von Frauen und Männern sich in allen Bereichen des Lebens gleichermaßen entfalten können, also auch im Bereich einer gerechten und gleichen Entlohnung für beide Geschlechter.

Wir haben im Koalitionsvertrag 2014, der die Grundlage der Arbeit der Regierungsfraktionen und der Landesregierung ist, festgeschrieben: Wir wollen Initiativen ergreifen, damit gleicher Lohn für gleiche Arbeit Realität wird. – Auf diesem Weg sind wir ein großes Stück weitergekommen. Wir als Hessen haben beispielsweise gemeinsam mit dem Land Sachsen-Anhalt von September 2013 bis Juli 2015 den Vorsitz über eine länderoffene Arbeitsgruppe Entgeltgleichheit geführt, in der unter Beteiligung aller Bundesländer eine umfassende Bestandsaufnahme zu den Ursachen und für Korrekturen erarbeitet wird. Ich bin gespannt, ob die Bundesfrauenministerin die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe in ihren Gesetzentwurf übernimmt. Alle Länder haben dahintergestanden.

In der Folge haben wir im November 2014 eine internationale Konferenz mit Expertinnen und Experten aus Politik,

Justiz, Verwaltung und Wissenschaft in Fulda gehabt, um Lösungsansätze zur Entgeltgleichheit in anderen europäischen und auch in außereuropäischen Ländern zu diskutieren und daraus weitere Erkenntnisse für Umsetzungsstrategien der Entgeltgerechtigkeit in Deutschland zu gewinnen. Auch hier gibt es eine Reihe von guten Ergebnissen. Ich bin gespannt, ob möglicherweise auch diese Eingang in das Gesetz auf Bundesebene finden werden.

Zu unseren eigenen Strategien zählte zu diesem Zeitpunkt bereits die Arbeitsgemeinschaft Trialog Chancengleichheit Hessen, ein Zusammenschluss der Beauftragten für Chancengleichheit beider Rechtskreise, nämlich der Kommunen, der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, des Stabes Chancengleichheit am Arbeitsmarkt der Regionaldirektion Hessen und von Expertinnen und Experten aus dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration. Der Fokus liegt hier auf der Entwicklung praxisbezogener und umsetzbarer Maßnahmen und Projekte zur Existenzsicherung für Frauen.

Ich denke, Ihnen ist hinlänglich bekannt, dass das Land Hessen keine Gesetzgebungskompetenz zu der speziellen Thematik des geschlechtsspezifischen Lohngefälles besitzt. Trotzdem ist es wichtig – schon allein vor dem Hintergrund, dass die Chancengleichheit von Frauen und Männern, sich im Beruf verwirklichen können, zu den Grundpfeilern unseres Verständnisses einer demokratischen Gesellschaft zählt –, sich nicht alleine auf Akklamationen und fortlaufende Appelle an die Sozialpartner zu beschränken.

Aus diesem Grunde wurde unter Federführung des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration eine Strategie mit untergesetzlichen Maßnahmen entworfen, die zunächst bis 2018 terminiert ist: das Projekt Lohngerechtigkeit in Hessen. Das Projekt Lohngerechtigkeit in Hessen beinhaltet als Nukleus die Erstellung eines umfangreichen Entgeltatlasses für Hessen, in dem erstmals sämtliche hessischen Datenbestände zusammengeführt werden, die Entgeltgleichheit oder auch Entgeltungleichheit abbilden, und zwar nach Regionen, nach Geschlecht, nach Altersgruppen getrennt und im Spiegel von Wirtschaftszweigen, Berufsgruppen, Staatsangehörigkeit sowie dem Qualifikationsniveau. Das ist eine Voraussetzung dafür, eine zielgenaue Ausrichtung und Entwicklung untergesetzlicher Maßnahmen auf den Weg zu bekommen, die sich des Problems der Entgeltungleichheit annehmen.

Meine Damen und Herren, nach meinem Dafürhalten werden alle Bestrebungen um eine Entgeltgerechtigkeit von Frauen und Männern umso erfolgreicher sein, je besser es uns gelingt, sämtliche Beteiligten auf diesem sicherlich nicht ganz einfachen Weg mitzunehmen. Deshalb ist für uns die Einbindung der Tarifvertrags- und Sozialpartner ein ganz wesentlicher Bestandteil, da diese aufgrund der bestehenden Tarifautonomie eigenverantwortlich und ohne staatliche Einflussnahme das Tarifgefüge gestalten können.

Insofern laden wir auch diese zum Mitmachen ein. Ich denke, dass wir schon gute Schritte gegangen sind und weiterhin daran arbeiten werden, das gemeinsam formulierte Ziel zu erreichen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist Punkt 34 erledigt.

Ich rufe Punkt 35 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Erste Hochschule für an- gewandte Wissenschaften erhält Promotionsrecht – Hessen ist bundesweit Vorreiter) – Drucks. 19/3868 –

Es beginnt der Kollege Daniel May, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind uns besonders wichtig. Sie werden von uns deswegen auch besonders gefördert. Insbesondere im Bereich des Hochschulpaktes haben wir ein besonderes Wachstum mit ihnen vereinbart; denn sie sind die Orte, in denen die gerade stattfindende Bildungsexpansion gelingt. Sie sind die Orte, wo Bildungsaufstieg gelingt. Sie sind außerdem besonders gut darin, anwendungsbezogene Forschung zu betreiben.

Genau aus letztgenanntem Grund ist die erste Verleihung eines Promotionsrechts an eine Hochschule für angewandte Wissenschaften, früher Fachhochschule genannt, ein so wichtiger Schritt. Ich bin froh, dass Hessen an der Stelle ein bundesweit wahrgenommenes Ausrufungszeichen gesetzt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

In den letzten Jahren haben die Hochschulen für angewandte Wissenschaften ihre Forschungstätigkeit systematisch ausgeweitet. Lange vorbei sind die Zeiten, als die früheren Fachhochschulen nur für die Lehre zuständig waren. An den Hochschulen wird Forschung auf hohem Niveau betrieben.

Von daher war es nicht nachvollziehbar, warum es den wissenschaftlich starken Bereichen der Hochschulen für angewandte Wissenschaften bislang verwehrt blieb, ein eigenständiges Promotionsrecht zu haben, also ihren eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs ausbilden zu können.

Es kam zu absurden Situationen. Es gab an den Hochschulen Forschungsvorhaben. Es gab Drittmittel. Es gab den qualifizierten Absolventen. Aber die umliegenden Universitäten waren nicht bereit, ein kooperatives Promotionsverfahren durchzuführen.

Das heißt nicht, dass es nicht auch viele gelungene Kooperationen zwischen Hochschulen und Universitäten gegeben hat. Die soll es auch weiterhin geben. Das ist gar keine Frage.

Aber dieses teilweise unwürdige Klinkenputzen musste beendet werden. Weil wir der Auffassung waren und sind, dass die Forschungsleistung das Entscheidende sein sollte, haben wir im Hochschulgesetz verankert, dass eine vergleichbare oder bessere Forschungsleistung an einer Hochschule mit einem eigenständigen Promotionsrecht honoriert werden kann. In Fulda wird nun der Beweis angetreten, dass das geht. Diese Premiere ist wirklich ein Grund zur Freude.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin davon überzeugt, dass diese Entwicklung der Forschung an unseren Hochschulen für angewandte Wissenschaften unserem Land noch einmal einen besonderen Schub geben wird. Bei der Sozialen Arbeit wird es damit erstmals möglich sein, eigenständig wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden.

Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Ich war im Frühjahr auf einer Tagung der Fakultäten der Sozialen Arbeit in Deutschland. Alle schauen mit großem Interesse darauf, was die Hessen machen.

Auch für die Unternehmen in Hessen ist das Vorhaben sehr lohnenswert. Denn die Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind traditionell besonders gut darin, auch mit kleinen und mittleren Unternehmen Forschungsvorhaben durchzuführen. Insofern stärkt das eigenständige Promotionsrecht die Forschungsvorhaben in diesem Bereich. Es dient dem Wissenstransfer und wird den Standort Hessen insgesamt zukunftsfester machen.

Es ist natürlich auch für die Studierenden an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften von Vorteil. Denn das eigenständige Promotionsrecht eröffnet den Absolventen dort neue Perspektiven.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Jetzt geht es also richtig los. Die ersten eigenständigen Dissertationen können begonnen werden. Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften können den Unkenrufen aus der Opposition und aus den Universitäten mit exzellenten Arbeiten entgegentreten.

Wir haben volles Vertrauen dahin gehend, dass dieser Schritt von Erfolg gekrönt sein wird. Ich bin davon überzeugt, dass der Präsident der Hochschule in Fulda mit dem, was er am Montag gesagt hat, vollkommen recht hat. Ich zitiere Karim Khakzar:

Das eigenständige Promotionsrecht an den Hochschulen wird die Rahmenbedingungen für angewandte Forschung deutlich verbessern.

Er hat die Verleihung des eigenständigen Promotionsrechts am Montag als – Zitat – „historischen Tag“ bezeichnet. Ich kann mich dem nur anschließen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte noch einmal betonen: Es geht dabei nicht darum, den einen Hochschultyp gegen den anderen auszuspielen. Hochschulen für angewandte Wissenschaften sollen keine Universitäten werden. Vielmehr sollen sie ihr Profil behalten. Aber zu diesem Profil gehört für uns eben auch exzellente Forschung mit dazu. Von daher ist das Promotionsrecht wichtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)