Protokoll der Sitzung vom 02.04.2014

Eine Verständigung über eine gemeinsame Besetzung der Kommission wäre der bessere Weg. Im Übrigen, lassen Sie

mich auch das wiederholen: Ein Untersuchungsausschuss würde keine über die Ergebnisse des Bundestags-Untersuchungsausschusses hinausgehenden Erkenntnisse bringen können. Das ist in Berlin alles ausführlich bearbeitet worden.

Frau Kollegin Faeser, Sie hatten angekündigt, mit allen Fraktionen sprechen zu wollen, um doch eine gemeinsame Lösung finden zu können. Mein Appell ist: Lassen Sie uns das tun. Lassen Sie uns gemeinsam im Innenausschuss beraten, wie es weitergehen soll und wie es zu Lösungen kommen kann.

Egal, was zum Schluss dabei herauskommt, ob es vielleicht doch noch ein Untersuchungsausschuss wird, was ich für wenig sinnvoll halte, ob es ein Sonderausschuss wird oder eine Expertenkommission, die FDP-Fraktion wird den angestoßenen Prozess auf jeden Fall weiterhin konstruktiv begleiten. Wir werden uns entsprechend einbringen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Innenminister Peter Beuth.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zu Beginn sagen: Es ist nicht Aufgabe der Regierung, die Parlamentsfragen, ob ein Sonderausschuss gebildet wird oder nicht, zu kommentieren. Gleichwohl will ich Ihnen ganz kurz unterbreiten, was wir uns überlegt haben, um der schrecklichen Serie von Morden und Anschlägen mit einer eigenen Expertenkommission gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren, ich spreche die Sozialdemokraten ganz unmittelbar an: Es ist nicht Ihre Aufgabe, uns das Leben leicht zu machen. Wahrlich nicht, dafür ist Ihre Rolle hier im Parlament eine andere. Angesichts dieser furchtbaren Serie von Morden und Anschlägen, angesichts dieses schrecklichen NSU-Komplexes wäre es meiner Ansicht nach aber angezeigt gewesen, dass Sie uns Gelegenheit gegeben hätten, unsere Überlegungen zur Reife zu bringen, anstatt einen solchen Sonderausschuss vorzuschlagen – zumal Sie gewusst haben, dass wir solche Überlegungen hegen.

(Abg. Nancy Faeser (SPD): Koalitionsvertrag!)

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Sie sind über die Dinge, die wir uns vorgenommen haben, in Kenntnis gewesen.

(Nancy Faeser (SPD): Das ist echt dreist! Ein Anruf hätte genügt!)

Diese Dinge liegen nicht so weit weg von dem – –

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Sie haben mit Herrn Boddenberg doch über die Frage gesprochen.

(Nancy Faeser (SPD): Weil wir ihn angesprochen haben und nicht Sie uns! – Weiterer Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Seien Sie mir nicht böse, Sie haben mit dem Kollegen Boddenberg über diese Frage gesprochen.

Mit dem, was wir als Kommission hier vorschlagen, kommen wir Ihren Vorschlägen, die Sie im vergangenen Herbst gemacht haben, sehr entgegen. Frau Kollegin Faeser, in Ihrer Pressemitteilung vom 10. September vergangenen Jahres haben Sie gesagt:

„Wir erwarten, dass das Parlament von einer solchen Kommission über die Abläufe der Geschehnisse in Hessen informiert wird und Handlungsempfehlungen für die Zukunft erhält, …“

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Meine Damen und Herren, wir sind Ihnen mit dem, was wir hier vorschlagen, sehr weit entgegengekommen. Das sollten Sie auch zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist nicht sehr freundlich – das sage ich sehr zurückhaltend –, hier zu beklagen, es sei nichts passiert. Sie wissen es besser.

Natürlich hat auf der Bundesebene der Untersuchungsausschuss getagt. Es hat eine Bund-Länder-Kommission gegeben, und es hat in anderen Ländern Untersuchungsausschüsse und Kommissionen gegeben. In Hessen hat es eine Kanther-Kommission gegeben. Wir haben uns im vergangenen Jahr bereits mit dem Thema Verfassungsschutz beschäftigt.

(Nancy Faeser (SPD): Das stimmt doch gar nicht!)

Es ist nicht so, als würden wir vor dem Nichts stehen. Wir haben dafür gesorgt, dass wir uns mit den Fragen des Landesverfassungsschutzes und dessen Auswirkungen auseinandersetzen. Da wir seit dem 22. September vergangenen Jahres in diesem Parlament in einer Findungsphase waren – daran waren Sie selbst beteiligt –, ist es nicht zu verstehen, warum Sie uns das jetzt vorwerfen; das ist billig. Im letzten halben Jahr konnte dort in der Tat nichts entstehen.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Der Auftrag der Kommission soll nicht die parlamentarische und politische Aufbereitung sein. Das haben wir bereits erledigt. Es ist in den Redebeiträgen der Kollegen Frömmrich und Bellino und auch von Herrn Greilich deutlich geworden, dass der Untersuchungsausschuss in Berlin herausragende Arbeit geleistet hat. Auf 1.400 Seiten sind die Ergebnisse zusammengeschrieben worden. 100 Zeugen sind in 40 Sitzungen vernommen worden. Dort ist die Aufbereitung des NSU-Komplexes insgesamt geschehen.

Daran wollen wir anschließen. Wir wollen dazu kommen, dass das, was auf Bundesebene einvernehmlich in den Empfehlungen des Untersuchungsausschusses festgelegt worden ist, immerhin fast 50 Empfehlungen, für die konkrete Arbeit der Sicherheitsbehörden umgesetzt werden kann. Dafür wollen wir eine fachliche Diskussion und keine politische Auseinandersetzung.

Wir wollen eine fachliche Kommission zusammensetzen, die sich damit beschäftigt, damit – Herr Kollege Greilich, Sie haben es gesagt – am Ende das Parlament entscheidet, wie wir das Landesverfassungsschutzgesetz ändern oder wie wir an anderen Stellen Gesetze so anpassen, dass uns so eine schreckliche Geschichte wie dieser NSU-Komplex im Lande nie wieder passieren kann.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe es letzte Woche angekündigt, wir haben bereits so weit vorgearbeitet, dass wir in der Abstimmung über ein neues Landesverfassungsschutzgesetz sind. Wir werden diesen Entwurf nicht in den Gremienlauf bringen, weil wir der Auffassung sind, dass aus Respekt vor der Kommission nicht vorgegriffen werden soll. Wir wollen aber natürlich schon dokumentieren, dass wir unsere Arbeit geleistet haben. Wir wollen den Vorwürfen entgegentreten, die Sie leider geäußert haben, dass wir in den vergangenen Monaten und Jahren nichts geleistet hätten. Wir haben unsere Hausaufgaben in den Bereichen Verfassungsschutz, Polizei und Justiz bereits erledigt.

Wir wollen diese Fachkommission dafür nutzen, um zu schauen, was es noch gibt, was wir verbessern können. Wir haben ein Interesse an der Sache, weil diese schrecklichen Taten, die in diesem Land passiert sind, nie wieder passieren dürfen. Darauf müssen wir uns einstellen. Dafür braucht es eine fachliche Aufbereitung und keine parlamentarische politische Diskussion. Deswegen schlagen wir Ihnen eine solche Expertenkommission vor. Das ist ein kluger Weg, den Sie auch mitgehen können.

Dadurch, dass wir im politischen Streit darüber stehen, wie wir es machen, erleichtern Sie uns nicht die Arbeit, das ist nicht Ihr Auftrag. Man hätte darüber nachdenken können, angesichts des Komplexes, um den es hier geht und angesichts des Sachverhalts, der dieser ganzen Geschichte zugrunde liegt, ob man die parteipolitische Münze nicht hätte beiseitelegen können – ich persönlich hätte das für klug befunden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Schäfer-Gümbel, Fraktionsvorsitzender der SPD.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem kleinen Zitat beginnen: „Elf Jahre durften wir nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein.“ – Dies war einer der zentralen Sätze von Semiya Şimşek – der Tochter von Enver Şimşek, der als erstes Mordopfer des NSU bekannt wurde – anlässlich der zentralen Gedenkfeier im Konzerthaus in Berlin am 23. Februar 2012.

In Verantwortung vor den Opferfamilien wurden in vielen betroffenen Bundesländern Untersuchungsausschüsse im breiten politischen Konsens vereinbart, auch im Deutschen Bundestag, um eine öffentliche und transparente Aufarbeitung sowie Schlussfolgerungen für Konsequenzen aus den Ereignissen zu ziehen – eine Forderung, die in den vergangen Jahren auch in Hessen immer wieder von den – auch ehemaligen – Oppositionsfraktionen des Landtags BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN erhoben wurde.

Am heutigen Tage will ich sehr klar sagen, weil hier im Moment ein wenig der Eindruck entsteht, wir würden nur über Organisation reden, dass wir im Kern über zwei Themen sprechen: erstens über notwendige Aufarbeitung – dazu sagt die Koalition, das sei alles erledigt –, zweitens über

die Frage der Schlussfolgerungen. Hier aber besteht der Dissens, nicht bei der Organisationsform.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir haben diesen Sonderausschuss beantragt, weil er nur funktioniert, wenn er parteiübergreifend und im Konsens arbeitet. Nur dann und unter keinen anderen Umständen kann er funktionieren. Deswegen kann ich die Organisationshinweise, die hier verzweifelt gegeben werden, um dieser Debatte zu entgehen, mit Blick auf die Koalitionsräson nachvollziehen. In der Sache allerdings halte ich sie für unangemessen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen weiterhin, dass die Aufarbeitung parlamentarisch und öffentlich stattfindet. Wie gesagt: Ich kann nachvollziehen, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es aus Gründen der Koalitionsräson anders sieht. In der Sache gibt es da, glaube ich, gar nicht so viele Unterschiede.

Das eigentliche Problem aber liegt in den Reihen der Union. Darüber will ich offen sprechen; denn darüber sollten wir nicht hinwegreden. Die Sorge, die in Teilen der Union und insbesondere beim Ministerpräsidenten besteht – es hat bereits eine Rolle in Gesprächen gespielt, die eben schon Gegenstand waren –, ist, dass es hier wegen der ungeklärten Fragen in Hessen um einer Art Inszenierung und Verurteilung des Ministerpräsidenten geht.

Ihnen, Herr Boddenberg, Herr Wagner, und auch in Ihre Richtung, Herr Innenminister, sage ich das sehr offen: Wir haben dieses Thema in den letzten zwei Jahren sehr verantwortungsvoll bearbeitet. Ich sage Ihnen noch einmal ausdrücklich und öffentlich, dass wir kein Interesse an Inszenierungsdebatten bei diesem Thema haben – dafür ist uns dieses Thema zu wichtig und zu ernst.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Am Ende geht es genau um diese beiden zentralen Themen: Brauchen wir Aufarbeitung in Hessen, oder ist sie abgeschlossen? Meine Kollegin Nancy Faeser hat sehr kleinteilig und detailliert beschrieben, welche Fragen in Hessen nicht geklärt sind, weil bisher wesentliche Punkte in Hessen nicht Teil der Aufarbeitung waren. Ja, es stimmt, es gab vier Vertreter, die im Bundestags-Untersuchungsausschuss ausgesagt haben. Die Staatsanwaltschaft, weitere Teile der Polizei, des Landesamtes für Verfassungsschutz, des Landeskriminalamtes, haben bis heute überhaupt keine Rolle bei der Aufarbeitung gespielt. Diese Fragen wurden von Frau Kollegin Faeser eben noch einmal ausdrücklich und detailliert dargestellt. Aus unserer Sicht ist die Aufarbeitung, die notwendig ist, um richtige Konsequenzen jenseits der wertvollen Hinweise aus dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zu ziehen, nicht abgeschlossen. Genau darum geht es: Es geht um die notwendige Aufarbeitung, nicht um Inszenierung. Ich sage Ihnen: Machen Sie den Weg dafür frei, wenn es Ihnen nicht um die parteipolitische Münze, sondern um die Aufarbeitung geht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Zum Schluss will ich den Vorschlag des Kollegen Greilich aufnehmen. Ursprünglich hatten wir vor, diesen Antrag heute abstimmen zu lassen, weil genügend debattiert wurde. Wir nehmen den Vorschlag aber gern auf und sind bereit, unseren Antrag an den Ausschuss zu überweisen und

bis zur nächsten Sitzung des Landtags noch einmal den Versuch zu unternehmen, das zu beraten, was notwendigerweise an Aufarbeitung erforderlich ist, weil wir kein Interesse an parteipolitischem Kleinkrieg haben.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Frau Şimşek enden: