Protokoll der Sitzung vom 13.12.2016

men durch die Regelungen konterkariert werden. Die Anhörung hat deutlich gemacht, dass trägerorganisierte ambulant betreute Wohnformen kaum existieren, da sie unter das Gesetz fallen. Das kann doch eigentlich nicht unser Interesse sein. Denn das ist die Lebensform, die sich viele Menschen wünschen.

(Beifall der Abg. Heike Habermann (SPD))

Wo ist Frau Klaff-Isselmann? Ich würde sie gerne einmal etwas fragen. Sie hat ihren Gesetzentwurf als so flexibel beschrieben und gesagt, wir hätten nicht verstanden, dass das alles möglich ist, und zwar unter sechs und über sechs Personen. – Sie haben schön erklärt, was alles in dieser Gesetzgebung drinnen ist. Aber wenn doch alles so flexibel ist und wenn alles geprüft wird, warum gibt es dann diese trägerorganisierten ambulant betreuten Wohnformen nicht?

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Willi van Ooyen und Marjana Schott (DIE LINKE))

Da Sie mir die Antwort heute schuldig geblieben sind, könnten Sie mir das morgen erläutern. Der Herr Minister ist immer sehr gut informiert. Ich habe die Hoffnung, dass er das vielleicht für Sie übernehmen kann.

Uns ist es wichtig, trägerorganisierte ambulant betreute Wohnformen zu unterstützen. Wir möchten sie zunächst einmal aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausnehmen, um sie nicht länger zu behindern.

Langfristig sollte aber etwas anderes das Ziel sein. Frau Klaff-Isselmann, da stimme ich Ihnen voll zu. Es geht immer um die Qualität. Natürlich braucht man Mindeststandards. Aber man muss auch schauen, wie man was in der Praxis umsetzen kann. Deswegen sind wir dafür, dass man Vorgaben macht, die praxisrelevant sind und der Lebenswirklichkeit der Menschen entsprechen. Freilich müssen sie auch den qualitativen sowie den wissenschaftlichen Standards entsprechen.

(Beifall bei der SPD)

Als dritte Änderung wollen wir, dass der neue § 8 ersetzt wird, weil er sich uns nicht erschließt. Darüber hatten wir während der ersten Lesung schon ausführlich gesprochen. Statt solcher Maßnahmen bedarf es nach unserem Verständnis eines verantwortungsvollen Gesetzgebungsprozesses, der zum einen den Wunsch nach Selbstbestimmung und den Schutz der Menschen berücksichtigt, die von dieser Hilfe abhängig sind. Er soll aber auch die Wünsche und Bedürfnisse der zu Pflegenden und der Pflegekräfte als Ausgangspunkt nehmen.

Eine gute Pflege leistet genau das. Um gute Pflege, d. h. vom Menschen aus gedacht, zu gewährleisten, braucht es mehr Personal. Deswegen sprechen wir uns in unserem neuen § 8 erneut für einen gesetzlich definierten Personalpflegeschlüssel aus. So kann man zum einen die Sicherheit der Patienten und zum anderen eine gute und risikoarme Versorgung besser unterstützen.

Wir brauchen dringend verbindliche Vorgaben. Wir brauchen nicht Ihren § 8 mit freiheitsentziehenden Maßnahmen. Stattdessen müssen Verhältnisse geschaffen werden, die es den Pflegekräften ermöglichen, die ihnen anvertrauten Bewohnerinnen und Bewohner ordnungsgemäß und gut zu versorgen.

Nicht nur die hessische SPD, sondern auch der Ethikrat, der Pflege-Selbsthilfeverband, der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe sowie andere fordern einen gesetzlich de

finierten Personalschlüssel. Das habe ich schon während der ersten Lesung gesagt: Dass die Patientensicherheit und eine gute, risikoarme Versorgung mit der Pflegepersonalbemessung korreliert, bestreitet international niemand. Ich hoffe, dass Sie alle in diesem Hause das nicht bestreiten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man nicht ganz begreift, warum wir nicht müde werden, immer wieder genau diese Forderung einzubringen. Frau Klaff-Isselmann, denn es geht uns um das Wohl dieser Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Es fehlen diesbezüglich immer noch die Heimpersonalverordnung, die Heimmindestbauverordnung sowie die Heimmitwirkungsverordnung. Das ist nicht hinnehmbar. Das haben wir schon mehrmals erwähnt. Es ist aber auch nicht hinnehmbar, dass das im Gesetz aus dem Jahr 2012 verankerte Beschwerdetelefon bis heute noch nicht eingerichtet ist.

Herr Grüttner, Sie haben im Ausschuss versprochen, dass die Verordnungen zeitnah kommen werden. Wir werden das genau beobachten. Wir werden das im Auge behalten und Sie da beim Wort nehmen.

Einen letzten Aspekt möchte ich aufgreifen. In der Anhörung wurde auch die Ausdifferenzierung der Angebote gewünscht, um die Vielgestaltigkeit der Einrichtungen widerspiegeln zu können. Hier sehen wir uns in unseren Forderungen bestätigt. Das Gesetz wird hier hinter seinen Möglichkeiten zurückbleiben.

Sie verpassen es als Gesetzgeber leider, auf die verschiedenen Wohn- und Einrichtungsformen einzugehen. Herr Rock hat das ganz nett umschrieben. Sie registrieren die Entwicklungen nicht, die einfach vorhanden sind. Nach der jetzt durchgeführten Anhörung fühlen wir uns bestätigt und halten an unseren Forderungen fest. Wir brauchen nämlich praktikable Rahmenbedingungen für die Träger sowie verbesserte Arbeitsbedingungen für die in der Pflege Tätigen. Wir brauchen Wohn- und Versorgungsformen, die den Vorstellungen der älteren Generation entsprechen.

Mit unserem Änderungsantrag wollen wir die schlimmsten Mängel beseitigen. Wir beantragen die dritte Lesung und hoffen auf eine konstruktive Beratung unseres Änderungsantrags im Sinne guter Rahmenbedingungen in der Pflege und für die Pflege sowie für mehr Patientensicherheit. Frau Klaff-Isselmann, ich hoffe, dass wir da an einem Strang ziehen. Denn es geht dabei um das Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das Wort hat Herr Abg. Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Hessische Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen soll die Interessen der älteren oder pflegebedürftigen Menschen schützen. Es läuft zum 31.12.2016 aus. Die Evaluation hat im Wesentlichen ergeben, dass sich das Gesetz so bewährt hat.

Die Landesregierung hat 102 Organisationen angehört. Es gab tatsächlich auch Anmerkungen. Mit diesen Anmerkungen und Vorschlägen wurde sich kritisch auseinandergesetzt. Vieles wurde in diesem Raum schon besprochen. Zwei Dinge möchte ich noch einmal nennen.

Zu Thema Gewaltprävention wird es noch einmal deutliche Verbesserungen geben. Auch beim Bürokratieabbau wird dieses Gesetz helfen.

Es geht auch um freiheitsentziehende Maßnahmen. Das ist eines der ganz großen Themen, das Frau Schott schon während der ersten Lesung eingebracht hat. Dazu wurde auch noch einmal klar gesagt, dass es sich bei freiheitsentziehenden Maßnahmen um die Ultima Ratio handelt.

Wir haben auch damals schon gesagt, dass wir auf Bundesebene klarere Regelungen erzielen wollen. Das betrifft § 1906 Bürgerliches Gesetzbuch, in dem es darum geht, wie Menschen tatsächlich gegen ihren Willen untergebracht werden können. Wir haben auch damals schon gesagt, dass es freiheitsentziehende Maßnahmen nicht nur in der Psychiatrie und im Krankenhaus gibt, sondern auch in Altenpflegeheimen oder insgesamt in Heimen, und dass es da dringend einer verbesserten bundesgesetzlichen Regelung bedarf. Denn das, was wir mit dem hessischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz vorschlagen, wird bundesweit ein hoher Standard sein. Das wünsche ich mir auch in allen Altenpflegeheimen.

Das können wir leider in Hessen nicht selbst regeln. Aber das fordern wir. Vielleicht kommen wir nach der Bundestagswahl dort einen Schritt weiter. Es würde dann deutliche Verbesserungen geben.

Eine große und umstrittene Frage betrifft das betreute Wohnen. Frau Dr. Sommer, das haben Sie angesprochen. Ich gebe ganz offen zu: Als ich die ersten Stellungnahmen, diesen Hagel der einzelnen Organisationen zur Kenntnis genommen haben – das kam von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege und von anderen Verbänden –, bin auch ich ins Nachdenken gekommen und habe gefragt: Was machen wir denn da eigentlich falsch?

Wir haben uns mit diesem Thema sehr intensiv auseinandergesetzt. Wir machen da nämlich gar nichts falsch.

(Lachen des Abg. Timon Gremmels (SPD) – Günter Rudolph (SPD): Wieso habe ich das jetzt erwartet?)

Herr Rudolph, versuchen Sie einfach einmal, sich auf das Thema einzulassen. Es geht um die Frage – –

(Zurufe des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Herr Rudolph, lassen Sie uns doch die Menschen in diesem Saal hinsichtlich der Frage mitnehmen, worum es geht. Es geht um die Frage, ob bei sogenannten ambulant betreuten Wohnformen, also bei den Wohneinrichtungen, bei denen – –

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Lieber Herr Grüttner, Sie können nachher an das Pult! – Minister Stefan Grüttner, zu Abg. Günter Rudolph (SPD) gewandt: So lange, wie ich will!)

Herr Kollege Bocklet, einen Augenblick. Herr Bocklet, ich will für Sie nur die absolute Stille herbeiführen, indem ich

dem Herrn Kollegen Minister und Herrn Rudolph sage, sie sollen bitte aufhören, sich zu unterhalten.

Ist es heute schon möglich, solche ambulanten Formen durchzuführen? – Das ist Frage eins. Das ist es. Widersprechen Sie dem? § 12 des Hessischen Gesetzes über die Betreuungs- und Pflegeleistungen besagt:

Die zuständige Behörde kann auf Antrag die Betreiberin oder den Betreiber von Anforderungen … aufgrund dieses Gesetzes … befreien, insbesondere wenn … dies im Sinne der Erprobung neuer Betreuungs- oder Wohnformen geboten erscheint, … oder die Konzeption sie nicht erforderlich macht …

Es ist möglich.

(Zuruf der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD))

Frau Dr. Sommer, ich verstehe Sie nur schwer. Folgen Sie doch meinen Gedanken. – Es ist also möglich.

Wir nehmen dann zweitens zur Kenntnis, dass in den Bundesländern Berlin und Bremen

(Zuruf der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD))

Frau Dr. Sommer, es lohnt sich, zuzuhören –, wo es keine regelhaften abgestuften Anforderungen gibt, die größte Anzahl – ebenso wie übrigens in Hessen – von ambulant betreuten Wohnformen zu finden ist. Es bedarf also in diesen beiden Bundesländern vorzeigbar keiner expliziten Regelung.

Jetzt fragen sich viele, warum sich die Träger so vehement dafür einsetzen. Ich möchte Ihnen sagen, warum: Das ist keine heimordnungsrechtliche Frage, sondern es ist eine Frage von Qualitätsstandards. Ich bin einmal sehr gespannt darauf, ob Sie die Frage anders beantworten als ich. Ob in einem Haus 12, 24 oder 36 schwerst schutzbedürftige Menschen liegen, macht überhaupt keinen Unterschied. Diese 12 oder 24 Menschen brauchen denselben Brandschutz. Sie brauchen denselben hohen Standard von Pflege und Betreuung. Diese Standards wollen die Ligen absenken, weil es wirtschaftliche Gründe dafür gibt. Das klingt aus Sicht der Träger deshalb relativ schlicht und verständlich. Aber es macht keinen Unterschied, ob mein pflegebedürftiger Vater – er ist schwerst pflegebedürftig – beispielsweise in einer Einrichtung mit neun oder mit 36 Menschen untergebracht ist. Es muss auch da nachgesehen werden, dass es nicht brennt. Es braucht auch da eine Nachtwache. Es braucht da dieselben Standards. Diese Standards sollen abgesenkt werden. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage mich: Was ist da fortschrittlicher? Ich finde, dass Hessen da fortschrittlicher ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Deswegen klang das im ersten Augenblick so unglaublich viel besser, wenn man sagt: Ermöglichen Sie doch einmal ambulant betreute Wohnformen. – Erstens. Sie sind möglich. Sie bedürfen nur einer Ausnahmegenehmigung, weil es nämlich darauf ankommt, welche Menschen mit welchem Betreuungsgrad dort betreut werden: Sind das Menschen mit Demenz? Sind sie schwerst schutzbedürftig, oder haben sie nur eine leichte Behinderung und brauchen unter Umständen ein ganz leichtes Konzept mit wenigen

Qualitätsstandards? Das muss man dann aber mit einer Konzeption und pro Einzelfall prüfen.

Deswegen ist es auch richtig, wie es dieses Gesetz regelt. Wir können diese Qualitätsstandards nicht flächendeckend per se absenken, weil das dann unter Umständen dazu führen würde, dass in einer Einrichtung mit neun Menschen andere Standards gelten als in einer Einrichtung mit 25. Das erschließt sich mir nicht, außer aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Ich frage Sie: Wollen Sie das Geschäft der Träger machen oder das Geschäft derjenigen, die auf die Pflegebedürftigen achten? Meine sehr verehrte Damen und Herren, aus Sicht der Pflegebedürftigen ist es wichtiger, darauf zu achten, dass sie die bestmögliche Betreuung und Pflege bekommen, und nicht, dass aus betriebswirtschaftlichen Gründen Qualitätsstandards abgesenkt werden, nur weil das gerade populär ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Der zweite Blick ist manchmal etwas erhellend.