Protokoll der Sitzung vom 14.12.2016

Hinzu kommt, dass die zurückgeschobenen Menschen in den afghanischen Winter und in die Obdachlosigkeit geschickt werden. Dass Menschen und auch Kinder in Flüchtlingslagern erfrieren, solche Nachrichten erreichen uns immer wieder. Sowieso stellt die Abschiebung von Kindern eine besondere Härte dar. Doch nur selten werden bei Abschiebungen das Kindeswohl und die seelische Gesundheit von Kindern beachtet. Zu diesem Ergebnis kommt die UNICEF-Studie „Stilles Leid“.

Man muss doch fragen: Gelten für afghanische Kinder keine Kinderrechte? Deshalb: Hessen muss jetzt seine Handlungsspielräume nutzen und Abschiebungen zumindest für die drei Wintermonate aussetzen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Das ist rechtlich auch möglich und humanitär geboten. Natürlich wissen wir, dass zentrale Entscheidungen auf dem Gebiet der Asylpolitik in Berlin getroffen werden und die Möglichkeiten der Länder, darauf Einfluss zu nehmen, begrenzt sind. Gleichwohl sind Handlungsspielräume vorhanden.

Die Landesregierung kann, wenn sie denn möchte, Abschiebungen für drei Monate aussetzen. Diese Möglichkeit wird ihr durch das Aufenthaltsgesetz eingeräumt. Sie kann auch im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium Geflüchteten humanitäre Aufenthaltstitel gewähren.

Es sind die Länder, auf die Bundesinnenminister Thomas de Maizière angewiesen ist, um seine Politik der Massenabschiebungen umzusetzen. Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Thüringen etwa beteiligen sich nicht an den Abschiebungen nach Afghanistan.

Meine Damen und Herren, ein solches Signal wünschen wir uns auch von Hessen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Ich höre leider auch von den Damen und Herren der GRÜNEN in der Landesregierung nichts in Sachen Humanität. Während das Geschrei der GRÜNEN nach Menschenrechten sehr groß ist, wenn es darum geht, Militäreinsätze der Bundeswehr zu legitimieren, ist das Leben afghanischer Flüchtlinge offensichtlich zweitrangig. Oder wie soll ich das verstehen?

Meine Damen und Herren von GRÜNEN und CDU, in Ihrem heutigen Dringlichen Entschließungsantrag behaupten Sie, jeder Einzelfall würde „sorgfältig und sensibel“ geprüft, die rechtlichen Hindernisse würden abgewogen. Dabei ist bekannt geworden, dass nicht bei allen Menschen, die ab heute abgeschoben werden sollen, das Verfahren rechtlich abgeschlossen ist. Da ist sie wieder, die Mär von den sogenannten humanen bzw. sorgfältigen Einzelfallprüfungen durch die Ausländerbehörden. Das führen Vertreterinnen und Vertreter der Regierungsfraktionen immer an, wenn wir für bestimmte Zielländer oder für bestimmte Personengruppen einen generellen Abschiebestopp fordern. Da behauptet z. B. der Kollege Markus Bocklet, es sei nicht notwendig, Abschiebungen generell auszusetzen, weil Ausländerbehörden mögliche Härtesituationen im Zielland ohnehin berücksichtigten.

Da möchte ich eines klarstellen: Ziellandbezogene Abschiebungshindernisse, etwa eine drohende Obdachlosigkeit, können nach rechtskräftigen Abschiebungsentscheidungen des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration durch die Ausländerbehörden nicht mehr berücksichtigt werden. Nach einer unanfechtbaren Entscheidung des BAMF verbleibt als einzige Möglichkeit, um Menschen vor besonderen Härtesituationen im Zielland zu bewahren, die Anordnung eines Abschiebestopps durch die Landesregierung.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Hören Sie also auf, Nebelkerzen zu werfen. Drücken Sie sich nicht vor Ihrer humanitären Verantwortung. Setzen Sie endlich Humanität und Menschenrechte in den Mittelpunkt hessischer Flüchtlingspolitik.

Meine Damen und Herren, diese inhumane Politik hat noch einen anderen Aspekt als den der Nächstenliebe. Diese Politik befördert den Rassismus und spaltet die Gesellschaft.

Frau Kollegin Faulhaber, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme gleich zum Schluss. – Sie ist ein Beitrag zur moralischen Verrohung der Gesellschaft. Es werden noch mehr Flüchtlingsheime brennen, und es wird letztlich auch der CDU nichts nützen, wenn sie nach rechts rückt. Wer die Positionen von AfD und Pegida und anderen Hasspredigern kopiert, macht die Rechtsextremen nur noch stärker. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Vielen Dank, Kollegin Faulhaber. – Ich weise Sie darauf hin, dass der Ausdruck „Deportationen“ nicht parlamentarisch war, und ich fordere Sie auf, ihn nicht mehr zu verwenden.

Ich habe zunächst eine Meldung zur Geschäftsordnung. Herr Bellino.

Frau Präsidentin, ich hatte mich deswegen gemeldet: „Deportationen“ – es ist meines Erachtens unerträglich, diesen Begriff zu verwenden. Sie haben es als unparlamentarisch bezeichnet. Vielleicht kann die Kollegin sich entschuldigen. Dann wäre es erledigt.

Gut, Herr Bellino. – Ich habe jetzt noch eine Wortmeldung für eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Merz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Faulhaber, niemand in diesem Saal freut sich, wenn Menschen abgeschoben werden,

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

und schon gar niemand in der SPD-Fraktion. Das haben wir in vielen Debatten in diesem Landtag immer wieder zum Ausdruck gebracht. Schon gar niemand – das bringt auch unser jetzt eingereichter Antrag zum Ausdruck –, jedenfalls in unserer Fraktion, befürwortet Abschiebungen nach Afghanistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Aber was nicht geht, ist: Abschiebungen, denen immer ein gesetzliches Verfahren vorausgeht mit der Möglichkeit der

gerichtlichen Auseinandersetzung, mit der anschließenden Möglichkeit, eine Petition bei den zuständigen Landtagen oder beim Bundestag einzureichen, mit der Möglichkeit, in Hessen anschließend an die Petition ein Härtefallverfahren zu durchlaufen, solche Abschiebungen, die – wie gesagt – niemand von uns mag, mit dem Begriff der Deportation zu belegen. Das geht nicht.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Liebe Kollegin, eine Fraktion, die sich so viel auf ihr antifaschistisches Bewusstsein zugutehält, muss wissen, wofür der Begriff der Deportation in der jüngeren Geschichte steht,

(Horst Klee (CDU): So sieht es aus!)

nämlich für die unterschiedslosen, illegalen, unmenschlichen, millionenfach durchgeführten Deportationen von Menschen aus antisemitischen oder anderen rassistischen Gründen. Wir haben in diesem Landtag auch über die Frage des Völkermords an den Armeniern geredet. Auch in diesem Zusammenhang ist es völlig legitim, von Deportationen zu reden.

Aber diesen Begriff mit dieser historischen Erfahrung im Kopf auf diesen Sachverhalt, von dem heute zu reden ist, anzuwenden, das ist historisch unzulässig und politisch schäbig.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Kollegin Faulhaber, Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es freut mich, dass Sie zu solchen Emotionen in diesem Zusammenhang fähig sind. Das spricht für Sie.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Was ist das für eine Unverschämtheit? – Weitere Zurufe von der CDU und der SPD)

Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass diese Abschiebungen rechtliche Grundlagen verletzen. Es kann nicht sein, dass Menschen abgeschoben werden, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(Zuruf von der SPD: Das gibt es doch gar nicht!)

Es kann nicht sein, dass Menschen in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden. Es kann nicht sein, dass Menschen in eine Zukunft abgeschoben werden, die eventuell ihren sicheren Tod bedeutet. Da können Sie sich nicht wegducken, und das kann man auch nicht durch Begriffsdiskussionen von der Tagesordnung bringen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Hier duckt sich niemand weg! – Armin Schwarz (CDU): Schämen Sie sich! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist unfassbar! – Horst Klee (CDU): Nichts verstanden! – Weitere lebhafte Zurufe)

Kolleginnen und Kollegen, als Nächste hat Kollegin Wallmann für die CDU-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich ganz herzlich Herrn Abg. Merz für seine Worte danken. Ich glaube, er hat uns allen aus dem Herzen gesprochen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich muss gestehen, wir haben heute sowieso ein sehr emotionales Thema miteinander zu besprechen. Aber das, was eben abgelaufen ist, erregt uns alle in einer besonderen Art und Weise. Auch wenn ich jetzt gerügt werde: Frau Faulhaber, Sie müssen sich für die Rede, die Sie eben gehalten haben, für die Worte, die Sie gewählt haben, wirklich schämen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die Rückführung abgelehnter Asylbewerber – das lasse ich mir von Ihnen, Frau Faulhaber, nicht absprechen; das lässt sich keiner von uns absprechen – ist ein Thema, das uns alle bewegt, das Menschen im Landtag bewegt, das Menschen außerhalb des Landtags bewegt.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Es gibt Verfahren, die sind nicht abgeschlossen!)

Herr van Ooyen, lassen Sie mich bitte ausreden. – Das ist ein Thema, das uns alle miteinander bewegt, auch mich persönlich. Ich finde, es kommt bei der heutigen Debatte auch sehr auf die Wortwahl an. Es ist ein Thema, bei dem wir uns immer in einem Spannungsfeld bewegen – deswegen in einem Spannungsfeld, weil wir auf der einen Seite über ganz konkrete Menschen sprechen, über Einzelschicksale von Menschen, deren Hoffnungen enttäuscht worden sind, von Menschen, die ihr Heimatland in der Hoffnung verlassen haben, in Deutschland eine neue Heimat zu finden, die womöglich Haus und Hof verkauft haben, die womöglich auch kriminellen Schlepperbanden in die Fänge gegangen sind und deren Anträge abgelehnt worden sind.

Dann kommen wir zu der anderen Seite, um die es geht, nämlich dass Gesetze angewandt und durchgesetzt werden müssen. Es handelt sich hierbei um Bundesgesetze. Ich mache keinen Hehl daraus, dass die CDU-Fraktion die geltende Rechtslage, dass abgelehnte Asylbewerber das Land wieder verlassen müssen, für richtig und notwendig erachtet.

Die Alternative würde nämlich bedeuten, dass Menschen, die unabhängig von ihrem Schutzstatus hierherkommen, immer hierbleiben könnten. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Das kann eine Gesellschaft auf Dauer nicht aushalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Wieso das denn?)

Daher steht für uns fest: Die Solidarität mit den Verfolgten, die unseres Schutzes bedürfen, und die Rückführung derer, die kein Bleiberecht haben, sind zwei Seiten einer Medaille.