Protokoll der Sitzung vom 14.12.2016

Wir könnten über den öffentlichen Personennahverkehr reden – natürlich nicht nur ein grünes, aber allen voran auch ein grünes Anliegen, bei dem man uns aber gar nicht treiben muss und bei dem wir uns darüber freuen, dass wir nach dem mittelfristigen Finanzplan der nächsten fünf Jahre 24 % mehr Geld für den öffentlichen Personennahverkehr ausgeben. Das führt übrigens dazu – ich hatte es eben in der Post, das finde ich ganz nett –, dass sich der NVV freundlich bei uns dafür bedankt, dass es in diesem Jahr gelungen ist, eine solche Planungssicherheit und ein solches Plus in den ÖPNV zu investieren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte noch über viele andere Bereiche der Landespolitik reden. Der Kollege Wagner wird in seinen zehn Minuten sicherlich noch etwas intensiver auf diese Punkte eingehen. Aber nehmen Sie das Sozialbudget: Wir haben 2005 eine große Operation gehabt, die viel kritisiert worden ist und zu der ich auch sage, dass man über das eine oder andere Seinerzeitige streiten kann. Wir haben heute ein Sozialbudget, in dem wir aber an vielen Stellen genau das machen, was hier im Landtag wohl Konsens ist, nämlich ein Sozialbudget, mit dem wir uns um Gruppen dieser Gesellschaft kümmern, um die wir uns auch kümmern müssen – von Frauenhäusern über Drogenberatungsstellen bis hin zu Schutzambulanzen oder Maßnahmen gegen Dis

kriminierung und Ausgrenzung von Minderheiten. Das ist ein wichtiger Aspekt, der in allen Facetten unserer Gesellschaft, analog wie digital, zunehmend zur Herausforderung wird.

Meine Damen und Herren, auch das kann man kritisieren, und möglicherweise ist es aus Ihrer Sicht immer noch zu wenig. Aber wir tun dort das, was, wie ich glaube, vor dem Hintergrund geboten ist – das ist meine letzte Bemerkung –, dass wir weiterhin Gestaltungsspielräume für die Zukunft brauchen werden.

Deswegen komme ich noch einmal zu einem zentralen Punkt dieser Landespolitik der von CDU und GRÜNEN geführten Landesregierung und Koalition, nämlich zu der Tatsache, dass wir für die nächste und die folgenden Generationen Kräfte sammeln müssen, weil die Herausforderungen nicht weniger werden – da bin ich ja bei Ihnen. Die wiederum werden wir nur sammeln können, wenn es uns gelingt, dass wir finanzielle Spielräume haben. Diese erreichen wir nur, wenn wir uns alle miteinander hinter dem, was wir in die Verfassung geschrieben haben, versammeln – und zwar unzweifelhaft versammeln – und bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wenn jemand eine kluge Idee hat, was man auch noch machen könnte, immer auch dazusagen, wie wir es finanzieren wollen, weil wir endlich dahin kommen müssen – und wir kommen dahin, nicht nur nach unseren Planungen der Haushaltsjahre bis 2020, sondern auch nachweislich mit Blick auf den Konsolidierungspfad in den letzten Jahren –, endlich dafür zu sorgen, nicht mehr Geld auszugeben, als wir einnehmen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist und bleibt eine zentrale Botschaft. Ja, die eignet sich möglicherweise nicht für Wahlplakate. Wenn Sie es mit „Schuldenbremse“ beschreiben, hört es sich sehr technokratisch und kalt an. Dahinter steckt aber sehr viel mehr, nämlich die Idee, diesem Land weiterhin Gestaltungsspielräume und Zukunft zu geben, ebenso Chancen für Jüngere, gleichzeitig aber auch denjenigen, die heute Betroffene sind und unsere Unterstützung brauchen, diese Hilfe zu gewähren.

Insofern glaube ich, dass es ein übliches Ritual in Landtagen und Parlamenten ist, dass die Opposition auch mal mit einer großen Idee kommt. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten ein bisschen mehr zu Papier gebracht, worüber wir heute hätten streiten können, aber sei es drum. Wir sollten es zukünftig vielleicht auch lassen, uns wechselseitig über die Form wie auch die Quantität und Qualität von Anträgen – Qualität von mir aus – oder darüber, ob wir vier Seiten und Sie eine Seite schreiben, zu unterhalten. Ich glaube, das ist nicht ganz der angemessene Stil, in dem wir uns auseinandersetzen sollten.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Ich lade Sie dazu ein, in diesem Plenum weiter über die richtigen Wege auf allen Politikfeldern dieses Landes zu diskutieren und zu streiten. Das werden wir weiterhin tun, und wir schauen am Ende dieses Jahres mit Zuversicht nach vorne. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Rock für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Boddenberg, ich muss sagen, ich zweifle ein bisschen an Ihrer Lesekompetenz, wenn ich Ihre Rede hier verfolge.

(Zurufe von der CDU)

Aber da ich die Einschätzung habe, dass es politische Absicht war, dass Sie den Inhalt des SPD-Antrags vorsätzlich falsch verstanden haben, um hier eine solche Rede zu halten, möchte ich das ein bisschen relativieren. Ich finde es nur schade, wenn hier Themen gesetzt werden, und man redet einfach nicht zu dem Thema. Das ist auch keine Debattenkultur.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Als ich den SPD-Antrag gesehen und in der Überschrift das Wort „Plan“ gelesen habe, können Sie sich die liberalen Reflexe vorstellen, aufgrund derer wir sofort sagen wollten, dass es abzulehnen sei. Aber wenn man den Antrag weiterliest, versteht man, dass es sich um eine Sprache handelt, die einige Jahrzehnte alt ist.

Heute würde man sagen: Wir brauchen eine Hessen-Agenda 2020. – Das Wort „Agenda“ ist für die SPD natürlich ein Begriff, mit dem sie sich nicht mehr total identifiziert.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, es ist aber richtig, dass Sie diesen Vorschlag gemacht haben. Wir werden die Debatte über eine Hessen-Agenda führen. Wir werden sie leider erst in eindreiviertel Jahren, im Wahlkampf, führen, weil zu erkennen war, dass wir diese Debatte auf parlamentarischer Ebene nicht miteinander führen. Wir werden sie deshalb im Wahlkampf in Konkurrenz zueinander führen.

Ich möchte aber doch noch deutlich machen, warum ich und meine Fraktion es so wichtig finden, diese Themen hier auf den Tisch zu bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, dass Sie den Antrag nicht verstehen wollen, kann man politisch vielleicht nachvollziehen. Es gibt aber kaum eine Fraktion, kaum eine Partei in Deutschland – in Hessen ist das ja noch zugespitzt der Fall –, die das Regieren so zum Selbstzweck erhoben hat, wie Sie von der Union das getan haben. Das Regieren ist für Sie schon an sich ein politisches Ziel. Das ist aus meiner Sicht einfach zu wenig.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Die Minister im Kabinett haben zwar ein Mandat, aber für sie gilt das Gleiche wie für den Ministerpräsidenten: Er ist gefühlt 20 Jahre in Regierungsverantwortung, als Staatssekretär, als Minister und als Ministerpräsident. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass er mittlerweile Teil der Bürokratie geworden ist und sein Amt wie ein Verwalter und nicht mehr wie ein Gestalter ausübt. Hessen hat das große Problem, dass die Regierung nur noch verwaltet und nicht mehr gestaltet. Darum ist der Antrag der SPD-Fraktion so wichtig.

(Beifall bei der FDP und der SPD – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Den Beweis, dass diese Aussage richtig ist, kann man an jedem Plenardienstag bewundern. „Höhepunkt“ jedes Plenardienstags ist eine Buchhalterrede, die wir hier vorgetragen bekommen, die an Langweiligkeit und Perspektivlosigkeit nicht mehr zu überbieten ist. Das ist Ausdruck Ihrer politischen Kultur.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Wenn ich mir vorstelle, dass wir bei der nächsten Bundestagswahl Frau Merkel nach 16 Jahren Amtszeit wiedergewählt bekommen – die Wahrscheinlichkeit ist ja extrem hoch –, dann möge sich der Wähler doch noch einmal überlegen, ob er in Hessen für weitere fünf Jahre eine Regierung Bouffier haben möchte. Was soll denn dann folgen? Das wären weitere fünf Jahre Stillstand, wenn es gut geht; aber die Wahrscheinlichkeit, dass es fünf Jahre Rückschritt werden, ist enorm hoch. Darum ist es wichtig, dass sich das Parlament selbstständig mit einer Hessen-Agenda 2010 beschäftigt. Die Regierung hat dieses Thema bereits abgehakt.

(Minister Axel Wintermeyer: 2010 ist vorbei!)

Agenda 2020, vielen Dank. Die Regierung passt auf. Das kann man an der Stelle nicht genug würdigen.

Ich will jetzt zu den Inhalten kommen; denn die grundsätzlichen Dinge habe ich schon dargestellt. Ich nehme nur einen Punkt heraus; denn wenn ich alle Säulen Ihrer politischen Aktionen beleuchten wollte, würde eine Stunde Redezeit nicht reichen. Ich habe nur noch knapp sechs Minuten Redezeit; deshalb muss ich mich auf ein Thema konzentrieren.

Eine Kleinigkeit möchte ich meinen beiden Vorrednern mit auf den Weg geben. Sie haben sich sehr ausführlich der Flüchtlingspolitik gewidmet. Auch der Landtag hat sich sehr ausführlich der Flüchtlingspolitik gewidmet. Es sind einige Zehntausend Menschen zu uns gekommen. Um die müssen wir uns kümmern. Das ist ein Thema, das wir hoch und runter diskutiert haben. Wir haben 6 Millionen Menschen in Hessen. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, dass das im Fokus einer Hessen-Agenda 2020 steht. Deshalb ist auch für mich das zentrale Thema die Wirtschaftspolitik, wie das für einen Liberalen eigentlich selbstverständlich ist.

(Beifall bei der FDP)

Als ich in den letzten Tagen in die Zeitungen geschaut habe, habe ich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 9. Dezember einen Artikel gefunden, in dem ich lesen konnte: „Wieder weniger Aufträge – Hessens Industrie verliert gegen den Bundestrend“. Ich lese auch das Vorwort vor, weil die Kollegen der Union in ihrer Wirtschaftskompetenz ein bisschen nachgelassen haben. Es heißt weiter:

Die Entwicklung der Auftragseingänge in der Industrie ist eine Kennzahl, die Ökonomen als wichtigen Frühindikator werten. Sie gibt einen Anhaltspunkt dafür, wie sich die Wirtschaft in der nächsten Zeit entwickeln wird. Was das angeht, hat das Statistische Landesamt Hessen nicht wirklich optimistische Zahlen ermittelt. Abermals hat die hessische Industrie im Oktober weniger Aufträge als im Vergleichs

monat des Vorjahres verzeichnet. Preisbereinigt ergibt sich ein Minus von 2,2 %. Insgesamt wurden für elf der vergangenen zwölf Monate teils erhebliche Rückgänge der Aufträge gemeldet...

Zum Abschluss stellt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ fest:

Damit unterscheidet sich die Lage der hessischen Industrie deutlich von der gesamtdeutschen Entwicklung...

Das ist die Entwicklung, wie sie sich in der Wirtschaft abbildet. Nach drei Jahren dieser Regierung können wir feststellen, dass Hessen wirtschaftlich zurückfällt. Das ist ein Warnsignal.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist beängstigend, wenn der Vorsitzende der Mehrheitsfraktion hier sagt, es sei alles in Ordnung. Sie haben nicht einmal mehr die Fähigkeit, die Probleme zu erkennen, sich den Problemen zuzuwenden. Die Probleme liegen auf der Hand; wir haben über sie diskutiert. Eines der Probleme ist: Wir haben keinen Wirtschaftsminister in diesem Land mehr. Wir bräuchten einen, dringender denn je. Hessen hat keine Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik und zur Infrastrukturpolitik abgegeben. Das ist doch verrückt.

(Zurufe von der CDU)

Hessen ist das Transitland Nummer eins, und wir kümmern uns nicht um den Ausbau unserer Infrastruktur.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Hessen steht im Stau: der teils subtile Kampf – meistens ist er gar nicht mehr subtil – gegen den Frankfurter Flughafen, die Steine, die man K+S in den Weg legt, die Mängel in der Energiepolitik, das Zurückfallen beim Thema Startups. Man könnte eine ganze Liste aufmachen. In der Wirtschaft wird aber das Geld erwirtschaftet, das wir für die Bildungspolitik und die Sozialpolitik einsetzen können. Die Entwicklung ist ein Warnsignal, und wir müssen uns dem stellen. Darum wäre eine Anhörung das, was wir in Hessen wirklich bräuchten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben strukturelle Themen angesprochen, die nicht von der Hand zu weisen sind: die Überalterung der Gesellschaft, das Stadt-Land-Gefälle, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, die gesellschaftlichen Herausforderungen und das Thema Digitalisierung, das unser Land verändern wird. Diese Themen sind virulent. Es sind aber keine Bedrohungsthemen, sondern Herausforderungen. Das muss man positiv sehen. Sie von den Regierungsfraktionen sehen diese Fragestellungen aber nicht einmal unter vernünftigen Blickwinkeln. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns dem Thema Agenda 2020 zuwenden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich will es einmal am Thema Wohnraum darstellen. Wir haben ganz viele Menschen, die Wohnungen brauchen, vor allem bezahlbaren Wohnraum. Wir haben eine Industrie, die gerne Wohnungen bauen würde. Wir haben eine Menge Kapital, das man gern in Immobilien investieren würde. Aber das funktioniert nicht, weil die Politik den Markt nicht machen lässt, sondern alles tut, um die Mechanismen des Marktes zu behindern, der dieses Problem gerne lösen würde. Die Politik steht der Lösung aber im Weg. Das muss aufhören.

(Beifall bei der FDP)