Protokoll der Sitzung vom 15.12.2016

Ich rate uns zur Sorgfalt in der Sache und zur Sorgfalt in der Sprache. Worum geht es eigentlich? Wenn Frau Kollegin Öztürk gerade gesagt hat, die Frage der Loyalität zu einem Staat sei eigentlich im Ergebnis unbeachtlich, dann teile ich das nicht.

Das Beispiel, das Kollege Rentsch gerade aufgezeigt hat, war doch sehr eindrucksvoll, und es beschäftigt viele Menschen in unserem Land. Wenn er berichtet, dass er sich mit einem Bekannten oder Freund über die besorgniserregende Situation in der Türkei unterhält und erstaunt feststellt, dass der, der hier geboren ist und über dessen Hiersein wir uns freuen, eine Position einnimmt, die mit den demokratischen Grundüberzeugungen dieses Landes nicht in Einklang zu bringen ist, dann muss man sich doch mit der Frage auseinandersetzen. Das wird doch niemand ernsthaft bestreiten dürfen.

(Zuruf von der SPD)

Deshalb rate ich noch einmal zur Sorgfalt in der Sache und in der Sprache. Ich finde, man sollte das Thema der Staatsbürgerschaft nicht überhöhen, aber auch nicht geringschätzen. Das ist nicht nur in Deutschland so. Auf der ganzen Welt ist es eine der großen Fragen, die zum Teil mit großer Leidenschaft diskutiert wird, überall, auch in unserem Land.

Deshalb erlaube ich mir einen kleinen Rückblick. Sie haben sich die meiste Zeit Ihrer Rede nicht mit dem Antrag beschäftigt. Aber wenn wir von doppelter Staatsbürgerschaft reden – Herr Kollege Pentz hat es gerade gesagt –, ist das etwas anderes als die Optionspflicht. Ich habe dazu seit vielen Jahren eine klare Haltung. Ich bin der Auffassung, und ich sage es noch einmal: Wenn sich jemand für sich und seine Kinder entschieden hat, in diesem Land zu leben und zu bleiben, ist es wünschenswert, dass er deutscher Staatsbürger wird.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP – Vizepräsidentin Heike Haber- mann übernimmt den Vorsitz.)

Ich halte nichts von genereller Mehrstaatigkeit. Ich könnte Ihnen viele Beispiele dazu vortragen, wo die Probleme liegen,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Also soll der Tarek sich entscheiden?)

und zwar aus meiner fachlichen Sicht als Familienanwalt. Aber das würde die Zeit hier überstrapazieren.

Die GRÜNEN haben dazu immer eine andere Position eingenommen. Sie haben die generelle Mehrstaatigkeit für richtig gehalten. Da gibt es kein Wahr und kein Unwahr, es ist eine Einschätzungsfrage.

Dann waren wir bei der spannenden Frage, und man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was da passiert ist: Das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht, das die einen für antiquiert und die anderen für richtig gehalten haben – das ist eine Debatte, die es in der ganzen Welt gibt –, wurde geändert durch die Regierung Schröder/Fischer. Das war die rot-grüne Bundesregierung, die der Überzeugung war, dass man das Abstammungsprinzip ergänzen oder ganz abschaffen und eine neue Staatsbürgerschaftsform einführen müsste: Wer hier geboren ist, ist deutscher Staatsbürger.

Dies war die politische Absicht, und diese sollte auch Gesetz werden. Dafür gab es keine Mehrheit. Dann haben die SPD, die GRÜNEN und die FDP, diese drei, die Optionslösung eingeführt. Es war nicht die CDU.

(Mürvet Öztürk (fraktionslos): Im Bundestag gab es eine Mehrheit!)

Die CDU hat damals dagegen gestimmt. Ich war damals gegen die Optionslösung und bin es heute. Aber das zeigt doch, wenn wir die Sache in Nüchternheit betrachten: Wenn der CDU-Bundesparteitag jetzt mehrheitlich in einem Stimmungsbild gesagt hat, er will die Optionslösung, dann ist das genau das, was Rot-Grün und FDP 2000 beschlossen haben.

(Beifall bei der CDU)

Dieser Parteitagsbeschluss ist für alle politischen und sonstigen Sittenwächter alles andere als ein Anlass, sich zu empören oder daraus einen Rechtsruck abzuleiten. Wo sind wir eigentlich, wenn jetzt die CDU das fordert, was SPD, GRÜNE und FDP selbst beschlossen haben? Man kann das für richtig oder für falsch halten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Ich füge hinzu: Es gibt für beide Positionen Argumente, wenn man in die Sache einsteigt.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Ich glaube, ich habe es hier am einfachsten. Ich habe 2000 eine Rede gehalten, dass ich gegen die Optionspflicht bin, und ich habe die Position beibehalten. Deshalb hatte ich auch gar kein Problem damit, als ich als stellvertretender Bundesvorsitzender den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Deutschen Bundestag mit ausgehandelt habe. Dort haben wir das entsprechend verabredet und beschlossen.

Ich hatte und habe schon gar kein Problem damit, dass ich mit meinem jetzigen Koalitionspartner in unserem Koalitionsvertrag verabredet habe, dass wir uns genau so verhalten, wie wir uns verhalten haben. Dann ist das Thema Optionspflicht auch kein Thema mehr. Das ist so, und das bleibt so. – Das ist jetzt der Teil der Antwort für die Hessische Landesregierung: Wir haben einen Koalitionsvertrag. Den erfüllen wir, nicht nur heute, sondern auch morgen. Das entspricht auch meiner persönlichen Überzeugung.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb rate ich zur Sorgfalt in der Sache und zur Sorgfalt in der Sprache. Ich wäre dankbar, wenn das Tremolo von denen, die es selbst beschlossen haben, nicht so ausfällt, dass wir nach dem, was viele bis jetzt für richtig halten, was bis vor zwei Jahren die Gesetzeslage war – Ihr Beschluss galt bis vor zwei Jahren in Deutschland; es war nie meiner –, jetzt eine Art Wechsel haben und in meiner Partei viele der Auffassung sind, man sollte das wieder einführen.

Ich sage es noch einmal: Ich halte das aus der Sache heraus für falsch, weil diese Optionspflicht das Problem, das der Kollege Rentsch beispielhaft angesprochen hat, nicht wirklich löst. Was passiert eigentlich – ich habe doch die Debatten damals geführt –, wenn sich jemand nicht entschließt, zu optieren? Was war Ihre Gesetzesfolge? Ihre Gesetzesfolge war: Er verliert automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft, aber er bleibt mit allen Rechten in diesem Lande außer dem Recht, wählen zu können oder gewählt werden zu können. Ansonsten hat er ein unbeschränktes, in keiner Weise beeinträchtigtes Aufenthaltsrecht.

Wenn man das weiß – das war damals meine Argumentation; Sie können es nachlesen –, wenn ich die Frage der Loyalität zu einem Staat zum Kernpunkt mache und der Betreffende trotzdem mit allen Rechten hierbleibt, auch wenn er nicht optiert, halte ich diese Lösung nicht für zielführend. Insofern kann ich mich selbst nachvollziehbar wieder zitieren.

Aber Sie haben es damals so beschlossen, gegen die CDU. Jetzt haben wir die Situation, wie Sie sie geschildert haben. Wenn das so ist, dann empfehle ich uns gemeinsam, zu sagen: Lassen Sie uns über die Sache streiten, was klug ist oder was unklug ist, aber es komme, bitte schön, keiner daher mit moralischer Kerze nach dem Motto: Die einen sind die Guten, die anderen sind die Schlechten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Rudolph und die anderen, Sie haben mich zitiert, und ich stehe zu jedem Zitat. Man kann den Kollegen Irmer mögen oder nicht, und ich teile manche seiner Aussagen nicht. Das habe ich immer deutlich gemacht. Aber ich lasse auch nicht zu – ich habe keine andere Chance, ich spreche jetzt als Landesvorsitzender –, dass durch ständige Pauschaldiffamierung einer ausgegrenzt wird, der bei jeder Wahl

(Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und von der SPD – Glockenzeichen des Präsidenten)

hören Sie doch einfach einmal zu – ein breites Votum der Bevölkerung hat. Herr Irmer ist ein Demokrat. Das bedeutet nicht, dass ich jede Position teile. Aber ich lasse auch nicht zu, dass in jeder dritten Sitzung, wenn der Opposition nichts mehr einfällt, einer ausgeguckt und niedergemacht wird. Das geht auch nicht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Doch, das müssen Sie zulassen! Und was ist mit denen, die er diffamiert? Er diffamiert doch dauernd!)

Meine Damen, meine Herren, Sie haben klare Fragen gestellt, Sie kriegen auch klare Antworten. Der Kollege

Willsch hat in seinem „Hauptstadtbrief“ Vergleiche gezogen, die ich für schädlich halte und die ich in keiner Weise teile – damit das auch klar ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollege Willsch hat aber auch – ich bitte Sie, das auch zur Kenntnis zu nehmen, damit Sie in Ihrer zukünftigen Oppositionsarbeit auch in der postfaktischen Zeit nicht ganz von den Fakten abheben; Herr Pentz hat es Ihnen vorgelesen – eine glasklare Erklärung für den Kreisverband der CDU Rheingau-Taunus abgegeben, dass es weder jetzt noch in absehbarer Zeit eine Kooperation oder gar eine noch engere Zusammenarbeit mit der AfD geben wird.

(Günter Rudolph (SPD): Im Kreistag stimmen sie mit der AfD! – Marius Weiß (SPD): Sie gehen zusammen raus, sie kommen gemeinsam wieder rein!)

Herr Kollege, ich habe Sie um Sorgfalt in der Sprache und in der Sache gebeten. Ich füge hinzu: vielleicht auch noch im Denken. Wir sollten uns miteinander doch noch so respektvoll begegnen, dass man eine Erklärung eines Kreisverbands, die glasklar ist, einfach zur Kenntnis nimmt und nicht hofft, auf Umwegen ein Klima zu finden, bei dem man eine große demokratische Partei in die Ecke stellt. Ich habe es immer wieder gesagt – –

(Timon Gremmels (SPD): Fakten sind Fakten!)

Herr Gremmels, mäßigen Sie sich. Sie wollen mir doch nicht unterstellen, dass ich irgendwann einen Zweifel gelassen hätte, wo die Grenze zwischen CDU und AfD verläuft. Wenn es anders ist, kommen Sie hierher, damit es ein für allemal geklärt ist,

(Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Doch, im Landtagswahlkampf!)

damit es absolut geklärt ist. Deshalb sage ich noch einmal: Mäßigen Sie sich im Ton, und mäßigen Sie sich in der Sprache. Ich habe keinen Nachholbedarf.

(Unruhe – Glockenzeichen der Präsidentin)

Herr Willsch hat sich auch gegenüber dem Hessischen Rundfunk geäußert und deutlich gemacht, dass er sich nicht so, wie er zitiert wurde, geäußert hat. Es gehört einfach zur Seriosität, dass man dies dann hier auch vorträgt und nicht Teile weglässt, die man kennt. Herr Kollege Rudolph, dann hätten Sie den Brief des Herrn Willsch an den Hessischen Rundfunk, den Sie wahrscheinlich auch haben, vorlesen können.

(Günter Rudolph (SPD): Nein, so dicke bin ich nicht mit ihm, dass er mir den Brief geschickt hat! – Gegenruf des Abg. Manfred Pentz (CDU): Dann nehmen Sie den Brief von mir!)

Dann nehmen Sie das einfach von mir als Hinweis. – Ich sage es noch einmal: Die große Frage, wie wir die Gesellschaft zusammenhalten, wird uns noch lange beschäftigen.

Frau Wissler, Sie haben „pf“ gemacht. Wir zwei werden im Leben wahrscheinlich nicht mehr zusammenkommen. Aber eines sei Ihnen gesagt: Die Mitglieder der CDU Deutschlands und der CDU in Hessen und all ihrer Gliederungen haben keinen Nachholbedarf, wenn es darum geht, sich hinsichtlich der Frage zu engagieren, wie dieses Land zusammenbleibt und wie die Demokratie gegen ihre Feinde gestärkt und verteidigt werden kann.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Wir haben in Hessen gerade bei der großen Herausforderung hinsichtlich der vielen Flüchtlinge gezeigt, dass wir in der Lage sind, auf kleine vermeintliche parteipolitische Vorteile zu verzichten. Das gilt jedenfalls von da bis da. Die Mitglieder der LINKEN kann ich dort nicht erkennen.

Ich möchte für uns gemeinsam anmahnen: Lassen Sie uns dabei bleiben. – Die Sittenwächter, die immer mit der Moralkeule daherkommen, sollten sich immer überlegen, was sie anrichten.

Meine Damen, meine Herren, gerade von der Sozialdemokratie, ich kann es Ihnen nicht ersparen. Ich lese Ihnen jetzt einmal etwas vor. Das können Sie nachlesen. Das war in vielen Zeitungen zu lesen. Es wurde auch in der „Welt“ abgedruckt. Ich zitiere:

Merkel habe ihren innerparteilichen Gegnern die „Kinder ausländischer Eltern zum Opfer fallen lassen“. Man dürfe nicht eine Million Flüchtlinge einladen und dann „die hier geborenen Kinder“ schlecht behandeln.