Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

Nach über 45 Jahren ist keine staatliche Entschuldigung an die Opfer der Berufsverbote erfolgt – weder an die Bespitzelten, an die Eingeschüchterten und Erschrockenen noch an die, deren berufliche Entwicklungswege verbaut wurden; ganz zu schweigen von denjenigen, die aus Angst um ihre beruflichen Möglichkeiten auf ihre freie Meinungsäußerung und freie Entfaltung verzichtet haben.

Es soll verdrängt werden, dass über die Republik Wellen der Einschüchterung und der Verfolgung hinwegrollten. Nach dem KPD-Verbot gab es Tausende Kommunistenprozesse und eine „Säuberung“ des öffentlichen Dienstes. Nach der 68er-Revolution kam die reaktionäre Wende mit den Berufsverboten, und nach der deutschen Einheit wurde der Elitenwechsel Ost zur Staatsräson.

Stets sollte der Staatsapparat veränderungsfrei gehalten werden. Stets aber gab es auch Solidarität mit den Betroffenen, neuen Widerstand und einen neuen Anlauf zur Veränderung – bis heute.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg schafften die Berufsverbote 1992 endlich ab und trugen zur Wiederherstellung von Recht entschieden bei.

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Ja, ich komme zum Schluss. – Das Bündnis „Berufsverbote Hessen“ hat mit einer Ausstellung, die bereits im November im Frankfurter Gewerkschaftshaus gezeigt wurde, ein Zeichen für die Rehabilitierung der Betroffenen gesetzt. Diese Ausstellung wird in allen hessischen Gewerkschaftshäusern und in den Universitäten, aber auch im Marburger Rathaus in den nächsten Wochen zu sehen sein.

Deshalb – so meinen wir – sollte mit der historischen Aufarbeitung jetzt endlich begonnen werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Heike Hof- mann (SPD))

Vielen Dank, Herr Kollege van Ooyen. – Als nächster Redner spricht nun Kollege Heinz von der CDU-Fraktion. Bitte, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE hat uns heute pünktlich zum 45. Jahrestag des sogenannten Radikalenerlasses diesen Setzpunkt beschert. Es geht hier im Kern um eine Bewertung von Regierungshandeln in Hessen und in der damaligen Bundesrepublik in den Jahren 1972 bis 1979. Um das Ganze richtig einordnen zu können, zunächst die Frage: Was war das für eine Zeit seinerzeit? – Die Rote Armee Fraktion bedrohte die innere Sicherheit in unserem Land, und zwei radikale Parteien forderten die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland heraus: Dies war zum einen die DKP.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Gegenruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Sie wurde 1968 als Nachfolgeorganisation der verbotenen KPD gegründet und hatte einige 10.000 Mitglieder. Diese neue linksextreme Partei wurde aus Ostberlin finanziert und bekämpfte den freiheitlichen Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland.

Zum anderen war es aber auch die rechtsextreme NPD. Ihr gelang in den späten Sechzigerjahren der Einzug in zahlreiche Landtage, leider auch in diesen unseren Landtag. Aber rückblickend kann man sagen: Zum Glück blieb es nur eine Episode einer Wahlperiode.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. h.c. Jörg- Uwe Hahn (FDP))

Die damals erst 23 Jahre junge Bundesrepublik wurde also von links- und auch von rechtsextremen Kräften bedroht. Wie kam es dann zum sogenannten Radikalenerlass? Welche rechtliche Bedeutung hat er überhaupt? Was ist ein Erlass? – Ich finde, man sollte etwas grundlegender anfangen. Wichtig für diese rechtliche Einordnung ist zunächst, dass mit einem Erlass lediglich die Voraussetzung für eine einheitliche Anwendung damals schon bestehenden Rechts geschaffen wurde.

So war es nämlich auch hier: Auf Initiative des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt vereinbarten seinerzeit der Bund und die Länder eine einheitliche Vorgehensweise bei der Überprüfung der Verfassungstreue von Beamten und auch von Bewerbern für ein Beamtenverhältnis. Zu dieser Handhabung, die seinerzeit vereinbart wurde, gehörte auch die sogenannte Regelanfrage. Das heißt, bei allen Bewerbern für ein Beamtenverhältnis erfolgte damals eine Abfrage beim Verfassungsschutz. Man hat dort nachgefragt, ob Erkenntnisse über verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Heute können wir feststellen, dieses Verfahren wird so seit 1979 in Hessen nicht mehr angewandt.

Aus dieser Feststellung verbietet sich aus meiner Sicht aber, voreilige Schlüsse zu ziehen. Wichtig ist, hier zunächst festzuhalten, was wir eigentlich von unseren Beamtinnen und Beamten verlangen. Die Antwort lautet, sie müssen jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Eine materielle Änderung dieser Anforderung ist zu keiner Zeit erfolgt. Diese Verpflichtung galt im Jahr der Gründung der Bundesrepublik, 1949. Diese Verpflichtung galt 1972, als der sogenannte Radikalenerlass kam und diese

Verpflichtung präzisiert hat. Diese Verpflichtung gilt heute, und sie muss aus unserer Sicht auch in Zukunft gelten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn richtig war, richtig ist und richtig bleibt, dass der, der gegen diesen Staat ist und ihn bekämpft, diesem Staat nicht als Beamter dienen kann. Der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, hat es seinerzeit so ausgedrückt: „Ulrike Meinhof als Lehrerin und Andreas Baader bei der Polizei beschäftigt, das geht nicht.“ – Recht hat er.

(Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Der hat sich auch nicht beworben!)

Hören Sie lieber einmal zu. – Denn eine Lehre aus Weimar und dem Faschismus war, dass sich die Bundesrepublik Deutschland dazu entschlossen hat, die sogenannte wehrhafte Demokratie einzuführen. Wehrhafte Demokratie bedeutet eben: keine Freiheit für Feinde der Freiheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Von daher ist die Überprüfung der Verfassungstreue von Beamten zu jeder Zeit richtig und geboten. Wie dies im Detail erfolgt, ist im Licht der jeweiligen Umstände und der akuten Bedrohungslage durch Extremisten zu beurteilen. Heute haben wir zur Kenntnis zu nehmen, dass Hessen 1979 seine Praxis wieder geändert hat.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das stimmt nicht! 2003 gab es noch Berufsverbote!)

Wir könnten viel miteinander besprechen. Interessieren würde mich z. B., was Sie in Ihrer Rede eigentlich mit dem „Elitenwechsel Ost“ meinten. Vielleicht fragt man besser nicht nach. Da kommen wahrscheinlich Dinge zutage, die uns hier eine Extrarunde bescheren würden.

Meine Damen und Herren, der Radikalenerlass und die Regelanfrage taugen nicht zur Legendenbildung. Das ist ganz wichtig. Wir werden es jedenfalls nicht zulassen, dass sämtliche Personen, die aufgrund extremistischer Aktivitäten nicht in den öffentlichen Dienst gelangen konnten, hier nachträglich zu Opfern stilisiert werden.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Heißt das, es gab keine Opfer aus Ihrer Sicht?)

Wir werden auch nicht zulassen, dass die Überprüfung der Verfassungstreue von Beamten infrage gestellt wird. Zugleich – wir betrachten es differenziert und nicht so pauschal wie Sie – verhehlen wir nicht, dass es insbesondere in den Siebzigerjahren

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann können wir eine Kommission einrichten!)

hör doch einmal zu – auch zu rechtswidrigen Entscheidungen gekommen ist.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gegen jede dieser Entscheidungen – das unterscheidet den freiheitlichen Staat vom unfreien Staat – stand der Rechtsweg offen. Wo dies geboten war, haben Gerichte diese Entscheidungen auch korrigiert.

Dem Grunde nach – das möchte ich betonen – hat seinerzeit das Bundesverfassungsgericht die Bedenken gegen

diese Praxis in einer Entscheidung aus dem Jahr 1975 verworfen. Das gilt es hier auch festzuhalten.

Wenn wir heute Schlüsse aus der Vergangenheit ziehen, dann gilt erst einmal, dass Verfassungstreue der Beamten wichtiger ist denn je. Wieder steht unser Staat vor großen Herausforderungen. Rechtsextreme, Reichsbürger, Islamisten und auch Linksextremisten bedrohen weiterhin das Leben in unserem freiheitlichen Staat. Daher rate ich uns allen zu einer gewissen Vorsicht vor einer allzu pauschalen Kritik an der Rechtsanwendung in den Siebzigerjahren. Das Land Hessen und auch die Bundesrepublik Deutschland wurden 1972 nicht zu einem Unrechtsstaat, wie Sie das hier darzustellen versuchen. Im Gegenteil, damals, in Zeiten großer Bedrohung durch einen aggressiven kommunistischen Block, hat sich der freie westdeutsche Staat in einer sehr schwierigen Phase behauptet. Alles andere wäre eine Geschichtsklitterung.

Zusammenfassend kann ich daher festhalten: Unser Staat ist auf die Verfassungstreue seiner Beamten angewiesen, gestern, heute und morgen. Er kann und muss diese Verfassungstreue von den Beamten einfordern. Für eine Legendenbildung und eine pauschale Opferrolle von Mitgliedern extremistischer Vereinigungen und Parteien zur damaligen Zeit besteht keinerlei Anlass.

Auch heute müssen wir sehr genau darauf achten, dass unser demokratisches Gemeinwesen wehrhaft bleibt und wer diesem Staat als Beamter dienen darf. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Heinz. – Als nächste Rednerin spricht nun Frau Kollegin Hofmann von der SPD-Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der sogenannte Radikalenerlass und dessen Umsetzung und Folgen gehören zu den dunkelsten Kapiteln der hessischen Geschichte. Deshalb muss ich offen sagen, Herr Heinz: Der Duktus Ihrer Rede hat mir überhaupt nicht gefallen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Hans-Jür- gen Irmer (CDU): Muss er auch nicht!)

Er war der Sache auch unangemessen.

Zu den Fakten des Entstehens des Radikalenerlasses ist von den Vorrednern schon einiges gesagt worden: dass 1972 im Zuge der Ministerpräsidentenkonferenz unter Willy Brandt der Radikalenerlass zur Abwehr angeblicher Verfassungsfeinde entstand, die sich vermeintlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet haben, dass gegen diese Personen vorgegangen worden ist und dass sie im Zweifel oder im Einzelfall aus dem öffentlichen Dienst entfernt bzw. entlassen worden sind.

Es steht überhaupt nicht infrage, und daran übt hier auch niemand Zweifel, dass sich Beamte selbstverständlich auf dem Boden des Grundgesetzes, auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht nur bewegen müssen, sondern dass sie diese auch verinnerlichen und akzeptieren müssen. Das ist in diesem Hause aus meiner Sicht völlig unstrittig, und das ist auch gut so.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das glaube ich nicht! Schauen Sie mal da rüber!)

Das wird bestritten? Bedauerlich.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Nicht von uns!)