Protokoll der Sitzung vom 13.06.2001

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Weitere Wortmeldungen sehe ich jetzt nicht. Dann lasse ich über die Anträge abstimmen.

Wer den Antrag aus der Drucksache 16/6117 annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.

Es bedarf einer zweiten Lesung. Stimmt der Senat einer sofortigen zweiten Lesung zu? –

(Die Senatsvertreterinnen geben ihre Zustimmung zu erkennen.)

Das ist der Fall. Gibt es Widerspruch aus dem Hause? – Das ist nicht der Fall. Wer will den soeben in erster Lesung gefaßten Beschluß in zweiter Lesung fassen? – Danke schön. Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit Mehrheit und damit auch in zweiter Lesung und somit endgültig beschlossen worden.

Wer stimmt dem Antrag aus der Drucksache 16/6118 zu? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.

Es bedarf einer zweiten Lesung. Stimmt der Senat einer sofortigen zweiten Lesung zu? –

(Die Senatsvertreterinnen geben ihre Zustimmung zu erkennen.)

Das tut er. Gibt es Widerspruch aus dem Hause? – Das ist nicht der Fall. Wer will den soeben in erster Lesung gefaß

(Michael Waldhelm CDU)

ten Beschluß in zweiter Lesung fassen? – Danke schön. Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist damit auch in zweiter Lesung mit Mehrheit und somit endgültig beschlossen worden.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 51, Drucksache 16/6038, auf, Antrag der Gruppe REGENBOGEN: Kindertagesbetreuung ausbauen.

[Antrag der Gruppe REGENBOGEN – für eine neue Linke: Kindertagesbetreuung ausbauen – Drucksache 16/6038 –]

Wer meldet sich zu Wort? – Frau Sudmann, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In den vergangenen Wochen haben wir eine Inflation an Lippenbekenntnissen aller hier anwesenden Parteien im Bund und im Land erlebt, die verkündet haben, die Kindertagesbetreuung müsse ausgebaut und besser werden, sie müsse billiger werden. Man merkt, es ist Wahlkampf.

Und wenn die SPD in Hamburg, Herr Böwer, die seit Jahren auch im Kita-Bereich massiv gespart hat, die Betreuungszeiten verkürzt und pädagogische Standards noch nicht einmal diskutiert, aber erst einmal locker verringert und gleichzeitig die Elternbeiträge für etliche Eltern angehoben hat, wenn diese SPD nun sagt, sie habe ihr Herz für Kitas entdeckt, dann ist das höchst unglaubwürdig und wirklich leicht als Wahlkampfgetöse zu erkennen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke – Dr. Roland Salchow CDU: So ist das!)

Genau, das sehen wir auch so.

Die SPD hat lange genug Zeit gehabt, nicht genau das Gegenteil von dem zu praktizieren, was sie uns jetzt alles nach der Wahl verspricht. Herr Böwer und auch der Rest der SPD, wer immer das ausgeheckt hat, das Versprechen, zusätzliche Kita-Plätze nur für die Kinder berufstätiger Eltern schaffen zu wollen, geht eindeutig zu Lasten anderer Kinder, und das hat mit sozialer Gerechtigkeit überhaupt nichts zu tun.

(Dr. Mathias Petersen SPD: Aha!)

Aber auch Sie, Herr Petersen, werden nicht bestreiten wollen, daß Bildung für Kinder wirklich mit dem ersten Lebenstag anfängt, daß gerade bis zum sechsten Lebensjahr der wichtigste Grundstein fürs Lernen gelegt wird. Doch die Startchancen, das werden Sie aus Ihrer Praxis wissen, sind für viele Kinder schlecht. Der Streß der Eltern wird oft an den Kindern ausgelassen, die Zeit für Kinder fehlt, oft fehlt auch einfach das Geld, um die Entwicklung der Kinder zum Beispiel über Bücher oder Besuche in Museen anzuregen.

Gerade in solchen Situationen, in denen Kinder zu Hause in den Familien schlechtere Chancen haben und benachteiligt werden, sind die Kitas als ein Bildungssystem wichtig, und um diesem Bildungsangebot gerecht zu werden, müssen die Kitas ausgebaut werden. Es muß ein ausreichendes Platzangebot geben, es muß eine gesicherte Qualität geben, und es muß vor allem eine für alle zugängliche Kindertagesbetreuung geben. Der Senat ist bisher nicht willens, den Kindern und Eltern in Hamburg diesen Mindeststandard zu bieten, und das finden wir schlecht.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wie sieht es denn in Hamburg zum Beispiel mit dem Platzangebot aus? Gerade für die ersten drei Lebensjahre gibt es nur für knapp 12 Prozent, also fast jedes zehnte Kind dieser Stadt in diesem Alter, ein Betreuungsangebot in der Krippe. Bei den Drei- bis Sechsjährigen sind zwar knapp 90 Prozent der Kinder betreut, aber eine Ganztagsbetreuung gibt es noch nicht einmal für die Hälfte der Kinder. Dabei ist Deutschland nach dem von der Europäischen Union eingesetzten Netzwerk Kindertagesbetreuung verpflichtet, für mindestens 90 Prozent der drei- bis sechsjährigen Kinder ein Vollzeitangebot zu machen. Hamburg liegt in Deutschland, also gilt diese Verpflichtung auch für Deutschland; da muß nachgearbeitet werden.

In den Hortbereichen, wo Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren betreut werden, gibt es für 86 Prozent der Kinder keinerlei Angebote. Selbst die offizielle Behörden-Studie, die ISKA-Studie, hat schon festgestellt, daß über 15 000 Plätze in der Kindertagesbetreuung fehlen, und dabei wurden dort nur die Bedarfe von Kindern berufstätiger Eltern oder Kinder in besonders schwierigen Familiensituationen berücksichtigt; es sind also noch wesentlich mehr Plätze notwendig.

Deswegen sagt REGENBOGEN, daß innerhalb der nächsten vier Jahre das Platzangebot von derzeit 56 000 Plätze um 50 Prozent auf 85 000 Plätze erweitert werden muß. Dabei müssen insbesondere die teil- und ganztägigen Betreuungsangebote ausgebaut werden, denn sonst ist das, was Sie immer so gerne proklamieren, daß die Berufstätigkeit der Frauen gefördert werden solle, völliger Quatsch. Das geht nicht, wenn sie ihre Kinder nur drei oder vier Stunden betreuen lassen können, denn da bekommen sie keine Teilzeitjobs, für die es sich lohnen würde zu arbeiten.

Um die Qualität in den Kitas ist es in Hamburg auch nicht allzugut bestellt. Wenn Sie sich einmal angucken, in wie vielen Gruppen, in denen 20, 22 oder noch mehr Kinder sind, es eine Betreuung durch zwei Fachkräfte gibt, werden Sie feststellen, daß dies in vielen Gruppen nicht der Fall ist. Deswegen wollen wir, daß in solchen Gruppen mindestens zwei pädagogische Fachkräfte eingesetzt werden. Man muß auch einmal berücksichtigen, daß die pädagogischen Fachkräfte Ansprüche auf Urlaub haben, daß sie auch einmal krank werden, daß sie auch Fortbildung machen; diese Zeiten müssen auch berücksichtigt werden.

Wenn wir aber von der Qualität und Quantität her vielleicht irgendwann zufriedengestellt sein könnten, werden wir einen Punkt noch lange nicht erreicht haben, wenn SPD und auch GAL bei ihrer bisherigen Position bleiben. Im letzten Jahr, als die Elternbeiträge in Hamburg verändert wurden, wurden doch etliche Kinder aus finanziellen Gründen aus der Kindertagesbetreuung abgemeldet, weil zum einen die Eltern, vor allen Dingen die Mütter, gesagt haben, es lohnt sich nicht zu arbeiten für das Geld, das ich in Teilzeit verdiene, das wird von den Kindertagesbetreuungskosten aufgefressen, zum anderen diejenigen, die gar kein Einkommen haben und auf Sozialhilfe angewiesen waren oder sind, gesagt haben, es ist uns zuviel, den Mindestbeitrag zu zahlen. Und viele haben es nicht gewagt, zweimal beim Amt einen Antrag zu stellen, von 75 auf 50 DM oder sogar auf Null herunterzugehen, denn das ist eine Hürde, die nicht jede und jeder nehmen mag.

Kindertagesbetreuung ist genauso ein Bildungsangebot wie Schule, und Schule ist glücklicherweise nicht nur in

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt)

Hamburg, sondern in Deutschland ein kostenloses Angebot; deswegen muß auch die Kindertagesbetreuung kostenlos werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Weil Sie ja immer gerne versuchen, den REGENBOGEN irgendwelcher Sachen zu überführen, möchte ich einmal offizielle Stellen zitieren, zum Beispiel Familienministerin Bergmann, SPD. Sie hat sich einen wissenschaftlichen Beirat zugelegt, der vor drei Monaten verkündet hat, daß er der Meinung ist...

(Dr. Roland Salchow CDU: Daß REGENBOGEN gut ist!)

Daß REGENBOGEN gut ist, konnte er nicht sagen, denn es ist in Berlin noch nicht angekommen, aber in Hamburg würde er das feststellen, Herr Salchow, aber er hat gemerkt, daß die Forderungen, die REGENBOGEN seit langer Zeit aufstellt, gut sind, denn auch dieser Beirat fordert, daß Eltern, die ihre Kinder in eine Tagesstätte geben, finanziell nicht belastet werden, weil nämlich die Startchancengerechtigkeit für Kinder nicht gleich ist, sondern im Gegenteil viele Kinder aufgrund der finanziellen Situation ihrer Familie von Kindertagesbetreuungsangeboten ausgeschlossen sind und sie gar nicht wahrnehmen können. Deswegen sagt auch dieser Beirat, daß Kindertagesbetreuung kostenlos werden muß; insofern haben wir gute Fürsprecher.

Zur Finanzierung: Hamburg zahlt zur Zeit 565 Millionen DM für die Kindertagesbetreuung. Wir haben, um endlich einmal Größenordnungen für Hamburg zu haben, unsere Anträge durchgerechnet und kommen auf Mehrkosten von – jetzt dürfen Sie alle tief Luft holen – rund 800 Millionen DM jährlich. Ich weiß, daß viele von Ihnen jetzt sagen, das ist doch völlig absurd, das kann man nicht finanzieren. Nur, ich möchte Sie alle daran erinnern, was Sie in Hamburg und auch Ihre Parteien in Berlin verkünden. Alle sagen, wir müssen mehr für Kinder tun und wir müssen auch mehr für die benachteiligten Kinder tun. Wenn wir das wirklich tun wollen, müssen wir in Hamburg anfangen.

Ich glaube, die Zeit dafür war noch nie so günstig wie jetzt. Auf Bundesebene antwortet Frau Bergmann, SPD, auf die Frage, ob der Bund sich an der Kindertagesbetreuung finanziell beteiligen würde: „Das müssen wir prüfen.“ Frau Künast, die immer gut für gute Sprüche ist, sagt irgendwie: „Glückliche Eltern produzieren glückliche Kinder, wir müssen mehr für die Finanzen der Eltern tun.“ Vielleicht können glückliche Grüne in Hamburg, wenn sie denn glücklich sein sollten in dieser Koalition, auch etwas für glückliche Eltern tun und auch ein bißchen mehr für die Angebote, denn eines sollte mittlerweile klar sein, was auch in der Anhörung deutlich geworden ist. Es reicht nicht, den Familien über verschlungene Wege Geld zukommen zu lassen. Die Infrastruktur, die Angebote in Kitas, die Angebote im Schulbereich sind entscheidend dafür, ob sich Menschen für Kinder entscheiden, und da ist hier sehr viel zu tun.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Das stimmt nicht!)

Das, Martin Schmidt, mag in deinem Fall nicht stimmen, aber wir hatten verschiedene Experten und Expertinnen hier, die das bestätigt haben; du wirst es auch von anderer Seite hören. Deine Kinder sind vielleicht mit Mitte zwanzig etwas zu alt, aber heute ist es so, daß sich junge Frauen zum Beispiel erst dann für Kinder und für den Beruf entscheiden können, wenn sie die Möglichkeit haben, einen Kindertagesbetreuungsplatz zu haben.

Es gibt viele Möglichkeiten, dieses Geld mit Hamburger und Berliner Hilfe aufzubringen, aber Sie müssen irgendwann Farbe bekennen. Sie können heute das erste Mal Farbe bekennen und mit uns diesen Antrag beschließen, der den Senat auffordert, im Rahmen der Haushaltsberatungen ein Konzept mit diesen Eckpunkten zu entwickeln, um innerhalb der nächsten vier Jahre eine Kindertagesbetreuung in Hamburg zu ermöglichen, die bedarfsgerecht ist, die qualitätsvoll ist und die vor allen Dingen kostenlos und damit sozial gerecht ist.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort hat Herr Böwer.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Sudmann, Sie haben recht, daß man in der Familienpolitik Farbe bekennen muß, und die richtungweisende Farbe in dieser Frage ist rotgrün.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wenn irgend etwas Wahlkampf im Zusammenhang mit der Familienpolitik gewesen ist, dann ist es Ihr Antrag, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muß. Wir kommen nachher zu den Ansätzen der CDU, aber zunächst einmal zu Ihrem Antrag.

Sie gehen hin und sagen richtigerweise, Familienpolitik habe eine zentrale Bedeutung in dieser Gesellschaft. Da stimmen wir überein, d’accord.

(Dr. Roland Salchow CDU: Sind wir da d’accord?)

Wir sagen, im Rahmen der Familienpolitik ist die Frage der Kindertagesbetreuung von zentraler Bedeutung in diesem Bereich, da sind wir d’accord. Aber dann verfallen Sie in alte vergangene Zeiten, indem Sie unseriös handeln. Sie gehen hin und fordern 800 Millionen DM für einen Bereich und reihen sich damit sozusagen ohne Not in Edmund Stoibers familienpolitisches Paket von 60 Milliarden DM ein, von Angela Merkel gar nicht zu reden, und sagen dann, das können wir auch noch finanzieren, indem wir im ersten Jahr darauf verzichten, den A 380 zu bauen, im zweiten Jahr darauf verzichten, die Messe zu bauen, und im dritten Jahr fangen wir an, die Gewerbesteuer zu erhöhen.