1993, auch damals genau vor einer Bürgerschaftswahl, gab es die Vorgänge um Professor Hübener, kurz danach um Professor Frischbier und dann um den Therapie-Simulator. Die Bürgerschaft und ganz besonders der Wissenschaftsausschuß haben sich jahrelang um die Aufarbeitung der beiden Strahlenskandale bemüht. Wir hatten dabei immer zwei Prämissen: Die schnellstmögliche Entschädigung aller Patientinnen und Patienten und daß sich solche Fälle am UKE nie wieder wiederholen dürfen.
Das Thema Qualitätssicherung am UKE haben wir in diversen Sitzungen behandelt, weil wir alle wollten und wollen, daß es am UKE für alle Patientinnen und Patienten gute medizinische Praxis gibt. Wie ein Déjà-vu-Erlebnis kamen mir daher nun die Vorgänge in der UKE-Herzchirurgie vor. Man muß noch nicht einmal Medizin-Experte sein, um zu wissen, wie unsinnig es ist, einen erkrankten Professor durch Operationen an Patienten wieder rehabilitieren zu wollen, und am UKE ist eine Mentalität wie vor vielen Jahren: Wir kehren alles unter den Teppich, haben nie etwas gewußt und geben nur zu, was anderswo schon bewiesen ist. Erst waren es 21, dann 23, zum Schluß 120 oder gar noch mehr Operationen, an denen Herr Professor D. mitgewirkt hat. Nach jetzigem Kenntnisstand – man muß ausdrücklich nach jetzigem sagen – war er bei über 20 Operationen verantwortlicher Leiter.
Wie viele Leute müssen das eigentlich gewußt haben? Herr Professor D. stand ja nie alleine im Saal, sondern da waren noch Ärzte und Ärztinnen, Pflegepersonal und wahrscheinlich noch ganz andere dabei, und alle haben geschwiegen. Selbst der anonyme Brief, der den Stein ins Rollen brachte, kam über zwölf Monate nach der letzten Operation, an der Professor D. mitgewirkt hat. Im Interesse der Patientinnen und Patienten, aber auch aus personalfürsorgerischen Gründen gegenüber Professor D. hätte er an diesen Operationen nicht beteiligt werden dürfen.
Die SPD-Fraktion wird im Wissenschaftsausschuß eine lückenlose Aufklärung dieser Vorgänge im Interesse der Patientinnen und Patienten des UKE, aber auch im Interesse der Tausenden von UKE-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, die jeden Tag nach wie vor eine völlig einwandfreie Arbeit im UKE leisten, verlangen und durchsetzen.
Zum Schluß noch ein paar Worte zu dem, was Herr Salchow sagte. Sie machen sich das etwas einfach, wenn Sie sagen, wegen dieser Vorgänge in der Herzchirurgie müsse man jetzt auf das neue UKE-Gesetz verzichten; das Gegenteil ist vielmehr der Fall.
Wir werden das morgen sicherlich noch etwas ausführlicher debattieren können und müssen, aber für mich ist ganz klar, daß das UKE klare Strukturen und Zuständigkeiten und eine funktionierende Kontrolle braucht. Das neue UKE-Gesetz schafft die entsprechenden juristischen Grundlagen für einen personellen und strukturellen Neubeginn, und die SPD – ich denke, auch die GAL-Fraktion – wird das nicht verhindern, sondern unterstützen. – Danke.
Darf ich einmal dezent darauf hinweisen, daß ich die Zeit korrekt berechne und mir hier keine Belehrung wünsche.
Herr Salchow, in der Kritik der Ärzte am UKE stimmen wir völlig überein; dort hat sich seit acht Jahren nichts geändert. Wir erleben Selbstüberschätzung und Hybris bei dem betreffenden Operateur selbst und Feigheit und Duckmäusertum bei seinen umstehenden Kollegen und all denen, die davon gewußt haben.
Das ist eine bittere Bilanz nach all dem, was wir – Herr Marx hat es gesagt – in den letzten acht Jahren immer wieder am UKE untersucht haben. Aber genau da hört auch der Vergleich mit dem Strahlenskandal auf, weil es sich bisher – dem Himmel sei Dank – nicht um einen Serienschaden handelt und weil der Fall des Jungen, der allerhöchst zu bedauern ist, in die Schadensregelung der Haftpflichtversicherung des Operateurs fällt und weitere Fälle von der Staatsanwaltschaft untersucht werden.
Deshalb hat sich die Senatorin darauf konzentriert, den unglaublichen Umstand zu regeln, daß jemand, der nach schwerer Krankheit in den OP zurückkehren wollte, bisher nicht personalärztlich untersucht werden mußte. Sie hat dafür gesorgt, daß ab sofort ein fachärztliches Gutachten Auskunft geben muß, ob derjenige wirklich in der Lage ist, an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Das ist eine Frage, wie im öffentlichen Dienst mit jemandem umgegangen wird, der schwer erkrankt ist und an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Ich bin davon ausgegangen, daß der Personalärztliche Dienst nach einem Schlaganfall bei jedem Müllwerker genauso wie bei einem C4-Professor zu untersuchen hat, ob die Person in der Lage ist, den Job so zu machen wie vorher. Das ist jetzt geregelt worden, und man muß auch für alle anderen Krankenhäuser und Institutionen des öffentlichen Dienstes sehen, wie das in Zukunft sinnvoll gemacht werden kann.
Zum Thema Qualitätssicherung: Wir haben uns im Wissenschaftsausschuß in langen Anhörungen, mehrfach auch im UKE selbst, intensiv bemüht zu sehen, was dort passiert. Aber die besten Qualitätssicherungsprogramme scheitern, wenn bei der Führung kein Wille vorhanden ist, sie umzusetzen. Herr Leichtweiß, das ist deutlich geworden, hat mehrfach ausgebremst – zuletzt sogar unseren interfraktionellen bürgerschaftlichen Antrag –, aber nicht erfolgreich, und das ist entscheidend.
Deswegen ist das neue UKE-Gesetz mit der Trennung von Dekan und Ärztlichem Direktor in dieser Funktion endlich ein Fortschritt...
... um dafür zu sorgen, daß jemand an die Spitze gesetzt wird, der mit Qualitätssicherung am UKE wirklich flächendeckend Ernst macht.
Meine Damen und Herren! Nach meiner Berechnung sind wir jetzt am Ende der Redezeit der Aktuellen Stunde angekommen. Die Senatorin wünscht das Wort und bekommt es. Danach haben alle Fraktionen nach Paragraph 22 Absatz 3 die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 15. September 2000 hat die Behörde in der Tat einen anonymen Brief bekommen, in dem schwerwiegende Anschuldigungen erhoben wurden; wir sind diesen Anschuldigungen auch sofort nachgegangen. Wir haben diesen Brief allerdings erst zu einem Zeitpunkt bekommen, als der Arzt, um den es geht, schon über ein Jahr nicht mehr am UKE tätig war. Es ging also nicht darum, Patienten vor einem Arzt zu schützen, der noch im UKE operiert, sondern er war schon seit über einem Jahr nicht mehr da.
Die Vorwürfe sind in der Tat schwerwiegend. Ich will aber eines ganz deutlich sagen: Diese schwerwiegenden Vorwürfe sind nach wie vor Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, sie sind nicht geklärt. Es ist nach wie vor Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, ob die Schädigungen, die ein Kind hier erlitten hat – selbstverständlich hat jeder Mitleid mit diesem Kind und seinen Eltern –, fahrlässig oder schuldhaft von ein oder mehreren Personen verursacht wurden und ob sie Folge der vorhergehenden Erkrankung des Arztes sind. Deswegen kann eine Behörde mit so einer Behauptung auch nicht einfach auf den Markt gehen; da können sich andere Leute leichter tun.
Wir haben zu diesem Zeitpunkt gesagt, wir müssen uns darauf konzentrieren, daß in Zukunft Patientinnen und Patienten nicht wieder einem solchen Risiko ausgesetzt werden, wir müssen schauen, was überhaupt zu dieser Situation geführt hat und was wir tun müssen, damit ein ähnlicher Fall nicht wieder eintritt, und da sind wir in der Tat auf erhebliche Defizite und Mißstände gestoßen. Wir haben aber auch dafür gesorgt, daß das UKE diese Mißstände abstellt; das habe ich mit meinen Aussagen zu den Verhaltensregelungen gemeint.
Es ist offensichtlich ein großes Problem, wenn Chefärzte schwer erkranken und dann einfach wieder in ihre alte Funktion zurückkehren, weil sie nicht länger krank geschrieben sind. Ich will in diesem Zusammenhang aber auch eines ganz deutlich sagen: Als der Chefarzt 1999 – also ein Jahr vor dem anonymen Hinweis – aus dem Dienst ausgeschieden ist, haben wir ganz klar von der Personalabteilung des UKE die Information erhalten, daß dieser Arzt nach einer schweren Krankheit ausgeschieden sei, weil es ihm auch in der Zwischenzeit nicht mehr möglich gewesen sei, operativ tätig zu werden, und weil für ihn
keine andere Beschäftigung zu finden sei. Diese Information hatte die Behörde vor dem anonymen Hinweis. In der Personalakte der Behörde ist schriftlich festgehalten, daß der Mann nach der Krankheit nicht mehr operiert hat, und das steht auch in einem Brief aus dem UKE in der Personalakte. Von daher konnten wir nicht im entferntesten auf die Idee kommen, daß es anders ist. Wir konnten dem tatsächlich erst ein Jahr später nach dem anonymen Schreiben nachgehen. Ich finde es auch bemerkenswert, daß die Schreiber dieses anonymen Briefes ja nicht reagiert haben, um Patienten zu schützen, sondern sie haben erst ein Jahr später reagiert, als der Mann schon gar nicht mehr da war; das ist in der Tat fatal.
Wir haben dann im Frühjahr gegenüber dem UKE durchgesetzt – das UKE hat diese Regelung auch verfügt –, daß in Zukunft ein Arzt nach einer Krankheit erst einmal nicht in seine alte Funktion eintritt, sondern fachärztlich untersucht wird, daß das schriftlich fixiert wird und der Ärztliche Direktor darüber entscheidet und nicht er und seine Kolleginnen und Kollegen, ob er wieder tätig werden kann oder nicht. Daß das auf neue Beine gestellt worden ist, scheint mir das Wichtigste für den Schutz der Patientinnen zu sein.
Und unsere Umfragen, die wir in letzter Zeit gemacht haben, deuten eher darauf hin, daß es dieses Regeldefizit nicht nur am UKE gibt, sondern auch an anderen Krankenhäusern; dem sollte man dann vielleicht auch noch einmal nachgehen.
Ich bin nicht für andere Krankenhäuser in Deutschland zuständig, das müssen Sie mir schon abnehmen. Ich kann hier nur sagen, wie unser Eindruck aufgrund unserer Anfragen ist.
Ein anderes Thema ist, wie dieses eigentlich dokumentiert wird. Es ist nicht so, daß am UKE nicht dokumentiert wird, wer an welcher Operation teilnimmt, aber wir haben festgestellt, daß ein Wechsel in den Rollen zu unsorgfältig dokumentiert worden ist. Im Februar ist auf Weisung des Ärztlichen Direktors dann noch einmal gesagt worden, hier müsse sorgfältiger dokumentiert werden. Wir haben den Ärztlichen Direktor sehr deutlich auf seine zentrale Funktion aufmerksam gemacht und haben auch sein Verhalten gerügt, daß er sich nicht als zentrale Instanz gesehen hat, die darüber entscheiden muß, ob ein kranker Arzt wieder in seine alte Funktion eintreten kann.
Obwohl die Sachaufklärung seit Herbst 2000 bei der Staatsanwaltschaft lag, haben wir gefragt, in wie vielen Operationen denn der betreffende Arzt in irgendeiner Weise mitgewirkt habe. Wir haben erst die Auskunft bekommen, in 21 Fällen. Dann haben wir noch einmal nachgefragt, und dann hieß es, in 28 Fällen. Wir haben dann noch einmal ganz spezifisch den letzten Stand der Listen nachgefordert, weil einem Mitarbeiter aufgefallen war, daß im Beschlagnahmebeschluß der Staatsanwaltschaft einige Fälle waren, die wir nicht kannten. Wir wußten aber, daß die Staatsanwaltschaft diese Fälle kennt und daß diese Fälle zumindest Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Betrachtungen waren. Wir wollten allerdings wissen, warum die Staatsanwaltschaft diese Fälle kennt, sie uns aber nicht genannt wurden. Das UKE hat uns dann zugesagt, die vollständigen Listen sofort zu liefern, wenn diese Frage geklärt sei. Wir mußten also davon ausgehen, daß es nur eine geringfügige Abweichung zwischen unserer Liste und der
staatsanwaltschaftlichen Liste gab, und konnten zu diesem Zeitpunkt nicht davon ausgehen, daß es hier eine Lücke von 28 zu 121 gab. Der Ärztliche Direktor wußte das bereits im Juni und hat es uns nicht gemeldet. Wir haben diese Zahl 121 erst Ende letzter Woche erhalten, und das ist auch der Grund, warum Konsequenzen in bezug auf die Leitung mit der Beurlaubung gezogen wurden.
Wir werden jetzt folgendes tun: Drei Ärzte – einer ist der neue Abteilungsleiter der Herzchirurgie, und zwei gehören dem UKE nicht an – werden sich jetzt alle Dokumente und Fälle aus der Herzchirurgie noch einmal unter dem Gesichtspunkt angucken, in welchen Fällen der betreffende Arzt tatsächlich in irgendeiner Weise mitgewirkt hat, entweder als hauptverantwortlicher Operateur oder als Berater oder assistierender Arzt, und wie diese Fälle medizinisch zu betrachten sind. Hat es dort Komplikationen gegeben, die näher angeschaut werden müssen? Dieses wird übrigens der Vorstand des neuen UKE im Einvernehmen mit uns einleiten oder hat es schon eingeleitet.
Zweitens wird der Vorstand des UKE im Einvernehmen mit der Behörde eine zweite Kommission unter der Leitung eines Juristen, besetzt mit einem von der Ärztekammer benannten Arzt, einem Vertreter der Ethik-Kommission der Ärztekammer, mit dem Ombudsmann der Patientinnen und Patienten, mit einer Pflegekraft und einem Psychologen, der vom Universitätspräsidenten benannt wird, einrichten. Diese Kommission soll sich anschauen, was in dieser Abteilung dazu geführt hat, daß hier offensichtlich in einer Art von Corpsgeist gehandelt wurde, daß Informationen nicht weitergegeben wurden, daß sie sogar zurückgehalten wurden, und daß auch die Behörde vom Vorstand nicht informiert wurde, aber andererseits der Vorstand auch nicht von dieser Abteilung.
Wir haben darum gebeten, daß diese Kommission sich auch die Schnittstelle zwischen Behörde und UKE und die Abläufe in der Behörde selber anschaut. Die Behörde stellt sich auch dem kritischen Blick von externen Experten unter dem Gesichtspunkt, ob in der Behörde alles richtig gemacht worden ist. Ich sehe zum jetzigen Zeitpunkt nicht, wo die Behördenmitarbeiter irgend etwas versäumt hätten, was zu dem Zeitpunkt, als sie informiert wurden, in ihrem originären Verantwortungsbereich gelegen hat.
Wir haben gestern das UKE animiert, eine Hotline einzurichten – der neue Leiter der Herzchirurgie hat das auch sehr positiv aufgenommen –, damit Patientinnen und Patienten, die jetzt alarmiert sind oder sich aufgrund der öffentlichen Berichterstattung Sorgen machen, Gelegenheit haben, sich direkt an diese Abteilung zu wenden und Informationen zu erhalten.
Ich will noch eines sagen – obwohl wir das auch morgen zum UKE-Gesetz diskutieren werden –, soweit es diesen Fall berührt. Herr Salchow, Sie sollten eines nicht verkennen: Um eine Person zu beurlauben, braucht man tatsächlich sehr schwerwiegende Gründe. Man kann der Meinung sein, daß der bisherige Ärztliche Direktor nicht stark genug gegenüber den Abteilungen war, aber dieser Eindruck allein ist nicht Grund genug, jemanden zu beurlauben.
Wenn wir uns aber das neue Gesetz angucken, kommen wir nicht daran vorbei, daß der Ärztliche Direktor nach dem neuen Gesetz sehr viel stärker gestellt ist als in dem alten Gesetz. Deshalb ist es auch aus dieser Sicht sehr gut, das neue Gesetz sehr schnell zu verabschieden. Der Ärztliche Direktor ist dann eben nicht mehr der Dekan. Die Stelle wird öffentlich ausgeschrieben. Das Weisungs- und Ein
griffsrecht gegenüber den Leitungen ist deutlich stärker akzentuiert, nicht nur im neuen Gesetz, sondern auch in der neuen Satzung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. Wir sollten nicht verkennen, daß es hier gravierende Mißstände gegeben hat. Auf der anderen Seite leisten Ärztinnen und Ärzte des UKE wie auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegepersonalkörpers eine sehr gute und engagierte Arbeit. Dafür haben sie das Vertrauen der Patientinnen und Patienten und brauchen es auch. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, daß diese Menschen insgesamt nicht die Leidtragenden dafür sind, daß es Mißstände gegeben hat, gegen die gehandelt wird, gehandelt wurde und auch weiter gehandelt werden muß.