Protokoll der Sitzung vom 02.02.2000

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

(Rolf Kruse CDU: Das einzig Richtige!)

Warten Sie es ab, Herr Kruse.

Ich rede zu diesem Antrag nicht an Stelle des nach Jan Ullrich bekanntesten Hamburger Radfahrers, weil von mir bekannt ist, daß ich aus beruflichen Gründen auch regelmäßig mit dem Auto fahre.

(Beifall bei Elke Thomas CDU)

(Michael Dose SPD)

Deswegen ist es nicht ganz so leicht, mich zu stigmatisieren und mit diesen zum Teil unangemessenen und undifferenzierten Anfeindungen aus manchen Kreisen der Stadt zu treffen. Ich rede einerseits aus Gründen der Arbeitsteilung und andererseits, weil dieser Antrag in erster Linie mit Umweltaspekten, aber auch mit Aspekten, Bewegungsräume in dieser Stadt zu nutzen und zu schaffen, verbunden ist.

Es geht bei diesem Antrag nicht um die finale Entscheidung zugunsten der Radfahrer, Skater und Jogger gegenüber den Interessen der Autofahrer.Es ist ziemlich absurd, wenn Herr Wolf von der Handelskammer formuliert, „durch einen autofreien Tag würde die Axt an den Stamm des Wohlstands gelegt“. Oder in einer anderen Zeitung heißt es: „Das ist die Axt an der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit dieser Stadt.“ Es scheint mir, als habe die Handelskammer mit ihren Formulierungen und Veranstaltungen in letzter Zeit keine besonders glückliche Hand.

(Beifall bei der GAL, der SPD und bei REGENBO- GEN – für eine neue Linke)

Lassen Sie mich die Aufregung etwas dämpfen und die Sache auf den rationalen Kern reduzieren.Worum geht es? Am 22. September 2000 soll nach dem Aufruf der Europäischen Union und ihres Präsidenten Romano Prodi, der bisher nicht mit der Axt in der Hand auffällig geworden ist, in Europa zum dritten Mal ein autofreier Tag ausprobiert werden.Das Motto lautet:„In town – without my car“.Es soll ein Tag werden, an dem sich die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes und natürlich mit allen Sinnen automobil verhalten, also sich selbst bewegen.

Welche Erfahrungen hat man in den letzten beiden Jahren in den anderen europäischen Großstädten gemacht? Es liegen Erfahrungen vor, die hier kurz genannt werden müssen. Im letzten Jahr beteiligten sich am autofreien Tag 66 französische Städte, 92 italienische Städte und einige Städte und Gemeinden in der Schweiz. Zu den größeren Städten gehörten unter anderem Paris, Marseille, Neapel, Florenz, Rom und die Autostadt Turin.

(Manfred Mahr GAL: Da wollen wir doch nicht zurückstehen!)

Die Resonanz war überwiegend positiv.80 Prozent der Befragten hielten den Tag für eine sehr gute beziehungsweise gute Idee.Es korrespondiert damit, daß sich 88 Prozent der Bevölkerung in Frankreich und 92 Prozent in Italien große Sorgen über die Folgen des Autoverkehrs in der Stadt machen.

(Rolf Kruse CDU:Und wer ist zu Hause geblieben?)

In Paris ging der CO2-Ausstoß um 30 Prozent zurück, und der Lärm reduzierte sich um 50 Prozent. Der Fahrradverkehr stieg teilweise um 900 Prozent, und das ist der Zusammenhang, in dem Martin Schmidt sich chinesische Verhältnisse auch für Hamburg wünschte.

Meine Damen und Herren von der CDU und von der Handelskammer! Die Zahl der Kunden in den Geschäften und Kaufhäusern war sogar leicht höher als am selben Wochentag in der Vorwoche. Das zum Thema „Die Axt am Stamm des Wohlstands“.

85 Prozent der Menschen in den beteiligten Städten waren danach der Meinung, diese Erfahrung wiederholen zu wollen. Wie sieht das in diesem Jahr aus? Bisher haben 200 Städte in ganz Europa – darunter auch 35 deutsche Kommunen – entsprechende Beschlüsse gefaßt, sich an die

sem Tag zu beteiligen, oder sie haben ihr Interesse angemeldet.Imposant ist, einmal zu hören, um welche Städte es sich handelt. Damit man weiß, in welchem Kontext wir hier diskutieren, nenne ich Ihnen nur ein paar, denn alle aufzuführen, würde die Redezeit überschreiten: Antwerpen, Brüssel, Lüttich, Avignon, Marseille, Montpellier, Nizza, Paris, Genua, Palermo, Rom, Verona, Lissabon, Porto und Barcelona,

(Rolf Harlinghausen CDU: Entenhausen!)

Bilbao. Auch die deutschen Städte lassen sich hören. Interessanterweise sind einige dabei, die CDU-regiert sind: Dresden, Heidelberg, Köln, Leverkusen, Münster, Potsdam, Saarbrücken, Stuttgart und Wuppertal.Die Liste ließe sich fortsetzen.

Es ist interessant, daß an diesem Tag auch große Autostädte wie Turin, Köln und Stuttgart beteiligt sind. In Zeiten, in denen wir in der Hamburger Bürgerschaft gerade einen Europaausschuß eingerichtet haben, würde sich Hamburg wahrlich in guter Gesellschaft befinden.

(Beifall bei der GAL)

Ich möchte noch ergänzen, daß zu diesem autofreien Tag der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund eine positive Erklärung verabschiedet haben, die ich hier nicht vortragen will.

Wie stellen wir uns den 22. September 2000 vor?

(Zurufe aus dem Plenum)

Nun hören Sie doch mit diesen unqualifizierten Bemerkungen auf, hören Sie einfach zu. Ich kann verstehen, daß die CDU nach diesen schweren Tagen jetzt wieder an einem solchen Thema ihre alten Vorurteile aktiviert. Insofern ist unser Antrag ein Beitrag zur Resozialisierung der CDU. Versuchen Sie, das ganz nüchtern und sachlich zu debattieren.

(Heiterkeit und Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir stellen uns den Tag so vor, daß es natürlich das Ziel ist, möglichst viele Menschen in dieser Stadt dafür zu gewinnen, mitzumachen, automobil zu sein, sich selbst zu bewegen. Es geht nicht darum, von oben – per Beschluß der Bürgerschaft –, ohne positive Resonanz der Bevölkerung, die Stadt lahmzulegen.

(Hartmut Engels CDU: Das haben Sie doch selber gesagt!)

Auch in anderen europäischen Städten gab es keine hundertprozentige Stillegung aller Straßen. Es wurden im Schnitt 20 bis 50 Prozent der Straßen anders genutzt. Es geht allerdings auch darum, analog zu Sportgroßveranstaltungen, nach Bedarf und Anmeldelage bestimmte Straßen für andere, freiwillige Betätigung zur Verfügung zu stellen.

Wir haben auf einer Pressekonferenz einen Katalog unserer Vorstellungen genannt, die zum Teil zu Irritationen geführt haben. Nicht zur Irritation hat sicherlich geführt, daß es nach unserer Vorstellung eine echte Alternative zum Auto wäre, wenn den ganzen Tag HVV-Busse und HVVBahnen unentgeltlich benutzt werden könnten. Es gibt positive Signale von seiten des HVV. Das begrüßen wir. Wir stellen uns natürlich vor, daß an diesem Tag viele Bewegungsmöglichkeiten genutzt werden, beispielsweise von Skatern, Radfahrern und Läufern. Insbesondere könnten sich Schulen und Kindertagesstätten an einem solchen Tag

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL)

beteiligen, indem in den Tempo-30-Zonen Kinder und Jugendliche Bewegungs- und Umwelterziehung auch außerhalb der Schule genießen könnten. Fahrradsternfahrten wären möglich.Ein weiteres Beispiel wäre ein Fahrradverleih für alle.

Gegen den folgenden Punkt ist sehr stark polemisiert worden, darum will ich ihn ausdrücklich nennen. Interessant und reizvoll wäre für uns, an einem solchen Tag auch einmal Schadstoff- und Lärmmessungen vorzunehmen, um einen Kontrast zu normalen Tagen zu bekommen. Darum haben wir gesagt, es wäre für uns interessant, auch stark befahrene Straßen sozusagen symbolisch miteinzubeziehen, um zu vergleichen, wie es dort ohne Autoverkehr wäre. Das wäre ein reizvoller Beitrag, aber keine Bedingung, von der das Gelingen eines solchen Tages abhängig gemacht wird.

Uns kommt es darauf an, daß nach einem Beschluß, den wir heute in der Bürgerschaft fassen, Hamburg für diesen autofreien Tag wirbt und daß die Bürgerinnen und Bürger darüber informiert werden, was vorgesehen ist. Die Aufregung um diesen Antrag ist ein gutes Startsignal zu einer intensiven öffentlichen Diskussion, so daß der Tag sicherlich sehr stark bekannt wird. Dann wird es darum gehen, mit Organisationen und Verbänden ins Gespräch zu kommen. In erster Linie denken wir an Schulen, Kindergärten, Behinderteneinrichtungen, Umweltorganisationen, Sportvereine, den Hamburger Sportbund, die GEW und zahllose andere.

Hamburg könnte es seinen Einwohnern ähnlich wie den Menschen in Paris, Rom, Marseille, Turin und Neapel ermöglichen, an einem Tag in diesem Jahr tiefe, neue, verschüttete Erlebnisse zu erfahren, diese Stadt wieder einmal anders zu erlernen. Bei der Pressekonferenz hat ein Journalist sich spontan an das tiefe Erlebnis erinnert, das er zu Zeiten der Ölkrise 1973 hatte, als er zum ersten Mal gemerkt hat, daß in seiner Wohnstraße die Vögel zwitschern können, wenn es keinen Autolärm gibt. Es gibt viele, die sich auch an solche für sie persönlich einschneidenden Erlebnisse erinnert haben.

Wir laden auch die Skeptiker ein, andere Erfahrungen in Hamburg zu machen. Auf der Pressekonferenz haben wir gesagt, daß wir dem Handelskammerpräsidenten für diesen Tag eine Fahrradrikscha spendieren.Es ist gefragt worden, was denn die Senatoren an diesem Tag machen. Wir gehen davon aus, daß die jogging- und radfahrerprobten grünen Senatoren gerne und sowieso auf ihre Dienstfahrzeuge verzichten. Für Eugen Wagner sollte es keine Frage sein, wieder, wie auf dem legendären Bild mit Martin Schmidt, auf das Tandem zu steigen, und den anderen Senatoren bieten wir Patenschaften an. Ich selbst biete Rosemarie Raab eine Mitradfahrgelegenheit an, nicht nur, weil sie vermutlich die leichteste im Senat ist.

(Heiterkeit bei der GAL)

Lassen Sie mich zum Abschluß sagen, daß wir hoffen, daß diese Debatte unaufgeregt geführt wird und die Bürgerschaft heute den Antrag annimmt, daß alle Abgeordneten am 22. September auf das Auto verzichten, was Ihnen leichtfallen sollte, da sie alle im Besitz einer Profi-Card sind. Wir haben heute festgestellt, daß Hamburg sich dabei in allerbester respektabler Gesellschaft befindet.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Duden.

Herr Vorsitzender, ich mache erst einmal eine stadtplanerische Bemerkung, die mir sehr am Herzen liegt, ich lasse die Kirche im Dorf.

(Beifall bei Elke Thomas CDU)

Rotgrüne Verkehrspolitik in Hamburg ist immer ein ausgewogenes Miteinander aller Verkehrsträger: Wirtschaftsverkehr, motorisierter Individualverkehr, ÖPNV, Radfahren und Zufußgehen. Der europaweite autofreie Tag ist ein europäisches Kind – das hat die Aufzählung von Herrn de Lorent hier eindrucksvoll erwiesen – von Neapel bis Genua. Mir fehlte ein bißchen der norddeutsche Touch, den bringen wir hinein.

(Manfred Mahr GAL: Das ist Hamburg! – Dr. Micha- el Freytag CDU: Wollen wir den Flugverkehr nicht auch einstellen?)

Es ist ein europäisches Modell; wir denken und diskutieren heute über den Hamburger Sprößling und dessen Lebenschancen. Mit uns ist keine Aktion zu machen frei nach dem Motto: Alle Räder stehen still, weil Prodi es so will.

Ziel der SPD-Fraktion muß es sein, weite Teile der Hamburger Bevölkerung zu überzeugen, daß es sinnvoll und wichtig sein kann, auch an einem Wochentag einmal auf das Auto zu verzichten. Mit uns gibt es keine Zwangsbeglückung.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU)

Diese Aktion hat nur dann eine Akzeptanz, wenn die Freiwilligkeit, daran teilnehmen zu können, deutlich herausgestellt wird. Die SPD-Fraktion versteht die Pressekonferenz der GAL als eine Art Denkmodell, wobei auch klar wird, wo man mit solcher freien politischen Philosophie landen kann oder – anders ausgedrückt – wie einem die Pferde bei der Ausschmückung einer Idee durchgehen können, was durchaus auch Bewegung im Sinne des 22. September sein kann.