Die Fraktionen haben sich für die heutige Sitzung auf eine Änderung der Debattenreihenfolge verständigt. Nach der Aktuellen Stunde, den Wahlen und dem darauf folgenden Punkt 50 wird zunächst Tagesordnungspunkt 44, danach Punkt 29 aufgerufen; anschließend geht es in der vom Ältestenrat empfohlenen Reihenfolge weiter.
Die Fraktionen sind übereingekommen, die drei angemeldeten Themen in einer Debatte zu behandeln.Das Wort hat Herr Dr. Christier.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Nacht zum 1. Mai ist es zu schweren Ausschreitungen im Schanzenviertel gekommen. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den sogenannten Autonomen und der Polizei wurden 21 Polizisten verletzt. Diesen Ausbruch von Gewalt verurteilen wir ohne Wenn und Aber.
Die Polizei ist konsequent vorgegangen, die Rote Flora war keine Tabuzone, den Autonomen wurde nicht das Feld überlassen; es hat in hohem Maße Personalfeststellungen gegeben. Dies belegt eindeutig, daß die Polizei an dieser Stelle keine Verstöße gegen Recht und Gesetz duldet. Der Satz: „Rechtsfreie Räume werden von uns nicht hingenommen“, ist durch diesen Polizeieinsatz bestätigt worden.
Für den Fall, daß Sie wieder mit Ihrem Oppositionsklassiker kommen sollten und den Rücktritt des Innensenators fordern, sage ich Ihnen schon jetzt: Das ist langweilig, abwegig, haltlos und wird von uns entschieden zurückgewiesen.
Es bedeutet ohne Frage einen schweren Rückschlag für alle Bemühungen, zu einer vertraglichen Lösung mit der Roten Flora zu kommen. Vorfälle wie am 1. Mai fördern nicht den Optimismus; Bezirksamtsleiter Hornauer hat darauf hingewiesen, daß der Gesprächsfaden immer wieder gefährdet sei. Vor diesem Hintergrund ist die Frage berechtigt, ob eine vertragliche Vereinbarung überhaupt noch eine Chance hat. Ich möchte diese Frage unter drei Aspekten abwägen und zu einem positiven Ergebnis kommen.
Zum einen gibt es offenbar in der Roten Flora nicht nur gewaltbereite Autonome, sondern auch andere Kräfte. Man darf sich nicht von einer Gruppe das politische Handeln vorschreiben lassen.
Zum anderen bleibt es unstreitig auch weiterhin eine stadtentwicklungspolitische Aufgabe erster Ordnung, dieses Quartier mit den Bürgern weiter zu entwickeln. Wenn eine solche Lösung möglich ist, kann eine befriedete, vertraglich geregelte Rote Flora durchaus ihren Beitrag leisten.
Die populärste Forderung – die finale Lösung – ist natürlich die Räumung. Die Denkfehler der vermeintlich finalen Lösung erkennt man aber immer erst am Tag danach. Auch vom schärfsten Kritiker muß erwartet werden, daß er die Frage beantwortet, wie er nach einer Räumung mit der autonomen Szene im Schanzenviertel umgehen will. Dazu wird gern betreten geschwiegen. Deshalb ist es insgesamt den Versuch wert, weiterhin zu einer Lösung zu kommen, wobei aber klare Ziele verfolgt werden müssen: Es muß eine verläßliche und eindeutige Grundlage mit Rechten und Pflichten geben, und es müssen Regelungen gefunden werden, die gleiche, auch für andere geltende Maßstäbe anlegen.
Zur zeitlichen Perspektive möchte ich sagen: Die geforderte Prozeßhaftigkeit und Gesprächskultur verträgt keine Ultimaten. Aber es muß ebenso klar sein, daß die vertraglichen Vereinbarungen nicht bis zum Sankt-NimmerleinsTag oder auf noch einmal zehn Jahre verschoben werden können. Es kommt darauf an, mit Nachdruck auf eine politische Entscheidung hinzuwirken, an deren Ende auch entschieden werden kann, was geht oder nicht geht.
Ein Wort zur Haltung der CDU. Sie haben sich damals mit Ihrem Antrag zur Herstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse in der Roten Flora konditioniert auf den Weg einer vertraglichen Lösung begeben. Herr von Beust, Sie sagten, daß eine Räumung kein erklärtes Ziel mehr sei, denn eine Metropole muß mit der autonomen Szene leben können. Es dürfe hier jedoch keine Straftaten und rechtsfreien Räume geben. Das war damals ein mutiger Schritt, der Ihnen Kritik eingebracht hat, denn immerhin hat diese Angelegenheit schon eine zehnjährige Geschichte. Sie werden kaum irgendwelche Zweifel gehabt haben, daß ein solcher Weg für Sie und Ihre Partei auch mit Risiken und Gefahren verbunden ist, weil mit diesem Thema nicht beliebig Slalom gefahren werden kann. Das muß Ihnen klar gewesen sein.
Deshalb erleben wir jetzt ein opportunistisches Trauerspiel. Kaum kommt es zu diesem gravierenden Vorfall, wird das Ruder wieder herumgerissen. Die zur Schau gestellte Empörung – das spürt jeder – ist eigentlich nur Fassade. Der Hintergrund ist ein völlig anderer: Ihr liberaler Kurs ist offenbar unoriginell geworden, die entsprechende Marktlücke ist inzwischen inflationär besetzt, und deshalb muß eine neue Rolle her.
Zudem macht sich rechtsaußen eine neue Konkurrenz breit. Sie lassen sich von dem erstbesten Demagogen aus der Kurve tragen; das halte ich für verhängnisvoll.
Wie weit die Substanzlosigkeit Ihrer Politik schon fortgeschritten ist, zeigt sich auch daran, daß Sie sich letztlich –
so Ihre Äußerungen – das Handeln von der autonomen Szene vorschreiben lassen. Daß Sie sich von den linken Gewalttätern des Steines und einem rechten Gewalttäter des Wortes in dieser Weise beindrucken lassen, ist eine beschämende Entwicklung, die Schlimmes ahnen läßt.
Sie wären gut beraten, wenn Sie noch einmal darüber nachdenken würden, das aus neun Personen bestehende Gremium nicht zu sprengen und bei einem konstruktiven Weg zu bleiben.
Konfliktlösungen in manchen großstädtischen, sensiblen Quartieren – das sage ich abschließend – erfordern einen langen, aber nicht einen endlosen Atem; Gewalt gefährdet Lösungsbereitschaft. Dennoch gibt es nach meiner festen Überzeugung insbesondere aus stadtentwicklungspolitischer, aber auch vertraglicher Sicht Chancen für eine tragfähige Vereinbarung und Entwicklung. Ich hoffe, daß ausreichend guter Wille bei allen Beteiligten vorhanden ist, dieses Ergebnis herbeizuführen. Hier im Parlament – da bin ich ganz sicher – ist dies auf jeden Fall so. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es geht bei dieser Frage um ein aktuelles, gravierendes Problem, wie in dieser Stadt die Fragen der Inneren Sicherheit angegangen werden. Es gibt drei zentrale Grundsätze, die für uns die entscheidenden Maßstäbe bilden.
Der zweite Grundsatz lautet: Wer die Polizei bei ihren schweren Aufgaben im Stich läßt, ist unfähig.
Der dritte Grundsatz lautet: Wer Rechtsbruch auf Kosten der Allgemeinheit auch noch honoriert und belohnt, ist ihr gegenüber ungerecht.
Vor diesem Hintergrund ist die Politik des Senats hinsichtlich der Roten Flora feige, unfähig und ungerecht; das ist die Wahrheit.
Sie ist feige, weil bei fortgesetztem, langjährigem Rechtsbruch nachhaltig weggesehen und nicht gehandelt wird. 1998 wurde ein Funkstreifenwagen der Polizei aus der Roten Flora heraus angegriffen. Reaktion gleich Null. Im November 1998 wurde ein Polizeifahrzeug in einen Hinterhalt gelockt, Steine und Farbbeutel flogen, die Polizisten mußten unter dem Gelächter der Bewohner der Roten Flora fliehen. Grenzen aufzeigen? – Fehlanzeige. 1999 wurde mit Bekennerschreiben der Roten Flora ein Brandanschlag auf den Dienstwagen des Innensenators verübt.
(Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke: Ist doch Quatsch! – Norbert Hackbusch REGENBOGEN – für eine neue Linke: Hetzer!)
Der Verfassungsschutz bezeichnet die Rote Flora 1999 als zentralen Anlaufpunkt der Autonomen. Reaktion des Innensenators gleich Null.
Wie war es am vorletzten Montag? Herr Christier, Sie sagen, da sei ein wenig gewesen, aber dies sei kein Grund, die Haltung zu überdenken.
Was ist denn gewesen? Straßenkrawalle, Aggressionen, 133 Festnahmen und verletzte Polizisten. Die Reaktionen des Bürgermeisters und des Innensenators waren ein reines Betroffenheitsritual. Das ist keine Art, wie man Innenpolitik macht.