Protokoll der Sitzung vom 10.05.2000

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Mahr.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Der selbsternannte Schlichter! – Dr. Roland Salchow CDU: Der schlichte Schlichter!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sollten uns zunächst darüber einigen, worüber wir heute diskutieren wollen. Sachlichkeit hat bekanntlich noch nie geschadet.

Geht es um Gewalttaten im Anschluß an eine angemeldete Demonstration, geht es um das Kultur- und Stadtteilzentrum Rote Flora, oder geht es um Stimmungsmache in dieser Stadt?

Wenn es darum geht, die Eskalation der Gewalt in jener Nacht zu verurteilen, dann werden wir uns hier sehr schnell einig sein. Niemand wird brennende Barrikaden akzeptieren oder ungerechtfertigte Gewalt gegen Polizistinnen oder Polizisten oder Demonstranten hinnehmen wollen. Diese

und andere Fragen, wie zum Beispiel auch die Frage nach der angeblichen Unrechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes in der Roten Flora, werden zu klären sein. Frau Sudmann hat eine diesbezügliche Anfrage gestellt; wir sollten in aller Ruhe abwarten, was die entsprechenden Überprüfungen ergeben werden, falls nicht Herr Senator Wrocklage heute noch Einzelheiten dazu sagen sollte.

Kommen wir zum eigentlichen Stein des Anstoßes, zur Roten Flora. Ich habe mir aufgrund meiner Vermittlerrolle am frühen Morgen des 1. Mai zwangsläufig – wie übrigens auch die Polizeiführer – ein genaues Bild von den Zuständen in der Roten Flora verschaffen können. Herr Ehlers, nichts, aber gar nichts hat auf das hingedeutet, was die „Bild“-Zeitung seit Tagen herbeizuschreiben versucht, daß nämlich die Rote Flora als Schaltzentrale des Terrors und als Terrornest schlechthin fungiere. Die Durchsuchung des gesamten Gebäudes

(Zuruf von Karl-Heinz Ehlers CDU)

Sie waren doch gar nicht anwesend – ergab keine eindeutigen Hinweise auf irgendwelche Straftaten oder Straftäter.

(Zurufe von der CDU)

Es kann schlechthin als Märchen abgetan werden, daß der Verlauf der Auseinandersetzung nach der Demonstration von der Roten Flora geplant und herbeigeführt worden sei. Dagegen spricht schon, daß zum gleichen Zeitpunkt der Demonstration eine entsprechende Musikveranstaltung stattfand. Herr Vahldieck, Ihre Behauptungen sind daher unwahr. Alles weitere sollten wir den Ermittlungen überlassen.

Wenn die „Bild“-Zeitung zum Sturmangriff gegen den Hamburger Senat und die Rote Flora bläst, scheint diesem Blatt jedes Mittel recht zu sein. Diejenigen, die sich regelmäßig darüber aufregen, daß Polizisten als „Bullen“ beschimpft werden, sprechen aber selbst eine verräterische Sprache.

Danach haben sich nämlich „Chaoten“ und „Faulenzer“ im Viertel breitgemacht und leben auf Kosten sogenannter braver Bürger. Tatsachen werden unterschlagen oder verdreht und Menschen an den Pranger gestellt. Mit anderen Worten:Wir haben es mit einer interessengeleiteten Desinformationskampagne zu tun.

(Beifall bei der GAL, bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Dr. Silke Urbanski SPD – Oh- Rufe bei der CDU)

Wer regelmäßig rechtschaffenes Verhalten einklagt, sollte zunächst vor der eigenen Tür kehren.

(Beifall bei der GAL und bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wer sich auf 800 000 Leser in dieser Stadt beruft, der hat auch eine achthunderttausendfache Verantwortung.Das ist der Punkt.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Statt dessen zündelt dieses Blatt in einer menschenverachtenden Rücksichtslosigkeit und trampelt auf Menschen herum; das ist wirklich beispiellos.

Das Schlimme ist, meine Damen und Herren von der CDU, daß Sie mitschwimmen, wenn auch nicht in dieser – zugegeben – schrillen Art und Weise; das haben wir heute erlebt. Nach Ole von Beust hätte der Senator – Zitat aus der „Welt“ – „spätestens nach den jüngsten Krawallen die Rote

(Werner Dobritz SPD)

Flora räumen und abreißen müssen“.Das ist eine klare Aufforderung zum Rechtsbruch und reiner Populismus. Das wissen Sie, Herr Rechtsanwalt.

Auch andere – das muß allerdings auch gesagt werden – tragen Verantwortung. Die irreführende Berichterstattung nach den nächtlichen Vorfällen kann nicht allein – das muß ich leider sagen – den Medien zugewiesen werden. Leider hat die Polizeipressestelle daran auch ihren Anteil.Ich hätte es mir gern anders gewünscht, aber es ist so. Die Abschlußmeldung der Presse unterschlägt – das hatte Folgen für die Berichterstattung der nächsten Tage –, daß es von beiden Seiten akzeptierte Verhandlungen gab, daß die Einsatzleitung von mir informiert wurde, daß die Menschen zur Identitätsfeststellung die Rote Flora durch das Hauptgebäude verlassen werden, daß sich dort überwiegend Besucher einer Musikveranstaltung aufhielten, daß die Durchsuchung im Beisein eines Mitgliedes des Vereinsvorstands stattfand, daß dieses Mitglied bis auf drei Räume, für die die Schlüssel nicht sofort zur Verfügung standen, die aber in seinem Beisein aufgebrochen wurden, sämtliche Räume aufschloß.Von der Falschmeldung über eine in den aufgebrochenen Räumen festgenommene Person, oder daß sich die Anwesenden angeblich weigerten, ihre Identität feststellen zu lassen, will ich gar nicht erst reden.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Was falsch ist, sollten Sie als Polizist auch wissen! – Glocke)

Herr Mahr, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Ole von Beust CDU: Und Senator sind Sie noch nicht, Herr Mahr!)

Noch einen Satz.

Ich bin, ehrlich gesagt, etwas ratlos, warum es zu dieser Pressemeldung kam. In den nächsten Tagen wurde diese allerdings nachgebessert.

Wir befürworten eine vertragliche Regelung. Aufgeregtheit und Panikmache sind in der Tat schlechte Ratgeber. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat Herr Hackbusch.

(Heino Vahldieck CDU: Schon wieder ein Schlich- ter!)

Meine Damen und Herren! Herr von Beust, die Art und Weise, wie Sie die Sache in den letzten Tagen diskutiert haben, hat mir nicht gefallen.

(Heino Vahldieck CDU: Das war auch nicht sein Ehrgeiz!)

Ich möchte die Angelegenheit auf den Punkt bringen: Das Plakat, das den Anstoß für die „Bild“-Zeitungs-Kampagne gab, lautet: „Stört die öffentliche Ordnung, wo Ihr sie trefft.“ Sie haben hier das Plakat so zitiert: „Haut die öffentliche Ordnung kaputt, wo Ihr sie trefft.“

Diese ungenaue, pöbelhafte Art und Weise und Ihre Übertreibungen zeigen sich daran, daß Sie nicht genau wissen, worum es geht. In Ihrem Rundumschlag machen Sie die Chaoten für das Geschehen verantwortlich; nach Ihren Worten ist damit endlich Schluß zu machen. Das ist unseriös und kann so nicht debattiert werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei der GAL)

Es geht darum, sich die „Bild“-Zeitungs-Kampagne und andere Dinge genau anzusehen. Für die CDU ist typisch, mit welcher Art und Weise sie damit umgeht. Da wird nicht auf die Einzelheiten geschaut, sondern insgesamt soll mit der Roten Flora aufgeräumt werden.

Sie fordern hier Rechtsstaatlichkeit ein. In diesem Zusammenhang haben wir eine Debatte in der Bezirksversammlung Mitte durchgeführt. Der Abgeordnete Kühlhorn, Fraktionsvorsitzender der CDU, hat folgendes gesagt:

„Nachdem die Trennscheibe zum Einsatz gekommen war, hätte man das Ding am besten gleich abfackeln sollen.“

So kann man nicht miteinander umgehen. Ihre Kampagne verhöhnt die von Ihnen eingeforderte Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Andrea Franken und Axel Bühler, beide GAL)

Diese Kampagne wird vor allem von einer Zeitung getragen. Sie berichtet unseriös, hämisch und fordert Biedermänner auf, endlich etwas zu unternehmen. Das haben wir in dieser Republik lange nicht mehr erlebt.

Ich weiß nicht, ob sich einige daran erinnern – ich war noch ziemlich jung, deshalb habe ich es nachgelesen –, daß es in den sechziger Jahren von dieser Zeitung schon einmal eine ähnliche Kampagne gab. Damals wurde gefordert, daß man mit den ungewaschenen Studenten, die durch die Gegend laufen, die nicht arbeiten und überall herumgammeln würden, aufräumen müßte. Am 9. April 1967 lautete die Hauptparole dieser Zeitung:„Stoppt den Terror jetzt! Wir können nicht allein der Polizei das Feld überlassen!“ Drei Tage später wurde Rudi Dutschke von Josef Bachmann niedergeschossen. Damals wurde behauptet, daß die „Bild“-Zeitung mitgeschossen habe.

(Heino Vahldieck CDU: Sie waren damals zwölf Jahre alt, Herr Hackbusch!)

Das war richtig. Die „Bild“-Zeitung verhält sich heute genauso, wie sie sich damals verhalten hat. Auch heute ist es unsere Aufgabe, zu sagen, daß die „Bild“-Zeitung mit dieser Kampagne aufhören soll.Das hat mit Demokratie nichts zu tun und ist unsäglich!

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke, bei der GAL und der SPD)

Diese derzeitige Kampagne findet in dem Augenblick ihren Höhepunkt, als in dieser Zeitung auch noch die vollständigen Namen derjenigen verbreitet werden, die dem Vorstand des Vereins Rote Flora angehören.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Wovor haben die denn Angst?)

Das ist genau die Art und Weise, in der „mitgeschossen“ wird. Vielleicht sind es zunächst nur Steine, aber diese Hetze ist unsäglich und gehört von allen Demokraten in diesem Land verurteilt.