Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf, Große Anfrage der CDU zum Zivildienst, Drucksache 16/3967.

[Große Anfrage der Fraktion der CDU: Auswirkungen der Beschlüsse zum Zivildienst auf Hamburg – Drucksache 16/3967 –]

Hierzu ist Ihnen als Drucksache 16/4224 ein Antrag der CDU-Fraktion zugegangen.

[Antrag der Fraktion der CDU: Vermeidung von Sozialabbau und Versorgungslücken durch verkürzten Zivildienst – Drucksache 16/4224 –]

Für beide Vorlagen beantragt die GAL-Fraktion die Überweisung an den Sozialausschuß.Wer möchte das Wort? – Herr Forst, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zum 1. Juli 2000 treten wesentliche gesetzliche Veränderungen und Neuregelungen des Zivildienstes in Kraft.So werden sich die Zivildienstzeit von 13 auf elf Monate verkürzen, die Zivildienststellen und -plätze in erheblichem Maße reduzieren und die Träger der Beschäftigungsstellen mit weiteren Kosten durch eine höhere Mitbeteiligung am Sold, den Fahrkostenzuschüssen sowie einer dreißigprozentigen Beteiligung am Entlassungsgeld zusätzlich belastet. Ebenfalls wurde die Erstattungspauschale des Bundes zur Rentenversicherung von 42 000 DM auf 31 000 DM abgesenkt. Auch dies ist eine weitere Verschlechterung.

Meine Damen und Herren, der Senat hat sich mit seiner Stimme im Bundesrat an diesen Veränderungen beteiligt. Er hat sie mitgetragen und ist somit für die Folgen verantwortlich. So ist der Senat mitverantwortlich für gesetzliche Veränderungen, die auch in Hamburg zu einem erheblichen Sozialabbau führen, und dafür, daß künftig soziale Leistungen ersatzlos wegfallen werden.Die Lasten der vom Senat mit getragenen und zu verantwortenden Veränderungen wiegen schwer, und die Folgen sind erheblich. Im Hinblick auf notwendige Kompensationsmaßnahmen sind die Auswirkungen auf den Hamburger Haushalt, wie der Senat in der Beantwortung unserer Großen Anfrage einräumt, derzeit überhaupt nicht absehbar.

Die Haushaltsfolgen sind das eine, das andere die sozialen Folgen für die Betroffenen selbst. Diese Last wiegt um so schwerer. Es ist erkennbar und Fakt, daß sich in Pflegeeinrichtungen und Wohlfahrtsverbänden Betreuungsund Versorgungslücken abzeichnen, die sich nur schwer, wenn überhaupt, mit einem erheblichen finanziellen Aufwand schließen lassen werden.

Ferner wird sich in vielen Bereichen, in denen sich der Zivildienst mit einer vorbereitenden Fachausbildung verbindet, wie beispielsweise in den Rettungsdiensten, allein durch die Dauer und die Kosten dieser Lehrgänge und die Ausbildung in der Relation der noch verbleibenden Restdienstzeit, Zivildienst kaum noch lohnen und durchführbar sein. Der Senat hat in seiner Mitentscheidung im Bundesrat um diese vielschichtigen Problemstellungen, die sich mit einer Verkürzung der Zivildienstzeit verbinden, gewußt. Gleichwohl und trotzdem fehlt es ihm aber am notwendigen Mut, sachbegründet zu argumentieren und eine Verkürzung der Zivildienstzeit abzulehnen.

(Vizepräsidentin Sonja Deuter übernimmt den Vor- sitz.)

So hat der Senat in seiner rotgrünen Ideologie den Zivildienst zum Prügelknaben gemacht, getroffen hat er jedoch die Gesellschaft und die Zivildienstleistenden selbst. Die Auswirkungen auf Hamburger Pflegeeinrichtungen und

Wohlfahrtsverbände sind fatal, und täglich dringen neue Nachrichten drohender Versorgungslücken in der Übergangszeit von Juli bis September und künftig wegfallender Betreuungsleistungen an die Öffentlichkeit.

Lassen Sie mich dazu zwei, drei Beispiele geben.So ist der Presse und dem Wortlaut der Einrichtungen zu entnehmen, daß es allein im Albertinenhaus in Schnelsen demnächst 15 Zivildienstleistende weniger geben wird. Das bedeutet allein für die Übergangszeit, die ich für den Zeitraum von Juli bis September ansprach, daß damit 6057 Stunden Zuwendung, Betreuung und Pflege weniger erbracht werden können.

Der nächste Punkt betrifft die individuelle Schwerstbehindertenbetreuung der Diakonie. Auch hierzu liegen uns nachweisliche Zahlen vor. Fakt ist, daß auch hier 50 Zivildienstleistende weniger Dienst tun werden, dagegen ist richtig, daß man nicht nur eine höhere Kostenbeteiligung der Träger beschlossen und den Zivildienst gekürzt hat, sondern daß er vor allem auch substantiell gekürzt und Zivildienststellen abgebaut wurden. Dieser Stellenabbau macht sich allein im Rahmen der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung in Hamburg bei der Diakonie mit 50 Zivildienststellen bemerkbar. Auch dies, Frau Senatorin, nehmen Sie es zur Kenntnis, sind immerhin 22 500 Stunden weniger an Zuwendung, Betreuung und Pflege. Die Deutsche Muskelschwundhilfe beklagt elf Stellen weniger. Auch hier können wir noch einmal 4950 Stunden hinzu rechnen. Dieses Zahlenspiel kann man, wenn man so will, fortführen, nur es würde vermutlich auch ein Stück weit an Unterhaltungswert verlieren.

Unter dem Strich bleibt festzustellen – lediglich an diesen drei Beispielen festgemacht, Frau Senatorin –, daß es immerhin 34 200 Stunden sind, die allein in der Übergangszeit von Juli bis September im Pflegebereich fehlen. Diese müssen kompensiert werden.

Meine Damen und Herren, das ist rotgrüner Sozialabbau pur. Es ist eine Politik der sozialen Kälte, wenn der Senat in der Beantwortung unserer Großen Anfrage lediglich feststellt, daß sich schwerstpflegebedürftige Kinder auf den häufigeren Wechsel von Bezugspersonen einstellen müssen, und er im übrigen nicht beurteilen könne, wie sich diese Situation auf die weitere Entwicklung schwerstbehinderter Kinder auswirken werde.

Darum muß es unsere Sache sein, Frau Senatorin, in der Solidarität mit Betroffenen und Trägern Versorgungslücken und sozialen Abbau zu verhindern und die Betreuung der Pflege- und Schwerstpflegebedürftigen zu sichern.Aus diesem Grunde fordern wir Sie mit dem begleitenden Antrag auf, diesem Antrag unmittelbar und zügig zur weiteren Vermeidung von sozialem Abbau zu folgen. Es ist hilfreich, wenn wir im Vorfeld dieses von uns eingebrachten Antrags zumindest atmosphärisch wahrnehmen können, daß Sie sich in dieser Frage bewegen.Wir wollen aber am Ende Ergebnisse sehen, und zwar solche, die die Pflege weiterhin sicherstellen. Da sind Sie in der Verantwortung und sollten sie wahrnehmen.

Nun weiß ich, daß wir es sicherlich auch hier wieder erleben werden, daß Sie mit gewandten Worten nach vorn kommen und in Ihren schon geübten Ritualen erklären werden, welche erfolgreichen Gespräche Sie in den letzten Tagen hatten und daß Sie im Grunde schon zu guten Vereinbarungen gekommen sind. Wenn es so wäre, würden wir uns freuen, denn dann hat unser Antrag bereits im Vorfeld eine gewisse Wirkung bei Ihnen erzielt.

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt)

Insgesamt bleibt es zu bedauern und zu beklagen, daß der Zivildienst zur Marionette einer kaum zukunftsfähigen rotgrünen Träumerei zur Abschaffung der Wehrpflicht geworden ist. Mit Ihrer Stimme im Bundesrat und gegen den Zivildienst haben Sie ohne Not bundesweit auf mehr als 11,5 Millionen Betreuungsstunden und soziales Engagement junger Menschen, vor allem in der Schwerstbehindertenbetreuung, verzichtet. Sie haben aber auch darauf verzichtet, jungen Menschen eine Chance zu geben, sich über eine längere Zeit einmal selber zu finden und sich über ihr soziales Engagement und ihre Erfahrung im Zivildienst eventuell für einen späteren Berufseintritt in einen der Sozialberufe zu interessieren.

Verzichtet haben Sie auch darauf, daß mit künftig schlanker werdender oder wegfallender sozialer Leistung insbesondere den alten Menschen ein Stück tägliche Lebensfreude und Abwechslung zuteil wird, wenn mit den mobilen sozialen Hilfsdiensten Zivildienstleistende mittags vielleicht auch mal die Mahlzeit auf Rädern bringen.

Meine Damen und Herren, wir sind mit den Änderungen im Zivildienst insgesamt ein Stückchen ärmer geworden, und der Hamburger Senat hat keine Mühen gescheut, daran fleißig mitzuwirken.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Deshalb haben Sie im- mer von Drückebergern gesprochen!)

Darum lassen Sie uns im Sinne unseres Antrags dafür eintreten, daß zumindest im Rahmen der Übergangszeiten Juli bis September die Pflege Schwerstbehinderter sichergestellt ist und daß es gelingen mag, Einbrüche in diesem Bereich zu lindern.

Tatsache ist und bleibt, daß Sie an einer Stelle eine schlechte Entscheidung getroffen haben. Auch wenn es möglich ist, mit Kraft, Engagement und mit Hilfe dieses Antrags die schwersten Probleme zumindest für die Übergangszeit abzufedern, ist der Zivildienst mehr oder weniger zu einem großen Problem geworden.Wir werden sicherlich gemeinsam noch viele Anstrengungen machen und Überlegungen anstellen müssen, wie wir diesen Schaden, den Sie mit Ihrer Stimme im Bundesrat angerichtet haben, ausgleichen können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Frau Bestmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich denke, daß es nach dieser Rede sehr wichtig ist, sich noch einmal genauer dem Zivildienst zuzuwenden. Es ist noch nicht allzu lange her, daß die jungen Männer, die von ihrem Grundrecht auf Wehrdienstverweigerung Gebrauch machen wollten, in dieser Gesellschaft als Drückeberger, vaterlandslose Gesellen und ähnliches diffamiert wurden; nicht von allen, aber von vielen Teilen.

(Beifall bei Andrea Franken GAL – Dietrich Wersich CDU: Dafür sind Sie doch noch viel zu jung!)

Ich bin zwar jung, aber daran kann ich mich noch erinnern.

(Dietrich Wersich CDU: Oh, nein!)

Es ist nämlich noch nicht so lange her, daß es den Leuten nicht einfach gemacht wurde, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Immerhin gab es bis Mitte der achtziger Jahre noch die Gewissensprüfung, die es den jungen Männern

nicht einfach machte, vor einer Kommission ihre persönliche Motivation vorzubringen.

Wenn man einen Blick auf die Vergangenheit wirft, hatten wir nach meinen Informationen beispielsweise 1970 nur 6000 Zivildienstleistende. Das war in der Attraktivität noch relativ gering, da man sich in seinen Bewerbungsschreiben fast rechtfertigen mußte, warum man Zivildienst leisten und nicht den Dienst an der Waffe ausüben wollte.

In diesem Bereich hat sich aber in der Tat eine Menge geändert. Heutzutage will fast die Hälfte eines Jahrgangs, der einberufen wird, Zivildienst leisten. Der Zivildienst ist heute eine ernste und wichtige Säule unseres Sozialsystems geworden, das hat Herr Forst auch angeführt. Damit sind wir aber gleich bei der Sache. Es heißt nämlich: Zivildienst ist eine mögliche Form der Erfüllung der Wehrpflicht. Sie soll dem Allgemeinwohl dienen und vorrangig im sozialen Bereich erbracht werden. Sie soll ferner arbeitsmarktneutral sein – das ist auch ein sehr wichtiger Aspekt – und überall dort, wo ergänzende Hilfen notwendig sind, eingesetzt werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung zur Absenkung der Dienstzeit von 13 auf elf Monate sowie der Anzahl an Zivildienstleistenden entstanden. Damit wurden zwei Ziele verbunden, einmal die Gleichbehandlung der Zivildienstleistenden gegenüber denjenigen, die ihren Wehrdienst ableisten,

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: So ist es!)

damit diese Ungleichbehandlung so nicht weiter im Raum steht, und daß andererseits die ewige Debatte von der Wehrgerechtigkeit, wie es so schön hieß, in die Schieflage geraten ist.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Dabei hat man das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden, indem nämlich im entsprechenden Einzelplan im Bundesministerium Sparleistungen erbracht wurden; das ist richtig. Aber weshalb ist dies geschehen? Um andere Bereiche wie die Familien- und Jugendförderung ungeschoren zu lassen. Das sind Dinge, die wir jahrelang unter der CDU vermißt haben. Jetzt sind sie endlich gekommen, und das ist richtig so.

(Beifall bei der SPD und bei Andrea Franken GAL – Wolf-Dieter Scheurell SPD: So ist es!)

Betrachten wir uns die Zahlen doch einmal genauer.Bisher hatten wir 138 000 Zivildienststellen. Nach der Absenkung sollen wir noch 124 000 Stellen im Bundesgebiet haben, 90 000 Stellen sind nur besetzt; ich bin mir noch nicht sicher, wo da die Katastrophe entstehen soll. Was hat eigentlich die alte Bundesregierung in ihrer Zeit gemacht? Es ist nichts passiert. Alle haben in Bonn zehn Jahre lang geschlafen; manchmal klingt es bei Ihnen so.

1990 wurde beispielsweise die Dauer des Zivildienstes schon von 20 Monate auf 15 Monate abgesenkt; wenn man bedenkt, daß wir einmal eine Dienstzeit von 24 Monaten hatten und was man den jungen Leuten alles zugemutet hat.

(Jürgen Schmidt SPD: Männer! Männer!)

Auch die Stellen wurden damals von 90 000 auf 75 000 gekürzt. Wir bewegen uns also fast wieder auf diesem Niveau.

Richtig ist aber, daß wir momentan einen sehr hohen Standard im Bereich des Zivildienstes haben. Es kann auch

(Rolf-Rüdiger Forst CDU)

sein, daß es zu Übergangsschwierigkeiten kommt, wie Herr Forst ausgeführt hat.Ich hoffe, daß das Bundesministerium entsprechende Vorsorge getroffen hat, indem die Steuerung der Einberufung des Zivildienstes vom Bundesamt auf die Träger und die Zivildienstgruppen übertragen wurde, so daß die Bereiche, die Verwendung für die Zivildienstleistenden haben, ihren Bedarf selbst definieren und steuern können.

Ferner sollen die Einsparungen, die erbracht werden müssen, nicht in dem originären Bereich erbracht werden, in dem die Zivildienstleistenden Hilfe an den Bürgern erbringen, die diese benötigen, beispielsweise in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung, in der Pflege und so weiter, sondern in anderen Bereichen, wo sie vielleicht nicht nach dem Sinn des Zivildienstgesetzes eingesetzt werden; das soll auch passieren, munkelt man.