Protokoll der Sitzung vom 24.05.2000

(Beifall bei Carmen Walther und Tanja Bestmann, beide SPD)

(Karen Koop CDU)

So kann man mit dem Thema Prostitution nicht umgehen. Ich bin von Ihren Ausführungen persönlich enttäuscht.

Es geht hier – das hat auch niemand behauptet – nicht um Nähe, Liebe oder ähnliches,

(Carmen Walther SPD: Ne!)

sondern es geht darum, daß es in dieser Stadt eine Situation gibt, in der sich viele – nicht alle – dieser Frauen für die Ausübung der Prostitution entscheiden. Uns steht eine Bewertung, ob wir dies gutheißen oder als schlecht empfinden, nicht zu.

(Beifall bei Dr. Silke Urbanski SPD)

Sicher wäre es besser, wenn wir langfristig andere Arbeitsbedingungen und -verhältnisse für alle schaffen könnten und dadurch keine Prostituierten benötigen würden. Aber dieser Zustand geht völlig an der gesellschaftlichen Realität vorbei.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Seit vielen Jahrhunderten gibt es die Prostituierten; im Mittelalter galten sie als Gewerbetreibende mit anerkannter Zunft. Sie lebten in der Mitte unserer Gesellschaft.

Nunmehr haben wir doch das Problem, daß sie – durch Vorurteile stigmatisiert, denen Sie leider auch Vorschub geleistet haben, Frau Koop – an den Rand, in eine Ecke der Gesellschaft gedrängt werden, wo sie möglichst nicht sichtbar sein sollen. Nur, wir wissen ganz genau, weil wir uns mit dem Thema Frauenhandel und Prostitution beschäftigen oder uns in bestimmten Gebieten aufhalten, wie sehr uns dieses Problem auch in dieser Stadt unter den Nägeln brennt.

Für Hamburg – das müssen wir leider sagen – ist Prostitution auch ein Standort- und Wirtschaftsfaktor. Wir können dieses Problem nicht mit Moral und Ethik angehen, wenn wir uns überlegen, wie wir diese Frauen und Männer behandeln.Wir müssen sie einfach akzeptieren.Die beste Art und Weise, diese Probleme im Sinne der Frauen und damit auch im Sinne der Freier zu lösen, ist, sie zu entkriminalisieren und ihnen einen legalen Status und vernünftige Arbeitsbedingungen zu verschaffen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wenn das alles geschieht – in diesem Zusammenhang wird immer das Café „Psst“ genannt, weil die Besitzerin damit in allen Talkshows hausieren geht –, dann können wir von der GAL und meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD nur sagen:Wunderbar, wir haben sie entkriminalisiert, sie gehen einer gewerblichen Dienstleistung nach und tauschen Dienstleistungen aus: Sex gegen Geld, aber nicht Liebe und Nähe. Diese Leistung wird durch einen vernünftigen Preis bezahlt und geschieht freiwillig, denn die sich prostituierende Frau hat sich dazu entschlossen. Aus welchen Gründen das geschieht, werten wir nicht.

(Carsten Lüdemann CDU: Es gibt eine Menge, die es nicht freiwillig machen!)

Dies geschieht offen in einem dafür bestimmten Rahmen, in einem Haus mit vernünftigen Arbeitsbedingungen.Damit wären wir einverstanden.Aus diesem Grunde erfolgte auch in Berlin die rotgrüne Gesetzesinitiative.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Es gibt keinen Zusammenhang – zumindest habe ich keine wissenschaftliche Studie darüber gelesen – zwischen Vergewaltigung und der Ausübung von Prostitution nach dem

Motto: Wir brauchen die Prostituierten, damit weniger Vergewaltigungen in der Stadt geschehen. Ich möchte den dazu gehörten Äußerungen von Frau Koop deutlich widersprechen. Frau Koop, ich möchte nicht wie Sie die Freier und die Prostitution als Problem bezeichnen. Es hört sich immer so an, als hätten wir nur Probleme damit.Wir haben nicht mit den Frauen, die hier als Prostituierte arbeiten, oder mit den Freiern Probleme, die zu ihnen gehen, sondern wir haben Probleme, weil die Prostitution in der Illegalität stattfindet.

Das schwedische Modell mit dem Verbot der Prostitution, das versucht, die Freier davon abzuhalten, die Prostituierten aufzusuchen, wird uns nicht weiterhelfen. Denn wir erleben in Hamburg sowie in jeder Stadt, daß der Austausch von sexuellen Dienstleistungen zum Alltag dazugehört.

Also geht es nicht um Verbote, auch nicht bei den Freiern, sondern um Aufklärung. Es geht um Aufklärung, daß der Kauf von sexuellen Dienstleistungen in einer anderen Arbeitsatmosphäre und unter fairen Bedingungen – Preis-Leistung und was wir alles kennen – so stattfinden kann, daß der Freier mit Sicherheit auch mehr davon hat, als würde er in die letzte Absteige gehen und die Frauen dort relativ verunsichert und kriminalisiert vorfinden. Mit Verboten werden wir hier gar nichts ändern. Deswegen müssen wir mit dieser Thematik ganz offensiv umgehen.

Frau Koop, Sie haben sich für die CDU dagegen ausgesprochen, daß wir – rotgrün – die sexuelle Dienstleistung oder den Beruf der Prostitution als solche auch anerkennen. Jetzt muß ich Ihnen etwas sagen: Wenn wir die Entkriminalisierung fordern und fordern, daß sich Prostituierte sozialversichern, krankenversichern, rentenversichern, arbeitslosenversichern dürfen – sie zahlen ja auch eine Menge Steuern –, dann hat das auch damit etwas zu tun, daß sie eine Tätigkeit ausüben, die berufliche Merkmale ausweist. Das ist für mich auch logisch.Von daher ist auch die Forderung logisch, eine Anerkennung als Beruf vorzunehmen, um all dem, was Sie kritisiert haben, ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Ich möchte noch etwas zu den Migrantinnen, zu dem Thema Frauenhandel etwas sagen. Wir haben, wenn wir die Gesetzesvorlage in Berlin beschließen werden, damit den Migrantinnen, die Prostitution hier ausüben, noch überhaupt nicht geholfen. Das ist leider so. Dazu müßten wir auch die ausländerrechtlichen Bestimmungen analog zu dem ändern, was wir heute zu Anfang diskutiert haben. Es gibt dazu auch Vorschläge von TAMPEP, einer Organisation, die Sie kennen, daß man diesen Frauen die Bezeichnung der Sexworkerin zugesteht und sie mit einer saisonalen Arbeitserlaubnis ausstattet, so daß – hier vorne bricht mein Kollege fast zusammen bei diesen Aussagen – sie auch nicht mehr kriminalisiert oder an den Rand gedrängt werden.

Alles in allem fordern wir die Anerkennung der Prostitution als Beruf und denken auch, Frau Koop, daß wir anerkennen müssen, daß sich die Mehrheit der Prostituierten durchaus bewußt für diese Art der Dienstleistung entschieden hat.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält die Abgeordnete Koppke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte weder

(Heide Simon GAL)

noch einmal auf Frau Koop eingehen noch bei Frau Simon anknüpfen, die die Prostitution hauptsächlich als Wirtschaftsfaktor beschrieben hat.

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt übernimmt den Vorsitz.)

Am liebsten möchte ich bei Frau Ernst anknüpfen, die formuliert hat, was auch meine Meinung ist, nämlich daß Prostitution keine Dienstleistung wie jede andere ist, es aber trotzdem überfällig ist, sie als Beruf anzuerkennen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und der SPD)

Wir haben gehört, daß Prostitution in Deutschland legal ist. Prostituierte werden aber gesellschaftlich verachtet und rechtlich diskriminiert. Die Tatsache, daß Prostituierte sich bislang nicht unter ihrer Berufsbezeichnung Prostituierte bei einer Krankenkasse versichern lassen konnten, liegt in der Angst der Krankenkassen begründet, weil dieses ein Imageverlust für sie zur Folge hätte. Die Falschangabe eines anderen Berufes ist dann aber Betrug. Prostituierte zahlen Steuern, sind aber vom Sozialsystem ausgeschlossen.Sie können keine regulären Arbeitsverträge schließen, und der Klageweg ist ihnen versperrt, wenn ein Freier sich weigert zu zahlen.

Insbesondere – darauf ist schon hingewiesen worden – trifft es Nicht-EU-Bürgerinnen besonders hart. Sie bekommen keine Arbeitserlaubnis, weil es in Deutschland keine Berufsanerkennung von Prostitution gibt, sie also die Prostitution auch nicht als Arbeit angeben können und sich deswegen in der Illegalität befinden und auf Vermittler angewiesen sind, die genau diesen illegalen Aufenthaltsstatus besonders bei den Migrantinnen ausnutzen. Verboten ist auch die Förderung der Prostitution und die Zuhälterei. Dieser Sachtatbestand wird leider insbesondere gegen die Frauen ausgelegt und dient nicht zu ihrem Schutz, und genau darum geht es eigentlich. Es dient nicht ihrem Schutz vor der Ausbeutung und Unterdrückung durch die Zuhälter, zum Beispiel ist es dadurch auch verboten, Kondome anzubieten oder zur Verfügung zu stellen. Dies steht unter Strafe.

Auch führt der Tatbestand – Frau Ernst hatte darauf hingewiesen –, daß Prostitution nicht gefördert werden darf, dazu, daß es zum Beispiel verboten ist, ein schick hergerichtetes Bordell aufzumachen, eine dreckige Kaschemme dagegen sehr wohl eröffnet und Prostituierte angeboten werden dürfen, da unterstellt wird, dieses Ding ist so dreckig, hier bemühen sich die Besitzer nicht, Freier anzuwerben, und deswegen ist es auch nicht strafbar.

Schließlich gibt es natürlich auch noch das Problem der Schließung und der Polizeistürmung von Bordellen und Clubs gerade in Hamburg, die sich vermeintlich gegen die Zuhälter richten, aber in erster Linie die Frauen als Leidtragende treffen.Genannt seien hier zum Beispiel noch einmal die Schließungen von Sexbetrieben mit vergleichsweise eher guten Arbeitsverhältnissen für die Frauen, wie das Salambo, oder auch die Razzien in der jüngsten Vergangenheit, wo die Frauen, insbesondere die Migrantinnen, vom Regen in die Traufe gekommen sind, nämlich von der sexuellen Ausbeutung in eine völlig ungewisse Zukunft.

Mit der Bundesinitiative zur Anerkennung der Prostitution als Beruf würden viele dieser Probleme beendet werden. Prostituierte würden eine soziale Absicherung erhalten, sie könnten ihr Honorar vor Gericht einklagen, sie könnten Arbeitsverträge schließen. Die Abschaffung der Strafbarkeit

der Förderung der Prostitution vermindert allerdings eventuell auch die Möglichkeit, den Zuhältern das Handwerk zu legen. Prostitution ist eine gesellschaftliche Realität, die man nicht einfach abschaffen kann.Trotzdem ist die für die Prostituierten notwendige Anerkennung von Prostitution als Beruf für mich nicht gleichzeitig ein Ausdruck dessen, daß Prostitution eine ganz normale Dienstleistung wie jede andere ist, sondern auch ich sehe in der Prostitution das Problem, daß Frauen als Ware betrachtet werden und daß dies – so formuliert es jedenfalls das Prostituiertenprojekt Hydra aus Berlin – ein Symptom einer kranken Gesellschaft ist, weil Prostitution die Stellung der Frau in der Gesellschaft als solche widerspiegelt.

Solange aber diese gesellschaftlichen Machtverhältnisse nicht radikal verändert werden und die Prostitution auf diesem Wege ihrer Grundlage beraubt wird – und das sage ich besonders in Richtung Frau Koop –, ist es vollkommen widersinnig, sich dagegen auszusprechen, den Schutz und die Rechte von Prostituierten zu verbessern.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das ist gerade bei diesem Punkt völlig realitätsfern, der auch damit verbunden sein muß, Hilfen für den Ausstieg aus der Prostitution zu finden. Deshalb fordere ich den Senat auf, Programme zu entwickeln oder zumindest Positionen zu legen, damit es nicht bei Lippenbekenntnissen zur Verbesserung der Lage und zum Schutz der Prostituierten bleibt.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und der GAL)

Das Wort hat Frau Senatorin Roth.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! 1,2 Millionen Mal täglich leisten Prostituierte ihren Dienst. Ich stimme Ihnen zu, daß das kein normaler, sondern ein außergewöhnlicher und in vielerlei Weise auch ein frauenverachtender Dienst ist, mit dem sie allerdings ihr Geld verdienen, und das ist gesellschaftliche Realität.

Es gibt Vermutungen über die Zahl der Prostituierten in unserem Land.Die schwanken zwischen 50 000 und 400 000. Gleichermaßen gibt es die Frage des Jahresumsatzes. Auch da gibt es Schwankungen. Es wird vermutet, daß mindestens 11 Milliarden DM mit diesem Gewerbe verdient wird.

(Antje Blumenthal CDU: Das ist aber nicht versteu- ert!)

Ein hart umkämpfter Markt – richtig, Frau Blumenthal –, bei dem es zum größten Teil nicht um die Erlöse bei den Prostituierten geht, sondern vor allen Dingen um die Zuhälter, um die Eigner von Immobilien und Bordellen im Rotlichtmilieu. Prostituierte befinden sich in brutaler Abhängigkeit, in menschenunwürdigen Ausbeutungsverhältnissen, und sie sind oft schutzlos denjenigen ausgeliefert, für die sie arbeiten. Es ist zwar das älteste Gewerbe der Welt, aber die Methoden in diesem ältesten Gewerbe werden immer komplizierter und brutaler.Wenn man sieht, was zur Zeit mit den Frauen geschieht, dann muß man aus meiner Sicht in vielen Bereichen eingreifen, um auch die Menschenwürde zu sichern.

Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist verankert, daß dieses Gewerbe sittenwidrig ist, und das hat fatale Folgen für die

(Julia Koppke REGENBOGEN – für eine neue Linke)