Protokoll der Sitzung vom 20.09.2000

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hamburger Bürgerschaft hat sich mit der Entschädigung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen, die in Hamburger Unternehmen beschäftigt waren, wiederholt in großer Einmütigkeit beschäftigt. Diese Einmütigkeit ist, glaube ich, wichtig bei diesem Thema. Dabei kann man sich nicht auseinanderdividieren. Hier gilt es, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Seitens der Politik sind nunmehr auch die Voraussetzungen geschaffen worden, um für die Überlebenden von Verschleppung und Zwangsarbeit gegen Ende ihres Lebens einen geringen Ausgleich für das erlittene Unrecht und eine kleine Linderung, zumindest der materiellen Not zu erreichen.

Das Gesetz zur Errichtung der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ist am 12. August in Kraft getreten. Zuständig für die Abwicklung des Antragsverfahrens sind die im Gesetz genannten Partnerorganisationen der Stiftung, also die Aussöhnungsstiftungen und Zukunftsfonds in den osteuropäischen Ländern und in den östlichen Staaten sowie für die jüdischen Antragsteller, soweit keine Aussöhnungsstiftungen bestehen, die Conference on Jewish Material Claims sowie die International Organization for Migration.

Diese Organisationen haben es übernommen, die Entschädigungsregelungen umzusetzen, und die Bundesregierung war gut beraten, diese Organisationen mit einzubeziehen, auch aufgrund ihrer Erfahrungen in den letzten Jahren. Mit diesen starken und erfahrenen Partnerorganisationen ist gewährleistet, daß die Informationen und auch die Beratungen und die Zugangsmöglichkeiten zu den vorhandenen Unterlagen zügig und unbürokratisch gewährleistet werden. Unbürokratische Abwicklung ist wichtig, damit tatsächlich eine schnelle Umsetzung geschieht.

Soweit keine Unterlagen vorhanden sind, geht das Gesetz vom Grundsatz der Glaubhaftmachung aus. Das heißt, für diese Beweismittel reicht das Vorliegen einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines solchen Tatbestandes aus. Von daher gibt es auch durch das Gesetz die Möglichkeit, hier sehr großzügig mit den vorliegenden Beweismitteln umzugehen.

Unabhängig von der weiteren Ausgestaltung des Antragsverfahrens im einzelnen hat der Gesetzgeber damit auch den Willen bekundet, deutlich zu machen, daß der Nachweis für die betroffenen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter so zu organisieren ist, daß mit einem vertretbaren Aufwand auch für diejenigen, die davon betroffen sind, die Durchsetzung ihrer Rechte leichter wird. Das heißt, diejenigen Menschen sollen im Rahmen des Verfahrens der Antragstellung nicht belastet, sondern entlastet werden.

Im Dezember 1999 hat die Bürgerschaft in einem eindrucksvollen gemeinsamen Beschluß an alle Hamburger Unternehmen und deren Rechtsnachfolger appelliert, daß sie sich der „Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen:Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ anschließen sollen. In der letzten Woche hat die Senatskommission für öffentliche Unternehmen nunmehr entschieden, daß alle Unternehmen mit unmittelbarer Mehrheitsbeteiligung der Stadt einen Beitrag zur Bundesstiftung in Höhe von 0,1 Prozent ihres Umsatzes im Jahre 1999 zahlen werden. Diese Höhe orientiert sich am Vorschlag der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft für renditestarke Unternehmen. Damit werden die öffentlichen Unternehmen vom Thalia Theater und Schauspielhaus über die Hamburger Arbeit bis zu einem kleinen Unternehmen P&R Betriebsgesellschaft mbH insgesamt 6,5 Millionen DM aufbringen.

Die Hamburgische Landesbank wird sich entsprechend einem Umlageschlüssel des Sparkassenverbandes an der Aufbringung der dort zugesagten 200 Millionen DM beteiligen, so daß sich der öffentliche Sektor mit insgesamt circa 9 bis 10 Millionen DM im Rahmen der Stiftungsinitiative beteiligen wird.Die Entscheidung der Senatskommission wird unverzüglich in den Aufsichtsgremien der öffentlichen Unternehmen umgesetzt. Das ist sozusagen der zweite Teil des Beschlusses der Senatskommission, denn die Senatskommission kann das zwar beschließen, aber die jeweiligen Organe der Einrichtungen müssen das noch einmal nachvollziehen.

Die Mittel werden in den Fonds der Privatwirtschaft fließen. Unter den beteiligten öffentlichen Unternehmen – das möchte ich hier besonders betonen – sind dabei insbesondere die beiden größten Einzahler, nämlich der Landesbetrieb Krankenhäuser und die SAGA. Diese beiden Unternehmen stehen mit anderen Unternehmen im Wettbewerb. Deshalb, denke ich, daß diejenigen Privatunternehmen, die argumentieren, sie würden in einer besonderen Wettbewerbssituation stehen und deshalb nicht zahlen können, sich an diesen Unternehmen ein gutes Beispiel nehmen können, denn auch diese beiden und auch andere öffent

(Peter Zamory GAL)

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liche Unternehmen stehen im Wettbewerb, das heißt, sie tragen auch dazu bei, mit dieser öffentlichen Initiative ein Vorbild zu sein. Die öffentlichen Unternehmen gehen mit gutem Beispiel voran, und die Hamburger Unternehmen, die noch nicht dabei sind, sollten das gleichermaßen tun.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Koppke? – (Zu- stimmung)

Habe ich das richtig verstanden, daß der Anteil jetzt doch in den Teil des Fonds fließt, der eigentlich der Privatwirtschaft zugedacht ist?

Sie haben es richtig gehört, und so ist es auch.

Können Sie uns erläutern, warum das so ist?

Ja, das ist ganz einfach. Es ist eine zusätzliche Initiative der Hamburger Unternehmen, weil der andere Teil der öffentlichen Unternehmen durch die Bundesregierung abgedeckt ist. So ist das.

Die öffentlichen Unternehmen gehen mit gutem Beispiel voran. Es ist auch ein gutes Zeichen, das wir hier in Hamburg mit dieser Entscheidung gesetzt haben. Hamburg nimmt damit auch eine klare Position ein, nämlich nicht nur im Sinne, daß wir mit den öffentlichen Unternehmen vorangehen, sondern darüber hinaus ist diese Beteiligung auch unabhängig davon, ob diese Unternehmen bei der Gründung sozusagen Rechtsnachfolger waren oder erst im nachhinein gegründet worden sind, also keine unmittelbare direkte Zuweisung von Schuld haben. Das ist auch für die privaten Unternehmen vorbildhaft, und es gibt in Hamburg einige Beispiele dafür, die sich unabhängig von direkt zurechenbarer Schuld beteiligt haben. Herr Zamory, Sie haben das gerade erwähnt.

Dieses Zeichen der Verantwortung sollte von möglichst vielen Unternehmen in Hamburg aufgegriffen werden, die bislang abseits gestanden haben und vielleicht auch noch weiterhin abseits stehen wollen. Ich meine, wir müssen diese Verantwortung einfordern.

Es wäre wünschenswert, daß sich nunmehr nach dem staatlichen Engagement auch die privaten Unternehmen bewegen. Herr Zamory, wir haben jetzt unterschiedliche Zahlen. Ich habe von 237 Firmen gesprochen, Sie haben 240 gesagt. Es scheinen also noch drei Firmen dazugekommen zu sein. Aber Sie haben recht, Anfang Juli waren es noch rund 160 Firmen, also in einer relativ kurzen Zeit sind wir von 160 auf jetzt 240 gekommen.Ich bedanke mich ganz besonders bei der Präsidentin der Bürgerschaft und dem Präses der Handelskammer, daß eine solche Initiative stattgefunden hat und daß die gemeinsame Verantwortung, die wir hier in der Stadt haben, offensichtlich Früchte trägt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ich hoffe und wünsche, da seitens der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft jetzt insgesamt 3,2 Milliarden DM vorhanden sind, daß diese 5 Milliarden DM, die die deutsche Wirtschaft erbringen will, auch zustande kommen.Ich denke, die öffentlichen Unternehmen und diejenigen, die

sich dazu bekannt haben, daß das noch nicht ausreicht, haben in Hamburg ein Recht, zu sagen, daß wir auf einem guten Weg sind. Am Ende des Jahres sollten wir eine positive Bilanz ziehen können. Dazu sollten wir alle in dieser Stadt werben und insbesondere die Initiative der Präsidentin und des Präses der Handelskammer auch politisch gemeinsam unterstützen.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Sudmann.

Meine Damen und Herren! Seit gut einem Jahr diskutieren wir hier in der Bürgerschaft über die Frage des Zeitpunktes der Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen. In jeder Debatte wird immer wieder gesagt, wir wollen keine Gräber erreichen, wir wollen, daß die Zwangsarbeiterinnen so schnell wie möglich entschädigt werden.Das sagen wir seit einem Jahr.

Seit einem Jahr haben wir verschiedene Appelle beschlossen, haben sehr oft Wünsche an die Wirtschaft gerichtet, einzuzahlen. Es sind mittlerweile mehrere Firmen, die zahlen. Das ist richtig.Wir wissen aber alle – das ist zwar nicht gesagt worden, aber ich hoffe, es wissen alle –, daß immer noch nur ein kleiner Bruchteil von Firmen dabei ist, die damals Zwangsarbeiterinnen beschäftigt haben. Ich glaube, es gibt hier eine gewisse Ratlosigkeit, wie Sie und wir alle damit umgehen, daß wir immer wieder die Appelle an die Firmen gebracht haben, auf den Good will gesetzt haben, und die Firmen aber bisher nicht gezahlt haben.Ich glaube, daß Sie ein Problem haben, das wir für uns mittlerweile geklärt haben. Sie haben das Problem, für sich noch einmal zu beantworten, ob es richtig ist, Firmen zu outen oder nicht. Überlegen Sie noch einmal, ob Sie vielleicht Ihre Meinung ändern müssen.Wir haben vor etwa zwei Wochen acht Firmen – in Anführungsstrichen – geoutet.Von diesen acht Firmen sind zwei Firmen sofort beigetreten.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Ganz großer Erfolg!)

Sie haben die Resonanz in der Presse gelesen, daß sie gesagt haben, es war uns gar nicht so bekannt. Natürlich treten wir sofort bei. Mit weiteren Firmen haben wir einen Briefwechsel, die auch sagen, ja, es ist richtig, wir werden beitreten. Andere Firmen sagen zu uns, wir werden auch dann beitreten, selbst, wenn wir keine Zwangsarbeiterinnen beschäftigt haben. Ich finde, das zeigt, daß der Weg richtig ist. Wir haben keine Firmen, die gesagt haben, ihr seid des Wahnes, so etwas zu machen, sondern es zeigt, es braucht einen gewissen Druck, wenn wir wirklich noch Menschen und keine Gräber erreichen wollen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Sie können uns alles Mögliche vorwerfen. Herr Schira, Ihr Beitrag war im Prinzip ein dickes Lob für uns, wenn Sie sagen, Sie ärgern sich, daß wir es immer wieder auf die Tagesordnung setzen und wir sind immer wieder da dran. Es geht uns darum, daß wir die Leute erreichen. Sie alle sagen auch, daß Sie wollen, daß die Leute möglichst schnell Geld bekommen. Deswegen sollte die Bürgerschaft doch noch einmal überlegen, ob man nicht einen neuen Beschluß faßt und der Senat das macht, was wir schon einmal gefordert haben, nämlich die Namen der Firmen veröffentlicht, die Zwangsarbeiterinnen beschäftigt haben und bisher nicht gezahlt haben. Diese Gesprächsrunden der Bürgerschaft sind irgendwann im Juli angefangen. Wir ha

(Senatorin Karin Roth)

ben jetzt Mitte September. Ob wir Ende des Jahres das Geld haben, wissen wir immer noch nicht. Es gibt wirklich keinen Grund und keine Argumentation dafür, weiterhin darauf zu hoffen und zu vertrauen, die werden schon einzahlen. Es geht leider nur mit Druck, und das müßten alle endlich akzeptieren.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Ellger.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Den Standpunkt meiner Fraktion hat der Kollege Kopitzsch hier ausführlich dargestellt. Insofern kann ich mich kurz fassen.

Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich auf das antworten möchte, was der REGENBOGEN hier vorgetragen hat, da ich mit einigem davon doch nicht einverstanden bin.

Wir wollen doch alle dasselbe. Wir wollen, daß diese Stiftung ein Erfolg wird. Wir wollen, daß dieses Geld rechtzeitig zusammenkommt und daß nachher wirklich diejenigen, die es betrifft – die wenigen, die davon noch leben –, es auch wirklich erleben können.

Frau Koppke hat vorhin vier Punkte genannt, die ein bißchen über das hinausgehen.Einen Punkt davon fand ich besonders erwähnenswert, nämlich der Appell, sich mit der Geschichte der Firmen zu befassen. Man muß nur einmal mit den Fachleuten, zum Beispiel an der Gedenkstätte, sprechen, um zu wissen, daß eine riesige Menge von Forschungsvorhaben und Unternehmungen in dem ganzen Bereich schon laufen.

Eines ist richtig: Die Firmengeschichten sind gewissermaßen ein weißer Fleck darin. Da gibt es Nachholbedarf, da gibt es wirklich Notwendigkeiten, daß hier über die Stiftung hinaus Forschung betrieben wird. Da ist es kontraproduktiv und geradezu schädlich, wenn man jetzt darangeht, diese Firmen an den öffentlichen Pranger zu stellen. Man wird sie geradezu davon abbringen, sich um ihre eigenen Firmengeschichten zu kümmern. Man wird sie mit Sicherheit auch nicht dazu bringen, sich in größerer Anzahl der Verantwortung für diese Stiftung zu stellen.

Ich glaube, der Weg, den die Bürgerschaftspräsidentin dankenswerterweise und auch der Präses der Handelskammer eingeschlagen haben, ist der bessere. Die Zahlen, die wir seit kurzem haben – ich denke nur einmal, was allein im September dazugekommen ist, Mitte September waren es 225, jetzt sind es 240 –, beweisen, daß das der richtige Weg ist. Ich denke, auf diese Art und Weise sind wir eher mit Erfolg gesegnet.

Insofern ist es meine feste Überzeugung, daß der Vorgang, Firmen zu outen, was Sie, Frau Sudmann, vorschlugen, der falsche Weg ist.Mit diesem Druck mögen Sie ein, zwei, vielleicht auch zehn Firmen bekommen,

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Es werden mehr!)

die solch ein schlechtes Gewissen nicht länger vor sich her tragen wollen, aber hier handelt es sich um eine Gesamtverantwortung der Wirtschaft, und gerade auch die Firmen, die damals gar nicht existiert haben, die Firmen, von denen heute schon einige mit dabei sind, solche Firmen werden Sie auf keinen Fall mit Druck dazu bekommen.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Um die geht es gar nicht! Wir loben diese doch!)

Aber dies ist ein schlechtes Klima. Es dreht sich darum, daß wir hier mit einem guten Klima mehr erreichen können. Davon bin ich fest überzeugt.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Da haben Sie recht, Herr Ellger!)

Deshalb ist der Weg, der eingeschlagen wurde, der richtige und erfolgversprechende. Wir sollten ihn weitergehen und uns auch hier im Hause sämtlicher Polemik enthalten. Das ist ein gemeinsames Anliegen von allen.

Ich hätte nur noch gerne ein Wort an die Vertreter der Medien gesagt. Es sind aber kaum noch welche da.