Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Das Wort hat Frau Jürs.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag greift ein Anliegen auf, das seit dem 22. Dezember 1999 bereits Gesetz ist.

Ich fasse einmal kurz zusammen, was meine Vorredner gesagt haben. Nicht nur, daß durch die Anwendung dieser neugefaßten gesetzlichen Möglichkeiten erhebliche Einsparungen für die Krankenversicherer und damit auch Beitragssenkungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, die wir alle dringend wünschen, möglich werden, das weite Feld der Diagnose wird vernetzt, und das kommt dem Patienten doppelt zugute. Es gibt nicht mehrere Blutentnahmen – nämlich in jeder Facharztpraxis wieder neu –, nicht mehrere, sich wiederholende Röntgenaufnahmen und damit Strahlenbelastung, sondern die Einwilligung des Patienten zur gemeinsamen Datennutzung der integrierten Vertragspartner. Das spart Material, die körperliche Belastung der Patienten wird vermindert, Wartezeiten fallen weg, und es spart Geld.

Im Grunde ist es bedauerlich, wenn bisher noch keine Konzepte oder Modelle im Sinne des Paragraphen 140 vorliegen sollten beziehungsweise bereits umgesetzt sind. Denn es ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit und der Schonung der Ressourcen, die integrierte Versorgung in der Praxis

anzuwenden. Deshalb stimmt die CDU-Fraktion diesem Antrag der GAL und der SPD gerne zu. – Danke.

(Beifall bei der CDU, der GAL und vereinzelt der SPD)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Wer den Antrag aus der Drucksache 16/4838 annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist dieser Antrag einstimmig beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 64 auf: Antrag der Gruppe REGENBOGEN zum Moratorium für Elternteilnahmebeitragsgesetz und Kita-Card.

[Antrag der Gruppe REGENBOGEN – für eine neue Linke: Moratorium für Elternteilnahmebeitragsgesetz und Kita-Card – Drucksache 16/4839 –]

Wer wünscht das Wort? – Frau Sudmann, Sie haben das Wort.

Guten Tag! Seit dem 1. August 2000 werden die Elternbeiträge für Kindergärten neu berechnet. SPD und GAL haben diese neue Regelung – in Anführungszeichen – mit mehr Gerechtigkeit begründet. Doch die Realität sieht anders aus, was nicht nur der Protest von vielen Eltern zeigt.

Deshalb fordern wir heute erneut ein Beitragssystem, das Eltern nicht nur mit Worten, sondern auch finanziell glaubhaft signalisiert, daß es in Ordnung und erwünscht ist, daß Kinder eine Kita besuchen. Um das zu erreichen, muß das jetzige System gestoppt und erneuert werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Ich will an einigen Beispielen die Notwendigkeit unseres Antrags verdeutlichen. Erstes Beispiel: Das aktuelle Beitragssystem wurde von der SPD und der GAL mit dem Versprechen angekündigt: Wer viel Einkommen hat, soll viel bezahlen. Wie sieht es damit aus? Familien, die von Sozialhilfe leben, mußten bisher für einen vierstündigen Kindergartenplatz nichts bezahlen. Sie bekamen automatisch den sogenannten Null-Schein. Nun bezahlen sie in der Regel 50 DM. Das sind fast 20 Prozent der Sozialhilfe für das Kind. Da in Hamburg nahezu jedes fünfte Kind von Sozialhilfe lebt, gibt es viele betroffene Eltern, die jetzt zur Kasse gebeten werden.

Nicht verschweigen will ich, daß Familien mit wenig Einkommen immerhin um 30 DM entlastet werden. Doch um das Zehnfache höher, nämlich 300 DM, ist der Betrag, um den die Gutverdienenden entlastet werden. Statt bisher 600 DM monatlich ist ihr Höchstbetrag auf 300 DM monatlich reduziert worden.

Wenig Gerechtigkeit gibt es auch für Eltern, deren Kinder in zwei verschiedenen Haushalten leben, die sogenannten Patchworkfamilien, wie Frau Deuter es gerade erklärt hat. Da schafft der Senat ein richtiges Kunststück. Er schafft es nämlich, aus 1 DM Einkommen der Eltern 2 DM zu machen. Leider findet diese wundersame Geldvermehrung nicht im Portemonnaie der Eltern statt, sondern nur auf dem Papier.Ich will Ihnen erklären, wie das geht.Die Eltern zahlen für die Kinder, die nicht in ihrem Haushalt leben, Unterhalt. Das ist auch gut so und soll so sein. Wenn nun bei denselben Eltern Kinder im Haushalt leben, die auch in die Kindertagesbetreuung gehen, wird bei der Berechnung des

(Dr. Mathias Petersen SPD)

A C

B D

Beitrags, den diese Eltern für ihr Kind im Haushalt zahlen können, vom Senat so getan, als wenn das Einkommen der Eltern eben nicht um diesen Unterhaltsbeitrag geschmälert worden ist. Das heißt in der Konsequenz, daß diese Eltern einen höheren Beitrag als vorher zahlen müssen. Doch auch diese Eltern haben keine Chance, eine Mark zweimal auszugeben, sie können sie nur einmal ausgeben. Deswegen muß diese doppelte Anrechnung von Einkommen aufhören, denn sie wird auf dem Rücken der Kinder ausgetragen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wenn Sie bei der jetzigen Berechnung argumentieren, so haben wir es bei den Kitaplätzen oder der Tagespflege schon immer gemacht, bin ich der Meinung, daß das kein Argument ist, denn wir wollen keine Gerechtigkeit, bei der es alle gleich schlecht haben. Feststellen läßt sich jedenfalls: Wer in dieser Stadt arm ist oder Kinder aus verschiedenen Beziehungen oder Familien hat, wird finanziell abgestraft. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Frau Deuter kann es gleich einmal erklären, wie es umgekehrt ist. Sie kann aber über Familien sprechen, die leider nicht in ihre Beispiele passen.

Zweites Beispiel:Die neue Gerechtigkeit, die SPD und GAL proklamieren, hat auch die Situation der Frauen nicht im Blick. Halbtagesplätze werden billiger, aber mit einer vierstündigen Betreuung läßt sich bekanntlich kein Halbtagsjob realisieren.Teiltags- und Ganztagsplätze werden teurer. Da es aber heute immer noch Realität ist, daß der Mann voll erwerbstätig und die teilzeitbeschäftigte Ehefrau das Pendant dazu ist, kommen einige Frauen in heftigen Begründungsnotstand. Denn es ist schon bitter, wenn der Großteil des Geldes, das sie hinzuverdienen, für die zusätzliche Kinderbetreuung draufgeht. So sollte es nicht sein.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Drittes Beispiel: Mehr als ärgerlich ist die lange Wartezeit, die den Eltern zugemutet wird, bevor ihnen von der Behörde mitgeteilt wird, wieviel Geld sie nach dem neuen System bezahlen müssen. Nun kann man sagen:Wunderbar, je später der Bescheid kommt, um so später muß gezahlt werden. Sie müssen aber Nachzahlungen leisten. Da die Nachzahlungen in der Regel aufgrund der neuen Berechnungen wesentlich höher als früher sind, führt es dazu – wie uns aus Allermöhe berichtet wird –, daß sehr viele Eltern ihre Kinder nicht mehr zur Tagesbetreuung anmelden. Das kann und darf nicht passieren, denn wir wollen doch, daß Kinder weiterhin in die Kindertagesbetreuung kommen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Viertes Beispiel: Diese neue Gerechtigkeit ist – offen gesagt – eine ziemlich teure Angelegenheit, die nach dem, was ich bisher vom Senat in Erfahrung bringen konnte, mehr Kosten als Einnahmen verursacht. In der Bürgerschaft haben wir beschlossen, daß sieben Stellen für 600 000 DM eingerichtet werden, um die neuen Berechnungen durchzuführen. Nun hat der Senat noch weitere sieben Stellen aus dem LEB, dem Landesbetrieb Erziehung und Bildung, abgeordnet, das sind noch einmal 600 000 DM, sprich, es werden fast 1,2 Millionen DM dafür ausgegeben.

Gleichzeitig teilt der Senat mit, daß man davon ausgeht – als noch nicht geprüft wurde –, daß jährlich ungefähr eine

knappe halbe Million DM zu wenig gezahlt wurde. Daß zu wenig gezahlt wird, finde ich nicht korrekt, wenn die Berechnung anders ist. Daß man nun aber mehr als das Doppelte ausgibt, um trotzdem nicht mehr Einnahmen zu haben, ist eine Logik, die mir nicht sinnvoll erscheint.

Wir fordern, daß das Elternteilnahmebeitragsgesetz, also das Berechnungssystem, gestoppt wird.Es muß zurück auf „Los“ gehen für die Halbtagesplätze. Der Senat muß seine Hausaufgaben neu machen.Eine Gerechtigkeit, die diesen Namen verdient, darf nicht an der Lebensrealität der sogenannten Patchworkfamilien vorbeigehen, nicht an der Realität der wachsenden Zahl von Alleinerziehenden und vor allem nicht an der zunehmenden Einkommensarmut von Familien.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Kindertagesbetreuung ist auch nach dem Willen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ein Bildungs- und Erziehungsangebot für Kinder. Deshalb muß es allen Kindern, losgelöst von ihrem familiären oder finanziellen Hintergrund, möglich sein, dieses Angebot wahrzunehmen. Nirgends ist dieses notwendiger als in einer Großstadt wie Hamburg, in der Kinder immer weniger eigenen Raum zu Spiel- und Erfahrungsmöglichkeiten haben. Deswegen, denke ich, müssen Sie unserem Antrag zustimmen und ihn zumindest an den Ausschuß überweisen.

Zum letzten Punkt unseres Antrag habe ich heute gehört, daß die ISKA-Studie in drei bis vier Wochen vorliegen wird. Eigentlich sollte sie schon heute vorliegen und wir hätten gern heute darüber diskutiert, aber das verschieben wir dann auf das nächste Mal.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Herr Böwer, Sie haben das Wort.

Langanhaltender Beifall! Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Sudmann, bevor ich auf den Antrag komme, gebe ich Ihnen in einer Sache recht: Die Wartezeit in den KTB-Sachbereichen ist unbefriedigend, sowohl für die Träger als auch für die Eltern. Die Bürgerschaft hat ihre Hausaufgaben in dieser Frage gemacht, und damit es für die Eltern keine Nachteile und für die Träger auch keine Liquiditätsprobleme gibt, bitte ich den Senat an dieser Stelle, schnell für Abhilfe zu sorgen.

Dann kommen wir zu Ihrem Antrag. Sie haben uns gerade ein Beispiel gegeben, mit dem Sie versucht haben, ein Stück der Robin Hood der Jugendhilfe zu sein.

(Sonja Deuter GAL:Oh, das wollte ich doch sagen!)

Wenn Sie sich Ihren Antrag einmal genau durchlesen, dann sind Sie im Grunde genommen aber eher Al Capone.

Zu Punkt 1.2 sagen Sie: Bis zum Inkrafttreten eines überarbeiteten Gesetzes zur Beitragsfestlegung soll bei den vierstündigen Angeboten sozusagen alles wieder auf Null gefahren werden. Das bedeutet, Sie wollen den Eltern 4,7 Millionen DM aus der Tasche ziehen. Sie treten hier als Rächer der Enterbten und als Retter auf,

(Sonja Deuter GAL: Richtig! – Holger Kahlbohm SPD: Das ist ja ein Skandal!)

und auf der anderen Seite sagen Sie, bei den Ganztagsund Teiltagsplätzen solle alles bleiben, wie es ist.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wir haben gesagt – das haben wir auch nie geleugnet –, daß es eine Gerechtigkeitslücke insofern gibt, daß bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes in Hamburg Halbtagsplätze tendenziell teurer waren als Teiltags- und Ganztagsplätze.

Nun haben wir an dieser Stelle eine Veränderung in Form einer Entlastung der Halbtagsplätze vorgenommen und gleichzeitig, weil wir haushaltsneutral vorgehen mußten, bei den Teiltags- und Ganztagsplätzen entsprechend sozial abgefedert etwas draufgelegt.

Sie sagen nun: Bei den Halbtagsplätzen alles wieder auf Null. Das heißt höhere Beiträge, per saldo weitere 4,7 Millionen DM Belastung für die Eltern. Gleichzeitig wollen Sie bei der Regelung der Teiltags- und Ganztagsplätze die Teuerungen nicht zurücknehmen.

(Glocke)

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu? – (Zustimmung)

Ich würde gern wissen, wie hoch die Einnahmen sind, die mit dem neuen System entstehen, falls es die SPD wider Erwarten schon weiß.