Protokoll der Sitzung vom 15.11.2000

Sie ist zugleich die pädagogische Antwort auf eine zunehmend heterogener werdende Schülerschaft. Damit trägt die Verläßliche Halbtagsgrundschule entscheidend zur Chancengleichheit für alle Kinder in dieser Stadt bei.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben den Kindern mit der Einführung der Verläßlichen Halbtagsgrundschule mehr Zeit zum Lernen gegeben; das ist wichtig für die Freude am Lernen. Kinder mit mehr Zeit können Leselust entwickeln, mit Spaß Rechnen lernen und können schließlich ihren Forscherdrang, der allen Kindern angeboren ist, in der Schule ausleben. Wir wissen, daß es wichtig ist, Grundlagen dafür zu legen, daß gern gelernt wird. Das ist ein großer Vorzug dieser Verläßlichen Halbtagsgrundschule.

Seit 1995 sind stufenweise neue pädagogische Elemente und Organisationsformen eingeführt worden: Frei gestaltbare Unterrichts-, Spiel- und Bewegungszeiten, Wahlpflichtfach Künste, offene Phasen in der 1. und 2. Klasse, verbesserte Einbindung des Förderunterrichts in den Schulvormittag und Differenzierungsstunden.

In allen Bundesländern – darauf hat Frau Goetsch hingewiesen – bemüht man sich auch, zu mehr verläßlicher Zeit zum Lernen für die Grundschülerinnen und -schüler zu kommen. Man kann nach wie vor feststellen: Hier ist Hamburg heute – und wird es noch lange sein – bundesweit richtungweisend, weil das hamburgische Angebot eben nicht

(Christa Goetsch GAL)

A C

B D

nur ein Betreuungsangebot ist, sondern ein pädagogisch überzeugendes Konzept verfolgt.

Kinder, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und inzwischen auch alle Fraktionen dieses Hauses sind mit der Verläßlichen Halbtagsgrundschule zufrieden. Mit den neuen Elementen der zusätzlichen Lern- und Leistungsförderung sind 80 Prozent der Eltern zufrieden. 47 Prozent bestätigen, daß die Verläßliche Halbtagsgrundschule förderlich für die Berufsausbildung der Mütter und Väter ist.In 31 Prozent der Familien ist es überhaupt erst ermöglicht worden, daß meistens die Mütter wieder erwerbstätig geworden sind.

Ein sehr interessantes Ergebnis finde ich schließlich, daß 60 Prozent der Familien bestätigt haben, daß ihr Tag durch die Verläßliche Halbtagsgrundschule entspannter, angenehmer und leichter geworden ist. Insofern ist die Verläßliche Halbtagsgrundschule auch eine große familien- und frauenfördernde Maßnahme. Das ist ein wünschenswerter und angestrebter Nebeneffekt der Verbesserung der Lernund Leistungsförderung an den Grundschulen.

(Beifall bei der SPD und bei Andrea Franken GAL)

Meine Damen und Herren, die Qualität der Hamburger Grundschulen ist sehr hoch. Der Erfolg der Reform war aller Mühen wert. Es ist aber nicht zuletzt auch ein Erfolg engagierter Lehrerinnen und Lehrer, denen ich an dieser Stelle sehr herzlich für ihr Engagement danken möchte.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die neue Arbeit der Grundschulen erfährt ihre Anerkennung ausdrücklich auch von den Eltern.Befragte Eltern beurteilen die Gestaltungsqualität der Grundschule überwiegend positiv, was auf eine hohe Schulzufriedenheit schließen läßt.

Die Eltern, so das Ergebnis der Begleitstudie von Herrn Professor Holtappels, stellen aufgrund ihrer Beobachtungen in der Mehrheit förderliche pädagogische Wirkungen bei ihren Kindern fest. Die weitaus meisten Kinder bewältigen den Schulalltag erfolgreich, was sich sowohl in Lernfortschritten als auch im sozialen Lernen und in der Schulmotivation ausdrückt. Soweit der Bericht von Herrn Professor Holtappels.

Frau Machaczek, wenn Sie sagen, die Presse habe die Stellungnahme der Schulbehörde sozusagen unkritisch weitergegeben, muß ich an dieser Stelle einmal korrigierend sagen: Sie hat berichtet über den Bericht der wissenschaftlichen Begleitstudie. Sie hat den Inhalt wiedergegeben. Ich denke, das ist durchaus zu unterscheiden.

Auch die Hamburger Lehrkräfte beurteilen die Förderung der Schülerinnen und Schüler im musisch-kreativen Bereich, wie beispielsweise auch in der Lernlust, dem Eigenverantwortungsgefühl und der Beherrschung von Arbeitstechniken und Lernstrategien, als verbessert. Ebenso werden von den Lehrkräften positive Auswirkungen im Sozialverhalten, in überfachlichen Fähigkeiten und in Lernmethoden beobachtet. Die weitaus meisten Lehrkräfte äußern sich mit fast allen Gestaltungsbereichen der VHGS überwiegend zufrieden.

Nicht zuletzt hat die Reform auch, so die befragten Lehrerinnen und Lehrer, zu einem intensiveren Informations- und Erfahrungsaustausch innerhalb der Kollegien geführt.Nach eigener Einschätzung hat die Verläßliche Halbtagsgrundschule – ich zitiere wieder Herrn Professor Holtappels in dem Bericht –:

„... einen Entwicklungsschub in der Lehrerkooperation bewirkt, der sich später auch in der Lernkultur bezahlt machen dürfte.“

Wir wissen übrigens auch aus vielen anderen Studien, daß Lehrerinnen und Lehrer unter anderem sehr darunter leiden, daß sie sich als Einzelkämpfer verstehen. Deswegen kann man diesen Effekt, daß hier in einer Schule ein Team entsteht, gar nicht hoch genug beurteilen.

(Beifall bei Dr. Hans-Peter de Lorent GAL und bei Michael Dose SPD)

Dazu hat in erheblichem Maße die gemeinsame Entwicklung von Schulkonzepten und -profilen beigetragen. Auch das kann man nur noch einmal unterstreichen: Es ist wichtig, die Trägerinnen und Träger von Reformen zu beteiligen, damit sie selbst diese Reform tragend zu ihrer eigenen machen. Das ist ein Prinzip, das wir auch beim Schulprogramm durchaus verfolgen und das zu beachtlichen Erfolgen führt. Das verdient mehr Aufmerksamkeit, und ich werde mich dafür in der nächsten Zeit einsetzen.

Des weiteren wurde hier die Frage der Vertretungsreserven thematisiert. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal erklären, wie sie funktionieren. Vertretungsreserven bedeuten, daß sie zusätzlich zu den Lehrerbedarfen gegeben werden, die erforderlich sind, um die Stunden in vorgeschriebenem Maße abzudecken.Das bedeutet, sie werden dann eingesetzt, wenn sie gebraucht werden; das geschieht übrigens in den Monaten November und Februar, wo die Krankheitsrate etwas ansteigt, überall.4 Prozent der ausfallenden Stunden an den Verläßlichen Halbtagsgrundschulen werden von schuleigenen Lehrerinnen und Lehrern vertreten.Es bedeutet aber auch, daß sie ausgefallene Förder- und Teilungsstunden während dieser Engpaßzeiten später nachholen können, weil sie zusätzlich an den Schulen sind. Insofern bleibt die CDU mit ihrer Forderung, zusätzliche Vertretungsreserven im Umfang von 120 Stellen zu schaffen, jeglichen Beleg und Präzisierung schuldig, wo sie herkommen sollen.

Die Verläßliche Halbtagsgrundschule ist ein politischer Kraftakt des Senats gewesen. Es wurden zusätzliche 385 Lehrerstellen für diesen Ausbau zur Verläßlichen Halbtagsgrundschule eingesetzt, plus 80 Lehrerstellen für die Erweiterung der Vertretungsreserve, 35 Millionen DM für den räumlichen Ausbau im Innen- und Außenbereich und zusätzliche Lernmittelstarthilfen. Das ist insbesondere in Zeiten der Haushaltskonsolidierung eine ganz enorme Leistung und eine großartige Investition in die Zukunft.

Frau Senatorin Raab stellte vor diesem Hause in der Bürgerschaftssitzung am 17.Mai 1995, in der das Konzept des Senats vorgestellt wurde, folgendes fest, sie sagte damals:

„Es geht um nicht weniger als eine der größten Schulreformen, die in diesem Hause beraten worden sind. Im Mittelpunkt sollten die Lern- und damit Lebenschancen unserer Kinder stehen. Sie sind das Ziel der Reform.“

Heute wissen wir, daß wir diesem Ziel mit der Einführung der Verläßlichen Halbtagsgrundschule einen erheblichen Schritt näher gekommen sind. Ich denke, dafür verdient auch Frau Ex-Senatorin Rosemarie Raab an dieser Stelle noch einmal ein ausdrückliches herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Dr. Roland Sal- chow CDU: Das wird sie rühren!)

Wie geht es weiter? Frau Goetsch hat dazu einige Bemerkungen gemacht.Auch Frau Koppke hat auf einen Umstand

(Senatorin Ute Pape)

hingewiesen, von dem ich finde, daß er durchaus diskussionswürdig ist. Wir werden nach Auswertung der Begleitstudie zur Einführung der Verläßlichen Halbtagsgrundschule im einzelnen Verbesserungen vornehmen. Wir werden mit ungebremstem Engagement weiter an der Qualitätsverbesserung und der Standardsicherung arbeiten. Wir erwarten von der bevorstehenden Erarbeitung der Bildungspläne auch für die Grundschulen weitere neue Impulse. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Damit ist die Große Anfrage besprochen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf, Drucksache 16/4752, Große Anfrage der GAL zu Wahlfreiheit, Risikostrukturausgleich und Auswirkungen für Hamburg.

[Große Anfrage der Fraktion der GAL: Wahlfreiheit, Risikostrukturausgleich (RSA) und Auswirkungen für Hamburg – Drucksache 16/4752 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Gesundheitsausschuß überweisen. Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist der Fall, der Abgeordnete Zamory hat es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zum Abschluß der heutigen Sitzung komme ich noch einmal zu einem sehr komplizierten gesundheitspolitisches Thema.

(Dietrich Wersich CDU: Das soll wohl eine Ent- schuldigung sein, was?)

Nein, es ist wirklich kompliziert.

In unserer Großen Anfrage wollten wir hinsichtlich des Risikostrukturausgleichs der Krankenkassen klären, wie der Senat die Auswirkungen auf Hamburg sieht. Zur Erklärung möchte ich noch etwas vorausschicken, und dazu zitiere ich aus der Großen Anfrage, weil der Senat sehr gut definiert hat, auf welcher Grundlage der Risikostrukturausgleich 1994 beschlossen wurde.

„Nach Paragraph 266 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) ist die Grundlage für den RSA der sogenannte Beitragsbedarf, der für jede Krankenkasse ermittelt wird. Danach wird aus der Grundlohnsumme der (beitragszahlenden) Mitglieder und der Zahl aller GKVVersicherten (einschließlich Familienangehörigen) die durchschnittliche Einnahme pro Versicherten ermittelt, der ein ,Normprofil‘ der Leistungsausgaben gegenübersteht, das alters- und geschlechtsspezifisch berechnet wird, um entsprechende Morbiditätsrisiken auszugleichen.“

Der Risikostrukturausgleich wurde vor sechs Jahren eingeführt, um unterschiedliche Krankheitsrisiken und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Auf der einen Seite wollte man mehr Konkurrenz, mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, auf der anderen Seite wollte man diesen Wettbewerb aber auch regulieren. Dadurch, daß vor vier Jahren die Wahlfreiheit der Versicherten hinzugekommen ist, wurde deutlich, daß Millionen Menschen ihre bisherige Krankenkasse zugunsten von Krankenkassen gewechselt haben, bei denen sie einen geringeren Krankenkassenbeitrag aufbringen mußten.Das ist verständlich und auch gewollt. Es hat aber zu keinem Wettbewerb geführt, bei dem unterschieden wird, welche Krankenkasse für be

stimmte Krankheitsversorgungen und Qualitätsmerkmale am besten sorgt. Es hat ein Wettbewerb eingesetzt – ich sage es einmal polemisch – um die ledigen, jungen gesunden Männer bis 35 Jahre.

In Hamburg sind die Gesundheitskosten wegen der Metropolfunktion und aufgrund der hervorragenden Versorgung besonders hoch. Die Krankenkassen dieser Stadt, die überwiegend Hamburger Versicherte und nur wenige von außerhalb in ihren Reihen haben, sind in hohe finanzielle Bedrängnis geraten. Es ist kein Geheimnis, man kann es aussprechen, es handelt sich um die Hanseatische Ersatzkasse, um die Hamburger Zimmererkrankenkasse und die Betriebskrankenkasse der Freien und Hansestadt Hamburg.

Es ist jetzt gesetzlich möglich, neue Krankenkassen zu gründen, sogenannte virtuelle Betriebskrankenkassen, die keine Filialen und Beratungsangebote für ihre jungen gesunden Mitglieder vorhalten müssen, bei denen die Kommunikation über Computer und E-Mail abgewickelt wird.So weit, so gut, aber diese Krankenkassen versichern eben überwiegend gesunde Menschen.Die Krankenkassen, wie beispielsweise die AOK, aber auch einige Ersatzkassen in Hamburg, die sich auch um chronisch Kranke kümmern, geraten in einen Wettbewerbsnachteil, und ihre Beiträge steigen.

Die AOK Berlin plant beispielsweise, ihren Sitz nach Potsdam zu verlegen, weil in Brandenburg die Kopfpauschalen für ihre Mitglieder niedriger sind. So werden dem ambulanten Versorgungssystem Berlins mal eben 15 Millionen DM entzogen. Man müßte sich vorstellen, die AOK Hamburg plant, nach Geesthacht oder Neumünster umzuziehen; die Folgen für die Hamburger Gesundheitsversorgung wären beträchtlich.

Es gibt einen deutlichen Handlungsbedarf, diese nicht gewollte Wettbewerbsverzerrung zu korrigieren. Die Bundesregierung hat das auch begriffen. Beim IGES-Institut ist ein Gutachten in Auftrag gegeben worden, das den Risikostrukturausgleich in seinen Auswirkungen für die gesamte Republik untersuchen soll. Das Ergebnis wird Ende Januar vorliegen. Es hat jetzt, Ende September, ein Zwischenbericht vorgelegen, in dem ganz deutlich gesagt wird, daß ein Wettbewerb organisiert werden muß, um mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung Kranker und insbesondere auch chronisch kranker Menschen zu erreichen. Als Sofortmaßnahme wird ein „Hochrisiko-Pool“ vorgeschlagen, jedoch wird als Ziel letztlich der Übergang einer direkten krankheitsorientierten Festlegung des Bedarfs der einzelnen Krankenkassen formuliert. Das wird, denke ich, auch vom Hamburger Senat mit unterstützt.

Trotzdem müssen wir in Hamburg genau im Blick behalten, wie die Gesundheitsversorgung chronisch kranker älterer Menschen weiter gewährleistet bleibt. Sie ist bisher – das möchte ich auch ganz deutlich sagen – sicher nicht gefährdet. Würde man aber dieser Entwicklung weiterhin freien Lauf lassen, würden bei bestimmten Kassen die Lohnnebenkosten über Krankenkassenbeiträge steigen und bei Krankenkassen außerhalb Hamburgs weiter gesenkt werden. Das würde sich letztlich auf die Gesamtversichertenstruktur und die Situation der Gesundheitsversorgung dieser Stadt auswirken.

Unter dem Gesichtspunkt der Lohnnebenkosten ist es deshalb wichtig, den ökonomische Aspekt im Blick zu behalten, damit es zu keinen weiteren Wettbewerbsverzerrrungen kommt.Wir werden diese Anfrage und auch das Gutachten,

(Senatorin Ute Pape)