Protokoll der Sitzung vom 29.11.2000

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will – soweit es möglich ist – mich der Angriffe auf die CDU enthalten,

(Rolf Kruse CDU: Keine Drohung!)

weil ich die Debatte in diese Richtung langsam schon angesichts Ihrer Stärke oder besser gesagt Ihrer Schwäche langweilig finde. Ich will lieber von dem reden, was der Parlamentarische Untersuchungsausschuß deutlich gemacht hat. Er hat zum Beispiel deutlich gemacht – aber das wußten wir schon zu seinem Beginn –, daß es auch in der Hamburger Staatsverwaltung und dem, was daran hängt, Korruption gibt. Es hat zweifellos jemand in Altona mit Hilfe öffentlicher Gelder sein Privathaus instand setzen lassen. Das läuft auf dem Niveaulevel, auf dem Korruption in sozialdemokratisch regierten Ländern abgeht, nämlich immer nicht so doll. Die Summen, die da im Spiel sind, sind vergleichsweise harmlos gegenüber dem, was bei anderen Regierungen stattfindet. Herr Schreiber, der berühmte Mann in Kanada, würde bestimmt nicht in die sozialdemokratische Partei passen.Wenn von Korruption die Rede ist, dann muß man einfach sehen, welche Summen wo bewegt werden.

(Uwe Grund SPD: Es gab keine Korruption!)

Korruption ist es immer, wenn man öffentliches Geld zu privaten Zwecken verwendet. Das nenne ich Korruption.

(Uwe Grund SPD: Das ist aber falsch!)

Sie können das anders nennen. Das hat stattgefunden. Zweifellos wird das Geld jetzt auch zurückverlangt und so weiter.

(Antje Blumenthal CDU: Wie? Was haben Sie denn gelesen?)

Dann hat sich herausgestellt – und das ist schon etwas schlimmer –, daß es in dieser Behörde, die untersucht werden sollte, ziemlich drunter und drüber ging. Ich bin nicht der Meinung, daß die von der Opposition her wünschenswerte Kategorie Filz ein Mittel ist, um das richtig zu erfassen, was da stattgefunden hat. Ich würde eher sagen, Sumpf oder etwas ähnliches.

Es hat sich herausgestellt, daß es keine ordentliche Verwaltung gab, aus unterschiedlichen Gründen.Es ist am unwahrscheinlichsten, daß es daran lag, daß es irgendwelche sozialdemokratischen Befehle von oben nach unten gab, denn es hat sich ja gerade herausgestellt, daß es noch nicht einmal eine ordentliche Struktur mit sozialdemokratischen Richtlinien gab. Das ist viel schlimmer. Es gab offenbar in der Tat großes Chaos, und das kann weder ein Vertreter einer Regierungsfraktion noch einer Oppositionsfraktion begrüßen, daß es so etwas gegeben hat.

Unter Filz versteht man ja gemeinhin, wenn Stellen besetzt werden, Stellen mit Parteigängern, obwohl es eigentlich bessere Leute gäbe. Das wäre eigentlich der Normalgebrauch für Filz. Das wird es in Hamburg sicherlich gegeben haben,

(Antje Blumenthal CDU: Jetzt nicht mehr?)

aber aus meiner dreijährigen Erfahrung als Abgeordneter einer Regierungsfraktion sage ich, daß es nicht immer ganz leicht ist, dafür zu sorgen, daß alle Stellen ausgeschrieben

werden, wo man Angst hat, es könnte passieren. Aber am allerwenigsten werden Stellen ausgeschrieben, wenn die CDU im Proporz dabei ist. Das gibt es ja nach wie vor, und die CDU legt großen Wert darauf, daß sie im Proporz immer mitspielt. Selbstverständlich wird die Stelle eines stellvertretenden Leiters der Landeszentrale für politische Bildung nicht ausgeschrieben, weil die CDU die Stelle besetzt. Das ist erst vor kurzem geschehen, und das nenne ich Filz. Das zur Stellenbesetzung.

Ich glaube, daß es nicht immer richtig war, was ich gesehen und erlebt habe, wie Stellen besetzt werden, aber da würde ich als erstes sagen, daß Sie Ihren wunderbaren Teil dabei haben, und Sie wollen das auch so. Sie wollen mitwirken, und sie wollen Ihren Proporzteil an der hamburgischen Verwaltung mitmachen.

(Rolf Kruse CDU: Mein Gott!)

Wir sind in der Tat relativ erfolgreich damit, daß wir dort, wo immer wir etwas mitzureden haben, dafür sorgen, daß Stellen öffentlich ausgeschrieben werden. Das zum Filz.

Ich will aber noch einmal sagen:Was stattgefunden hat, ist für mich erschreckend. Ich hätte nicht gedacht, daß es in Behörden so aussieht. Ich war viel gutgläubiger, und für mich ist das ein richtiges Erlebnis, zu erfahren, daß es Behörden gibt, in denen es so aussieht, wie es in der BAGS ausgesehen hat. Ich gehe einmal davon aus, daß es Senatoren vielleicht auch so geht, daß sie nicht alles ganz sicher wissen, wie es bei ihnen in großen Behörden zugeht, daß sie merken, hoppla, da mußt du einmal nachschauen. Ich gehe jedenfalls davon aus, daß sie das wollen.Aber das eigentliche Erschrecken betrifft ja mich als Abgeordneten, und da muß ich sagen, vielleicht betrifft das auch die Opposition.

Wir beschließen in wenigen Tagen wieder einmal den nächsten Haushalt mit fast 17 Milliarden DM. Was ich aus dem PUA gelernt habe, ist, daß ich das eigentlich ziemlich blind tue, und vermutlich tun das die meisten von Ihnen. Da gibt es vielleicht von jeder Fraktion zwei, drei Experten.Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses und die Sprecher wissen ein bißchen Bescheid, was sie tun, und wir anderen haben wenig Ahnung. Dann erfahren wir anschließend, was los ist. Jetzt möchte ich mal wissen, was macht man in dieser Situation? Da muß man neue Beziehungen zwischen Bürgerschaft und Senat herstellen – davon hat der PUA geredet –, und dann muß man aber auch dafür sorgen, daß die Abgeordneten fähig sind, das auszuführen, wozu sie sich dem Volk gegenüber verpflichtet haben.

Nun gibt es keinen Berufsstand in Deutschland – ich habe das neulich schon im Verfassungsausschuß gesagt – außer den Abgeordneten, die verfassungsmäßig das Recht auf Faulheit haben. Jetzt kann ich es mir nicht verkneifen zu sagen, die CDU nutzt das aus. Aber umgekehrt hat dieses Parlament das Problem, daß sie das Recht auf Fleiß nicht anerkennt.Dieses Parlament hat mit ihrer Struktur, mit dem gegenwärtig real existierenden Status von Abgeordneten das Problem, daß das Parlament nicht akzeptiert, daß es Abgeordnete geben könnte, die ihre ganze Zeit und ihren Beruf dieser Politik widmen wollen, und das ist wirklich ein Skandal. An dieser Stelle, wo wir alle gemerkt haben, was in diesem Staat passieren kann, dann sich hinzusetzen und zu sagen, wir können das Problem aber leider nicht lösen, das ist eine Bankrotterklärung des Parlaments.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Dann lasse ich zunächst über den CDU-Antrag 16/5136 abstimmen.

Wer möchte denselben annehmen? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist dieses mehrheitlich abgelehnt.

Wer möchte das Petitum aus der Drucksache 16/5000 annehmen? Es handelt sich um das Petitum des Ausschusses, und über dasselbe lasse ich nunmehr abstimmen.Wer möchte demselben seine Zustimmung geben? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist dieses mehrheitlich beschlossen.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 52 auf: Drucksache 16/4965: Antrag der CDU-Fraktion zur vollen Beteiligung der EU-Bürger an kommunalen Entscheidungen in Hamburg.

[Antrag der Fraktion der CDU: Volle Beteiligung der EU-Bürger an kommunalen Entscheidungen in Hamburg – Drucksache 16/4965 –]

Die GAL-Fraktion beantragt, diese Drucksache dem Europaausschuß zu überweisen. Hierzu wird das Wort gewünscht. Der Abgeordnete Kruse hat es.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann verstehen, wenn jetzt alle nach der vorherigen Debatte hinaus wollen. Das ist in Ordnung, aber lassen Sie mich ein paar Sätze zu dem ungenügenden Kommunalwahlrecht in Hamburg sagen.

Wer die heutige Tagesordnung der Bürgerschaft sieht, kann ohne weiteres feststellen,

(Unruhe im ganzen Hause – Glocke)

daß die Behauptung, daß 80 Prozent der Tagesordnung der Bürgerschaft kommunale Themen sind, richtig ist. Nun haben wir aber seit den Verträgen von Amsterdam und Maastricht den Bürger der Europäischen Union, der ein kommunales Wahlrecht hat. Dies ist auch gar kein Problem in allen Flächenstaaten. Da ist klar, was das Kommunalrecht meint.

Es gibt im übrigen auch kein Problem in Berlin.In Berlin haben wir eine kommunal ausgeprägte Bezirksversammlung und auch eine kommunal bestimmte Bezirksverwaltung. In unserem kleinen Nachbarland Bremen hat man selbstverständlich in Bremerhaven den Magistrat, der von den Bürgern der EU genauso wie von den deutschen Bremerhavenern gewählt wird.

Für die Stadt Bremen gibt es sogar etwas ganz Ungewöhnliches. Die 80 Abgeordneten aus der Stadt Bremen sind personenidentisch in der Landesbürgerschaft und in der Stadtbürgerschaft. Insoweit haben die Bremer nach meiner Auffassung das weitestgehende kommunale Wahlrecht von Bürgern aus der Europäischen Union.

Daß wir in Hamburg nur ein rudimentäres Kommunalwahlrecht haben, ist unbestritten und wird auch dadurch deutlich, daß staatswissenschaftlich von unseren Bezirksversammlungen gelegentlich auch als Verwaltungsausschuß gesprochen wird. Wir meinen, dies muß alles so sein, weil Artikel 4 der Hamburger Verfassung vorsieht, daß staatliche und kommunale Aufgaben nicht getrennt werden. Andererseits frage ich mich, rechtfertigt diese Hamburgensie die große Reduzierung der Mitwirkung der Bürger der Eu

ropäischen Union an der Hamburger kommunalen Angelegenheit?

Für mich kommt eigentlich dabei heraus, daß wir ein kommunales Zwei-Klassen-Wahlrecht haben. Die deutschen Hamburger haben natürlich das Wahlrecht zur Bezirksversammlung, aber auch zur Bürgerschaft – 80 Prozent kommunale Entscheidungen –, während die EU-Bürger lediglich das Wahlrecht zur Bezirksversammlung haben.Die haben also so eine Art Placebo-Kommunalwahlrecht, weil in Wahrheit nichts endgültig entschieden werden kann. Es stellt sich auch die Frage, ob die Hamburger Regelungen hinreichenden Einwendungen standhalten, wenn ein EUBürger das einmal beklagt.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, daß Frauen auch Dienst an der Waffe freiwillig tun dürfen, hat zu einer Grundgesetzänderung geführt, weil das Recht der Europäischen Union hier unser Grundgesetz überholt hat. Insoweit wollen wir mit unserem Antrag einmal klären, in welche Richtung wir gescheiterweise auch im Interesse der immer gepriesenen Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union gehen. Dies wollen wir mit unserem Antrag erreichen. Ich glaube, wenn wir über Europa reden, ist eines auch wichtig:Schularbeiten zu Hause machen, wenn man zu Hause etwas leisten kann, und dies können wir leisten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Klooß.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der CDU, ich halte diesen Antrag für einen Show-Antrag, für eine Travestie, weil im Gewande einer EU-Freundlichkeit etwas ganz anderes insinuiert wird. Ich werde es Ihnen erläutern.

Sie behaupten – und ich finde, ziemlich dreist –, daß Hamburg seinen EU-Bürgern die in Deutschland geringsten Rechte einräumt.

(Rolf Kruse CDU: Ja, das meinen wir!)

Das meinen Sie, es wird aber dadurch nicht richtiger. Es ist eine in meinen Augen vorsätzliche, aber leicht durchschaubare Falschbehauptung.

Die EU-Bürger in Hamburg – Sie haben es allerdings auch selbst eingeräumt – haben selbstverständlich das aktive und das passive Wahlrecht zu den Bezirksversammlungen.Das beruht auf der Anwendung von nationalem Recht, nämlich Artikel 28 des Grundgesetzes und Europarecht, nämlich dem Vertrag von Maastricht, jetzt Amsterdam, und der Kommunalwahlrecht-Richtlinie der Europäischen Union von 1994.Die EU-Bürger hatten übrigens schon vorher, wie auch weiterhin jetzt die Nicht-EU-Bürger, das Recht zur Mitwirkung in den Fach- und Regionalausschüssen der Bezirksversammlungen als zugewählte Bürger.

Sie fordern nun, meine Damen und Herren von der CDU, daß der Senat – und nicht etwa die Bürgerschaft – Ideen entwickeln soll, wie er das Wahlrecht der Unionsbürger auf die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft erstrecken will. Unterstützend dazu soll die Bürgerschaft dann feststellen, daß die kommunalpolitischen Rechte in der Freien und Hansestadt Hamburg überwiegend bei der Hamburgischen Bürgerschaft liegen.

Es ist uns allen bekannt, verehrter Herr Kruse, daß in Hamburg staatliche und gemeindliche Tätigkeiten nicht getrennt

werden. So steht es auch – Sie haben es zitiert – in Artikel 4 Absatz 1 der hamburgischen Verfassung. Insofern hat die Bürgerschaft selbstverständlich auch Aufgaben gemeindlicher Prägung. Aber in welchem Verhältnis diese Aufgaben zu Aufgaben stadtstaatlicher Tätigkeit, auch der Gesetzgebung, stehen, das mag für verfassungsrechtliche Doktorandenseminare interessant sein, ist aber nicht die Aufgabe der Bürgerschaft, wissenschaftliche Streitfragen zu entscheiden. Das machen wir nicht mit. Es würde auch nichts helfen, denn nach Gemeinschaftsrecht, nämlich der erwähnten EU-Richtlinie, sind die Bezirke sogenannte lokale Gebietskörperschaften der Grundstufe, und darauf nimmt das Grundgesetz Bezug in Artikel 28 Absatz 1 Satz 3 Grundgesetz. Diesen Artikel können wir und auch der Senat natürlich nicht ändern.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Das hat Hamburg ja her- beigeführt!)

Es gab zwar mal einen Vorstoß des Landes Bremen zugunsten einer Art Stadtstaatenklausel, der aber im Jahr 1992 abgebügelt wurde, und zwar von der CDU/CSU-Regierung. Deshalb nenne ich diesen Antrag scheinheilig. Ich halte ihn für einen Täuschungsversuch, denn es geht in Wahrheit um etwas ganz anderes bei Ihnen. Es geht um eine Verlagerung von Landesaufgaben auf die Bezirke zu Lasten der Bürgerschaft. Dies ist für mich in doppelter Hinsicht nicht akzeptabel.