Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Den Worten meines Vorredners, Herrn Böwer, ist inhaltlich kaum etwas hinzuzufügen.

(Rolf Harlinghausen CDU: Sie dürfen auch nicht anders!)

Herr Harlinghausen, das hat nichts mit Dürfen zu tun, sondern das hat mit Ihrem Antrag zu tun. Wenn die CDU

etwas zur Familienförderung tun will, wäre es folgerichtig gewesen, sich nicht auf die Frage der Betreuung von Kindern von Polizeibeamtinnen und -beamten zu beschränken, sondern das als eine gesellschaftspolitische Aufgabe zu begreifen. Herr Böwer hat auf das Wahlprogramm der SPD verwiesen; dem kann ich mich gleichfalls anschließen.

(Vizepräsident Berndt Röder übernimmt den Vor- sitz.)

Im übrigen findet die GAL, daß es nicht nur für die arbeitende Bevölkerung wichtig ist, eine vernünftige Kinderbetreuung zu haben, sondern grundsätzlich für alle Familien, und dafür werden und haben wir uns in unserem Wahlprogramm auch eingesetzt. Insofern ist es natürlich kurzsichtig, dieses jetzt nur für die Polizeibeamtinnen und -beamten anzugehen.

(Rolf Harlinghausen CDU: Das hat kein Mensch be- hauptet!)

Inhaltlich hat Herr Böwer darauf hingewiesen, daß es keinen Sinn macht, einen zentralen Betriebskindergarten einzuführen, so daß dann die Schichtdienstbeamtinnen und -beamten, wie von Ihnen geschildert, auch noch quer durch die Stadt fahren, um ihre Kinder betreuen zu lassen, und sie nach der Schicht wieder abholen. In einer dezentralen Dienststelle wird das nicht zu gewährleisten sein.

Ich habe mich auch gefragt, wie Sie auf die Idee gekommen sind, gerade die Fachhochschule für Sozialpädagogik in die Betreuung einzubeziehen. In der Fachhochschule für Sozialpädagogik wird eigentlich etwas anderes gemacht. Die Studentinnen und Studenten dort haben die Aufgabe, sich dem Studium zu widmen, anstatt Betreuungsleistungen für einen Modellversuch zu gewährleisten. Ich habe den Eindruck, das ist wieder eine Ihrer kreativen Ideen, so will ich es einmal positiv ausdrücken.

(Rolf Harlinghausen CDU: Sie haben Probleme, et- was für die Polizei zu tun!)

Ich kann mich also nur meinem Vorredner, Herrn Böwer, anschließen, daß auch wir diesen Antrag ablehnen werden.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Sudmann.

Herr Harlinghausen versuchte festzustellen, wo es hier im Parlament Einigkeit gibt. Es gibt Einigkeit in dem Punkt, daß wir alle die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen wollen. Wunderbar, aber Sie erweisen den Polizistinnen mit Ihrem Antrag einen Bärendienst. Sie sprechen in Ihrem Antrag von der Ausbildung an der Landespolizeischule. Die Ausbildung dauert in der Regel zwei, drei, maximal vier Jahre.

(Heino Vahldieck CDU: Kindergartenzeit auch!)

Sie wollen also, daß Kinder, die vorher in einer wohnortnahen Kindertagesbetreuung waren, für die Ausbildungszeit ihrer Eltern quasi aus ihrem Kindergarten herausgerissen werden und in einen anderen Kindergarten kommen; das erscheint mir wenig praktikabel.

Zweitens schreiben Sie hier, es seien 756 Beamtinnen und Beamte. Ich glaube nicht, daß alle, die in der Ausbildung sind, auch Kinder haben. Um einen Betriebskindergarten zu errichten, braucht man eine gewisse Zahl von Anmel

(Thomas Böwer SPD)

dungen. Ich finde es auch gut, für wohnortnahe Angebote zu sorgen, damit die Kinder auch außerhalb des Kindergartens, der Kindertagesbetreuung soziale Kontakte aufnehmen und miteinander spielen können; das wäre alles wichtig. Mein Eindruck ist – da beziehen Sie sich voll auf die Deutsche Polizeigewerkschaft –, daß Sie schon einmal versuchen, den Boden für Herrn Lenders zu bereiten, der einer Ihrer wichtigen Kandidaten werden soll. Vielleicht sollten Sie auch mit anderen sprechen.

(Elke Thomas CDU: Nun beziehen Sie nicht alles darauf! Wir verspüren auch noch menschliche Re- gungen!)

Eines finde ich wirklich viel zu kurz gesprungen: Sie setzen sich für Frauen im Schichtdienst ein, das ist sehr wichtig, aber es gibt genug erziehende Frauen und auch Väter, die im Schichtdienst sind und Schwierigkeiten haben, ihre Kinder zu betreuen. Gleichzeitig ist es Ihre Partei, die sagt, wir müssen die Ladenöffnungszeiten bis ins Gehtnichtmehr ausbauen. Im Einzelhandel, lieber Herr Harlinghausen, arbeiten überwiegend Frauen, und die haben auch Kinder. Sie sollten einmal darüber nachdenken, was man da machen kann, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern.

(Rolf Harlinghausen CDU: Diese Forderung haben wir schon gestellt!)

Sie haben keine Forderungen gestellt, die Ladenöffnungszeiten familiengerechter auszubauen.

Ich bin, Herr Böwer und auch Frau Hilgers – sie ist nicht da –, hoch erfreut, daß Frau Pape noch einmal bestätigt hat, daß die ISKA-Studie unter fachlicher Betrachtung sehr gut ist. Die ISKA-Studie sagt – das ist eine Ohrfeige für die SPD –, daß in Hamburg fast 17000 Plätze fehlen. Und wenn Sie jetzt im Wahlprogramm sagen, Sie wollen das ein bißchen ausbauen, haben Sie zwar etwas gelernt, aber wir brauchen einen richtigen Ausbau. Wir brauchen vor allen Dingen den Anspruch auf Kindertagesbetreuung für alle Kinder und nicht nur für Kinder von Berufstätigen. Wir lassen nicht zu, daß Sie die Kinder der berufstätigen Eltern gegen Kinder ausspielen, die soziale oder pädagogische Bedarfe haben.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann lasse ich über den CDU-Antrag 16/5674 abstimmen. Wer möchte denselben annehmen? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 80 auf, Drucksache 16/5742: Antrag der SPD- und GAL-Fraktion zu anonymen Geburten.

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GAL: Anonyme Geburten – Drucksache 16/5742 –]

Die Gruppe REGENBOGEN möchte diesen Antrag nachträglich an den Gesundheitsausschuß überweisen.

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Die Abgeordnete Kiausch bekommt es.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag liegt Ihnen vor, und ich möchte die Erläuterungen, die im Vorspann zu lesen

sind, nicht wiederholen. Aber es gibt einige wichtige Gesichtspunkte und auch Informationen, die man ergänzend anfügen sollte.

Das Thema „Anonyme Geburt“ hat in diesem Parlament bereits einen Vorlauf. Ich darf daran erinnern, daß diesbezüglich bereits im Januar Frau Jürs eine Kleine Anfrage an den Senat gestellt hat. Seinerzeit war der Senat mit dem Gesamtproblem noch nicht befaßt, und das Thema Kostenerstattung könne erst nach der Schaffung von gesetzlichen Voraussetzungen geklärt werden.

Wir haben das Thema des weiteren in der Fragestunde der Bürgerschaft am 15. Februar behandelt. Hier gab der Senat auf die entsprechende Frage die Auskunft, daß die Hamburger Krankenhäuser – sowohl die gemeinnützigen als auch die des Landesbetriebs – grundsätzlich einer anonymen Geburt positiv gegenüberstehen, aber die gesetzlichen Grundlagen dafür erst geschaffen werden müßten. Da gilt es besonders in bezug auf das Personenstandsgesetz einiges zu regeln, aber natürlich spielt auch die Kostenträgerschaft eine Rolle.

Frau Roth als Fachsenatorin hat seinerzeit eine Bundesratsinitiative angekündigt, und der Ihnen heute vorliegende Antrag soll dazu dienen, sowohl unserer Fachsenatorin als auch den anderen Ländern, zum Beispiel Schleswig-Holstein und Niedersachsen, die dankenswerterweise auch in dieser Richtung aktiv sind, Rückendeckung in Richtung Bundesrat zu geben. Die Angelegenheit kann und muß jetzt auf Bundesebene in Angriff genommen werden, da auch die allgemeine Diskussion zu diesem Thema mittlerweile sehr weit fortgeschritten ist. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat festgestellt, daß sich immerhin 76 Prozent der Bundesbürger und -bürgerinnen positiv zum Thema „Babyklappe und anonyme Geburt“ geäußert haben. Das ist eine erhebliche Übereinstimmung unserer Bevölkerung, und nun sollte die politische Ebene schnellstmöglich aktiv werden, um zum Beispiel Müttern wie etwa der Mutter, die in der vergangenen Woche ein Baby auf dem Balkon ausgesetzt hat, eine weitere Chance zu eröffnen. Wir wissen natürlich nicht, ob sie wahrgenommen wird, aber es ist wichtig, diese Chance zu bieten.

Außerdem fangen wir bei diesem Thema in Deutschland nicht bei der Stunde Null an. Die USA, Frankreich und Luxemburg haben bereits Regelungen, legal anonyme Geburten durchführen zu können. Es gibt also schon Gesetze und Praxis, an denen man sich orientieren könnte. Es gibt außerdem einen Antrag der CDU im Bundestag, der meines Wissens in den zuständigen Ausschüssen liegt.

Über die Problematik der Kostenerstattung und des Personenstandsgesetzes hinaus möchte ich der Vollständigkeit halber anmerken, daß die rechtliche Problematik damit noch nicht erschöpft ist und auch das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung rechtlich ein Problem darstellt. Wenn es aber um Leben von Mutter und Kind geht, und darum geht es, dann müßte dieses Recht meines Erachtens in die zweite Reihe gerückt werden.

Jetzt müssen die rechtlichen Voraussetzungen auf Bundesebene geschaffen werden. Es erscheint mir auch deshalb sehr vordringlich, weil schon im Interesse der Betroffenen, was ich ausgesprochen richtig finde, nicht nur in Hamburg und Umgebung, sondern auch in anderen Ländern der Bundesrepublik gehandelt wird. Wenn dreiviertel der Bevölkerung das richtig finden, dann wird es höchste Zeit, den rechtlichen Rahmen einwandfrei auszustatten, und dem soll dieser Antrag dienen.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Allerdings muß man anmerken, daß auch nach Lösung der rechtlichen Voraussetzungen die Gesamtproblematik noch nicht gelöst ist, denn wenn man davon ausgeht, daß Leben und Gesundheit von Mutter und Kind zu schützen sind, spielen natürlich auch die Fragen der Vorsorge, der Nachsorge und der Beratungen insgesamt eine erhebliche Rolle. Diese Fragen zu lösen, ist natürlich schwierig, wenn man Anonymität zusagen will und die betroffenen Frauen zumindest durch staatliche Stellen eher schlecht zu erreichen sind. Sie sind insgesamt schwer zu erreichen und schwer ansprechbar.

Im Zusammenhang mit dieser Problematik ist es vielleicht von Interesse, eine kleine Vorstellung davon zu haben, um welche Gruppen es denn geht. Dazu gibt es durchaus Erkenntnisse aus Österreich, Frankreich, aber auch aus Deutschland. Sehr gefährdet in Richtung Aussetzen oder Töten sind drogenabhängige und substituierte Mütter, die sich zum Teil in der Illegalität des Drogenkonsums bewegen, aber auch ihr Leben rund um die Droge irgendwie organisieren müssen. In Hamburg werden zur Zeit etwa 150 Kinder pro Jahr von offiziell Drogen gebrauchenden und substituierenden Müttern geboren. Daran kann man schon sehen, daß dieses keine ganz unbeträchtliche Gruppe ist.

Die zweite Gruppe sind Frauen, die unter extremer Gewalt in ihrer Familie leiden. Sie leben in außerordentlich gewalttätigen Beziehungs- und Familienverhältnissen. Würden sie sich an ein Frauenhaus wenden, müßten sie zum Beispiel mit ernstzunehmenden Todesdrohungen ihres Partners rechnen; auch davon hören wir immer wieder. Sie werden sich schon allein aus diesem Grund nicht an professionelle Helferinnen und Helfer im Hilfesystem wenden, und diese Frauen sind, das muß man wohl so feststellen, extrem isoliert.

Die dritte Gruppe sind Migrantinnen. Wir hatten zum Beispiel in Hamburg zeitweilig viele Frauen aus Bosnien, die vergewaltigt waren, die Moslems waren und aus gutem Grund das Kind ihres Vergewaltigers nicht aufziehen wollten. Aber es gibt in großen Städten wie Hamburg auch eine Gruppe von Migrantinnen, die sich illegal in der Stadt aufhält und unter gar keinen Umständen Kontakt mit offiziellen Stellen sucht oder haben kann.

Dann gibt es die mit Sicherheit große Gruppe minderjähriger, sehr junger Frauen, die mitten im Pubertätsprozeß steht. Die Gefährdung dieser Gruppe ergibt sich auch aus einem Enquete-Bericht, der in Österreich erstellt worden ist.

Es gibt aus Frankreich wissenschaftliche Untersuchungen aus dem Jahr 1989, wer anonyme Geburten in Anspruch nimmt. Dabei ist festgestellt worden, daß die Mehrheit der Frauen Singles sind, 20 Prozent Französinnen, also Inländerinnen, und viele aus den ehemaligen französischen überseeischen Gebieten kommen. 10 Prozent waren Heimkinder, 19 Prozent Studentinnen, 50 Prozent waren arbeitslos, und etwa 10 Prozent dieser Gruppe waren schwanger als Folge von Vergewaltigung oder sexuellen Mißbrauchs. Ein gewisser Prozentsatz der Kinder war mit Syphilis infiziert, ein gewisser Prozentsatz war aidsinfiziert. Auch dies ergibt sich aus dem Enquete-Bericht.

Die Gruppe derer, die in Richtung Aussetzen und Töten gefährdet ist, und die Gruppe derer, die die anonyme Geburt wahrnehmen würde, sind also nicht unbedingt identisch, aber beiden kann mit der Regelung der anonymen Geburt geholfen werden. Auch das ist ein Argument für die Forderung, sehr schnell einen rechtlichen Rahmen zu schaffen.

Noch einmal zu meiner Feststellung, daß mit einem rechtlichen Rahmen nicht alles gelöst wird. Man sollte sich auch fragen, wo Hamburg als Land Handlungsoptionen hat. Wie kann zum Beispiel eine anonym durchgeführte Schwangerschaftsvorsorge eingerichtet werden? Kann man so etwas wie einen anonymen Mutterpaß schaffen? Wie hilft man schwangeren Migrantinnen mit nicht legalem Aufenthaltsstatus? Wie kann man anonyme Schwangerschaftsvorsorge schaffen? Was passiert mit den Frauen, die anonym entbunden haben, nach der Entbindung? Kann man durch Beratungseinrichtungen besser als bisher schwangere Migrantinnen mit legalem Aufenthaltsstatus erreichen? Kann zum Beispiel eine anonym entbindende Mutter Wünsche in bezug auf zukünftige Adoptiveltern stellen? Kann die Mutter, obgleich sie anonym entbindet, zukünftige Adoptiveltern vielleicht kennenlernen? Kann man irgendwie organisieren, daß dem Kind ein Hinweis auf seine Herkunft später einmal zugänglich ist?

Sie sehen, meine Damen und Herren, es sind eine Fülle von Problemen zu lösen, die nur zum Teil durch Recht, zum anderen Teil aber auch durch andere Initiativen zu regeln sind. Es ist wirklich ein sehr komplexes Thema, das weiter bearbeitet werden muß. Deswegen glaube und hoffe ich, daß der Bericht, den wir für Juli erbitten, ausführlich ist und über die Auskunft hinaus, wie sich das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene abspielt, vielleicht auch Stellung zu einigen der Fragen nimmt, die ich hier angerissen habe.

Ich hoffe sehr, daß die heutige parlamentarische Initiative eine Beschleunigung hervorruft. Auch wenn die betroffene Gruppe, bezogen auf alle Frauen, eine relativ kleine ist, so sind diese Frauen doch in einer extrem schwierigen Lage. Sie sind einem extremen Streß ausgesetzt, und ich finde es ein Gebot der Menschlichkeit, jetzt ganz schnell zu helfen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.