Protokoll der Sitzung vom 10.05.2001

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ja, steht doch da!)

Darin wird erwähnt, Angebote zu entwickeln, die die Lebenserfahrungen und Bedürfnisse von Kindern, Eltern und Jugendlichen aus anderen Kulturen berücksichtigen sollen. Von diesen Forderungen steht in ihrem Antrag nichts mehr. Das ist zuwenig, um diesem Enquete-Bericht gerecht zu werden. Dementsprechend hat es auch mit Zukunftsfähigkeit und Innovation, wie Sie es gerade von Jugendlichen immer wieder fordern, nicht viel zu tun. Das ist enttäuschend angesichts dieser qualifizierten Arbeit, die die Enquete lange Zeit gemacht hat. Da hatte ich mehr erwartet.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Klaus-Peter Hesse CDU)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Antrag aus der Drucksache 16/5945 annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dieser Antrag ist mit Mehrheit angenommen worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 und 46 auf, die Drucksachen 16/5849 und 16/5853, Anträge der CDUFraktion.

(Sabine Steffen GAL)

[Antrag der Fraktion der CDU: Pilotprojekt niedrigschwellige Beschäftigung für ältere Langzeitarbeitslose und arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger HOLLA = Hamburger Offensive für Leistungsbereite Langzeitarbeitslose – Drucksache 16/5849 –]

[Antrag der Fraktion der CDU: Modellprojekt „Einstiegsgeld für langzeitarbeitslose Sozialhilfeempfänger“ – Drucksache 16/5853 –]

Beide Drucksachen möchte die SPD-Fraktion an den Sozialausschuß überweisen. Wer möchte das Wort? – Frau Koop hat es.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir wissen alle, daß die beste Arbeits- und Wirtschaftspolitik diejenige ist, die Arbeitsplätze schafft und damit auch die Arbeitslosenzahl verringert. Dennoch wird in letzter Zeit deutlich, daß durch den Wandel des Arbeitsmarkts und trotz Entstehens neuer Arbeitsplätze ein breiter und stabiler Sockel Langzeitarbeitsloser bleibt. Das ist besorgniserregend.

Besonders die Länge der Zeit läßt die Ferne zum Arbeitsmarkt immer größer werden. Um diese Personengruppe sollten wir uns besonders kümmern. Ihnen bleibt letztendlich nur die Sozialhilfe. Der Wunsch aber nach eigenständiger Betätigung und eigenes Leben sichernden Einkünften ist weiterhin stark. Auch bei Arbeitsfähigkeit soll gearbeitet werden, und insofern ist es zu begrüßen, wenn Eigeninitiative entwickelt wird.

Dem Wunsch, neben der Sozialhilfe zu arbeiten, steht aber die gesetzliche Regelung entgegen. Wenn 85 Prozent oder später sogar 100 Prozent der Einkünfte auf die Sozialhilfe angerechnet werden, ist das kein Antrieb zur Eigeninitiative. Es ist richtig, daß es diese Regelung gibt, aber wenn wir Eigeninitiative entwickeln wollen, müssen wir Anreize bilden, und die finanziellen sind die, die uns am stärksten voranbringen.

Wir wollen mit dem Anreiz eines Einstiegsgeldes erreichen – ich ziehe den Antrag zu diesem Thema vor –, daß sich weniger Menschen in die soziale Abhängigkeit vom Staat begeben, sondern den Mut bekommen, auf eigenen Füßen wieder in den Arbeitsmarkt hineinzukommen. Das Einstiegsgeld sieht vor, daß im Gegensatz zu den gesetzlichen Regelungen etwa 50 Prozent der erwirtschafteten Einkünfte behalten werden können, für ein ganzen Jahr gezahlt wird und eine raschere Rückkehr in eine dauerhafte berufliche Tätigkeit ermöglicht.

In Baden-Württemberg läuft mit zunehmendem Erfolg bereits seit eineinhalb Jahren ein ähnliches Pilotprojekt. Am Anfang lief es etwas schwerfällig an. Ein großer Teil der Empfänger des Einstiegsgelds waren Alleinerziehende. Interessant ist, daß in Gegenden, in denen es keine umfangreichen Fortbildungsmöglichkeiten gab, auch Jugendliche mit einbezogen wurden. Alles geschah unter dem Gesichtspunkt, die Nähe zum Arbeitsplatz zu erhalten. Dabei hat es sich bei diesen Arbeitsverhältnissen im wesentlichen nicht um geringfügige Arbeitsbeschäftigung gehandelt, sondern laut der ersten Berichte, die bei uns vorliegen, waren von 91 Stellen 57 vollsozialversicherungspflichtig. Das ist auch ein Erfolg gewesen, daß man diese Plätze hat eruieren können. Der Erfolg ist spürbar. 2002 soll die erste abschließende Beurteilung kommen. Anhand der ersten Grobübersichten aus 2000 zeigt sich, daß 146 Personen – etwa die Hälfte der ersten Empfänger dieser Regelung – tatsächlich in ein normales Arbeitsver

hältnis übernommen werden konnten. So wird Arbeitsmarktintegration finanziert und nicht länger Arbeitsferne.

Ich denke, daß das auch für Hamburg machbar ist. Das Schöne ist, daß Sie den Antrag an den Ausschuß überweisen werden. So können wir uns dort einmal sehr viel intensiver damit beschäftigen.

Was aber geschieht mit den Arbeitslosen, die sehr arbeitsmarktfern sind, die womöglich eine Reihe von Maßnahmen durchlaufen haben und immer wieder an den Punkt kommen, eine zusätzliche Qualifikation erarbeitet zu haben, dann aber wieder ganz deutlich hören, daß sie nicht vermittelbar sind und von der Gesellschaft eigentlich nicht mehr gebraucht werden. Wir müssen uns fragen, ob es reicht, sie mit einem Sozialscheck abzufinden und ihnen immer wieder deutlich zu machen, daß sie für die Gesellschaft nicht mehr von Nutzen sind. Das ist ein großes Problem. Es wird in unserem Lande viel von Solidarität geredet. Solidarität ist ein sehr rares Gut geworden. Man muß sie lehren, sie ergibt sich nicht von selber, man muß sie pflegen, und man muß sie auch nicht unnötig verbrauchen und vor allen Dingen immer wieder erneuern. Solidarität beruht viel auf Gegenseitigkeit. Es ist herabwürdigend und verachtend, wenn eine große Gruppe von Menschen immer wieder an die Grenzen ihrer eigenen Verwendbarkeit stößt und man ihnen sagt, sie seien für die Gesellschaft nicht mehr von Nutzen.

Mein Nachbar hat auf diese Art und Weise sehr viel Zeit, aber er erzählt mir immer, daß er sie eigentlich nicht nutzen kann. Für uns ist freie Zeit Freizeit, für ihn ist es eine unausgefüllte Zeit, und er würde gern wieder zurückgeben, was er an Unterstützung bekommt. Wir werden alle umdenken lernen müssen, denn die Gegenseitigkeit, die Möglichkeit, anderen Menschen zuzuhören und ihnen die Gelegenheit zu geben, etwas an die Gesellschaft zurückzugeben, müssen wir ihnen erst ermöglichen. Wer seine Arbeit verloren hat, muß nicht für die Gesellschaft verlorengegangen sein.

Hierauf zielt der zweite Antrag, der mit seinem Titel HOLLA ein bißchen Aufschwung hineinbringen will. Es soll Menschen, die nicht wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern sind – wir müssen uns damit abfinden, daß es sie gibt, meistens sind sie 50 oder 55 Jahre alt –, klarmachen, daß sie Fähigkeiten haben, die für uns alle nutzbar sind, auch wenn ihre Fähigkeiten nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Die Zeit, die die einzelnen haben, die für sie in großem Umfang zur Belastung wird, kann für die Gemeinschaft zu einem Gewinn werden. Dieser Antrag, wie wir ihn formuliert haben und der sich an eine bereits mit sehr großem Erfolg ausgeführte Freiwilligenbörse TAURIS in Sachsen anlehnt, wird dazu beitragen, daß wir diese Wünsche nach sinnvoller Betätigung für die so ohne weiteres nicht mehr in den Arbeitsmarkt einzugliedernden Menschen erfüllen können.

Es gibt im Projekt TAURIS 200 verschiedene Beispiele, was alles gemacht werden kann. Es ist dabei keineswegs an die Säuberung von Straßen oder ähnliche Tätigkeiten gedacht, sondern es sind interessante Sachen dabei, zum Beispiel die Erstellung von Chroniken oder die Durchführung von Ausstellungen.

Es sind soziale Betreuungsaufgaben dabei, es ist nicht unbedingt ein finanzieller Anreiz, aber man gibt ihnen auf jeden Fall ein persönliches Feedback.

(Renate Vogel – als Vertreterin der Sitzungspräsi- dentin – übernimmt den Vorsitz.)

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt)

Herr Pumm, es sind keine Arbeitsplatzvernichtungsmaßnahmen dabei, auch wenn der Gewerkschafter das vielleicht befürchtet. Die einzelnen Varianten können wir im Ausschuß noch näher beurteilen.

Ein ganz großer Antrieb war mir auch die Befragung der Teilnehmer. Über drei Viertel haben geantwortet, daß es ihnen mit diesem Projekt besser gehe, daß sie es begrüßten, wieder unter Leute zu kommen und wieder dazuzugehören, und daß sie neuen Mut bekommen haben. Das wäre alleine schon ein Grund, diese Dinge näher zu beurteilen. Vielleicht können Sie sich dann auch dazu entschließen, dem zu folgen.

(Beifall bei der CDU)

Renate Vogel SPD (als Vertreterin der Sitzungspräsiden- tin): Das Wort bekommt Herr Pumm.

Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren! Sie haben als CDU zu einer richtig sozialdemokratischen Rede applaudiert; da kann ich Ihnen nur gratulieren.

(Dr. Michael Freytag CDU: Wir sind sozial und de- mokratisch!)

Das fand ich sehr schön, Frau Koop, das haben Sie so schön sozialdemokratisch erklärt, wir brauchen eigentlich gar nichts mehr hinzuzufügen. Aber aufgrund meiner sozialdemokratischen Pflichten muß ich Ihnen dennoch etwas mitteilen.

(Wolfgang Beuß CDU: Dann mal los! – Dr. Hans-Pe- ter de Lorent GAL: Mal sehen, ob es dann auch Beifall gibt!)

Liebe Frau Koop! In Anlehnung an die Reise nach Jerusalem macht die CDU in Sachen Arbeitsmarktprojekte seit einiger Zeit die Deutschlandreise. Mal sind wir zu Gast in Neuss, das liegt in Nordrhein-Westfalen, mal in Neuwied, das liegt in Rheinland-Pfalz. Heute soll es also nach Sachsen und Baden-Württemberg gehen, warum auch nicht, wenn etwas Sinnvolles dabei herauskommt. Sinnvoll ist es allerdings nicht, immer Birnen mit Äpfeln zu vergleichen, und es ist unheimlich schwierig, Modelle in strukturschwachen ländlichen Bereichen auf die Situation in einer Metropole zu übertragen.

(Beifall bei Andrea Franken GAL)

Bei uns sind etwas andere Instrumente gefragt. Wir haben in der Hamburger Arbeitspolitik eine ganze Reihe von kreativen Ansätzen; das ist schon wie ein großer Mosaikteppich von Angeboten.

Erstens: Der neueste Hamburger Arbeitsmarktbericht weist eine positive Entwicklung gerade auch für ältere arbeitslose Menschen aus. Sie haben wieder Chancen, einen Arbeitsplatz im Ersten Arbeitsmarkt zu finden. Unternehmen suchen wieder ältere Menschen mit längerer Berufserfahrung.

Zweitens haben sich, Frau Koop, das ist sicherlich gerade auch für Sie interessant, für Frauen die Beschäftigungschancen deutlich erhöht, ihre Erwerbstätigkeit ist in Hamburg überproportional gestiegen. Natürlich verdanken wir diese positive Entwicklung zu einem wesentlichen Teil der guten Konjunktur, den Produkten und Dienstleistungen, die in unserer Stadt hergestellt und angeboten werden. Wenn aber Erwerbslose, die länger ohne Beschäftigung waren, nun wieder Arbeit finden, so ist dies auch auf die

erfolgreiche Hamburger Arbeitsmarktpolitik zurückzuführen. Ihr Konzept lautet seit langem: Qualifizierung und Fortbildung.

(Beifall bei Andrea Franken und Heide Simon, beide GAL)

Viele Arbeitslose haben in der Zeit ihrer Erwerbslosigkeit an Maßnahmen teilgenommen und sich neue Kommunikations- oder Fertigungstechniken angeeignet. Damit haben sie Anschluß an die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gehalten und sind auch an modernisierten Arbeitsplätzen einsetzbar. Moderne Arbeitspolitik sieht so aus, daß die Chancen der Menschen erhöht werden, wieder einen Arbeitsplatz zu finden und in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. So erhalten Menschen wieder Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe, der materiellen Sicherheit und der sozialen Anerkennung.

Und noch ein zweites Prinzip kennzeichnet moderne Arbeitspolitik. Es hat sich bewährt, Arbeitsplätze und Arbeitnehmer möglichst paßgenau zusammenzuführen. Mit Paßgenauigkeit ist am ehesten die Zufriedenheit von Beschäftigtem und Arbeitgeber zu erreichen. Das Modellprojekt „Jobplan“, das in Hamburg vom Arbeitsamt und von der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales gemeinsam umgesetzt wird, schafft die Voraussetzungen für diese Paßgenauigkeit. Für jeden Teilnehmer wird ein Fähigkeitsprofil erstellt, denn es hat sich gezeigt, daß es die homogene Gruppe der älteren Langzeitarbeitslosen nicht gibt und auch nie gab. Jeder Mensch hat seine individuellen Stärken und Schwächen, und es kommt darauf an, Stärken auszubauen und Schwächen zu beheben, wo es möglich ist. Die erstellten Fähigkeitsprofile sind die Basis für die Erstellung der jeweiligen Eingliederungspläne. Sie orientieren sich an den Erfordernissen des Arbeitsmarkts.

Wer langzeitarbeitslose Menschen nur noch in Tätigkeiten vermitteln will, die dem Bereich der sozialen Hilfestellung zuzuordnen sind, nimmt ihnen die Chance auf eine selbstbestimmte und zugleich arbeitsmarktgerechte Weiterentwicklung. Dennoch gibt es auch langzeitarbeitslose Menschen, die die Hoffnung auf Rückkehr in die Tätigkeitsfelder des Ersten Arbeitsmarkts aufgegeben haben. Es gibt Menschen, bei denen die Möglichkeiten der Vermittlung in angebotene Stellen gering ist. Wir sollten daher alle Möglichkeiten nutzen und nichts unversucht lassen, diesen Menschen zur Stabilisierung ihrer persönlichen Situation zu verhelfen. Von daher ist es sinnvoll, die beiden Anträge im Sozialausschuß inhaltlich genau zu besprechen, um zu sehen, ob es auch reale Chancen gibt, hier etwas zu lernen.

Ich denke, das genügt.

(Wolfgang Beuß CDU: Wir haben verstanden!)

Ich wollte eigentlich noch eine ganze Reihe anderer Arbeitsmarktprojekte aufführen. Aber vielleicht spricht ja noch die Sozialsenatorin dazu. – Das ist nicht der Fall. – Dann bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Renate Vogel SPD (als Vertreterin der Sitzungspräsiden- tin): Nunmehr bekommt das Wort die Abgeordnete Simon.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Koop, zum Modellprojekt in Sachsen: Ich habe nichts dagegen, langzeitarbeitslose ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt zu inte

(Karen Koop CDU)