Protokoll der Sitzung vom 30.05.2001

Es wird zur Zeit polizeilich ermittelt und im Einzelfall genau analysiert, wo hier die Sicherheitslücken waren. Das ist notwendig, und es ist gut, daß es geschieht.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat Herr Jobs.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Gestaltung des Maßregelvollzugs ist genauso wie im Strafvollzug immer eine Gratwanderung zwischen Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und dem Anspruch auf Wiedereingliederung der Patientinnen. Und wie das bei der Gratwanderung so ist, kann es keine einfache Hauruck-Lösung eines schwierigen Problems geben; das gilt besonders für den Maßregelvollzug. Die Debatten darüber müssen deshalb im Bewußtsein darüber geführt werden, wie schnell und wie brutal durch plumpe Allgemeinplätze die Personengruppe der Patientinnen noch mehr als ohnehin schon stigmatisiert werden, und das scheint im Moment in dieser Stadt mal wieder einigen völlig egal zu sein.

Wer jetzt wieder vorschnell „Sicherheit vor Therapie“ ruft, als ob das so einfach zu verkürzen wäre, der stellt gefährlich schnell Stimmungsmache vor Objektivität, und das darf trotz allem Wahlkampf nicht passieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und vereinzelt bei der SPD und der GAL)

Zum Hintergrund der Debatte: Es soll wieder eine neue Kommission geben, die sich mit Haus 18 befaßt. Vielleicht befassen wir uns aber erst einmal mit den Ergebnissen der schon arbeitenden Kommission, die sich das Haus anguckt. Die Aufsichtskommission begutachtet zum Beispiel regelmäßig dieses Haus, und im letzten Bericht war nachzulesen, daß die dort getroffenen Sicherheitsvorkehrungen ausreichend sind. Dennoch konnten Leute verschwinden, dennoch konnten Menschen Verbrechen von dort aus begehen. Aber ist daran wirklich ein Fehler im System der Sicherheitsvorkehrungen schuld, oder sind es nicht vielmehr einzelne Fehlentscheidungen, die aufgrund der systematisch fehlenden Transparenz in ihrer fatalen Wirkung potenziert wurden?

Bleiben wir doch kurz beim Bericht der Aufsichtskommission, denn da ist auch von der permanenten Überbelegung, der personellen Unterbesetzung und der permanenten Überlastung des Personals zu lesen, also eine Situation, eine Atmosphäre, in der Fehler häufiger geschehen als unter normalen Bedingungen. Wenn jetzt über Veränderungen im Maßregelvollzug geredet wird, dann darf die Debatte nicht darum gehen, neue Regelwerke übers Knie zu brechen, sondern es muß darum gehen, die Bedingungen erst einmal so zu gestalten, daß Einzelfehler minimiert werden und alle Beteiligten davon einen Vorteil haben, sowohl die Öffentlichkeit als auch die Mitarbeiterinnen und vor allem die Patientinnen, denn das heißt, die bekannten und bereits dokumentierten, überall nachlesbaren und schon diskutierten Mißstände endlich zu beseitigen. Damit muß jetzt angefangen werden.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Die andere Debatte ist natürlich die Debatte darum, wer tatsächlich die Verantwortung für diese Mißstände, für diese systematisch fehlende Transparenz trägt. Dazu muß natürlich mal wieder deutlich gemacht werden, daß hierfür eine Senatorin die Verantwortung trägt, genauso wie für die Überbelegung in diesem Haus und die viel zu dünne Personaldecke. Und natürlich trägt sie die Verantwortung dafür – nicht nur als Senatorin, sondern auch als zuständige Aufsichtsratsvorsitzende –, wenn in ihrem Laden auf allen Ebenen die Transparenz fehlt. Und ganz besonders trägt sie die Verantwortung für ihre Äußerungen zu bestimmten Problemen, und daran muß man sie heute auch noch einmal messen. Dazu möchte ich gleich ganz deutliche Worte der Entschuldigung von Ihnen hören,

(Ole von Beust CDU: Stimmt, ist falsch zitiert wor- den! – Dr. Roland Salchow CDU: Verkürzt!)

oder Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht adäquat mit der Situation umgegangen zu sein.

Frau Roth, Sie haben sich hier zu entschuldigen und nicht nur hier, sondern auch bei allen Opfern, die in der Vergangenheit mit Vergewaltigung konfrontiert worden sind.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Dafür tragen Sie Verantwortung, und natürlich wird das um so schlimmer, je mehr man das in die Reihe all des Versagens stellt, das in der Behörde in der letzten Zeit deutlich geworden ist. Herr Wersich hat es deutlich gemacht: BSE, MKS, das Heroin-Modell. Es ist ein Berg des Versagens, nur glaube ich nicht, daß es nur an der Behördenleitung liegt, sondern es gibt auch Probleme, deren Ursachen in der Behörde an sich zu suchen sind. Die Kollegin Anna Bruns hat einmal eindrucksvoll die BAGS mit dem AKW Tschernobyl verglichen.

Der Vergleich läßt sich sicherlich heute weiterspinnen. Es hat lange, zu lange gedauert, aber irgendwann haben sie in Tschernobyl angefangen, das Problem zu lösen. Das AKW ist stillgelegt,

(Ole von Beust CDU: Einbetoniert!)

aber es sind noch lange nicht alle Gefahren, die davon ausgehen, beseitigt. Es kann aber ein wunderbares Vorbild für eine Problemlösung in Hamburg sein.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um.

Ich komme zum Schluß. Die BAGS ist vergleichbar mit Tschernobyl, also muß der erste Schritt der Problemlösung die Stillegung der Mammutbehörde und die Neustrukturierung der BAGS sein, und zwar bevor der Laden hochgeht.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort hat Frau Senatorin Roth.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst mein Bedauern ausdrücken, daß durch Patienten des Maßregelvollzugs anderen Menschen Schaden zugefügt wurde. Ich bedauere es sehr, daß im Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen im Klinikum Nord in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, Vergewaltigungen seien mei

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

ner Meinung nach Bagatellfälle. Eine solche Haltung widerspricht sowohl meiner persönlichen Auffassung als auch meinen politischen Zielen, für die ich mich einsetze. Diese Entschuldigung habe ich bereits öffentlich ausgesprochen und möchte sie hier noch einmal ausdrücklich wiederholen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die Vorfälle im Klinikum Nord haben den Maßregelvollzug erneut in den Brennpunkt der öffentlichen Diskussion gestellt. Klar ist, daß notwendige Sicherheit und erforderliche Therapie keine Gegensätze sein dürfen, und in Hamburg tragen wir Verantwortung dafür, damit sie es auch nicht sind.

Der Maßregelvollzug – Frau Freudenberg hat es sehr deutlich ausgeführt – ist keine verkappte lebenslange Strafe für Sexualstraftäter. Er ist vielmehr ein gerichtlich verfügtes Instrument, um den Patienten familiär, sozial und beruflich wieder einzugliedern. Aber es soll zugleich auch, und das muß auch sein, den Schutz der Allgemeinheit gewährleisten.

(Glocke)

Frau Senatorin, es gibt die Bitte um eine Zwischenfrage. Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Sicherheit und Therapie gehören zusammen. In der forensischen Psychiatrie arbeiten qualifizierte und hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Durch die aktuellen Ereignisse sind die Grundlagen und Erfolge ihrer therapeutischen Arbeit leider in den Hintergrund getreten; auch das darf man nicht vergessen. Ich möchte diesen Mitarbeitern in solch schwierigen Stunden ausdrücklich meine Anerkennung für ihre schwierige Arbeit sagen.

(Beifall bei der SPD)

Je nach Therapiefortschritt gibt es im Maßregelvollzug die Möglichkeit, abgestufte Lockerungsmaßnahmen zu gewähren. Dazu zählen zeitlich befristete begleitete und unbegleitete Ausgänge auf dem Klinikgelände und darüber hinaus.

(Wolfgang Beuß CDU: Mit Schlüsselgewalt!)

Die Entscheidung über diese abgestuften Lockerungsmaßnahmen erfolgt durch eine genaue Begutachtung und je nach Therapiefortschritt. Im Klinikum Nord muß vor einem ersten, unbegleiteten Freigang neben dem Leiter der forensischen Psychiatrie auch der Ärztliche Direktor des Klinikums zustimmen. Das ist in der Tat eine hohe Verantwortung für die betreffenden Personen. In speziellen Fällen erfolgt zudem eine externe Begutachtung. Obwohl beide Täter, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, vor den Vollzugslockerungen auch extern begutachtet wurden, ist es zu den schrecklichen Ereignissen im Klinikum Nord gekommen. Dies zeigt, daß die Beurteilung menschlichen Verhaltens auch die Gefahr des Irrtums in sich birgt. Vollzugslockerungen ohne Restrisiko gibt es leider nicht. Dieses Risiko ist jedoch so weit wie möglich auszuschließen. Die davon ausgehenden Gefahren zu vermeiden, ist Ziel der internen und externen Begutachtung. Inwieweit dies durch weitere Einbeziehung von Dritten verbessert werden kann, muß vorbehaltlos geprüft werden.

Festzuhalten ist, daß derzeit kein Sexualstraftäter im Maßregelvollzug im Klinikum Nord Freigang hat. Sofort nach Bekanntwerden der Vorfälle wurde von meiner Seite aus das Klinikum Nord aufgefordert, zukünftig regelhaft eine ergänzende externe Begutachtung aller Patienten vor dem ersten unbewachten Freigang vorzunehmen. Ich habe veranlaßt, daß sämtliche Lockerungen anderer Patienten zunächst intern und umgehend auch extern überprüft werden. Gleichzeitig mußte ich im Rahmen der Ereignisse aber auch feststellen, daß die vertraglich festgelegte Informations- und Meldepflicht des Klinikums Nord nicht eingehalten wurde. Deshalb habe ich sofort entschieden, eine unabhängige Sachverständigenkommission einzusetzen, die umgehend die zutage getretenen Defizite untersuchen soll.

Diese Kommission soll darüber hinaus Vorschläge machen, wie diese Mängel behoben und das Verfahren der Vollzugslockerungen verbessert werden kann. Vor allem die Frage, in welcher Form die Staatsanwaltschaft und weitere Behörden einbezogen werden sollen, gilt es im Rahmen dieser Sachverständigenkommission zu klären.

Unabhängig davon wurden bereits Maßnahmen eingeleitet, die keine gesetzlichen Änderungen voraussetzen. Der zwischen dem LBK und der BAGS geschlossene Vertrag wurde dahin gehend geändert, daß nunmehr erstens eine ergänzende, externe gutachterliche Stellungnahme vor einer erstmaligen Entscheidung über die Vollzugslockerung eingeholt wird, zweitens die bereits 1999 eingerichtete Sicherheitskommission im Klinikum Nord ihre Arbeit dauerhaft fortsetzt und auch externen Sachverstand mit einbezieht und drittens bei besonderen Vorkommnissen die Mitteilungspflicht konkretisiert wird.

Im aktuellen Fall hatte der Täter für seine Aufgaben im Transportbereich aufgrund der Therapieeinschätzung verschiedene Schlüssel erhalten.

(Ole von Beust CDU: Auch für die Freizeit!)

Schlüssel für Maßregelvollzugseinrichtungen befanden sich nicht in seinem Besitz.

(Dietrich Wersich CDU: Da wurde er auch so raus- gelassen!)

Der LBK-Vorstand prüft nunmehr durch Einholung eines Gutachtens, ob die ärztliche Entscheidung zur Vollzugslockerung aus damaliger Sicht begründet war.

(Ole von Beust CDU: Er hat ihn in der Freizeit ge- habt, das ist das Problem!)

Mit sofortiger Wirkung hat der Vorstand des LBK entschieden, Patienten im Maßregelvollzug nicht mehr bei Transportleistungen einzusetzen.

(Dr. Roland Salchow CDU: Das ist eine weise Ent- scheidung!)

Darüber hinaus ist auch geklärt, daß keine Patienten mehr im Rahmen anderer Aufgaben Schlüssel bekommen. Eine interne Schwachstellenanalyse soll klären, wie es zu diesen Ereignissen gekommen ist. In Hamburg gibt es im Vergleich zu anderen Bundesländern eine hohe Akzeptanz des Maßregelvollzugs.

(Antje Blumenthal CDU: Bei wem?)

Das liegt auch daran, daß wir als politisch Verantwortliche Rahmenbedingungen und einen sicheren Maßregelvollzug schaffen. Dafür investieren wir in diesem Land jährlich rund 17 Millionen DM und für einen Erweiterungsbau, um die

(Senatorin Karin Roth)