Protokoll der Sitzung vom 19.09.2002

Deshalb ist es wichtig, dass wir dieses Gesetz in diesem Parlament ausführlich beraten und dann auch zügig beschließen.

Ich komme noch einmal darauf zurück, dass ich, was die Begründung dieses Gesetzes angeht, bisher enttäuscht bin. Aber wie ich sehe, hat Herr Schill sein Manuskript von Herrn Wellinghausen noch rechtzeitig bekommen, sodass er uns das Gesetz vielleicht doch noch inhaltlich begründen kann. Begründen, dass dieses Gesetz offensichtlich keine hohe Priorität besitzt. Denn während Herr Schill einerseits in der Provinz einen hoffnungslosen Wahlkampf führt, musste sein Mitarbeiter, der Beamte Wellinghausen, dies in der Pressekonferenz vorstellen. Das zeigt deutlich, wie hoch der Stellenwert dieses Gesetzes im Senat angesiedelt ist.

(Frank-Michael Bauer Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Das ist eine Frechheit, was Sie von sich geben! – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Sie sind nur frustriert, Herr Neumann!)

So hat halt jeder seinen Schwerpunkt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich will noch einmal zusammenfassen: Unser Schwerpunkt als Sozialdemokraten in dieser Stadt ist, auch in Verantwortung vor dem, was von Hamburg aus geschehen ist, dass wir alles tun müssen, was vernünftig und notwendig ist. Alles, um die Freiheit und Sicherheit der Hamburger Bürger zu schützen, aber eben auch nicht mehr. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Schöne Worte!)

Bevor der Abgeordnete Lüdemann spricht, möchte ich Herrn Neumann sagen, wir quaken hier nicht rum.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Karl-Heinz Winkler Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Ist das ein Ordnungs- ruf?)

Herr Lüdemann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir alle wissen aufgrund der Ereignisse des 11. Septembers des letzten Jahres, warum wir hier im Parlament ein Gesetz zur Stärkung der Rechte des Verfassungsschutzes beschließen müssen. Für uns alle hat sich die Sicherheitslage geändert. Bis zu diesem Ereignis konnte sich niemand vorstellen, dass der Hass dieser Terroristen sie zu solch einer unvorstellbar grausamen Tat motiviert. Obwohl die internationale Staatengemeinschaft dem weltweiten Terrorismus den Kampf angesagt hat und die erforderlichen Kämpfe in Afghanistan einen Teil der terroristischen Logistik zerstört hat, wissen wir doch, dass das Terrornetzwerk der Al-Kaida-Kämpfer weiterhin besteht und zudem es auch noch andere terroristische Vereinigungen gibt oder auch, wie wir gerade in Heidelberg

gesehen haben, Einzelkämpfer Anschläge vorbereiten. Die Gefahr ist leider noch nicht beseitigt.

Neben den aktiven Kämpfern und Unterstützern gibt es zudem auch noch Personen – und die gibt es auch in Hamburg –, die hinter vorgehaltener Hand oder im vertrauten Kreis Genugtuung über diese Anschläge bekunden. Vor einem Jahr – und wahrscheinlich ging es Ihnen ähnlich – hat mich nicht nur der Anschlag selbst geschockt, sondern später natürlich auch die Tatsache, dass die Anschläge in dem doch relativ fernen New York und Washington von Personen verübt worden sind, die diese Anschläge in Hamburg vorbereitet und die mit uns zusammengelebt haben. Wir müssen uns also daher fragen, wieso sich diese Schläfer zur Vorbereitung dieser Anschläge gerade Deutschland ausgesucht haben.

(Frank-Michael Bauer Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Hamburg!)

Einerseits natürlich die Technische Universität Harburg mit ihrem Studiengang für Flugzeugtechnik mit der hervorragenden Ausbildung und auf der anderen Seite natürlich unsere sehr fortschrittliche Rechtsordnung, die nach den schlimmen Erfahrungen der Weimarer Republik und der NS-Diktatur entwickelt worden ist und uns sehr große Rechte, Schutz von Persönlichkeitsrechten und Freiheitsrechten einräumt. Wir haben die informationelle Selbstbestimmung, der Datenschutz ist bei uns sehr hoch angesiedelt, die Unverletzlichkeit der Wohnung. Dies sind alles sehr hohe Schutzgüter und sehr große Errungenschaften unserer Demokratie, die der Staat zu schützen hat.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Diese hohen Schutzgüter und Abwehrrechte begünstigen allerdings auch die unbemerkte Vorbereitung von Verbrechen, da der Staat nur unter sehr hohen Auflagen und gesetzlichen Bestimmungen in diesen Schutzbereich, den wir alle wollen, eindringen kann. Der Staat ist auf der anderen Seite aber natürlich auch verpflichtet, uns vor solchen Anschlägen zu schützen. Wir haben diese beiden Rechtsgüter, den Schutz der Persönlichkeitsrechte, der Abwehrrechte und auf der anderen Seite das hohe Rechtsgut der Sicherheit. Wir müssen also eine Abwägung zwischen diesen beiden Schutzgütern treffen. Nach den Ereignissen ist es erforderlich, dass das Schutzgut der Freiheit, der Abwehrrechte einzuschränken ist zugunsten des Schutzgutes der Sicherheit unseres Gesamtstaates.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen Eingriffsrechte des Verfassungsschutzes gestärkt werden. Der Verfassungsschutz soll stärkere Auskunftsrechte bei Banken, Kreditinstituten und Luftverkehrsunternehmen haben. So können bestimmte Reisewege nachvollzogen werden und es gelingt dem Verfassungsschutz, Informationen über Vorbereitungsräume und Zielgebiete zu erlangen.

Durch Bankauskünfte kann Geldfluss von terroristischen Vereinigungen zurückverfolgt werden. Der Verfassungsschutz muss auch technisch aufgerüstet werden, um geeigneter observieren zu können. Die Terroristen sind längst auf dem neuesten technischen Stand. Sie brauchen allerdings für ihre Ausstattung auch keine Haushaltsbeschlüsse.

(Michael Neumann SPD: Und was heißt das jetzt?)

Über die einzelnen Regelungen wollen wir – Herr Neumann hat das schon angesprochen – konkret im Rechtsausschuss und im Innenausschuss sprechen. Ich glaube, da kann man dann auch den Streit, den Herr Neumann eben

(Michael Neumann SPD)

schon ein wenig angefangen hat, vielleicht etwas vertiefen. Ich möchte aber auch betonen, dass diese neue gesetzliche Regelung auf keinen Fall ein Blankoscheck für den Verfassungsschutz ist. Wohnungstechnische Eingriffe unterliegen auch weiterhin der richterlichen Anordnung. Auskünfte von Banken, Kreditinstituten und Luftverkehrsunternehmen unterliegen der Kontrolle durch den parlamentarischen Kontrollausschuss. Die CDU ist – genau wie in der Vergangenheit – auch weiterhin davon überzeugt, dass der Verfassungsschutz seine Rechte nur zum Wohle des Gesamtstaates ausüben wird. Die GAL hat dies in der Vergangenheit leider immer etwas anders gesehen. Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als sie ganz und gar für die Abschaffung des Verfassungsschutzes gewesen ist.

(Frank-Michael Bauer Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Abschaffung, genau!)

Ich glaube, mittlerweile haben Sie da auch Ihre Meinung geändert.

Zu der Kritik der SPD und von Herrn Neumann, der Senat hätte so unwahrscheinlich lange gebraucht, um diesen Gesetzentwurf einzubringen und die landesgesetzliche Regelung vorzulegen.

(Michael Neumann SPD: Das habe ich nicht gesagt! Das habe ich im Manuskript gestrichen!)

Hamburg hat jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt und gehört damit zu den schnellsten Ländern überhaupt. Schneller waren bislang nur Hessen und Thüringen. Sie müssen sich auch einmal vergegenwärtigen, dass bislang noch nicht ein SPD-geführtes Land in der Lage war, eine landesgesetzliche Regelung zu verabschieden.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Dieser Bürgersenat war schneller als jede SPD-Landesregierung und da ist es schon ziemlich dreist von der SPD, zu behaupten, dieser Senat wäre hier zu langsam gewesen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Ich denke, wir sind die Letzten gewesen!)

Ich erinnere mich auch noch gut daran, als wir vor einem Jahr den Bundesminister Schily gehört haben. Der hat uns soviel über neue Sicherheit erzählt. Vor allen Dingen kann ich mich an die ganze Diskussion über fälschungssichere Personalausweise mit biometrischen Kennzeichen und fingerabdruckrein und so weiter erinnern. Es ist ein Jahr verstrichen. Mein Personalausweis sieht noch genauso aus wie vor einem Jahr. Da ist überhaupt nichts passiert.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Den Weg für die Beratung des Antrages hat Herr Neumann schon aufgezeigt. Es freut mich, dass wir da eine zügige Regelung finden. Wir brauchen dieses Gesetz dringend, um den Verfassungsschutz und unsere eigene Sicherheit zu stärken.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort hat der Abgeordnete Mahr.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Das Sicherheitsrisiko schlechthin spricht!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will mich hier nicht mit den Auslassungen über den Irak auseinandersetzen. Ich denke, wir sollten gleich zur Sache kommen.

Die kurzfristige Zuleitung des Gesetzentwurfes an die Bürgerschaft hat es natürlich nicht erlaubt, das Paragraphenwerk bis ins letzte Detail zu prüfen. Deswegen werden wir natürlich auch einer intensiven Behandlung dieses Gesetzes im Innenausschuss unter Beteiligung des Datenschutzbeauftragten zustimmen und selbstverständlich auch einer entsprechenden Anhörung.

Der Entwurf des Senats zur Novellierung des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes lässt sich mit einer guten und einer schlechten Nachricht verbinden.

Zunächst die gute Nachricht: Die ursprünglich vorgesehene Zuständigkeit des Verfassungsschutzes auf dem Gebiet der Bekämpfung der organisierten Kriminalität hat der Senat in seinem Entwurf entgegen ursprünglicher Absicht nicht mehr berücksichtigt. Das ist insofern zu begrüßen, als man damit ansonsten weiter Zuständigkeiten von Polizei und Geheimdiensten in unerträglicher Form verwischen würde.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Für Sie unerträglich!)

Hierauf hat heute im Übrigen, Herr Nockemann, auch dankenswerterweise der Hamburgische Datenschutzbeauftragte hingewiesen. Zudem würde damit einmal mehr dem Verfassungsschutz als quasi verlängerter Arm der Polizei etwas erlaubt sein, was die Polizei selbst nicht darf. In diesem Zusammenhang darf ich noch einmal daran erinnern, dass es in der Bundesrepublik ursprünglich eine konsequente Trennung von Polizei und Geheimdiensten gab, die mit den letzten Jahren leider immer mehr verwässert wurde. Wir haben uns damit, denke ich, keinen Gefallen getan. Immerhin haben die Grünen mit den Sozialdemokraten auf Bundesebene in diesem Gesetzespaket rechtsstaatliche Grenzen einziehen lassen, die es sonst so nicht gegeben hätte.

Nun die schlechte Nachricht: Der Senat hat, anders als die rotgrüne Koalition in Berlin, den präventiven großen Lauschangriff in seinen Gesetzentwurf implementiert. Was heißt das praktisch? Während das Bundesverfassungsschutzgesetz den Lauschangriff im geschützten Bereich der Wohnung nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Lebensgefahr für einzelne der für den Verfassungsschutz tätigen Personen zulässt, erlaubt der vorgelegte Gesetzentwurf den Lauschangriff mittels Wanzen und Richtmikrofonen sowie Videografie ausdrücklich auch dann, wenn sich kein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in der überwachten Wohnung aufhält. Ja, der Senat geht sogar so weit, Wohnungen auch dann ausspähen lassen zu wollen, wenn sie nicht den Verdächtigen gehören. Das könnte dann zum Beispiel auch in einem empfindlichen Maße die Arbeit von Rechtsanwälten und Seelsorgern betreffen und das lehnen wir selbstverständlich ab, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Christian Maaß GAL – Frank-Michael Bauer Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Aber das war doch eine gute Nachricht, die Sie verkündet haben, Herr Mahr!)

(Carsten Lüdemann CDU)

Auf Bundesebene ist sehr ausführlich über das Für und Wider diskutiert worden. Ich will hier gar nicht die Stimmen der Bürgerrechtsorganisationen aufzählen, die sich ja selbst mit dem rotgrünen Gesetzentwurf nicht anfreunden konnten. Sie haben ohne Zweifel ernst zu nehmende gute Gründe für ihre ablehnende Haltung formuliert, die aber von der rotgrünen Koalitionsregierung unter dem Druck der Wirklichkeit – und da stimme ich Ihnen natürlich zu – des 11. September nur begrenzt berücksichtigt werden konnten.

Meine Damen und Herren! Der Staat muss alles tun, um den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Er muss aber auch alles tun, dass bei aller Sicherheit die Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger nicht auf der Strecke bleibt. Kein Gesetz der Welt, meine Damen und Herren, kann jeden terroristischen Akt verhindern. Es ist auch zweifelhaft, ob ein Anschlag wie der vom 11. September vergangenen Jahres mit dem Sicherheitspaket aus Berlin oder jetzt aus Hamburg hätte verhindert werden können. Darüber müssen wir uns, wenn wir hierüber reden, auch im Klaren sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der GAL)