Protokoll der Sitzung vom 11.12.2002

(Dietrich Wersich CDU: Das ist doch lächerlich!)

Nein, das ist nicht lächerlich.

Ich möchte es Ihnen einmal darstellen. Im Theatermagazin „Die Deutsche Bühne“ wird die Senatorin gefragt, ob für sie der Begriff der Avantgarde eine Bedeutung hätte.

Daraufhin sagt sie:

„Absolut. Wie würde es denn weitergehen ohne Avantgarde? Ohne Teenagerjahre wird kein Mensch erwachsen. So einfach ist das.“

(Dr. Michael Freytag CDU: Das ist doch gar nicht gesagt worden!)

Nun, so ist es gerade nicht. Avantgardekunst ist gerade keine Teenagerkunst, keine Kunst für Nichterwachsene. Dieser Vergleich fällt einem doch nur ein, wenn man die Idee hat, Avantgardekunst sei etwas, über das man hinauswachsen müsse, in den Erwachsenenstatus hinein, der sich dann auf Solid-Sicherem bewegt.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wenn die Stadt in Gestalt ihrer Kaufleute solche Ideen pflegen würde, nicht auf das Neue, nicht auf das Zeitgenössische zuzugehen, dann könnten wir uns alle diese große Stadt Hamburg abschminken. Wir tun das auf jedem Feld. Nur auf dem Felde der Kultur haben wir Angst davor und das ist ein Fehler.

(Richard Braak Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Angst haben wir nicht!)

Man muss verstehen, dass die zeitgenössisch kritische Moderne in mancher Hinsicht komplexer ist, weil sie vor

(Dr. Willfried Maier GAL)

dem Hintergrund der Tradition, die sie mitnimmt, Neues versucht und dadurch den Komplexitätsgrad noch erhöht. Der Ulysses ist etwas Komplexeres als Effi Briest. Dazu ist Anstrengung nötig, dazu muss ein Publikum gefördert und gefordert werden.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Darum halte ich eine Initiative, die in der letzten Zeit in Hamburg ergriffen worden ist, für besonders verdienstvoll. Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Thalia in der Gaußstraße, Literaturhaus Hamburg, Abaton-Kino, Echochamber, Hamburger Kunsthalle, Planetarium und „SzeneHamburg“ haben einen Club für Zeitkunst gegründet, den „nordpuls“. Ich habe das erste Abonnement dieses Clubs erworben.

(Rolf Harlinghausen CDU: Glückwunsch!)

Ich möchte dazu beitragen, bei der Senatorin eine neue Liebe zu erwecken.

(Dr. Michael Freytag CDU: Nun wollen wir mal nicht übertreiben!)

Im letzten Jahr bin ich von Herrn Metzmacher zum Silvesterkonzert eingeladen worden. Dieses Jahr gehe ich sogar gerne freiwillig hin. Ich hoffe, ähnliche Entwicklungen befördern zu können. Frau Senatorin, Ihr Abonnement.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Karl-Heinz Ehlers CDU: Was hat das nun gebracht?)

Das Wort hat Herr Woestmeyer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

„Die Kunst braucht den Betrachter und der Betrachter braucht die Kunst.“

Damit Sie keine Angst bekommen, das ist schon das einzige Zitat, das ich heute bringen werde. Ich werde also nicht, wie Herr Maier, mit einer großen Zitatensammlung aus dem breiten Pressearchiv der „Bild“-Zeitung aufwarten, sondern will diesen Satz in den Mittelpunkt stellen.

(Dr. Verena Lappe GAL: Das kann auch nicht jeder!)

Diesen Ausspruch habe ich nicht aus einer Zitatensammlung mitgebracht, sondern mit diesem Satz wird der Besucher der Staatsgalerie in Stuttgart freundlich empfangen. Ich habe die Staatsgalerie am vergangenen Sonntag besucht und dieser Satz ist es durchaus wert, sich ihn genauer anzugucken. Ich fange mit dem zweiten Teil des Satzes an: Der Betrachter braucht die Kunst.

Weil das so ist, macht Hamburg eine Kulturpolitik, die den Menschen den Zugang zur Kunst ermöglicht. Dies geschieht auf sehr vielfältige Weise. Unsere Kulturpolitik schafft Freiräume für künstlerische Prozesse, sie schützt und fördert diese Freiräume, in denen etwas entstehen kann. Sie finanziert Staatstheater, sie finanziert Privattheater, sie finanziert Museen, Gedenkstätten, Spielorte für Film, für Musik und Kunst im öffentlichen Raum. Einige tausend Menschen in dieser Stadt arbeiten mit oder in dieser Kultur, für die die Kulturbehörde den Rahmen stellt, einen Rahmen, der nicht zu eng sein darf, wie es manchmal in der Debatte den Anschein hat, aber auch nicht zu weit, und zugleich einen Rahmen, der auch stabil sein muss.

Aber zum ersten Teilsatz dieses Zitats: Die Kunst braucht den Betrachter. Wenn die Menschen den Weg der Kunst

nicht mitgehen, dann verkommt die Kunst zum reinen Selbstzweck. Wenn als einziger Zweck eine Art Off-Mentalität bleibt, wie bei Herrn Stromberg, dann reicht das nicht.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Mir liegt es wirklich fern, künstlerische Prozesse zu zerreden, in sie hineinzureden, aber Theater im Off oder alleine Theater für das Off ist eben zu wenig für ein Staatstheater.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Es ist einerseits rein quantitativ zu wenig. Herr Stromberg spricht stolz von steigenden Besucherzahlen und doch sind es weniger als in den schlechtesten Zeiten während der Zeit der Intendanz von Herrn Baumbauer. Und es ist qualitativ zu wenig. Theater mit Bauwagenmentalität ist ein zu schmaler Ausschnitt unserer Stadt. Es ist ein legitimer Ausschnitt, das ist richtig – ich respektiere diesen legitimen Ausschnitt auch –, aber es ist zu wenig für ein Haus, das wir im Haushalt als Staatstheater und nicht als Off-Theater führen.

Die FDP-Fraktion steht dazu. Die Staatstheater sollen, soweit es geht, eigenwirtschaftlich handeln. Dazu gibt es Zuwendungsgarantien mindestens für drei Jahre und zudem ermöglicht dieser Staat, diese neue Regierung, etwas, wozu Rotgrün jahrelang nicht imstande war: Er sichert die Tarifsteigerungen. Ich erinnere mich an viele Diskussionen im Wahlkampf. An dieser Stelle hat bei den Staatstheatern der Schuh gedrückt. Man hat sich bitterlich beklagt, immer weniger für die Kunst ausgeben zu können, weil man wusste, dass einem die nach und nach steigenden Löhne die Kasse eng machen würden. Dass die neue Regierung hier handelt, ist für mich ein Glanzstück dieses Haushalts. Hier zeigen wir doch, wie wichtig uns die Staatstheater und ihre Beschäftigten sind.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Michael Fuchs CDU: Sehr schön!)

Nun handelt also das Schauspielhaus wirtschaftlich eigenständig und bekommt zudem noch die Tarife ausgeglichen. Bestens, könnte man meinen. Aber die wirtschaftliche Lage ist dort katastrophal. Sie, meine Herren Kulturpolitiker von der Opposition, Herr Christier und Herr Maier, reden an dieser Stelle nur über Intendanten-Mobbing.

(Dr. Holger Christier SPD: Er redet darüber!)

Wir reden über eine Auslastung von nur 40 Prozent. Sie reden über Intendanten-Mobbing, wir reden über Einnahmen, die offensichtlich bei mehr Zuschauern zu weniger Geld führen. Wir reden über 62 000 Euro weniger zu Beginn dieser Spielzeit, was vielleicht in Staatstheater-Dimensionen wenig erscheint, aber wir befinden uns am Beginn einer Spielzeit, und zwar im Herbst, im Winter fast. Das ist die Hochsaison eines jeden Theaters. Ich weiß, wovon ich spreche. Wer an der Stelle mit einem Minus anfängt, der wird mit einem dicken Minus enden. Das gilt es zu verhindern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Sie reden nur über Intendanten-Mobbing, das ist alles, was Ihnen dazu einfällt, wir reden darüber, dass das Haus nun von sich aus eine Spielstätte schließt. Wann hat es das

(Dr. Willfried Maier GAL)

denn gegeben? Die machen das Neue Cinema zu, nicht wir. Stellen Sie sich vor, was das für einen Aufschrei gegeben hätte, wenn die Kulturbehörde eine Spielstätte geschlossen hätte. Aber wenn Herr Stromberg das macht, dann reden Sie nur von Intendanten-Mobbing.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Ich mache mir große Sorgen um das Schauspielhaus, aber Ihnen scheint nicht das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg wichtig zu sein, sondern eher der Intendant.

(Dr. Willfried Maier GAL: Die Art und Weise ist das Problem!)

Wem was wichtig ist, weiß ich nicht genau. Ich weiß nicht, ob Herr Stromberg noch im Saale ist, es ist jetzt drei Minuten vor vier. Um 4 Uhr beginnt eine Deputationssitzung der Kulturdeputation in seinem Hause. Ich kann ihm nur raten, diese Deputierten, die jetzt als Gäste in seinem Hause sind und auf ihn warten, wichtiger zu nehmen als die große Politik hier an dieser Stelle.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Wolfgang Franz SPD: Peinlich!)

Herr Maier und Herr Christier, Sie haben in der vergangenen Woche zwei umständliche Pressekonferenzen zu Herrn Stromberg gemacht und natürlich auch zu Ihren kulturpolitischen Ideen. Zu einem richtigen Haushaltsantrag hat es dabei nicht gereicht,

(Dr. Willfried Maier GAL: Wer ist denn vom Senat bei Deputationssitzungen?)