Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

Herr Woestmeyer, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Bürgerschaftssitzung vom 8. Mai des letzten Jahres sprachen wir in der Aktuellen Stunde über die Konsequenzen, die wir aus dem Amoklauf von Erfurt zu ziehen haben. Damals fanden wir, glaube ich, alle gemeinsam in der Aktuellen Stunde den Konsens, dass entschlossen, aber eben auch besonnen gehandelt werden sollte. Der heutige Antrag, das „Faustlos“-Projekt zu ermöglichen, stellt, glaube ich, einen wirklich sehr stringenten, sehr sinnvollen Teil dieses Handelns dar. Gewalt in Schulen kann sehr viele Gesichter haben.

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt übernimmt den Vorsitz.)

Meist sind es nicht die extremen Ereignisse, wie wir sie mit Erfurt noch allzu gut in Erinnerung haben. Das sind meistens nur die, die in die Öffentlichkeit kommen, die Fälle, die uns interessieren, die wir in der Zeitung wiederfinden. Aber diese stellen eben nur einen Teil der täglichen Realität an unseren Schulen dar: Mobbing und Ausgrenzung einzelner Schüler sind dagegen die weit häufigeren Tatbestände alltäglicher Gewalt. Opfer, die unter dieser Form der psychischen Gewalt leiden müssen, fehlt oft der Mut, sich dem auch entgegenzustellen und eben auch oft der Mut, Hilfe zu suchen. Das „Faustlos“-Projekt, das sich ja an das amerikanische Second-Step-Projekt anlehnt, zielt daher auf eine Stärkung des Selbstbewusstseins dieser Schüler, denn nur Schüler und Schülerinnen, die nicht unter Angst leiden, können ihre Leistungsfähigkeit auch wirklich entfalten. Deshalb wollen wir mit dem „Faustlos“-Projekt das Lernklima positiv beeinflussen, ohne übermäßig einzugreifen. Im „Faustlos“-Programm erlernen Schülerinnen und Schüler, mit ihrem Frust und ihrer Angst umzugehen und ihnen werden Wege aufgezeigt, ihre Konflikte auch ohne Gewalt zu lösen.

Die Einführung der dritten Sportstunde, von der Opposition fälschlicherweise belächelt, bietet den Kindern übrigens auch eine Möglichkeit, überschüssige Energie produktiv zu binden. Sie ist auch ein wichtiger Schritt, um Aggression in der Schule zu mindern.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das sagen nicht nur wir, das sagen zum Beispiel auch Experten vom Robert-Koch-Institut. Die sprechen sogar nicht nur von einer dritten Sportstunde, die fordern sogar eine tägliche Sportstunde. So weit gehen wir ja gar nicht.

Unsere bisherigen Schritte, sei es die Handreichung „Gewalt in der Schule“ unter der Leitung von Staatsrat Behrens, die Frau Goetsch hoffentlich in ihre umfangreiche Sammlung aufnehmen wird, die sie hier auf das Pult gelegt hat, oder die Einführung der dritten Sportstunde, aber auch die Vielzahl weiterer Maßnahmen benennen die Probleme und bieten Lösungsansätze, die Schülerinnen und Schülern wirklich helfen. Daher freue ich mich auf die ersten Hamburger „Faustlos“-Ergebnisse, mit denen wir dann sicherlich in einer konstruktiven Debatte fortfahren können.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort hat Herr Bauer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Fiedler, ich muss einem Teil Ihres Beitrages doch widersprechen. Die Jugend- oder Kinderdelinquenz ist nun keinesfalls abgesunken, wenn, dann auf einem sehr hohen Niveau. Darauf können wir noch nicht stolz sein. Wenn über 3000 tatverdächtige Kinder die polizeiliche Kriminalstatistik bevölkern, ist es immer noch ein alarmierendes Signal und keine Entwarnung. Das wollte ich Ihnen nur einmal sagen.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Luisa Fiedler SPD: Das habe ich auch nicht gesagt!)

Ich habe es aber so verstanden und das ist Fakt.

Meine Damen und Herren, unsere Regierung ist nicht nur bekannt für Repressionen, auch präventive Maßnahmen, Projekte und Programme bestimmen in vielen Bereichen unser Regierungshandeln, so wie das Projekt „Faustlos“. „Faustlos“ kann extensiv dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche künftig nicht als tatverdächtige Gewalttäter in der polizeilichen Kriminalstatistik auftauchen. Gewaltprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Im Elternhaus, in Schulen, in Kinderbetreuungsstätten muss darauf hingewirkt werden, dass ein Klima entsteht, das verbale und tatsächliche Gewalt nicht zulässt. Aus Kindergarten- und Schulkindern von heute werden Jugendliche und Erwachsene von morgen. Ergo ist es wichtig, möglichst früh zu vermitteln, wie man mit Aggression umgeht. Die blutigen Amokläufe junger Menschen in Brandenburg, Freising und Erfurt haben zuletzt auf traurige Weise verdeutlicht, dass früh einsetzende Präventionsprogramme wahrscheinlich diese Taten verhindert hätten. „Faustlos“ soll den Grundschülern beibringen, wie sie mit Wut, Aggression und Ärger umgehen können, ohne gewalttätig zu werden, eben Sprechen statt Prügeln.

Aber, meine Damen und Herren, ohne Unterstützung aus dem Elternhaus kann die Spirale der Gewaltbereitschaft bei Kindern von keiner Lehrkraft durchbrochen werden. Gewalt ist jedoch kein rein schulisches Phänomen. Gewalt ist überall und allgegenwärtig. „Faustlos“ heißt nicht, leise und unauffällige Kinder zu erziehen. Es geht vielmehr darum, konstruktiv mit den Gefühlen umzugehen, um auszusprechen, worüber man sich ärgert, statt gleich die Faust zu gebrauchen. Das Ergebnis: Ängste und Aggressionen der Kinder gehen zurück.

Ist denn das nun alles Präventionswahn, das Projekt „Faustlos“? Nein, meine Damen und Herren. Was in frühen Kinderjahren versäumt wird, lässt sich im späteren Leben kaum noch aufholen. Das richtige Umgehen mit Aggression und Wut will nun einmal gelernt sein. Nur so erwirbt der Mensch die Fähigkeit, die schon Aristoteles wichtig war: Gegen die rechte Person im rechten Maß zur rechten Zeit für den rechten Zweck und auf die rechte Weise zornig zu sein. Hier setzt „Faustlos“ ein, wie man mit heftigen Gefühlen, mit Zorn und Frust umgehen kann, ohne blind dreinzuschlagen. Das heißt auch, meine Damen und Herren, der Kampf gegen Gewalt muss schon vor der Grundschule beginnen, im Elternhaus wie im Kindergarten, denn speziell für den Kindergarten gibt es ein „Faustlos“-Lernprogramm mit 28 Lektionen. Ob es finanzierbar ist, ob wir

(Christa Goetsch GAL)

A C

B D

es hier einbringen, darüber muss noch gesprochen werden.

Apropos Elternhaus, meine Damen und Herren: Zwar gibt es Wickel- und Ernährungskurse für Mütter und Väter, aber in der wichtigen Frage der Erziehung herrscht immer noch Learning-by-doing.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Ich fasse zusammen: Mit „Faustlos“ wird impulsives und aggressives Verhalten von Kindern deutlich gemindert und die soziale Kompetenz im gleichen Maße erhöht. Somit ist „Faustlos“ auch ein kriminalpräventives Kinder- und Schülerprojekt, das ein Abrutschen in die Gewaltkriminalität verhindern kann. – Ich bedanke mich.

Meine Damen und Herren, gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 17/2211 an den Schulausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Überweisungswunsch ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich lasse dann in der Sache abstimmen. Wer möchte den Antrag aus der Drucksache 17/2211 beschließen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann hat die Bürgerschaft diesen Antrag einstimmig beschlossen.

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 26, die Drucksache 17/2207, ein Antrag der Koalitionsfraktionen: Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Mediengesetzes.

[Antrag der Fraktionen der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP: Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Mediengesetzes – Drucksache 17/2207 –]

Hierzu liegt Ihnen ein Überweisungsantrag der SPD-Fraktion federführend an den Wirtschaftsausschuss sowie mitberatend an den Rechts- und an den Kulturausschuss vor. Wer möchte das Wort? – Herr Dobritz, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der geplante Abbruch der Wahlen für die Hamburgische Anstalt für neue Medien ist ein Akt politischer Willkür. Dieser Abbruch der Wahlen ist rechtswidrig. Er ist ein respektloser Umgang mit dem Ehrenamt in Hamburg und er ist eine Beschädigung des Medienstandortes Hamburg.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Warum die politische Willkür? Ihre Ziele sind offensichtlich: Sie wollen im kommenden Dreivierteljahr bei der HAM anschließend eine Personalpolitik betreiben, die Ihnen genehm ist. Sie haben das Ziel, durch eine Novellierung des Mediengesetzes die Pluralität, die die gesellschaftlichen Kräfte heute im Vorstand ausdrücken, an den Katzentisch zu stecken. Sie wollen ein Expertengremium, das so lange diskutieren kann, wie der Abend nun einmal lang ist, das aber von der Entscheidungsebene weg soll. Sie möchten vor allen Dingen die Aufsicht im Jugendschutz durchlöchern. Sie möchten die Soll-Vorschrift im Hamburger Mediengesetz zur Vorhaltung des Offenen Kanals ändern. Sie wollen an die 800 000 Euro für andere medienpolitische Überlegungen heran. Sie wollen vor allen Dingen auch, dass die Programmanbieter im privaten Rundfunk zukünftig ihre Programmpolitik selbst verfolgen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich zitiere in diesem Zusammenhang die langjährige Vorsitzende des Vorstandes der HAM, Frau Mundzeck, in einem Artikel der „Frankfurter Rundschau“.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Welcher Partei gehört sie an?)

Ich zitiere wörtlich:

„Sind sich Politiker wie die Hamburger Rechtskoalition nicht im Klaren, dass unser Rundfunk – ob öffentlichrechtlich oder privat – absichtlich und aus bitterer Erfahrung staatsfern und pluralistisch organisiert ist? Mehr noch: dass er von Verfassung wegen so organisiert sein muss?“

Wie achtet die Landespolitik eine grundrechtlich abgesicherte Institution wie die HAM, wenn sie mitten im Wahlverfahren beliebig über die ihr genehme Zusammensetzung neu befinden möchte und so die plural verantwortete, autonom organisierte Medienregulierung faktisch nach eigenem Interesse zu steuern versucht? Es ist exakt politisch der Punkt, um den es Ihnen geht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Warum rechtswidrig? Die Standardkommentare zum Verfassungsrecht verstehen unter dem Begriff „wahleinheitlich“ nicht nur den Akt der reinen Stimmabgabe. Wahlakt und Wahlvorbereitung sind als eine Einheit zu betrachten. Die Wahl hat Ende Juli mit der Ausschreibung durch die Präsidentin der Hamburger Bürgerschaft im Amtlichen Anzeiger begonnen und Sie wollen sie einen Meter vor der Wahlurne – denn sie stand heute auf der Tagesordnung – abbrechen. Sie wollen den Vorstand ein Dreivierteljahr in seiner jetzigen Funktion belassen. Dieses ist ein respektloser Umgang mit den Verfassungsvorschriften in dieser Stadt und in diesem Staat.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Meine Damen und Herren, das Hamburger Verfassungsgericht hat klargestellt, dass aus Artikel 6 der Hamburger Verfassung ebenfalls der Rechtssatz folgt, dass die Allgemeinheit und Gleichheit des Wahlrechtes über den Anwendungsbereich dieser Vorschrift hinaus auch für sonstige demokratische Wahlen politischer Art gelten, für die das Land Hamburg die Regelungskompetenz hat. Dieser Rechtssatz gelte nicht nur für die Wahl zu rechtsgebenden Körperschaften, sondern allgemein für die Wahl zu Gremien, die der demokratischen Legitimation bedürfen und diese Legitimation aus Wahlen erhalten sollen. Entscheidend sei, dass die jeweiligen Gremien hoheitliche Funktion ausüben. Das ist hier der Fall. Die HAM ist zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben des Landes berufen.

Durch den Gesetzentwurf, Paragraph 70a, des Mediengesetzes wird in das Recht der Bürgerschaft eingegriffen, dass diese Wahl auch durchgeführt werde. Meine Damen und Herren, dieser Vorgang hat einen absolut rechtswidrigen Charakter.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Darüber hinaus, meine Damen und Herren: Sie gehen mit dem Ehrenamt in Hamburg respektlos um. Sie fordern Institutionen auf, sich zu bewerben. Es haben einige gemacht. Darunter stehen Namen wie Operndirektor Louwrens Langevoort, es stehen Unternehmer aus der ASU dahinter, der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger

(Frank-Michael Bauer Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Unternehmer, wie Christian Hahn-Godefroy, es stehen hohe Funktionäre, Vertreter des Deutschen Beamtenbundes wie Helga Schulz dahinter oder auch der Geschäftsführer der Verbraucher-Zentrale Hamburg, Günter Hörmann. Ich frage Sie: Was sollen die Menschen dieser Stadt eigentlich denken, wenn Sie sie bitten, uns ehrenamtlich für Sitzungsgeld die nächsten fünf Jahre ihre Freizeit zur Verfügung zu stellen, und wenn Sie ihnen neun Monate später mitteilen, „April-April, danke schön, das war nichts“? Das ist unmöglich.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Und, meine Damen und Herren, es ist eine schwere Beschädigung des Medienstandortes Hamburg. Die Wahlperiode läuft bis zum 15. April. Ab 16. April ist ein Vorstand zusammengesetzt, bei dem man davon ausgehen kann, dass, wenn die Gerichte dieses Schauspiel nicht vorher beenden, er auf einer nicht mehr ausreichend legitimierten Basis handelt. Dabei hat er hoheitliche Funktionen wahrzunehmen, er hat zu lizenzieren, er hat im Jugendrecht zu beanstanden, er muss funktionsfähig sein. Die Gefahr, dass diese rechtliche Funktionsfähigkeit nicht gegeben ist, ist evident. Sie setzen damit im Bereich des privaten Rundfunks viel in dieser Stadt aufs Spiel.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Zusammengefasst, meine Damen und Herren: Die Hamburgische Anstalt für neue Medien hat einen verfassungsmäßigen Auftrag, den Sie durch die willkürliche Verschiebung einer anstehenden Wahl einfach zu unterlaufen versuchen. Wir werden deshalb der heutigen sofortigen zweiten Lesung nicht zustimmen. Gehen Sie bitte davon aus: Wir werden sehr ernsthaft die nächsten Tage nutzen und prüfen, welche verfassungsmäßigen Grundsätze Sie hier verletzt haben. Wir werden nicht davor zurückscheuen, auch im Interesse des Medienstandortes Hamburg zügig dafür zu sorgen, dass an die Stelle des alten Vorstandes ein neuer, durch Wahlen legitimierter Vorstand tritt. – Danke schön.