Protokoll der Sitzung vom 05.03.2003

(Rolf Kruse CDU: Wo waren die Plätze bisher?)

Die Plätze standen zum Beispiel im Wahlprogramm der SPD, mit dem wir uns nicht um die Opposition beworben haben.

(Oh-Rufe von der CDU, der Partei Rechtsstaat- licher Offensive und der FDP)

Wir haben gesagt, dass wir davon wegkommen müssen, nur in Sonntagsreden über die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu reden, das muss reale Politik werden.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Sie werden es mit diesem Gesetz nicht schaffen; das wissen Sie selbst. Sie werden einerseits auf der Veddel, in Steilshoop und Wilhelmsburg Plätze abbauen, aber zeitnah werden Sie diese Plätze überhaupt nicht in den Stadtteilen mit einer höheren Erwerbsquote aufbauen können. Das heißt, an Stelle von Starten tritt bei vielen Eltern Warten. Deren einziges Recht bei Ihrem Gutscheinsystem ist, dass sie, wenn sie berufstätig sind und das Kind noch nicht im Kindertagesbetreuungssystem ist, auf eine landesweite Warteliste kommen. Deshalb sind die Eltern zu Recht sauer.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Schauen wir uns das Gutscheinsystem doch einmal etwas genauer an. Sie waren zum Beispiel bei den zehnstündigen Ausschussbefragungen nicht anwesend. Ich will Ihnen drei Punkte nennen, die sowohl die Träger als auch die Eltern vorgetragen haben.

Erstens: Eltern werden bei Ihrem System zu Recht befürchten müssen, dass es zu einem häufigen Gruppenwechsel, zu einem „Kindertagesstättenhopping“ kommt. Das wollen die Eltern nicht, weil es mit einer neuen Nachfragemacht überhaupt nichts zu tun hat.

Zweitens: Sie haben eine viermonatige Übergangsregelung dafür getroffen, wenn man Elternzeit in Anspruch nimmt. Das heißt, wenn sich eine Frau für ein zweites Kind entscheidet und mehr als eine viermonatige Elternzeit nimmt, verliert das erste Kind den Anspruch auf eine Betreuung. Welche Familien- und welche Frauenpolitik ist das?

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Drittens: Man muss sich ein bisschen mehr in die Materie einarbeiten. Betrachten wir uns einmal die Kinder, deren Eltern arbeitslos geworden sind. Auch hier haben Sie eine viermonatige Übergangsregelung eingebaut. Aber Sie hätten einfach einmal beim Arbeitsamt nachfragen müssen. 50 Prozent der arbeitslosen Väter und Mütter sind länger als sechs Monate arbeitslos. Das heißt, sie kommen nicht in den Genuss Ihrer viermonatigen Regelung. Ein Anruf beim Leiter des Arbeitsamtes hätte Ihnen gezeigt, dass Ihre Übergangsregelung völlig irrsinnig ist.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich komme zu einem weiteren Punkt in Ihrem Gesetz, und zwar zur Frage: Wie regeln Sie dem Grunde nach die Mitbestimmung von Eltern? Diese Frage haben Sie gar nicht geregelt. Sie haben an dieser Stelle gesagt – so die wörtliche Aussage des Senats in der Anhörung –, dass es die

ses noch nie gegeben habe, das würde man auch nicht brauchen und die Eltern hätten daran auch kein Interesse.

(Michael Neumann SPD: Und wo kommt man da hin?)

Das heißt, die Eltern werden in Ihrem System nicht zu Partnern, sondern zu Empfängern von Wohltaten. Über wesentliche Essentials, was etwa in den Verträgen festgelegt sein muss, sagt das Gesetz überhaupt nicht aus. Das sind zum Beispiel die Fragen der Qualifikation des Personals, der pädagogischen Zielsetzungen oder die Qualität der Ernährung. Zu den Verträgen zwischen Eltern und Trägern macht Ihr Gesetz keinen Vorschlag und enthält keine Bestimmungen. Als Elternteil hat man einzig das Recht, sich auf Anfrage das pädagogische Konzept einer Kindertagesstätte aushändigen zu lassen. Dazu sage ich einfach: Wow, das ist stark!

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Mir ist klar, dass Sie nicht den Mut haben werden, noch einmal am großen Rad zu drehen. Sie werden auch nicht den Mut haben, bei Ihren Kollegen aus den anderen Politikfeldern für Ihren Etat zu kämpfen. Sie sagen, dass Sie sich einen Ausbau nicht vorstellen können. Dabei missachten Sie, dass es bereits heute Berechnungen darüber gibt, dass eine bessere Kindertagesbetreuung auch mehr Einnahmen bringen. Ich empfehle Ihnen die Studien aus der Schweiz, aus den USA und die gerade veröffentlichte Studie des DIW.

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: Lesen Sie sie! Da steht etwas anderes drin!)

Nein, Sie müssen sie lesen, dann werden Sie begreifen, dass gut qualifizierte Mütter, die arbeiten können, auch einen Anteil am Steueraufkommen tragen, dass uns eine gute frühkindliche Bildung – insbesondere im Bereich der Sprachförderung – Kosten im Schulsystem und eine soziale Integration von Kindesbeinen an ebenfalls Sozialleistungen erspart. Dieses zusammengenommen spricht für einen Ausbau der Kindertagesbetreuung, den Sie nicht auf Ihre Fahnen geschrieben haben.

Zu drei konkreten Punkten im Gesetz:

Paragraph 8 fragt im Zusammenhang mit der Sprachförderung nach der Staatsangehörigkeit. Der Ausschuss hat empfohlen, nach der Muttersprache zu fragen, aber das Gesetz sieht weiterhin die Staatsangehörigkeit vor.

In Paragraph 10 sagen Sie, dass eine Behörde den Eltern einen halbtägigen Kindergartenplatz nachweisen muss, wenn sie ihn selbst nicht finden. Wieso weist das Gesetz diese Nachweispflicht der Behörde nicht auf die übrigen Plätze in den Horten, Kitas oder im Elementarbereich sechs bis acht Stunden aus? In diesen Teilen arbeitet Ihr Gesetz unsauber.

Richtig schrecklich wird es bei dem Punkt, dass man, wenn man arbeitslos ist, mindestens zwölf Monate arbeitslos sein muss, um in die Kategorie 2 zu kommen, weil Sie nicht das Arbeitslosengeld mit berücksichtigen, sondern erst die Arbeitslosenhilfe. Auch hier empfehle ich Ihnen einen Anruf beim Arbeitsamt,

(Norbert Frühauf Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Wo soll ich denn überall anrufen?)

um festzustellen, dass Sie an dieser Stelle nicht zur Harmonisierung einer modernen Arbeitsmarktpolitik beitragen.

(Thomas Böwer SPD)

Letztendlich bleibt der gesamte Paragraph 19 zur Frage der Mitwirkung von Eltern und Kindern nichtssagend. Deswegen werden wir Ihnen Gelegenheit geben, Ihr Gesetz zwischen der ersten und zweiten Lesung nachzubessern. Wir sehen uns an dieser Stelle wieder. Es tut mir leid für Herrn Dr. Näther, der in diesen Tagen als Leiter des Amtes für Kindertagesbetreuung in den Ruhestand geht. Aber ich bin sicher, dass wir irgendwie eine Besucherkarte organisieren, sodass er auch der zweiten Lesung zum KitaGesetz lauschen kann. – Danke.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält der Abgeordnete Herr Weinberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Viele denken und befürchten, dass am 1. August 2003 die Kindertagesbetreuung in Hamburg ihr jähes Ende erleben wird. Ich kann Ihnen sagen, dass das nicht passiert, denn die Kindertagesbetreuung wird ab August 2003 einen ersten Schritt der Reform annehmen.

Dass dieser erste Schritt – das ist die Betonung – dieses Systemwechsels ab August 2003 nicht das Nonplusultra einer Kindertagesbetreuung ist, wissen wir. Lieber Herr Böwer, man muss aber auch fragen, was Sie uns als Erbe hinterlassen haben.

(Oh-Rufe von der SPD und der GAL)

Das hat nichts mit 44 Jahren zu tun. Ich komme später noch einmal darauf zurück, was Sie vor eineinhalb Jahren zur Kindertagesbetreuung gesagt haben und was Sie heute dazu sagen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Wir lernen heute!)

Erstens: Wir haben in Hamburg im Vergleich zu westdeutschen Städten einen relativ guten Ausbau der Kindertagesbetreuung.

(Lachen und Beifall bei der SPD)

Das ist richtig.

Nur hat er in den letzten Jahren in keiner Art und Weise die bestehenden Bedarfe gedeckt.

Zweitens: Wir haben viel zu hohe Elternbeiträge, die wir mittlerweile im Durchschnitt mit 10 Prozent entlastet haben.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Maximal 10 Prozent! Nicht im Durchschnitt!)

Drittens: Wir haben ein ineffizientes System. Genau das ist der entscheidende Punkt für die beginnende Reform der Kindertagesbetreuung, nämlich den systematischen Ansatz zu verändern und durch einen effizienteren zu ersetzen. Herr Kollege Dr. Schinnenburg hat bereits erläutert, welche Sparmaßnahmen im Sinne von Umleitung in das System zurück erzielt werden können, um es wieder effizienter zu gestalten.

Noch ein letzter Punkt, über den man sprechen muss, Herr Böwer. Was man fordert, muss man auch bezahlen.

(Petra Brinkmann SPD: Ja!)

Sie haben uns die Schulden hinterlassen, die uns hemmen, im Bereich der Kindertagesbetreuung zu investieren.

(Petra Brinkmann SPD: 44 Jahre!)

Nein, das hat nichts mit 44 Jahren zu tun. Frau Brinkmann, es hat damit etwas zu tun, dass, wenn der Fraktionsvorsitzende hier seine Prioritäten aufzählt – das, das und das – und ganz zum Schluss die Finanzierung kommt, dann sage ich dazu nur eines: Unterhalten Sie sich einmal mit den Eltern. Eltern machen für ihre Kinder keine Schulden, sie wollen nicht, das ihre Kinder die Schulden zurückzahlen müssen. Das ist in diesem Fall auch unsere Marschroute.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)