Protokoll der Sitzung vom 06.03.2003

Nun zum Abschnitt II, dem angekündigten Konzept zur Neuorganisation. Diese Neuorganisation der Obdachlosen- und Wohnungslosenhilfe begründet sich auf der Auswertung der GISS-Studie. Dem folgte damals im August 2000 ein Projektauftrag in der damaligen BAGS zur Umstrukturierung des Hilfesystems. Dieses sollte dann im Juni 2001 in eine Modellphase überführt werden. Der Einrichtung dezentraler bezirklicher Fachstellen stand bisher im Wesentlichen entgegen, dass die Wohnungsbauunternehmen nicht zur Unterzeichnung der Rahmenvereinbarungen zu bewegen waren. Dem folgten dann Ankündigungen des Schwarzgelb-Schill-Senates unter Verantwortung von Frau Schnieber-Jastram. Im Februar des vergangenen Jahres wurden dann Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Obdachlosen angekündigt und dass die Gespräche mit der Wohnungswirtschaft vor dem Abschluss stünden, so Ihre Pressemitteilung vom Februar des vergangenen Jahres. Im März 2002 hatte sich der Senat mit dem Konzept noch nicht befasst. Im Juli vergangenen Jahres wurde angekündigt, dass das Konzept der Fachstellen für Wohnungsnotfälle den Senat im August passieren, das Personal bis Ende des vergangenen Jahres geschult sein und die Arbeit der Fachstellen bis zum Jahresbeginn, also in diesem Jahr aufgenommen sein sollte. Im September 2002 wurde an der Erarbeitung eines Konzeptes zur Neuorganisation noch gearbeitet. Der Senat hatte sich damit noch nicht befasst. So können wir in der Drucksache 17/1425 nachlesen. Bei den Haushaltsberatungen für 2003 im vergangenen Jahr dagegen wurde die Unterbringung von Wohnungslosen allerdings in 700 Wohnungen schon vorausgesetzt, obwohl Verhandlungen mit den Wohnungsunternehmen offensichtlich noch zu gar keinem Ergebnis geführt hatten. Auch jetzt hat sich der Senat noch nicht damit befasst sowie nach anderthalb Jahren erheblichen Überarbeitungsbedarf erkannt. So jedenfalls lautet die Antwort in der Großen Anfrage und das Modellprojekt zur Unterbringung von Wohnungslosen, von Ihnen im Februar 2002 noch angekündigt, wird also infrage gestellt.

Das steht aber, Frau Senatorin, völlig im Widerspruch zur Aussage von Senatsvertretern im Sozialausschuss im Januar 2003, also in diesem Jahr, und der Aussage des Abgeordneten Schira noch in der Plenarsitzung vom 21. Februar 2002, die Sozialbehörde arbeite mit Hochdruck am neuen Gesamtkonzept. Ich würde eher sagen: Unterdruck.

(Beifall bei der SPD)

Auch werden keine Schulungen durchgeführt. Es gibt für das im Februar angekündigte Projekt „Straßensozialarbeit City“ keine Notwendigkeit mehr – das ist ja von Ihnen erfunden – und der Verschuldungsaspekt wird als Ursache von Wohnungslosigkeit von Ihnen nicht als Untersuchungsgegenstand anerkannt. Und dann wird das noch nicht vorliegende Konzept von der Bezirksversammlung Harburg bereits wieder als Erfolg gefeiert. Wenn Ihre Aus

(Leif Schrader FDP)

sagen in der Großen Anfrage richtig sind, geschieht das doch völlig unberechtigt.

Nun zum Abschnitt III, zur Kooperation der BSF mit den Mietervereinen. Auf die entscheidende Frage, ob es einen Kosten-Nutzen-Aspekt gebe, geht der Senat nicht ein. Frau Senatorin, in welchem Verhältnis steht denn nun wirklich der finanzielle Aufwand zum Einsparpotenzial? Einzelbeispiele führen da nicht weiter. Bewahrheitet sich wirklich Ihre unterschwellige Annahme, dass sich die Wohnungsund Immobilienwirtschaft auf Kosten der Gesellschaft unter Ausnutzung schwieriger Lebenslagen bereichert? Wenn dem so ist, dann müssen die Zahlen, Frau Senatorin, auf den Tisch.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Genau! – Petra Brinkmann SPD: Ja!)

Weitere Ankündigungen: Bereits im Februar 2002 wurde die Eröffnung des „Café Penne“ für September des vergangenen Jahres pressewirksam angekündigt. Bis heute hat man nichts vorzuzeigen, Frau Senatorin. Ein neues Datum wagt man in der Großen Anfrage nicht einmal zu nennen. Seit einem Jahr aus meiner Sicht nichts als heiße Luft.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL – Petra Brinkmann SPD: Genau!)

Nun komme ich zu unserem Fazit, zu unserer Kritik und zu Alternativen. Unsere Kritik, Frau Senatorin: Wie häufig wollen Sie uns Ihre Ankündigungen noch als Erfolge verkaufen und an den Konzepten arbeiten?

(Rolf Harlinghausen CDU: Bis Sie das begreifen!)

Und wann befasst sich der Senat damit und entscheidet? Ihr Umgang mit diesen in unserer Gesellschaft sozial Benachteiligten war doch an der von Teilen der Schwarzgelb-Schill-Koalition angezettelten, unnötigen Debatte zu Beginn der Legislaturperiode um die bettlerfreie Innenstadt deutlich geworden. Ihre Schlagworte und Ankündigungen dienen meines Erachtens nur der Vernebelung einer Sozialpolitik der Kälte und des Rotstiftes.

(Beifall bei der SPD)

Aufhorchen, Frau Senatorin, lässt doch der Schlusssatz des Antrages der Bezirksversammlung in Harburg, dass erhebliche Einsparungen von Haushaltsmitteln realisiert werden.

Das ist der Kernsatz des Antrages in der Bezirksversammlung Harburg. Dem füge ich nichts hinzu.

Der Hintergrund der Verzögerung, Frau Senatorin, liegt aber doch in Wahrheit in der Uneinigkeit in der zwischenbehördlichen Abstimmung. Denn das Konzept liegt doch vor. Sie haben es doch bei der Beratung der Drucksache 17/228 in einer Ausschusssitzung bekannt geben lassen! Ich weiß nicht, ob Sie damals anwesend waren, aber auf jeden Fall haben das Senatsvertreter dort geäußert.

Wir teilen – und jetzt komme ich zur Alternative – durchaus die Ansicht, die Obdachlosenhilfe zu dezentralisieren. Sie war doch in Grundzügen im Übrigen erarbeitet und hätte nahtlos übernommen werden können. Nach neun Monaten Lobhudelei über das Konzept „bezirkliche Fachstellen“ erklären Sie jetzt erheblichen Überarbeitungsbedarf. Wer soll Ihnen denn das abnehmen, wenn hier Herr Schira behauptet, seit Februar vergangenen Jahres werde mit Hochdruck daran gearbeitet? Im Übrigen: Die Menschen brauchen eine gemeinsame Unterstützung jetzt. Setzen

Sie doch das Fachkonzept des Deutschen Städtetages oder das bei der Amtsübernahme vorliegende Konzept endlich um, auch gern von Ihnen verbessert, dagegen hat ja niemand etwas. Lassen Sie es nicht wie mit der BezirksBenchmarkingkommission ausgehen. Nicht ohne Grund wird Ihre Behörde von Gewerkschaftsvertretungen in einer Zeitung etwas spöttisch als „Sofa-Behörde“ betitelt.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Ha, ha, ha!)

Ich kann es Ihnen gerne zeigen.

Im Sozialausschuss beraten wir in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, bereits die Großen Anfragen der GAL zur Unterbringung von Zuwanderern, Flüchtlingen und Wohnungslosen und die Große Anfrage der Sozialdemokraten zum Insolvenzbereich. Aus diesen Gründen bitten wir Sie, die Große Anfrage – Drucksache 17/2107 – in den Sozialausschuss zu überweisen, damit wir sie gemeinsam mit den genannten Großen Anfragen dort beraten können. – Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Schira.

(Ingo Egloff SPD: Nun aber mit Hochdruck, Herr Kollege!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Hochdruck ist immer gut, aber Bluthochdruck, lieber Herr Kollege Scheurell, ist nicht so gut und kann auch gesundheitsgefährdend sein.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Darunter leide ich nicht, da können Sie sicher sein! – Petra Brinkmann SPD: Das müssen gerade Sie sagen, Herr Schira!)

In Hamburg gibt es nach der von der Behörde für Soziales und Familie in Auftrag gegebenen Studie über Obdachlose circa 1200 Menschen, die auf der Straße leben. Das ist ein schlimmes Problem. Ich denke, wir sind uns fraktionsübergreifend einig, dass da etwas getan werden muss. Die Frage ist nur: Wie kann man den Menschen wirklich effektiv helfen, denen, die bereits auf der Straße leben, und denen, die ihre Wohnung zu verlieren drohen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, kommen jetzt mit einer Großen Anfrage. Darin herrscht der Grundtenor, was Sie in Ihrer langen Regierungszeit nicht geschafft haben, das soll der Senat nun in kürzester Zeit in Ordnung bringen.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: 44 Jahre. Das haben Sie schon im Februar letzten Jahres erzählt!)

Herr Scheurell, Sie haben ja kein vernünftiges Konzept hinterlassen, auf dem die neue Behörde hätte aufbauen können.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Das war ein Konzept des Deutschen Städtetages!)

Es geht schließlich nicht darum, hier und da ein paar kleine kosmetische Veränderungen am bestehenden System der Wohnungslosenhilfe vorzunehmen. Es wird deshalb endlich ein grundlegend neues Konzept erarbeitet, mit dem man die Zahl der Obdachlosen, die Zahl der öffentlich untergebrachten Menschen in dieser Stadt tatsächlich verringern kann, und zwar bei effektivstem Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel. Das werden wir erreichen, aber das dauert nun einmal auch länger, als ein mittelmäßiges Konzept aus dem Boden zu stampfen. Zum ersten Mal steht mit der von der Behörde für Soziales und Familie in

(Wolf-Dieter Scheurell SPD)

Auftrag gegebenen empirischen Untersuchung eine Datenbasis zur Verfügung, auf der entsprechend den tatsächlichen Bedürfnissen, Problemen und Wünschen der Obdachlosen ein vernünftiges Hilfesystem erarbeitet werden kann, denn ohne eine Kenntnis der Ursachen, sehr verehrter Herr Scheurell, der Alters- und Geschlechtsstruktur der Betroffenen drohen auch die besten Hilfsangebote an den Bedürftigen vorbei entwickelt zu werden. Und das wird jetzt nicht mehr passieren.

Geholfen muss zunächst einmal denen werden, die bereits ohne Wohnung sind, und zwar ganz konkret bei der Bewältigung ihres Alltages. Damit ist die Bereitstellung von Übernachtungsmöglichkeiten und Tagestreffangeboten gemeint, Verpflegung mit Lebensmitteln, medizinische Versorgung und Suchtberatung. Die Gesamtausgaben für die Wohnungslosenhilfe im Hamburger Haushalt belaufen sich in diesem Jahr auf 38 Millionen Euro.

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch das Engagement der Wohlfahrtsverbände, der kirchlichen Einrichtungen und vieler ehrenamtlich Tätiger in dieser Stadt bei der Betreuung von Obdachlosen.

(Petra Brinkmann SPD: Wenn Sie die nicht hätten, hätten Sie gar nichts!)

Dieses Engagement wird vonseiten der CDU und des Hamburger Senats sehr deutlich geschätzt und unterstützt.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Von uns auch! und Bei- fall)

Der zweite und nicht weniger wichtige Punkt ist jedoch, zu verhindern, dass Menschen ihre Wohnung überhaupt verlieren. Ein sehr zu begrüßender Schritt zur Erreichung dieses Zieles ist die Zusammenarbeit der Behörde für Soziales und Familie mit den Hamburger Mietvereinen. Auch die Verlagerung der Schuldner- und Insolvenzberatung auf freie Träger dient entgegen Ihrer Unterstellung in der Großen Anfrage diesem Ziel, nämlich der besseren und schnelleren Beratung betroffener Menschen.

(Petra Brinkmann SPD: Das sieht man ja, wie sich die Zeiten verlängert haben!)

Drohender Wohnungsverlust, sehr geehrte Frau Brinkmann, ist stets die Auswirkung von tiefgreifenden persönlichen Lebenskrisen. Auslöser sind häufig Suchtprobleme, Arbeitslosigkeit, Krankheit, aber eben auch Überschuldung, familiäre Konflikte und unzureichende berufliche Qualifikation, Ursachen, die oft in einem Teufelskreis enden, aus dem der Einzelne allein nicht mehr herausfinden kann.

(Petra Brinkmann SPD: Das kennen wir, Herr Schira!)

Ja, das kennen Sie alles, aber ich sage es Ihnen trotzdem noch einmal.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Sie sollen machen!)

Wir sollen machen, Herr Scheurell.

Entscheidend für die konkrete Hilfe zur Vermeidung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist deshalb ein auf allen Ebenen reibungslos funktionierendes Netzwerk für den Einzelfall, da die mit der Obdachlosigkeit einhergehende soziale Ausgrenzung und die Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt für die Einzelnen unüberwindbare Hindernisse darstellen. Dieses Netzwerk wollen wir schaffen.

Die Hilfe des Staates sollte darauf zielen, rechtzeitig den Betroffenen bei der Bewältigung von schwierigen persönlichen Lebenssituationen Hilfeleistungen zu geben, wobei besonders wichtig ist, die Eigenverantwortung zu stärken und eine aktive Lebensperspektive zu bieten.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Das hat man Ihnen gut aufgeschrieben!)