Protokoll der Sitzung vom 06.03.2003

Den rechtsstaatlichen Herausforderungen, die Gruppierungen wie Scientology an uns stellen, muss jedoch auch schon, bevor Menschen überhaupt zu Schaden kommen, energisch begegnet werden.

(Rolf Kruse CDU: Sehr wahr!)

Es kann meines Erachtens nicht richtig sein, dass unser Zivilrecht eine Vielzahl von Schutzgesetzen vorhält, die uns vor dem Haustürverkauf oder vor anderen unseriösen Geschäften schützen sollen, unsere Psyche und unsere innere Willensbildung jedoch vor solchen Gruppierungen wie der der Scientologen ungeschützt lässt.

Dies gilt insbesondere für die vielfältigen Angebote der Scientology-Organisation. Bereits in den Anbahnungsgesprächen werden die Kritikbereitschaft und die Fähigkeit, mit den Methoden der Scientology differenziert umzugehen, eingeschränkt und so erheblich auf die Vertragsfreiheit eingewirkt, um an das Geld der Betroffenen zu gelangen. Wir brauchen daher dringend, meine Damen und Herren, Vorschriften, die inhaltliche Schranken für Verträge auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe beinhalten. Die bislang vorliegenden Entwürfe für ein solches Schutzgesetz müssen durch den Bund, wie schon gesagt wurde, nun auch endlich – endlich, sage ich, meine Damen und Herren! – umgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Die Initiative Bayerns bietet hierfür eine erneute Gelegenheit. Ich bitte den Senat daher, die Zusammenarbeit mit dem Freistaat Bayern fortzusetzen,

(Rolf Kruse CDU: Das ist immer richtig!)

(Gesine Dräger SPD)

und Sie, sehr verehrte Damen und Herren, um Zustimmung zu diesem Antrag. – Danke.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort hat der Abgeordnete Mahr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte es relativ kurz machen.

(Beifall bei Karl-Heinz Ehlers CDU und Richard Braak und Frank-Michael Bauer, beide Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Karl-Heinz Ehlers CDU: Das ist gut!)

Mit Ihrem Antrag zum Umgang mit der so genannten Scientology-Kirche beschreiben die Regierungsfraktionen viele wichtige Probleme, die im Zusammenhang mit dieser Organisation in den letzten Jahre offenkundig geworden sind. Wir haben uns wiederholt hier im Parlament damit beschäftigt. Hier hat sich insbesondere Frau Blumenthal, als sie noch Abgeordnete der CDU-Fraktion war, hervorgetan.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP)

Die Stadt hat daraus bereits vor Jahren Konsequenzen gezogen und die Arbeitsgruppe „Scientology“ eingerichtet. Diese Entscheidung war richtig, wenn auch ihre Leiterin nach meiner Ansicht so manches Mal im Übereifer über das Ziel hinausgeschossen ist. Beratung und Aufklärung der Öffentlichkeit über Arbeitsweise und Ziele von Scientology sind die Aufgaben dieser Arbeitsgruppe und dieser Aufgabe ist sie in ausgiebiger Form in unregelmäßigen Abständen nachgekommen. Das sollte auch in Zukunft so sein.

Ob aber der von den Regierungsfraktionen vorgelegte Antrag in dieser Form heute verabschiedet werden sollte – meine Vorrednerin hat bereits darauf hingewiesen –, hält auch meine Fraktion für fraglich. Wir sollten uns erst einmal darüber verständigen, dass wir über das Gleiche diskutieren. Ich habe mich jedenfalls noch nicht mit dem von Ihnen angesprochenen Gutachten beschäftigen können. Wenn die Bürgerschaft aber den Senat auffordern soll, auf der Innenministerkonferenz den Bundesinnenminister wiederum aufzufordern, ein Verbotsverfahren der Scientology-Organisation als ausländischem Verein im Sinne des Vereinsgesetzes einzuleiten, bedarf das einer abgewogenen Meinungs- und Entscheidungsfindung, und zwar in den dafür zuständigen parlamentarischen Gremien. Das ist nicht in einem Hau-Ruck-Verfahren zu verantworten.

Wir sollten deshalb im Innenausschuss Vertreter der Arbeitsgruppe Scientology und des Verfassungsschutzes hören, die sich in der Vergangenheit intensiv mit dieser Organisation beschäftigt haben, aber möglicherweise – und das wäre sicher klug – auch Verfassungsrechtler zu Wort kommen lassen. Es gibt überhaupt keinen Zeitdruck. Auf eine Innenministerkonferenz folgt die nächste. Nichts wäre am Ende peinlicher als ein Verbotsverfahren, aus dem Scientology gestärkt hervorginge. – Vielen Dank.

Das Wort hat der Abgeordnete Schrader.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Echte religiöse und weltanschauliche Motive begrenzen staatliches Handeln.

(Dr. Willfried Maier GAL: Wer entscheidet über „echt“?)

Der Staat hat gemäß Artikel 4 Grundgesetz Neutralität und Toleranz für die Entscheidung und das Bekenntnis des Einzelnen zu üben. Hier allerdings sprechen wir letztlich und auch höchstrichterlich ausgeurteilt über eine wirtschaftliche Geschäftstätigkeit.

(Dr. Willfried Maier GAL: Die Hälfte der amerikani- schen Kirchen ist so organisiert!)

Der Staat ist immer dann zum Handeln verpflichtet, wo grundlegende Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger verletzt werden können. Darüber hinaus kann und sollte der Staat in präventiver Weise über mögliche Gefahren aufklären.

Genau hier setzt der Antrag der Bürgerkoalition an.

(Michael Neumann SPD: Von wem?)

Die Gefahr der Scientology liegt nicht zuletzt in einer ganz einfachen und ganz gezielt aufgebauten Attraktivität. Die Kontaktaufnahme erfolgt zumeist auf der Straße, die Durchführung von Persönlichkeitstests und eine persönliche Beratung werden angeboten. Durch die langsame Steigerung dieser Programme gerät dann der Angesprochene – das jedenfalls ist das Ziel – in eine Abhängigkeit von dieser Organisation und immer tiefer in einen Strudel, der dem anderer Suchterkrankungen vergleichbar ist, wobei natürlich bei einer Sucht im Übrigen die körperliche Abhängigkeit im Vordergrund steht, hier die psychische. Durch weitere geschickte psychologische Mechanismen gelingt es dann Scientology, dass der Abhängige diese Abhängigkeit nicht mehr durchbrechen kann. Dadurch ist er nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass es eigentlich nur darum geht, von ihm immer mehr Geld für die kostspieligen Kurse zu erlangen.

Das ist der zentrale Punkt, an dem die Expertise „Auswirkungen und Risiken unkonventioneller Psycho- und Sozialtechniken“, so heißt sie, ansetzt und die Kernpunkt unseres Antrages ist. Diese Studie nimmt für sich selbst nicht in Anspruch, repräsentativ für alle Teilnehmer von Scientology-Kursen zu sein. Allerdings muss es an dieser Stelle auch einmal erlaubt sein, kritisch anzumerken, dass sich Scientology selbst, trotz intensiver Bemühungen derjenigen, die die Studie durchgeführt haben, laut deren Aussage geweigert hatte, Teilnehmer ihrer Kurse oder Mitglieder der Organisation für eine Befragung zu benennen oder auch nur als Ansprechpartner für die Befragung zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, meine Damen und Herren, das sagt schon eine ganze Menge über das Geschäftsgebaren dieser Organisation aus.

(Beifall bei der CDU – Bernd Reinert CDU: Völlig richtig!)

Es wird in dieser Studie erstmals etwas intensiver auf die psychischen Auswirkungen der Kurse auf die Betroffenen eingegangen. Dabei wurde festgestellt, dass die von Scientology angewandten Verfahren und Techniken tief eingreifende und für den Betroffenen weit weniger durchschaubar und kontrollierbar sind als zum Beispiel intensive psycho- oder sozialtherapeutische Behandlungsprogramme. In den von der Scientology-Organisation verkauften Trainingskursen kommen eine Reihe von Psychound Sozialtechniken zur Anwendung, die als Behandlungsmethode gelten. Die Anwender dieser Methode unterliegen zwar nach Angaben der Scientology-Organisation einer internen Kontrolle, erfüllen aber weder die

(Karl-Heinz Warnholz CDU)

staatlichen Kriterien für eine Heilpraktikertätigkeit noch die eines Psychotherapeuten. Deswegen fasst die Studie am Ende aus der Betroffenenbefragung zusammen, dass Scientology mit seinem Ausschließlichkeitsanspruch hinsichtlich der Richtigkeit eigener Vorstellungen die Autonomie der Kursteilnehmer mit rigiden Regeln und Sanktionen einschränkt, die vorwiegend der psychologischen Manipulation dienen. Das ist die Gefahr, die wir erkennen und über die der Staat unserer Meinung nach aufklären muss. Dazu soll dieser gemeinsame Antrag beitragen und ich registriere erfreut, dass das Anliegen selbst in diesem Haus Konsens ist.

(Dr. Willfried Maier GAL: Nein, bei mir nicht!)

Das habe ich inzwischen mitbekommen. Das ist bedauerlich.

Trotzdem ist es fraktionsübergreifend in diesem Haus Konsens.

(Richard Braak Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Bei einem nicht. Er glaubt immer noch, dass es eine Kirche sei!)

Aus diesem Grund möchte ich Sie bitten, dem Antrag der Bürgerkoalition zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung.

Zunächst zur Drucksache 17/2352. Wer stimmt einer Überweisung dieser Drucksache an den Innenausschuss zu? – Gegenprobe. – Somit ist das Überweisungsbegehren mit Mehrheit abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Wer stimmt dem Antrag aus der Drucksache 17/2352 zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Somit ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt.

Wer stimmt nun einer Überweisung der Drucksache 17/2282 an den Innenausschuss zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch dieses Überweisungsbegehren ist mit Mehrheit abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Wer stimmt dem Antrag aus der Drucksache 17/2282 zu? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Somit ist die Drucksache 17/2282 mit Mehrheit angenommen.

Ich rufe Punkt 7 auf, Drucksache 17/2107, Große Anfrage der SPD-Fraktion: Das Hilfesystem für Obdach- und Wohnungslose und die Vermittlung von Wohnraum – was folgt den Ankündigungen der Behörde für Soziales und Familie?

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Das Hilfesystem für Obdach- und Wohnungslose und die Vermittlung von Wohnraum – was folgt den Ankündigungen der Behörde für Soziales und Familie (BSF) ? – Drucksache 17/2107 –]

Die GAL-Fraktion hat beantragt, diese Drucksache an den Sozialausschuss zu überweisen. Wer wünscht das Wort? – Herr Scheurell bekommt es.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich komme zunächst auf den Abschnitt I unserer Großen Anfrage. Er betrifft die Ergebnisse und Auswertungen der empirischen Untersuchung.

Im August des vergangenen Jahres wurde die zeitnahe Erörterung der Ergebnisse angekündigt. Jetzt antwortet der Senat, er habe sich noch nicht damit befasst, es sei noch nicht entschieden, er sei noch zu keinem Ergebnis gekommen. Weder im April des vergangenen Jahres – so kann man in der Drucksache 17/529 nachlesen – noch jetzt, wie in der Großen Anfrage erkennbar, sind die Gespräche zur Situation psychisch Kranker Obdachloser und dem Projekt „Hotel Plus“ nach Kölner Vorbild abgeschlossen.

Nun zum Abschnitt II, dem angekündigten Konzept zur Neuorganisation. Diese Neuorganisation der Obdachlosen- und Wohnungslosenhilfe begründet sich auf der Auswertung der GISS-Studie. Dem folgte damals im August 2000 ein Projektauftrag in der damaligen BAGS zur Umstrukturierung des Hilfesystems. Dieses sollte dann im Juni 2001 in eine Modellphase überführt werden. Der Einrichtung dezentraler bezirklicher Fachstellen stand bisher im Wesentlichen entgegen, dass die Wohnungsbauunternehmen nicht zur Unterzeichnung der Rahmenvereinbarungen zu bewegen waren. Dem folgten dann Ankündigungen des Schwarzgelb-Schill-Senates unter Verantwortung von Frau Schnieber-Jastram. Im Februar des vergangenen Jahres wurden dann Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Obdachlosen angekündigt und dass die Gespräche mit der Wohnungswirtschaft vor dem Abschluss stünden, so Ihre Pressemitteilung vom Februar des vergangenen Jahres. Im März 2002 hatte sich der Senat mit dem Konzept noch nicht befasst. Im Juli vergangenen Jahres wurde angekündigt, dass das Konzept der Fachstellen für Wohnungsnotfälle den Senat im August passieren, das Personal bis Ende des vergangenen Jahres geschult sein und die Arbeit der Fachstellen bis zum Jahresbeginn, also in diesem Jahr aufgenommen sein sollte. Im September 2002 wurde an der Erarbeitung eines Konzeptes zur Neuorganisation noch gearbeitet. Der Senat hatte sich damit noch nicht befasst. So können wir in der Drucksache 17/1425 nachlesen. Bei den Haushaltsberatungen für 2003 im vergangenen Jahr dagegen wurde die Unterbringung von Wohnungslosen allerdings in 700 Wohnungen schon vorausgesetzt, obwohl Verhandlungen mit den Wohnungsunternehmen offensichtlich noch zu gar keinem Ergebnis geführt hatten. Auch jetzt hat sich der Senat noch nicht damit befasst sowie nach anderthalb Jahren erheblichen Überarbeitungsbedarf erkannt. So jedenfalls lautet die Antwort in der Großen Anfrage und das Modellprojekt zur Unterbringung von Wohnungslosen, von Ihnen im Februar 2002 noch angekündigt, wird also infrage gestellt.