Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Schließlich ein anderer Punkt, der mir als Gesundheitspolitiker sehr am Herzen liegt. Wie wäre es denn, wenn wir uns nicht nur darüber Gedanken machen, wie wir die Pflege besser organisieren oder mehr Leute gewinnen können, sondern möglichst viel Pflegebedürftigkeit vermeiden? Das geht nicht immer, es geht aber wesentlich häufiger, als es bisher passiert.

Wir hatten Anfang des Jahres eine interessante Tagung der Gesundheitspolitiker, bei der es um die Demenz ging. Es gibt bereits jetzt Medikamente, die die Demenz im Durchschnitt um ein Jahr hinausschieben können, also die Pflegebedürftigkeit als Folge von Demenz. Ein Jahr spart nebenbei auch Personal, ganz abgesehen von der menschlichen Dimension. Diese Medikamente werden nicht ausreichend genutzt, weil das Budget der Ärzte für Medikamente das nicht hergibt. Diese Medikamente sind teuer. Es ist trotzdem billiger, das Geld für die Medikamente auszugeben statt für die viel teurere Pflege.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Letzte Bemerkung, die viel zitierte Fachkraftquote. Ich bin für Qualität in der Pflege und dazu gehören auch examinierte Fachkräfte. Mir wird aber immer wieder aus den Pflegeheimen berichtet, dass diese Fachkraftquote oft nachteilig ist und Probleme macht. Wir können doch nicht von den Pflegeheimen 50 Prozent Fachkräfte fordern, wenn es gar nicht so viele Fachkräfte auf dem Markt gibt. Es ist doch ein Widersinn, etwas zu fordern, was die Pflegeheime gar nicht leisten können.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Ich fasse zusammen: Die Kampagne ist eine sehr gute Idee. Sie sollte unterstützt werden, sie muss flankiert werden, aber bei ganz maßgeblich weniger Reglementierung. Die Menschen in den Pflegeheimen, von der Leitung bis zur letzten Pflegekraft, wissen noch viel besser als Behördenmitarbeiter, was gut und was richtig ist. Nur wenn etwas schief geht, muss die Aufsicht einschreiten. Lassen wir den Leuten mehr Freiraum, reglementieren wir sie nicht, das ist auch ein wesentlicher Schritt zu mehr Qualität und mehr Menschlichkeit im Pflegebereich. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort erhält der Abgeordnete Barth-Völkel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wer die Plakate mit Jenny Elvers und Lotto King Karl oder Kai Wiesinger in der Stadt hängen sieht, kann sich dem Charme und der klaren Botschaft dieser gelungenen Imagekam

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP)

pagne für Pflegeberufe kaum entziehen und es wurde wirklich Zeit für diese Kampagne.

Wer die Schwierigkeiten der allermeisten Pflegeeinrichtungen und auch der vielen ambulanten Pflegedienste kennt, qualifiziertes Personal zu finden, der hätte sich eine solche Imagekampagne bereits vor zehn Jahren gewünscht. Bereits jetzt fällt es vielen Einrichtungen schwer, die gesetzlich vorgeschriebenen Quoten an examiniertem Pflegepersonal zu erfüllen.

(Petra Brinkmann SPD: Der hat ja keine Ahnung!)

Wenn nun die demographische Entwicklung so bleibt, wie sie ist, dann werden wir innerhalb der nächsten zehn Jahre eine noch viel dramatischere Verknappung der Pflegekräfte in diesem Bereich erleben.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Meine Damen und Herren! Ich darf um etwas mehr Ruhe bitten, damit Sie den Worten des Abgeordneten Barth-Völkel auch ungestört lauschen können.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Immer mehr pflegebedürftige ältere Menschen werden immer weniger ausgebildeten Pflegern gegenüberstehen,

(Petra Brinkmann SPD: Das hat es immer gege- ben!)

sodass wir zum Frühjahr – mein Kollege Rolf Rutter sagte es bereits – 2015 mit einer Zunahme der Pflegebedürftigen um 7 Prozent und einem gesteigerten Bedarf von circa 1000 zusätzlichen Pflegekräften zu rechnen haben. Dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, ist das Ziel dieser Kampagne und ich finde, das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch Ihnen, Frau Dr. Freudenberg, noch einmal widersprechen. Sie haben sich kürzlich in der Presse geäußert, die Kampagne sei Geldverschwendung und nur die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sei geeignet, mehr junge Menschen in die Pflegeberufe zu bekommen.

(Beifall bei der GAL)

Mit Sicherheit ist die kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen eine wichtige Maßnahme, das will ich gar nicht bestreiten. Ich fürchte aber, Sie unterschätzen den Einfluss der öffentlichen Wertschätzung, die einem Beruf entgegengebracht wird – ein Beruf muss cool sein, ein Beruf muss im Trend sein –, damit er von den Schulabgängern überhaupt in die engere Wahl gezogen wird.

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL: Ja!)

Und genau darauf zielen diese Plakate.

Frau Dr. Freudenberg, heutzutage kommen viele Firmen in die Schulen und werben für IT-Berufe und Sie sehen selber, wie viele junge Menschen in diesen Berufen nicht glücklich werden und dass dort diese jungen Menschen keine Zukunft haben. Jugendliche müssen dort abgeholt werden, wo sie sind. Deshalb konzentriert sich die Kampagne nicht nur auf Plakataktionen und Info-Screens, sondern die Pflegeschulen und Ausbildungsbetriebe werden direkt in den Schulen auf die Jugendlichen zugehen, um ihnen die Perspektiven des Pflegeberufs aufzuzeigen.

Genauso wichtig ist die Ansprache der Jugendlichen durch ein zeitgemäßes Medium wie das Internet mit einer Website und einer Ausbildungs- und Stellenbörse. Statt zu kritisieren, Frau Dr. Freudenberg, sollten Sie vielleicht selbst einmal mit konstruktiven Vorschlägen zur Lösung des Problems beitragen. Wir können es uns nämlich angesichts der Lage in diesem Bereich gar nicht leisten, auf eine Möglichkeit zu verzichten, Jugendliche für dieses Berufsfeld zu interessieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Das Wort bekommt die Senatorin Schnieber-Jastram.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Dr. Freudenberg und Frau Brinkmann, das klang schon ein bisschen sauertöpfisch. Ich habe ja ein bisschen Verständnis dafür – wir haben lange genug in der Opposition gesessen –, dass man dazu neigt, alles, was eine Regierung vorschlägt, schlecht zu reden.

(Petra Brinkmann SPD: Das stimmt nicht! Ich habe das begrüßt! Das ist doch nicht sauertöpfisch!)

Die Kampagne haben Sie begrüßt, aber Sie haben ein großes „Aber“ dahinter gemacht, Frau Brinkmann. Das ist auch in Ordnung und auch Ihr Recht. Ich möchte Ihnen nur helfen und Ihnen an der Stelle sagen, dass ein bisschen mehr Humor manchmal nicht schadet.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Dr. Wieland Schinnenburg FDP: Es gibt Menschen, denen kann man nicht hel- fen!)

Die Kampagne, Frau Dr. Freudenberg, war auch nicht kleinkariert. Sie haben da ein ziemlich blödes Verständnis von kleinkariert.

(Zurufe von der SPD: Oh! Oh! – Bernd Reinert CDU: Blöd genügt völlig!)

Ich nehme das Wort „blöd“ zurück.

Wenn man deutlich macht, dass jeder von uns, jeder junge Mensch, jeder Meinungsbildner, auch Popstars, auch Jenny Elvers, einmal alt werden, dann stellt man an dieser Stelle ein Stückchen Identifikation her, die sehr, sehr hilfreich ist. Deswegen ist diese Kampagne eine sehr sinnvolle Kampagne, eine realistische Kampagne. Sie macht deutlich, dass jeder von uns, so fit, wie wir heute noch sein mögen, einmal alt wird. Dieses Bewusstsein in einer Gesellschaft zu verankern, ist, glaube ich, eine wichtige Voraussetzung für solch eine Kampagne.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Bernd Reinert CDU: Sehr richtig!)

Der Senat setzt sich mit dieser Imagekampagne für die Pflegekräfte ein, die Pflegebedürftige und alte Menschen unterstützen. Das nehmen die Menschen durch unsere Kampagne übrigens auch neu wahr. Sie sprechen auch darüber. Das ist uns wichtig. Junge Haupt- und Realschüler, die sich bisher nur vorstellen konnten, beispielsweise Kfz-Mechaniker oder Friseuse zu werden, rufen an und interessieren sich plötzlich für die Altenpflege als Berufsperspektive.

(Wolfgang Barth-Völkel Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

A C

B D

(Christian Maaß GAL: Mal zu unseren Argumen- ten!)

Ja, was wollen wir denn heute mehr?

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Wir haben uns eben nicht mit einer akademischen Diskussion darüber aufgehalten, ob wir zuerst die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege verbessern oder ob wir zuerst das Ansehen der Pflegekräfte verbessern. Wir haben da gehandelt, wo wir sofort etwas für die Pflege tun konnten, und das war, glaube ich, sehr, sehr sinnvoll und ich danke den Abgeordneten, dass sie mit diesem Antrag dazu beigetragen haben.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Wir dürfen auch eines nicht vergessen: Fast 15 000 Beschäftigte sind mit Pflege und Betreuung alter Menschen betraut. Sie erleben im Alltag viel Anerkennung von den alten Menschen und ihren Angehörigen, aber insgesamt – und da sind wir uns wahrscheinlich alle einig – ist das Image der Altenpflegeberufe nicht so gut, wie wir uns das alle miteinander wünschen. Die schweren Krankheiten, die Verwirrtheit, der Tod alter Menschen prägen in ganz starker Weise das Bild der Altenpflege als Beruf. Dieses einseitige Image der Altenpflege macht es den Pflegekräften häufig schwer, zu ihrem Beruf auch zu stehen und mit Begeisterung für diesen Beruf zu werben, und genau das benötigen wir dringend, um uns den Herausforderungen in den nächsten Jahren stellen zu können. Deshalb hat sich der Senat entschlossen, nicht nur diesem Prüfauftrag zu folgen, sondern gleich eine Imagekampagne zu starten und damit das Image der Altenpflege aktiv zu stärken und dafür zu sorgen, dass die Vielfalt dieses Berufes mit all den Aufstiegsmöglichkeiten, mit all den Tätigkeitsfeldern sehr deutlich wird und dazu übrigens, was wirklich gar nicht oft genug gesagt werden kann, die Krisensicherheit dieses Berufs.

(Beifall bei Elke Thomas CDU)

Ich denke, wir werden sehr positive Resonanzen haben. Ich hoffe, dass wir die Lehrstellenplätze, die es hier gibt, in der Tat besetzen

(Petra Brinkmann SPD: Besetzt bleiben!)