Protokoll der Sitzung vom 03.09.2003

die auf Biegen und Brechen, gegen wirtschaftliche Vernunft und ohne Rücksichtnahme Ökolandwirtschaft durchsetzen will, ist nicht liberal, Herr Dr. Maier. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Dr. Verena Lappe GAL: Thema!)

Soweit zu Ihnen. Ich bin etwas erstaunt, wenn Sie von liberal reden. Liberal hat etwas mit Rechtsstaat zu tun. Sie hätten sich eine andere Frage stellen sollen, nämlich, was sagt das Verfassungsrecht in einer solchen Situation. Die hamburgische Verfassung macht eindeutige Aussagen zu der jetzigen Lage.

Fangen wir mit der Historie an.

Es gibt den Grundsatz der repräsentativen Demokratie, der besagt, dass das Parlament für vier Jahre gewählt wird und während dieser vier Jahre das Volk vertreten soll. Wir sind für vier Jahre gewählt, davon sind gerade zwei Jahre herum. Wir haben weitere zwei Jahre gegenüber den Bürgern unsere Pflicht zu erfüllen. Das ist der

Grundsatz der repräsentativen Demokratie, die in der Verfassung niedergelegt ist.

(Dr. Willfried Maier GAL: In der Verfassung ist die Möglichkeit der Neuwahl festgelegt!)

Nach den Erfahrungen von Weimar, Herr Dr. Maier,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Sie verirren sich gera- de!)

ist gerade in allen deutschen Verfassungen zu Recht festgelegt worden, dass die Hürden für eine Selbstauflösung sehr hoch gesetzt wurden. Wir wollten es gerade nicht, dass Parlamente aufgelöst werden, wie beispielsweise damals der Reichstag und wo das Ergebnis Hitler war. Das ist die Lehre aus der deutschen Geschichte. Deshalb ist die Grundidee der Verfassung, möglichst keine Selbstauflösung vorzunehmen.

In der hamburgischen Verfassung – lesen Sie es nach – steht in Artikel 36, dass selbst bei einer negativ beantworteten Vertrauensfrage die Bürgerschaft nicht weniger als einen Monat Zeit hat – früher waren es sogar drei –, eine neue Mehrheit zu schaffen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ist das ein Angebot, oder was?)

Selbst in einer solchen Situation, die Sie versuchen herbeizuführen, wäre es nach der Verfassung der Freien und Hansestadt noch längst nicht erforderlich, die Bürgerschaft aufzulösen.

Selbst dann, auch nach dem einen Monat, kann der Senat die Bürgerschaft auflösen und nicht einmal dann muss er es. Auch dann kann nach politischer Opportunität entschieden werden, ob die Bürgerschaft aufzulösen ist. Verfassungsgrundsätze, die Sie eventuell nicht kennen oder ganz bewusst verschweigen, meine Damen und Herren, müssen für einen Abgeordneten dieses Hauses die Grundlage des Handelns sein. Dieses Verfassungsrecht gebietet, diese Bürgerschaft nicht aufzulösen, sondern zwei weitere Jahre bis zur regulären Neuwahl weiter im Amt zu lassen.

(Beifall bei Jens Pramann Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Herr Zuckerer, Sie haben angefangen, Begriffe neu zu definieren. Sie haben – ich weiß nicht, wie oft – den Begriff „Legitimation“ verwendet. Ich habe Ihnen gerade gesagt, wie die verfassungsrechtliche Legitimation ist. Sie haben, schlau wie Sie sind, dem Begriff noch die beiden Worte „politisch“ und „moralisch“ vorangestellt. Sie wollen davon ablenken, dass Sie mit Ihren Äußerungen neben dem Geist der Verfassung stehen.

(Lachen bei der SPD – Dr. Andrea Hilgers SPD: Wie bitte?)

Ihre Partei koaliert in zwei Bundesländern mit der PDS, jener Nachfolgepartei, die mindestens 1000 Mauertote zu verantworten hat. Darum wäre ich mit moralischen Urteilen sehr vorsichtig.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Bernd Reinert CDU: Sehr richtig! – Karl-Heinz Winkler Partei Rechts- staatlicher Offensive: Sehr gut!)

Nun kommen wir zur politischen Bewertung, meine Damen und Herren. Schauen wir nach Berlin. Ich meine jetzt nicht das Land Berlin, sondern den Bund. Die rotgrüne

Bundesregierung hatte in den letzten Jahren nur wenige Wochen eine Mehrheit. Netterweise half ihr das Hochwasser, um gerade zum Wahltermin eine Mehrheit zu bekommen. Weder vorher noch nachher hatte die rotgrüne Koalition in Berlin eine Mehrheit.

Von der großen Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland wird die rotgrüne Bundesregierung abgelehnt. Viele Minister sind unter zum Teil skandalösen Umständen entlassen worden. Das wissen Sie ganz genau und dennoch fordern wir nicht die Auflösung des Bundestags. Das ist der erste entscheidende Unterschied.

(Bernd Reinert CDU: Richtig, so sind wir!)

Der zweite Unterschied. Wie sieht es in Hamburg aus? Hier ist es genau umgekehrt. Die Bevölkerung in Hamburg ist – siehe Umfragen – zufrieden mit dem Bürgersenat. Die Bevölkerung will Ole von Beust als Ersten Bürgermeister. Die Bevölkerung will die Fortsetzung des Kampfes gegen die Kriminalität.

Die Bürger wollen keine Rückkehr zur offenen Drogenszene,

(Bernd Reinert CDU: Kluge Leute sind das!)

die Bürger wollen entschlossene Reformen im Bildungsbereich, aber am allermeisten wollen die Bürger eines nicht: Sie wollen keine Rückkehr des SPD-Filzes.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Sie wollen nicht, dass aus ideologischen Gründen die Gesamtschulen bevorzugt werden. Sie wollen keine weitere unkontrollierte Geldverschwendung im Zweiten Arbeitsmarkt. Sie wollen keine BAGS zurück haben, dieses Symbol für Filz und Misswirtschaft. Vor allem wollen sie nicht, dass Karriere nur mit SPD-Parteibuch möglich ist. Das wollen die Bürger alles nicht und diese Koalition sorgt dafür.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Lachen bei der SPD)

Was ist im Übrigen die Alternative? Schauen wir uns die SPD-Bilanz an: Einen Oppositionsführer haben Sie schon demontiert – mal sehen, wann der zweite kommt –, ein Landesvorsitzender ist weitestgehend demontiert. Ich gehe davon aus, dass der Kollege Wagner für den Rest noch sorgen wird. Ein Bürgermeisterkandidat ist nicht in Sicht, denn Sie meinen nicht ernsthaft, dass Herr Mirow ein Bürgermeisterkandidat wäre.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wichtigste ist natürlich, dass praktisch keine politischen Alternativen erkennbar sind. Nun lesen wir in der Zeitung, dass es jetzt ein Zehn-Punkte-Notprogramm gibt.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Sofortprogramm! – Bernd Reinert CDU: Aus der Not geboren!)

Schauen wir uns das doch einmal an, das ist wirklich amüsant. Sie fordern 4000 Kita-Plätze. Es gibt keinen Deckungsvorschlag. Zu SPD-Zeiten fehlten 15 000 Plätze. Sie wollen das Lehrerarbeitszeitmodell nicht etwa abschaffen, denn es ist ja auch gut, Sie wollen es mit den Lehrern diskutieren. Das war die Geschichte von Herrn

Maier: Lange Diskussionen, reden, aber keine Taten. Das ist eben das rotgrüne Prinzip.

(Aydan Özoguz SPD: Wir wollen kein Sparmodell, Herr Schinnenburg!)

Sie wollen den LBK nicht verkaufen. Dann müssen Sie den Bürgern sagen, woher 50 Millionen Euro pro Jahr kommen sollen. Und Sie wollen natürlich wieder eine aktive Beschäftigungspolitik, von der selbst die BundesSPD bereits Abschied genommen hat.

Die größte Überraschung ist nun, dass 5000 Dauerarbeitslose für Sauberkeit sorgen sollen. Wenn das vor kurzem die FDP verlangt hätte, hätten Sie losgejohlt und – wie üblich – von sozialer Kälte geredet. Jetzt kommen Sie auf die an sich gar nicht so schlechte Idee, aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass das ausreicht?

Wie haben wir dieses Notprogramm nun zu bewerten? Man könnte es positiv bewerten. Wenn das alles ist, was Sie anders machen wollen, dann ist es das beste Kompliment, das wir je als Koalition gehört haben.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Die Wahrheit ist eine andere: Sie haben keine Alternative, Sie sind keine Alternative und deshalb wird diese Koalition erfolgreich weitermachen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort hat der Abgeordnete Neumann.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Zuerst zu Ihnen, Herr Schinnenburg. Was Sie sich hier geleistet haben, die Forderung nach Neuwahl nach einem solchen Skandal, den wir in Hamburg erleiden mussten, gleichzusetzen mit dem Versagen der Demokraten in Weimar und dem Ergebnis Hitler und dem Zweiten Weltkrieg, ist historisch falsch, ist unverschämt und hetzerisch.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Aber es überrascht mich nicht. Jemand, der auf diesen Stufen, als Herr Schill nach vorne ging, noch einen Bückling machte, „guten Tag, Herr Senator“ sagte, der überrascht mich nicht mit solchen hetzerischen Reden. Sie sollten sich schämen.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Karl-Heinz Winkler Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Das ist an den Haaren herbeigezogen!)

Nun ist der Bürgermeister nicht mehr da. Offensichtlich ist es mit der Würde des Parlaments, die Frau Koop angemahnt hat, die auch schon nicht mehr da ist, nicht so weit her.