Protokoll der Sitzung vom 24.09.2003

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion federführend an den Wirtschaftsausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Herr Kerstan, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Deutschland befindet sich in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten und die Lage auf dem Arbeitsmarkt entwickelt sich dramatisch mit ständig steigenden Arbeitslosenzahlen. Vor diesem Hintergrund sind alle Regierungen, ob auf Landes- oder Bundesebene, dazu angehalten zu überprüfen, inwieweit die Arbeitsmarktpolitik effizient und wirkungsvoll ist. Sowohl im Bund als auch in Hamburg finden in diesem Rahmen sehr viele Änderungen statt, aber auch sehr viele Debatten. Wir streiten uns da um den richtigen Weg und das ist auch richtig und sinnvoll.

Ein Instrument ist im Moment in der Debatte und wird überparteilich für sinnvoll angesehen. Es handelt sich dabei um die Zusammenlegung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe und den anschließenden Aufbau von Job-Centern als gemeinsame Anlaufstellen für erwerbsfähige Arbeitslose. Ziel dieser Operation ist es, Bürokratie abzubauen, Doppelstrukturen abzubauen und Hilfen aus einer Hand für alle, die arbeitsfähig sind, anzubieten, denn wir alle wissen, dass in der Vergangenheit die Strukturen auf kommunaler und auf Bundesebene teilweise aneinander vorbeigearbeitet und dazu beigetragen haben, dass die eine Ebene die Verantwortung für Arbeitslose auf die andere abgeschoben hat, ohne dass damit den Arbeitslosen wirklich geholfen wurde. Diese Art der Verschiebebahnhöfe zwischen staatlichen Programmen muss aufhören und das, so nehmen wir die Debatte wahr, ist ein überparteilicher Konsens und das ist auch gut so.

Dennoch stockt das Projekt. Warum ist das so? Die Bundesregierung hat das Angebot gemacht, die Finanzierung für alle arbeitsfähigen Erwerbslosen zu übernehmen. Das ist im ersten Schritt natürlich ein großes Angebot. Man wundert sich, warum das jetzt nicht weitergeht, worum eigentlich der Streit geht, denn letztendlich wäre das eine Entlastung der Kommunen, auf die die Kommunen sich eigentlich freudig einlassen müssten. Streit gibt es im Moment darüber, wie man das Ganze organisiert, wer zuständig ist, wer den Hut aufhat. Das zuständige Bundesministerium und Teile der SPD wollen, dass die Bundesanstalt für Arbeit die alleinige Zuständigkeit für diesen Bereich bekommt. Die CDU auf Bundesebene möchte

diese Zuständigkeit ausschließlich bei den Kommunen angesiedelt haben. Der Hamburger Senat fährt so ein bisschen einen parteipolitischen Geisterfahrerkurs und unterstützt den Vorschlag der SPD und möchte diese Aufgabe am liebsten gestern als heute loswerden und allein den Bund dafür zuständig sein lassen.

An dieser Frage sollte kein ideologischer Grabenkrieg ausbrechen. Das ist eine organisatorische Frage, die man auch ganz pragmatisch im Sinne der Arbeitslosen und auch im Sinne unserer Haushalte lösen kann. Unbestritten wäre sowohl die Bundesanstalt für Arbeit mit einer alleinigen Zuständigkeit überfordert – das wäre mittlerweile schon die fünfte Großbaustelle innerhalb weniger Jahre, die man dieser Großorganisation zumuten würde –, aber auch die Kommunen würden eine alleinige Zuständigkeit schwerlich verkraften. Es wäre auch fachlich gar nicht sinnvoll, denn beide Seiten haben Kompetenzen, die sie beitragen können, und nur die Kombination dieser Kompetenzen schafft die sinnvollen Synergien, die dieses Projekt erst erfolgversprechend machen.

In den Sozialämtern gibt es sehr wirkungsvolle Hilfen zur persönlichen Weiterentwicklung von Erwerbslosen im Falle von Drogenabhängigkeit, Überschuldung und ähnlichen Dingen, die erst gelöst werden müssen, bevor man die Betroffenen in den Arbeitsmarkt integrieren kann. Die Bundesanstalt hat mit Sicherheit sehr viel arbeitsmarktpolitische Kompetenz. Von daher tut ein sinnvolles Kooperationsmodell Not, das beide Ebenen verbindet, das sicherstellt, dass sowohl der Bund als auch die Kommunen ihre Erfahrungen, Kompetenzen und Ressourcen beim Aufbau von Job-Centern fair einbringen und produktiv bündeln können.

Der Streit um Zuständigkeiten und die Finanzierung darf die notwendigen Vorarbeiten, die für eine zügige Umsetzung der Job-Center notwendig sind, nicht blockieren, denn diese notwendigen Vorarbeiten können auch unabhängig davon, wie jetzt die Zuständigkeiten geregelt sind und wer die Finanzierung übernimmt, schon heute aufgrund der aktuellen Gesetzeslage durchgeführt werden.

Deshalb fordern wir den Hamburger Senat auf, seiner Verantwortung für die Arbeitslosen in dieser Stadt gerecht zu werden und die Vorarbeiten zur Einrichtung gemeinsam betriebener Job-Center umgehend zu beginnen und voranzutreiben. Dabei muss der Senat in Kooperationsverhandlungen mit dem Arbeitsamt Hamburg eintreten, um dieses sicherzustellen. Diese gemeinsamen Anlaufstellen sollen mit dem bestehenden Personal aus beiden Ebenen besetzt werden und in allen Bezirken in geeigneter Größe mit einem Schlüssel von 75 : 1 vorgesehen werden, wie alle Gesetzesvorschläge das vorsehen.

Ich weiß, dass Sie dagegen Einwände haben werden. Sie sagen, man müsse sich erst auf Bundesebene darüber einigen.

(Dr. Andreas Mattner CDU: Aber das würde gar nicht gehen!)

Das würde auf diese Art und Weise gar nicht gehen. Ich kann Sie beruhigen, denn das Beispiel, das diesem Projekt zugrunde liegt, ist das Job-Center in Köln. Es wurde vor wenigen Jahren ohne diese Verhandlungen, die im Moment aufgrund der jetzigen Gesetzeslage laufen, mit Erfolg gestartet. Im Job-Center Köln arbeiten jeweils 100 Mitarbeiter aus den Sozial- und Arbeitsämtern. Sie bieten sehr erfolgreich diese Hilfen aus einer Hand an, die fachbezogen und fallspezifisch auf die jeweiligen Probleme

der dort Hilfe Suchenden zugeschnitten sind. Man kann also, wenn man will.

Herr Senator Uldall hat im Haushaltsausschuss gesagt, die Arbeitsmarktpolitik sei auch für die Koalition ein wichtiger Punkt. Ihm gehe es darum, diese effizient und wirkungsvoll zu gestalten. Mit diesem Antrag nehmen wir Sie beim Wort. Hamburg muss sich seiner Verantwortung für die Arbeitslosen in dieser Stadt stellen. Angesichts der dramatischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt dürfen die Verantwortlichen in den Ländern und Kommunen nicht abwarten, bis das aufwendige Gesetzgebungsverfahren im Bundestag, im Bundesrat und dann im Vermittlungsausschuss abgeschlossen sein wird.

Das Ergreifen der Initiative zur von uns allen politischen Kräften gewollten Kooperation von Arbeits- und Sozialämtern ist schon jetzt möglich und dringend notwendig. Hamburg kann und soll hierbei mit gutem Beispiel vorangehen. Darum bitte ich um die Zustimmung zu diesem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort hat jetzt Frau Dräger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, Herr Kerstan hat es ausgeführt, ist eines der größten Reformvorhaben der Bundesregierung und auch seit Jahren überfällig. Gerade die jüngeren Abgeordneten dürfen es noch ganz ungeschützt sagen, denn sie sind sicherlich an dieser Verzögerung nicht Schuld. Es ist auch eine Verzögerung, die nicht einer Partei oder einer Regierung zugerechnet werden kann, sondern alle Parteien, alle Regierungen der Vergangenheit sind dieses Projekt nicht angegangen.

Es war eine sehr unselige Situation. Wir hatten zwei nebeneinanderher laufende Programme für Menschen in sehr ähnlichen, in gleichen Lebenssituationen, wir hatten die geschilderten Verschiebebahnhöfe. Es ist gut, dass es einen breiten Konsens gibt und das ein Ende hat. Ich hoffe, dass diese Übereinstimmung auch soweit trägt, dass die CDU-geführten Länder in dem jetzt beginnenden Gesetzesprozess konstruktiv mitarbeiten und die Gesetze, die jetzt im Bundestag sind, auch sehr schnell und möglichst unverändert durch den Bundestag kommen, wobei die Zuständigkeiten, die wir letztes Mal auch schon diskutiert haben, und die Finanzierung natürlich so geregelt werden müssen, dass für die Länder das Beste dabei herauskommt. Es geht natürlich vor allen Dingen ums Geld, aber diese Debatte haben wir letztes Mal hier geführt und festgestellt, dass wir einen breiten Konsens haben.

Die Aufgaben, die vor den Behörden, den Arbeitsämtern, den Sozialämtern und vor allen Dingen vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern liegen, sind ungeheuer groß und es wird eine gewaltige Kraftanstrengung brauchen, um diese Aufgaben zu lösen. Ich hoffe, dass auch in Hamburg Sozialbehörde und Arbeitsamt diese enorme Aufgabe zu schultern wissen.

Ich will nur eine Anmerkung machen. Bei diesem Thema wird sehr klar, wie eng Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik miteinander verzahnt sind und wie unselig sich die Trennung von Soziales und Arbeitsmarkt in Hamburg auswirken kann, denn in den Kommunen gibt es die Situ

ation, dass die Sozialpolitik und die Arbeitsmarktpolitik eng zusammenliegen. Das hat vor Ort eine viel größere Bedeutung als auf Bundesebene. Ich hoffe, dass es hier nicht, wie an anderen Stellen, zu Doppelkompetenzen und Verzögerungen kommt, weil nicht richtig klar ist, welche Behörde wann zuständig ist.

Ich interpretiere den GAL-Antrag als einen Versuch, diese und auch die noch offenen Fragen der Zusammenlegung in den parlamentarischen Raum zu bringen, damit wir uns in den Ausschüssen – deswegen beantragen wir auch die Überweisung – ein Bild von dem machen können, was in Hamburg konkret passiert ist, und auch von dem, was noch zu leisten ist. Ich halte es aber auch für richtig, Entscheidungen über die Struktur vor Ort und vor allen Dingen Entscheidungen darüber, was Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wo machen müssen, in dem Moment zu treffen, in dem auch wirklich klar ist, wie das ablaufen muss. Um bei Ihrem Bild, Herr Kerstan, der Baustelle zu bleiben: Es ist gut, frühzeitig anzufangen zu buddeln, aber man muss auch wissen, wo man buddelt und wie es genau aussehen muss. Deswegen bin ich der Meinung, dass dieser Antrag – ich will nicht sagen aktionistisch – ein bisschen früh ist. Er kann uns und er kann allen helfen, wenn die Koalitionsfraktionen dem zustimmen, im parlamentarischen Raum darüber zu diskutieren. Aber wir konnten nicht so weit gehen zu sagen, wir stimmen dem jetzt schon zu, weil wir der Meinung sind, dass man die Entscheidung abwarten sollte.

Deswegen der eindringliche Appell an die Mitglieder der Koalitionsfraktionen – ich habe gehört, Sie wollen einer Überweisung nicht zustimmen – dem Überweisungsantrag zuzustimmen. Er bietet uns Gelegenheit, diese Fragen zu diskutieren, es gibt noch eine ganze Menge Fragen. Lassen Sie uns Arbeitsamt, Sozialbehörde, Wirtschaftsbehörde und die vielen anderen, die damit verbunden sind, hören, denn Job-Center heißt, wenn man noch einmal ins Hartz-Konzept guckt, nicht einfach nur gemeinsame Dienststelle. Die sollen sich ja um vieles andere auch kümmern, Aufgaben, die von ganz anderen Trägern übernommen worden sind. Ich rede nur von der Kinderbetreuung, von Wohnungen und so weiter und so fort. Wir wissen, dass Menschen, die dorthin kommen, eine ganze Reihe von Problemen haben und das wird die Zusammenarbeit von sehr vielen erfordern.

Lassen Sie uns diese Chance nutzen, das Thema in den Ausschüssen zu diskutieren. Ich kann Ihnen auch gleich Folgendes ankündigen: Sollten Sie diesem Antrag beziehungsweise seiner Überweisung nicht zustimmen, werden wir zumindest versuchen, dieses Thema im Wege einer Selbstbefassung noch einmal in den Ausschüssen auf die Tagesordnung zu bringen, denn ich glaube, es tut uns allen gut, das Thema ausgiebig zu diskutieren.

Herr Kerstan, ich möchte noch einen Satz zu den JobCentern sagen, die Sie angesprochen haben. Natürlich, das Job-Center in Köln ist das Modell für die ganze Reform. Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, ob das so aussehen wird. Es ist auch richtig, dass man jetzt in Hamburg Job-Center einrichten könnte, aber es könnte uns auch passieren, dass wir sie einrichten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinschicken, alles neu strukturieren, um in einem halben Jahr festzustellen, dass wir wieder neu strukturieren müssen. Das hielte ich für eine Vergeudung von Arbeitskraft und nicht für sonderlich effizient. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat Herr Dr. Mattner das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren! Herr Kerstan, ich will mit einem Bild anfangen: Sie wollen ein Dach auf ein noch nicht gebautes Haus setzen. Um vielleicht auf Ihr Bild von einem Zug einzugehen, mein Zug ist zwar kein Geisterzug, sondern ein fahrender Zug, aber mein Eindruck ist, Sie haben das Aufspringen verpasst und wollen uns jetzt im Nachhinein weismachen, Sie könnten noch etwas zur Debatte beitragen. Ich glaube das nicht.

Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe ist richtig und notwendig. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte hierzu bereits in der letzten Legislaturperiode das Papier "Arbeit für alle" beschlossen und sich in den wesentlichen Punkten für die Zusammenlegung ausgesprochen und die Details eingebracht.

Auch wir haben in der Hamburgischen Bürgerschaft gehandelt und im Juli dieses Jahres mit Antrag der Regierungsfraktionen vom Juni die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe beschlossen, um damit unseren Senat in seiner Durchführung zu unterstützen. Leider konnten Sie sich, Herr Kerstan, damals nicht diesem Anliegen anschließen, obwohl Sie damit eine Möglichkeit gehabt hätten, das Verfahren zu beschleunigen.

Am letzten Donnerstag wurde nun im Deutschen Bundestag in erster Lesung der CDU-Entwurf zum Existenzgrundlagegesetz behandelt. Der Zeitplan der Bundesregierung sieht vor, dass das Gesetzgebungsverfahren bis zum Jahresende abgeschlossen ist und die neuen Regelungen zum 1. Juli 2004 in Kraft treten. Bereits am 26. September wird der Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht, dessen Zustimmung er allerdings bedarf.

Liebe GAL-Kollegen, es ist schon verwunderlich, dass Sie in Ihrer Antragsbegründung – gerade eben auch Herr Kerstan im Parlament – ausdrücklich auf das aufwendige Gesetzgebungsverfahren des Bundes und die damit verbundene Zeitverzögerung hinweisen. Sie sind es gewesen, die fünf Jahre mit einer Reform auf sich haben warten lassen und damit die Situation am Arbeitsmarkt mit verschlechtert haben. Abgesehen davon verfolgen die beiden Bundesgesetzentwürfe in vielen Punkten die gleichen Ziele. Das gegenwärtige Nebeneinander beider Systeme ist in der Tat für Erwerbstätige ineffizient, intransparent und wenig bürgerfreundlich. Da bin ich mir auch einig mit Frau Dräger, die das eben gesagt hat.

Es gibt eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die unbestritten und zu begrüßen sind, insbesondere dass die Systeme dadurch zusammengeführt werden. Die Arbeitsanreize bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und die Sanktionen bei Arbeitsverweigerung werden verstärkt. Es bestehen aber auch, meine Damen und Herren, Unterschiede, die in unserem Gesetzentwurf deutlich besser geeignet erscheinen, um die anstehenden Probleme zu bewältigen.

SPD und Grüne, das haben wir gerade gehört, wollen die neuen Leistungen bei der künftigen Bundesagentur für Arbeit ansiedeln und hierfür den zusätzlichen Einsatz von bis zu 11 800 Beschäftigten vorsehen. Dies würde Mehrkosten in Höhe von 760 Millionen Euro bedeuten. Der Gesetzentwurf der CDU demgegenüber sieht vor, neue Leistungen bei den Kommunen anzusiedeln, wo bereits