Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

Diese Sorge habe ich mir schon gemacht, aber sie dauerte nur eine Sekunde. Dann habe ich mich gefragt: Wer ist denn beim Bund der Gegner? Mir fiel dazu der komische Name Schröder ein. Wenn es nur darum geht, die Versäumnisse der Bundesregierung aufzuarbeiten, dann macht das Herr Lange nebenbei. Das ist keine große Aufgabe, das können Sie jeden Tag in der Zeitung lesen.

Es wird doch eigentlich nur ein Notar gebraucht, der aufschreibt, wie der reihenweise Untergang der sozialdemokratischen Grundüberzeugung geschehen ist. Nur das ist in dieser Kommission gefragt, sodass er es trotz der vielen Arbeit, die Sie hier hinterlassen haben, noch gut machen kann.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Kommen Sie mal zur Sache! – Christa Goetsch GAL: Was hat das mit Hamburg zu tun?)

Frau Goetsch, Sie fragten Herrn Müller-Sönksen, was er zu einem Unternehmer sagen würde, der einige Millionen Euro nachfordern muss. Schauen wir uns einmal die Zahlen an.

Einmal sind es 19 Millionen Euro, dazu kommen möglicherweise noch 14 Millionen Euro oder 18 Millionen Euro. Ich unterstelle zu Ihren Gunsten die höchste Summe, dann ergibt das 37 Millionen Euro.

(Dr. Willfried Maier GAL: Das wird realistisch sein!)

Das ist zugegebenermaßen viel Geld.

(Dr. Willfried Maier GAL: Gegen strahlende Kin- deraugen!)

Aber was sind denn 37 Millionen Euro gegen 25 Milliarden Euro, die Ihr Bundesfinanzminister mal kurz nachfordern muss.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Sie lügen!)

Ich habe es nachgerechnet: Es ist das Siebenhundertfache. Anders ausgedrückt: Die Mehrforderung, die Sie hier beklagen, schafft Ihr Bundesfinanzminister an einem einzigen Vormittag. Das ist doch die wahre Relation, die man hier deutlich machen sollte.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP – Thomas Böwer SPD: Das ist selbst für Sie unter Niveau!)

Ich würde noch nicht einmal die 25 Milliarden Euro beklagen, wenn wir dafür mutige Reformen bekämen. Aber in Hamburg geht es um 37 Millionen Euro für wahrscheinlich unvermeidbare Übergangskosten einer mutigen und sinnvollen Reform. Die 25 Milliarden Euro werden vom Bund ausgegeben, weil Rotgrün seit fünf Jahren zu Reformen unfähig ist. Das ist der entscheidende Unterschied.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Im Übrigen tun Sie so – das hat Frau Goetsch so ausgeführt –, als ob diese Nachforderung völlig überraschend ist und der Senator dies hätte voraussehen müssen.

Es gibt eine Systemumstellung, und die Eltern hatten zwei Monate Zeit, die Gutscheine einzulösen.

(Thomas Böwer SPD: Es gibt dazu Vermerke!)

Herr Böwer, die SPD sollte wissen, dass man eben erst bei der Einlösung und nicht bei der Ausgabe weiß, wie viel ein Gutschein kostet. Das heißt, man kann das erst nach einer gewissen Zeit herausfinden.

Ihre Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, Herr Böwer, wissen das auch. Ich zitiere aus der Drucksache, die uns hier zu Debatte vorliegt:

"Im Ergebnis bestand im Haushaltsausschuss Einvernehmen, dass die Senatsvertreterinnen und -vertreter den Haushaltsausschuss zur zweiten Lesung des Einzelplans der BBS im Oktober 2003 und die Bürgerschaft in den Haushaltsberatungen im Dezember 2003 über die jeweils aktuellen Erkenntnisse informieren. Im März 2004 soll der Haushaltsausschuss außerdem einen Erfahrungsbericht erhalten."

Auch Ihren Vertretern im Haushaltsausschuss war klar, dass bei der so organisierten Systemumstellung im Oktober erste und bis März endgültige Ergebnisse zu bekommen sind. Tun Sie jetzt nicht so, als wenn dies überraschend gekommen wäre oder eine Fehlorganisation ist. Genau so war es von Ihnen eingesehen worden.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Sagen Sie doch mal Ja, Herr Böwer! – Gegenruf von Petra Brinkmann SPD: Der ist nicht so schwachsinnig wie Sie!)

Lassen Sie mich – weil Frau Goetsch immer wieder mit der Fehlinformation kommt – einige Daten aus Ihrer eigenen Anfrage nennen. Es sei schlimm, dass 6008 Kinder nicht berücksichtigt wurden. Ich sage: Nur 6008 Kinder wurden nicht berücksichtigt. Das sind wesentlich weniger, als zu Ihrer Zeit. Da gab es ganz andere Zahlen.

(Thomas Böwer SPD: Hanebüchen!)

Von den 6008 Kindern haben gerade 27 Eltern Widerspruch eingelegt. Wenn das nicht eine Bestätigung für eine gute Bearbeitung der Anträge ist, dann weiß ich nicht, welche Zahlen Sie noch hören wollen.

(Beifall bei Rolf Kruse CDU, Gerd Hardenberg Partei Rechtsstaatlicher Offensive und Martin Woestmeyer FDP)

Letzter Punkt: Ich bin immer sehr skeptisch – auch in diesem Fall ist es angemessen –, wenn die SPD mit

Zahlen kommt. Wir erinnern uns an die letzte Bürgerschaftssitzung, in der Sie eine Nachforderung in Höhe von 19 Millionen Euro abgelehnt haben; deswegen unterhalten wir uns heute darüber. In derselben Sitzung wollten Sie 18 Millionen Euro für ein Notprogramm ausgeben. Welch ein Widerspruch!

Schauen wir uns einmal die Abrechnungsrückstände an. Im Jahre 2000 betrugen diese im Kita-Bereich 2 Millionen Euro; das kann passieren und soll kein Vorwurf sein. Im Jahre 2001 – im Wahljahr – waren es, oh Wunder, einmal 9,6 Millionen Euro. Im Wahljahr wurden mal eben 7,6 Millionen Euro am Haushalt vorbei ausgegeben. Sie haben Kita-Plätze auf Pump geschaffen. Rechnen Sie das doch einmal nach.

(Thomas Böwer SPD: Worüber reden Sie eigent- lich? Nennen Sie mal die Zahlen von 2002! 7,6 Millionen Euro!)

Nein, Herr Böwer, in 2002 waren es 5 Millionen Euro. Wir haben von Ihren 9,6 Millionen Euro 4,6 Millionen Euro wieder abgebaut. Das müssen Sie einmal nachlesen.

Rechnen wir einmal weiter. Ein Kita-Platz, Elementar, vier Stunden, kostet maximal circa 2500 Euro im Jahr. Für Ihre Millionen von Euro, die Sie ohne Deckung ausgegeben haben, hätte man 2000 Kita-Plätze schaffen können.

(Thomas Böwer SPD: Herr Kollege, zur Aus- schusssitzung am 4. November sollten Sie mal da sein!)

Anders ausgedrückt: Sie haben 2000 Kita-Plätze nicht ausfinanziert. Das System kennen wir von den Lehrerstellen. Das war eine klare Wählertäuschung der SPD. Fangen Sie also nicht an, die jetzigen ehrlichen und guten Zahlen mit Ihren Zahlentäuschungen zu vergleichen. Das Kita-Gutscheinsystem ist ehrlich, es bringt jedem einen Kita-Platz, der ihn benötigt. Sie werden sehen, in wenigen Jahren werden Sie uns applaudieren, vor allem dann, wenn Ihre Bundesregierung das ebenfalls einführt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort hat Senator Lange.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Böwer, es ist gut, dass Sie die Zeitung lesen, das schadet nie. Sie sollten vielleicht auch einmal überregionale Zeitungen lesen. Da kann ich nur den "Tagesspiegel" empfehlen. Die Zeitung berichtet nämlich über die Pläne des SPD/PDS-Senats in Berlin, die Kita-Gebühren um bis zu 20 Prozent pro Kind und Monat zu erhöhen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Hier ist Hamburg! – Petra Brinkmann SPD: Dafür sind wir nicht ver- antwortlich!)

Das heißt, Berlins Elternausschuss ruft zum Boykott auf, die Eltern wollen die Erhöhung der Gebühren einfach nicht zahlen. So weit ist es in Berlin gekommen.

(Holger Kahlbohm SPD: Sie müssen sich verant- worten! – Petra Brinkmann SPD: Dafür kann ich mir gar nichts kaufen!)

A C

B D

In der "taz" von heute – um wieder zu den regionalen Zeitungen zu kommen – können Sie lesen: KitaStandards wie Butter. Dabei geht es natürlich nicht um Hamburg, sondern um Ihre Kollegen in Kiel. Dort werden statt 22 Kinder 28 Kinder pro Kita-Gruppe und statt ausgebildeter Erzieherinnen billige Aushilfskräfte eingesetzt. Die "taz" meldet zu Recht, dass das ein Horrorszenario sei.

Das sind aber nur Teilrealitäten in den SPD-geführten Ländern. Denn überall dort, wo Rotgrün oder Rotrot regiert, wird dem Bedarf an zusätzlichen und besseren KitaPlätzen mit drastischem Abkassieren bei den Eltern oder unverantwortlichem Absenken der Standards begegnet. Das ist genau die rotgrüne Politik, mit der Sie auch Hamburg heruntergewirtschaftet haben: Kürzen, Abkassieren und die Dienstleistungen für den Bürger verschlechtern. Damit haben wir mit dem neuen Kita-System Schluss gemacht.

Wir haben mehr als 51 000 Kinder – das sind so viele wie noch nie in Hamburg – mit einem geförderten Kita-Platz versorgen können. Das sind circa 1000 Kinder mehr als beim alten Zuteilungssystem.

Wir haben statt der intransparenten Zuweisung bestimmter Plätze die Wahlfreiheit der Eltern durch den Gutschein eingeführt und feste Standards mit den Trägern vereinbart, nach denen für durchschnittlich 21 Kinder ein ausgebildeter Erzieher tätig sein muss.

(Holger Kahlbohm SPD: Das ist eine Lüge! – Dr. Andrea Hilgers und Thomas Böwer, beide SPD: Zu Protokoll!)

Möglicherweise muss im Bereich der Standards noch nachgebessert werden. Wir werden aber versuchen, mehr Kinder zu betreuen, als es jetzt der Fall ist. Riesige Gruppen wie in Kiel wird es bei uns jedenfalls nicht geben.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Wir haben die Beiträge der Eltern nicht wie Herr Wowereit um 20 Prozent erhöht, sondern durchschnittlich um 10 Prozent gesenkt; das wissen Sie ganz genau. Ich mache es Ihnen an einem Beispiel deutlich, was das heißt:

Wissen Sie, was eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern, die in die gleiche Kita gehen, mit einem Durchschnittsnettoeinkommen – einschließlich Kindergeld – von 2700 Euro jetzt für diesen Platz bezahlt? – 235 Euro. Im SPD-regierten Berlin muss sie 295 Euro, im SPDregierten Hannover 384 Euro und bei Herrn Ude – ebenfalls SPD – in München 473 Euro dafür bezahlen; das ist fast das Doppelte von dem, was in Hamburg bezahlt wird. Mainz, wo auch ein sozialdemokratischer Oberbürgermeister im Amt ist, bildet hier die Spitze mit 542 Euro. Ich kann das gerne fortsetzen, damit Sie verstehen, welche Leistungen wir hier erbringen, die auch im Sinne des Konzeptes der "Wachsenden Stadt" die jungen Familien nach Hamburg ziehen lässt.