Protokoll der Sitzung vom 23.09.2004

Das heißt, dass die Frage zu stellen ist, ob Teile des Bildungssystems nach diesen Grundsätzen einer Chancengleichheit ausgelegt sind und so, dass es keine Ungerechtigkeit gibt. Es kann unserer Ansicht nach nicht sein, dass der Wohnort darüber entscheidet, welches Angebot man bekommt. Dass es in der Realität immer so ist, wenn man gegenüber einer Schule wohnt, ist ja klar. Aber es kann nicht sein, dass manche Kinder in Hamburg ausgeschlossen werden oder nur begrenzt an einem Bildungsangebot teilnehmen können.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt, ob ein Kind aus Ottensen kommt, aus Altona oder aus Blankenese, es muss der Staat gewährleisten, dass ein Angebot für speziell seine Begabung, für speziell seinen Förderbedarf vorhanden ist.

Wenn ich dieses umsetze – das ist auch eine Maßgabe des Schulgesetzes –, muss ich diese Ungleichheit aufheben. Genau das wird dieser Antrag auch machen. Dieser Antrag ist in der Intention klar konzipiert: zu versuchen, das, was wir an bildungspolitischen Entwicklungen und Angeboten in Hamburg haben, für alle Schülerinnen und Schüler dieser Stadt möglichst zügig fortzuentwickeln, wobei wir im Antrag gesagt haben – das wird Ihnen aufgefallen sein –, dass wir keine Frist und keinen Termin setzen, weil wir wollen, dass ein mit allen Betroffenen durchgesprochenes Konzept verwirklicht wird und sichergestellt ist, dass wirklich alle beteiligten Gruppen ihre Kritik, ihre Anregungen und ihre Argumente mit einfließen haben lassen.

Wir wollen, dass es schnell passiert, weil wir das Schulgesetz haben und weil wir eine Form von Ungerechtigkeit haben. Wir wollen es aber nicht wie die SPD. Die hat ja auch bei ihrem Antrag einen Zeitplan entwickelt. Ich war ganz überrascht: Da ist "2009/2010" zu lesen. Da wird eine gesamte Generation von Schülern wieder durch die Primarstufe gelaufen sein. Ich glaube, es ist für diese Schüler nicht vernünftig, wenn wir so lange warten, bevor wir etwas umsetzen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn ich diese Grundsätze als Bestimmungsgröße nehme, frage ich mich beim Förderbedarf von Kindern, was zu tun ist und was dieser Antrag auch aussagt. Ich werde nachher noch darauf eingehen, was spekuliert wurde und was falsch wiedergegeben wurde. Frau Ernst hat in der Pressemitteilung geschrieben, wir vernichteten die Integration. Wenn Sie den Antrag nicht nur gelesen, sondern auch verstanden haben und das auch umgesetzt hätten, wäre Ihnen klar geworden, dass wir genau das Gegenteilige erreichen werden, dass wir nämlich ein Mehr an Integration haben, nur eben gerechter und für alle Schüler ermöglicht.

Welche Grundsätze gilt es umzusetzen? Erstens gehe ich bildungspolitisch von dem Grundsatz aus, dass es einen individuellen Förderbedarf gibt und dass jedes Kind für sich einen Förderbedarf hat. Es lernt nicht in einer Schule – ob IR, Gymnasium oder Gesamtschule –, sondern es lernt für sich in seiner Lerngruppe mit seinen Lehrern. Wenn ich einen individuellen Förderbedarf feststelle, muss ich für dieses Kind nach einer Diagnose einen klar strukturierten Förderplan erstellen, damit dieses Kind und vor allem die Eltern des Kindes wissen, was an der Schule passiert, damit dieses Defizit möglichst zügig und früh aufgehoben wird. Der zweite Ansatz ist also die Feststellung des Förderbedarfes, Diagnose und Aufstellung eines Förderplanes.

Dann – das möchte ich ausdrücklich für die CDU-Fraktion noch einmal betonen – kommt die Komponente der Integration dazu. Für uns gilt das Primat der Integration. Wir wollen, dass Kinder wohnortnah an ihrer Grundschule integrativ beschult werden, wenn dieses denn möglich ist und wenn es für das Kind vernünftig ist.

(Beifall bei der CDU)

Insoweit komme ich auf etwas bereits lange Diskutiertes. Ich finde es eigentlich in der Rückschau sehr ärgerlich,

was in dieser Stadt teilweise in Diskussionen passierte. Es gibt verschiedene Positionen. Es gibt die einen, sehr massiv, die sagen, nur Integration und ausschließlich diese sei das Allheilmittel. Die anderen sagen, nein, Integration funktioniere so nachweislich nicht, das Heilmittel sei eine Förderschule und nur in diesem Förderzentrum könnten die Kinder unterrichtet werden. Ich weigere mich, diese beiden Positionen so als absolut anzunehmen. Ich will auch nicht darüber diskutieren. Wir könnten jetzt eine Diskussion führen und ich würde so einen Aktenstapel mit positiven Gutachten für die Integration und einen anderen mit positiven Gutachten und Stellungnahmen für den Bereich Förderzentren hier hinlegen.

Wir haben in Hamburg eine unglaubliche Kompetenz in diesem Bereich. Wir haben die Kompetenz der integrativen Regelklassen.

(Günter Frank SPD: Auf die Schulen hören!)

Ja, Herr Frank. Wissen Sie, das ist auch für Sie ganz interessant. Ich habe doch gerade gesagt, wir hätten eine unglaubliche Kompetenz, was IR-Schulen leisten, was Förderschulen leisten, was Sprachheilschulen leisten. All diese Kompetenz existiert. Leider nur ist sie nie zusammengeführt worden, um dann daraus ein Angebot für Schülerinnen und Schüler zu entwickeln, die einen besonderen Bedarf haben.

Nach wie vor gilt für uns das Primat der Integration an der Grundschule. Wenn aber in Abstimmung der Sonderpädagoginnen mit den Grundschullehrern und den Eltern festgestellt wird, dass die Beschulung des Kindes und die Aufhebung der Defizite nicht an der Grundschule umzusetzen sind, dann halte ich es auch für richtig, zu sagen, dass möglicherweise nicht die Integration die erste Maßnahme ist, sondern die Beschulung in einem Förderzentrum, wo gezielt auf den Bedarf eingegangen werden kann. Das ist nur richtig und wichtig für das Kind.

Kritiker sagen – und ich stimme ihnen ja zu –, die hohe Bedeutung der Sozialisation an dem Ort der Beschulung einer Grundschule sei wichtig. Dann ist das richtig. Aber ich möchte auch auf das Gutachten der Universität Hamburg verweisen, weil sehr viele sagen, nur das sei die einzige Maßgabe. Wenn ich das Gutachten zitieren darf, Universität Hamburg, Arbeitsgruppe Integration, da heißt es auf Seite 83:

"Der Schulversuch Integrative Grundschule demonstriert nun, dass diese sozial bedingte Differenz pädagogisch nicht ausgeglichen worden ist. Die optimistische Hoffnung der kompensatorischen Erziehung, die einen pädagogischen Ausgleich gesellschaftlicher Nachteile erwartet, ist damit nicht in Erfüllung gegangen."

Das heißt für mich auch, dass Sie nicht allein durch die Integration Defizite und Nachteile gesellschaftlicher Art ausgleichen können. Dann ist es nur richtig und wichtig, dass Sie weitere Angebote schaffen.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe auch einen zweiten deutlichen Punkt: Ich habe von vielen gehört, die darauf verweisen – auch zu Recht –, wie gut es für die Entwicklung der Kinder sei, dass sie in der Primarstufe bleiben

(Dr. Willfried Maier GAL: Oder einfach später!)

und dass sie sich in diesem Sozialisationsprozess entwickeln. Allerdings muss auch die Frage gestellt werden,

was denn nach der vierten Klasse passiert. Sie unterstellen uns, wir würden selektieren und etikettieren, wenn wir sagen, möglicherweise solle am Förderzentrum unterrichtet werden, weil ein Bedarf da ist. Das unterstellen Sie uns. Sie sagen den Kindern und Eltern, bleibt an der Grundschule, ihr werdet vier Jahre lang mit den Mitschülern gemeinsam aufwachsen und gemeinsam lernen. Und nach der Grundschule, am Ende der vierten Klasse, wird festgestellt, dass dieses Kind auf die Sonderschule muss – dann beginnt der Prozess der Selektion und des Etikettierens, weil gerade in der Zeit der Sekundarstufe die Prozesse bei Kindern einsetzen, die diese Kinder kaputtmachen. In der Adoleszenz passiert es, dass sie von anderen Mitschülern ausgesondert werden. Ich kann auch das durch das Gutachten belegen, in diesem Fall auf Seite 67:

"… Ergebnis, dass es trotz der Ausstattung mit zusätzlichen sonderpädagogischen Ressourcen nicht gelungen ist, …"

im IR-Bereich –

"… das Auseinandergehen der Leistungsschere zwischen förderbedürftigen Schülerinnen und ihren Mitschülern zu verhindern …"

aha, die Leistungsschere ging auseinander –

"… und dass beim Schulversuch Integrative Regelklasse keine präventive Wirkung im Hinblick auf Sonderschulbedürftigkeit nach Klasse vier festzustellen ist."

Ich halte es für fatal für die Kinder, dass sie nach der vierten Klasse merken, dass sie vier Jahre die Idylle gehabt haben – und diese Idylle wurde ihnen vorgespielt –, aber jetzt nach der vierten Klasse werden sie selektiert, jetzt werden sie ausgesondert. Da, bin ich der Meinung, sollte man frühzeitig überlegen, welche Maßnahmen richtig greifen können, damit genau das verhindert wird. Ich will, dass die Kinder in der Sekundarstufe an ihrer Regelschule bleiben.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte es aber noch einmal betonen, damit es deutlich wird: Wenn in Absprache mit den Eltern und mit den Kolleginnen und Kollegen an der Grundschule gesagt werden kann, integrativ sei das Geeignete, dann soll das die erste Maßnahme sein, weil dann am Prozess teilgenommen werden kann.

Welchen Zustand haben wir denn in Hamburg? Jetzt habe ich gelesen, wir würden die IR-Klassen kaputtmachen, um Förderzentren zu entwickeln.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ja, das ist doch so!)

Das ist eine Verkürzung, Frau Dr. Hilgers. Entschuldigen Sie, dann lesen Sie doch einmal den Antrag.

Es kommen die Ressourcen der Sprachheilschulen, der Primarstufe der Förderschulen, der REBUS-Bereiche für den Bereich Primarstufe, dazu auch die Bereiche für IR. Wenn ich diese Kompetenz in Hamburg habe,

(Günter Frank SPD: Alles Worthülsen!)

die parallel nebeneinander laufen, warum bündele ich diese nicht in Zentren, wo ich dann die Synergieeffekte mit der Frage der richtigen Diagnose und der Unterstützung für die Grundschulen habe?

(Zuruf von Luisa Fiedler SPD)

Es ist nur richtig und konsequent, Frau Fiedler, dass wir dann sagen – wir haben nämlich jetzt schon Förderschulen in der Primarstufe, das wissen Sie doch –, wir lösen diese dann auf und fassen sie in Zentren zusammen, wo die Kompetenz zusammenkommt, wo – erster wichtiger Punkt – die Grundschulen unterstützt werden und zwar nicht so, wie ich gelesen habe, wo der Pädagoge für drei Stunden vorbeikommt und ein Kind aus der Klasse zieht und unterrichtet. Das ist natürlich völliger Unsinn. Ziel muss es sein, dass die Kolleginnen und Kollegen Sonderpädagogen von diesem Förderzentrum abgeordnet werden, aber an der Grundschule bleiben,

(Günter Frank SPD: Dann können wir ja alles beim Alten lassen!)

weil Sie im Team arbeiten und weil die guten Erfahrungen geteilt werden sollten. Ich denke da gerade an die Erfahrungen einiger IR-Schulen – Grumbrechtstraße als Beispiel, die haben bereits ein wunderbares System der Diagnose, der Aufstellung von Förderplänen, der Überprüfung. Diese IR-Kompetenzen sollten für alle Grundschulen und für alle Verfahren bei Kindern genutzt werden.

(Sabine Boeddinghaus SPD: Genau!)

Das ist richtig. Deshalb sind wir der Meinung, dass alle davon profitieren sollten.

Warum sollen nicht alle davon profitieren, wenn die Grumbrechtstraße so hervorragende Leistungen und so hervorragende Diagnose- und Förderbereiche hat. Das Diagnose- und Förderzentrum wird kein Ersatz für IR sein, sondern es wird ergänzend sein, es wird als Kompetenzzentrum dienen, es wird die Frühförderung unterstützen, es wird die Aus- und Weiterbildung unterstützen, es wird bündeln und Synergieeffekte schaffen. Die Diagnose- und Förderzentren werden auch für die Kinder, bei denen man sich nach der Diagnose für einen stationären Ort entscheidet – Diagnose ist ein fortlaufender Prozess, also nicht einmal mit dem Köfferchen, sondern Grundschullehrerinnen, Sonderpädagoginnen und Eltern beraten gemeinsam über den Prozess –, stationäre Angebote machen.

Noch ein erster Rückblick auf die Kritik. Es ist kein Ersatz für IR; das ist auch im Antrag deutlich geworden, wenn man ihn verstehen will. Es soll keine Köfferchenpädagogik geben, aber die Frage wird natürlich gestellt werden, gibt es vielleicht in den Städten oder zum Beispiel in Poppenbüttel an einer Schule ein Kind, das jetzt einen sonderpädagogischen Bedarf hat und man jetzt mit Nein antworten und sagen muss, wir fördern die Schulen, da bekommt jede IR-Schule drei Sonderpädagoginnen und eine Erzieherin, wenn sie zweistufig ist und das war's und die anderen Schulen bekommen eigentlich relativ wenig.

Unser Ansatz ist eben nicht, diese Schulen zu fördern, unser Ansatz ist, die Kinder zu fördern. Das heißt in der Konsequenz, die Grumbrechtstraße wird Ressourcen bekommen, weil sie die Bedarfe hat. Aber ich fördere keine Schule, wenn keine Bedarfe vorhanden sind und das wird klar festgelegt werden.

(Beifall bei der CDU)

Die SPD hat etwas von einem Stellenpool geschrieben. Die SPD kritisiert das komischerweise und nun lesen Sie einmal Ihren Antrag. Dort schreiben Sie, es solle ein Stellenpool errichtet werden und von da aus werden dann