Protokoll der Sitzung vom 02.02.2005

Frau Ernst, natürlich haben Sie als Opposition das Recht, die Regierung und die Gestaltungsmehrheit hier anzugreifen.

(Glocke)

Ich meine allerdings, dass es der SPD richtig ansteht, die Wahrheit zu sagen. Viele Bundesländer, auch unter SPD …

(Glocke)

Herr Abgeordneter, das war ein wunderbares Schlusswort.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin leicht erkältet, deshalb entschuldigen Sie meine Stimme.

(Wolfgang Drews CDU: Schonen Sie doch Ihre Stimme!)

Ich werde einen Deubel tun.

Herr Freistedt, wenn ich Ihre Rede zusammenfasse, dann komme ich auf den Satz: Wenn Schüler und Schülerinnen in Hamburg die Schulpflicht wahrnehmen, müssen sie dafür bezahlen. Mehr ist unterm Strich nicht von Ihnen zu hören gewesen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Bevor ich zur CDU komme, möchte ich ganz kurz etwas zu den Kolleginnen und Kollegen der SPD sagen. Ich habe bei der Anmeldung Ihres Themas "Senatsstrategie gegen gleiche Bildungschancen!" zur Aktuellen Stunde im ersten Moment gedacht, dass Sie damit eigentlich falsch liegen, weil Strategie – so steht es im Duden – "genau geplantes Vorgehen" bedeutet. Da stellt sich natürlich die Frage, woran man beim Senat, geschweige denn bei der Schulsenatorin, genau geplantes Vorgehen erkennt. Man kann das allerdings drehen und sagen, das ist eine absichtlich familienfeindlich geplante Strategie der CDU.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Die Strategie besteht darin, zu kürzen und bei den Eltern das Geld zu holen. Hinter den von Frau Dinges-Dierig geplanten Maßnahmen steht alles andere als eine Strategie: Erst einmal wird das Geld weggenommen und dann wird ganz schnell geguckt, wo eigentlich die Qualitätsverbesserung liegt, die als solche verkauft werden soll.

Gestern haben wir – dick gedruckt – gelesen, dass die Zahl der Ganztagsschulen verdoppelt werden soll. Das ist erfreulich. Aber wenn Sie auf das Kleingedruckte schauen, sehen Sie, dass die Ausstattung um 60 Prozent gesenkt wird und neue Ganztagsgebühren für Eltern geschaffen werden. Das ist keine Strategie, das ist familienfeindlich, das ist Sparen ohne Sinn und Verstand.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Man kann es nicht oft genug an dieser Stelle sagen: Alle Schulstudien – PISA, KESS und LAU –, gerade in Hamburg, bestätigen, dass unser Schulsystem die Schüler nach ihrem sozialen Status sortiert. Wer weniger Geld hat, bekommt weniger Chancen. Wir wissen aus der Statistik, dass Akademikerkinder weitaus bessere Chancen haben, ins Gymnasium zu kommen, auch wenn sie schlechtere Schüler sind. Viermal so hoch sind die Chancen im Gegensatz zu Kindern von Facharbeitern. Das ist der Skandal, den Sie toppen, indem Sie noch Gebühren draufsetzen.

(Beifall bei der GAL – Inge Ehlers CDU: Weil die es schon können!)

Die Statistik sagt uns, dass Kinder in Horn, Kirchdorf oder Osdorf keinesfalls dümmer sind als Kinder in Eppendorf oder in Blankenese. Nur, ihre Eltern verdienen weniger Geld. Natürlich gab es den Skandal des Sortierens schon, bevor Sie Ihre Gebührenwut erfunden haben. Es ist aber Ihre Aufgabe, diese soziale Schieflage, die uns PISA ins Buch geschrieben hat, zu beenden. Sie setzen jetzt noch einmal Gebühren drauf, schaffen neue Instrumente, um noch mehr zu spalten, Kinder zu sortieren und zu diskriminieren; die einen dürfen schwimmen, die anderen nicht, oder müssen bezahlen. Das kann es nicht sein. Vielleicht kommen Sie auch noch auf die Idee, dass Hamburger Grundschüler demnächst im ersten Halbjahr für das Lesen und Schreiben Lernen etwas bezahlen sollen, und dann verkaufen Sie auch noch die Nachhilfe für Geld. Vielleicht werden in unseren Schulen, wie kürzlich ein Elternkammermitglied sagte, demnächst Toilettengebühren erhoben. Sie toppen das noch, das ist überzogen.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Zuruf von Robert Heinemann CDU)

Herr Heinemann, nun tun Sie nicht so, als ob das alles schon längst Praxis war. Jetzt müssten Sie einmal Rechtssicherheit herstellen. Das ist doch Quatsch. Was haben Sie denn die letzten zwei Jahre gemacht? 1,2 Millionen Euro mehr für die Jugendmusikschule, 3,5 Millionen Euro Eintrittsgeld für die Vorschule, 3,2 Millionen Euro für die Absenkung der Schülerfahrkarten, 2,5 Millionen Euro für Schulbücher, 2 Millionen Euro für Schwimmgeld. Das haben Sie sich ausgedacht, das liegt in Ihrer Verantwortung.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Schlimme ist, dass es nicht dabei bleibt. Man könnte sich für das eine oder andere tatsächlich eine Gebühr vorstellen. Sie schließen gleichzeitig Schwimmbäder und Bücherhallen. Die Schließung des Bismarckbads betrifft zum Beispiel 30 Kitas und mehrere Grundschulen. Wir kommen noch in der nächsten Debatte darauf zurück.

Sie haben sowieso ein gestörtes Verhältnis zum Schwimmen. Schwimmen, meine Damen und Herren von der CDU, ist mehr als Schwimmen lernen. Was ist das für eine Kultur, wenn die Stadt am Wasser den Schwimmunterricht abschafft, und was ist das für eine traurige Lachnummer für die Olympia-Stadt am Wasser, die für das Abwickeln des Schwimmunterrichts die dritte Sportstunde wieder abschafft? Was hat das mit sportpolitischer Grundbildung zu tun?

(Beifall bei der GAL und der SPD – Zuruf von Wolfgang Drews CDU)

Was wir brauchen, ist tatsächlich eine Strategie. Wir brauchen ein geplantes Vorgehen für eine neue Schule, die nicht sortiert, die nicht nach dem sozialen Status diskriminiert. Wir brauchen eine Schule, Herr Freistedt, die Schüler zu höchst möglichen Leistungen bringt, und dafür brauchen wir keine Schulgebühren, sondern endlich eine Schulpolitik mit Sinn und Verstand. – Danke schön.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt Senatorin Dinges-Dierig.

(Michael Neumann SPD: Es spricht Herr Luckow!)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie uns wenigstens versuchen, einen sachlichen Blick auf die vom Senat vorgeschlagenen Eigenbeteiligungen im staatlichen Bildungssektor werfen.

Uns allen ist klar, dass Eigenbeteiligungen im Bildungssektor natürlich unpopulär sind, schon weil der Eindruck entsteht, dass die Bürger für etwas zahlen müssen, was sie bisher kostenlos haben. Dass es auch einmal anders war und dass vielleicht im Zeitablauf auch einiges anders beurteilt werden kann, darüber wird geschwiegen.

(Michael Neumann SPD: Früher hatten wir auch einen Kaiser! Und wofür zahlen wir noch Steuern? Dann schaffen wir die Steuern ab und zahlen nur noch Gebühren!)

Natürlich ist es populär, als Hamburger Opposition solche Beteiligung abzulehnen. Man könnte auch sagen, es ist so simpel wie populistisch.

Nun ändert dies alles aber nichts an der Tatsache, dass alle öffentlichen Haushalte – sowohl der Länder als auch des Bundes – überschuldet sind, dass wir öffentliche Leistungen überprüfen müssen, dass wir sie im Zweifelsfall auch kostenpflichtig machen müssen, wenn wir den weiteren Weg in den Schuldenstaat nicht wollen, und den, meine Damen und Herren, will ich nicht.

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Dann baut man keine U-Bahn! Keine U-Bahn – keine Gebühr!)

Ein Blick über unsere Landesgrenzen zeigt, dass diese Erkenntnis in fast allen Ländern bei den Landesregierungen angekommen ist, gerade in Bezug der Lernmittelbeschaffung. Zum Beispiel hat Rheinland-Pfalz – wie Sie alle wissen, ein sozial-liberal regiertes Bundesland mit einem SPD-Ministerpräsidenten und einem SPD-Kultusminister – die Bezahlung der Lernmittel durch die Eltern und Erziehungsberechtigten vor vielen Jahren längst eingeführt.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Nordrhein-Westfalen – ein rotgrün regiertes Bundesland mit einem SPD-Ministerpräsidenten und einer SPD-Kultusministerin – lässt die Eltern und Erziehungsberechtigten fast 50 Prozent des Kaufpreises für Lernmittel bezahlen.

(Michael Neumann SPD: Sind die Vergleiche mit Frau Schnieber-Jastram abgesprochen?)

Auch Berlin – ein rotrot regiertes Bundesland mit einem SPD-Bürgermeister und einem SPD-Schulsenator – hat die Bezahlung der Lernmittel durch die Eltern und Erziehungsberechtigten bereits eingerichtet.

(Michael Neumann SPD: Und wer hat den Haus- halt in Berlin ruiniert? – Gegenruf von Marcus Weinberg CDU: Herr Neumann, Sie sind noch dran! – Glocke)

Meine Damen und Herren! Nicht jeder, wie er meint, am besten zu können, sondern das Wort hat die Senatorin.

Meine Damen und Herren! Machen diese SPD-geführten Landesregierungen in Ihren Augen unsoziale Bildungspolitik? Eine Antwort auf diese Frage würde mich wirklich interessieren. Meine Antwort können Sie gerne haben: Die Kollegen in diesen Ländern, die ich gerade als Beispiel zitiert habe, haben ihre Regierungsverantwortung wahrgenommen und durchgesetzt, was – wie in Niedersachsen – wir nun auch in Hamburg tun.

Durch die Kürzung des Etats für Unterrichtsmittel in der Vergangenheit, die übrigens zu rotgrünen Zeiten in Hamburg begonnen hat, blieben zuletzt gerade 3 Millionen Euro per anno für die Lernmittelerneuerung. Das ist, wie Sie alle wissen, eindeutig zu wenig, wie der schlechte Zustand der Bücher und die größtenteils überholten Lernansätze in den Schulbüchern zeigen. Eine umfassende Erneuerung der Lernmittel ist eine notwendige Grundlage, um dem heute geltenden Lernbegriff, Frau Goetsch, den Sie auch immer wieder verwenden, pädagogisch und didaktisch gerecht zu werden. Das ist das, was wir wollen.

(Beifall bei der CDU)

Das von mir vorgeschlagene Verfahren aus Kauf und Leihe wird diese Summe vervielfachen und ein neues, besseres Niveau der Lernmittel in Hamburg möglich machen. Die Kinder und Jugendlichen werden zu sorgsamerem Umgang mit den Lernmitteln angehalten, sicher auch unterstützt und gerade von ihren Eltern.

Wir haben sowohl mit Gebührenobergrenzen für die verschiedenen Schulstufen als auch mit Freistellungen für Leistungsempfänger im Sinne des Sozialgesetzbuches soziale Komponenten in unserem Modell sichergestellt.

(Michael Neumann SPD: Und für den normalen Menschen vergessen!)