Protokoll der Sitzung vom 09.03.2005

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eins hat mich ja eben fasziniert, Herr Dees, dass Sie genau wissen, wie die Situation in Polen im Jahre 2010 ist, dass Sie genau wissen, wie dann die Preise pro Quadratmeter aussehen. Ich werde Sie mal wegen der Lottozahlen fragen. Das hat schon so etwas von dem, was man einmal Fünf-Jahres-Plan nannte. Das geht ja noch darüber hinaus.

(Ingo Egloff SPD: Der Mann hat einfach Ahnung, im Gegensatz zu Ihnen!)

Der Wirbel, der in den letzten Tagen und Wochen

(Tanja Bestmann SPD: Sie sind doch Lehrer!)

um den Vorschlag des ehemaligen EU-Kommissars Frits Bolkestein zur Liberalisierung von Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt gemacht wird, mutet schon etwas seltsam an, liegt doch das Ansinnen, staatliche Vorschriften für Dienstleistungen in dem Land, in dem sie angeboten werden, zu beseitigen, nicht erst seit gestern auf dem Tisch. Auch besteht im Grunde sehr viel Einvernehmen, was die grundsätzliche Richtung dieses Vorhabens anbelangt. Worüber gestritten wird, ist die konkrete Ausgestaltung. Das Rauschen aber, das dieser Tage durch den Blätterwald und andere Medien geht – manche sprechen sogar schon von einem Sturm –, hinterlässt einen ganz anderen Eindruck bei den Bürgerinnen und Bürgern. Mit Ihrer massiven Kritik inklusive der internen Widersprüchlichkeiten, personifiziert durch Minister Clement, hat die Bundesregierung – wie schon in anderen Fällen – der Sache mehr geschadet als genutzt. Da war die Rede – und das haben wir heute auch wieder gehört – von Dumpinglöhnen und einer Aufweichung des Arbeitsschutzes und wie sooft ist Brüssel mal wieder an allem Schuld.

Tatsache ist jedoch, meine Damen und Herren, dass es die rotgrüne Bundesregierung war, die den Kommissionsentwurf auf dem Kabinettstisch in Berlin verstauben ließ, statt rechtzeitig substanziellen Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen.

(Michael Fuchs CDU: Sehr richtig!)

Wer sitzt denn, meine Damen und Herren, im Ministerrat und trägt die Erstverantwortung? Die Brisanz der Sache wurde nicht erkannt oder billigend vernachlässigt.

(Klaus-Peter Hesse CDU: So ist das!)

Nun wird versucht, sich berechtigten Angriffen zu entziehen und durch medienwirksame Fensterreden von der Verantwortung abzulenken. Herr Dees hingegen zählt die Zeilen in der Drucksache über die europapolitischen Schwerpunkte des Senats. Es ist vorrangig an der Bundesregierung, ein durchdachtes Änderungspaket auf europäischer Ebene durchzusetzen.

(Uwe Grund SPD: Was wollen Sie denn? Sagen Sie mal, was Sie wollen!)

Vor diesem Hintergrund entbehren die vorliegenden, etwas blutarmen Anträge der Hamburger Opposition nicht einer gewissen Komik.

(Beifall bei der CDU)

Einer tragischen Komik muss man sagen,

(Christian Maaß GAL: Was wollen Sie denn?)

denn offensichtlich sieht sich die SPD-Fraktion nur veranlasst, die Genossen in Berlin ein wenig wachzurütteln. Unterstützt von einer starken CDU-Fraktion,

(Gesine Dräger SPD: Wo?)

erhofft sich der SPD-Antragsteller, der hier seinen eigenen Antrag noch nicht einmal selbst vertritt, da werde das zarte Stimmchen der Hamburger SPD vielleicht bei den Genossen in Berlin erhört, sodass sich die Bedenken gegen die Dienstleistungsrichtlinie dann doch noch in Brüssel durchsetzen lassen.

(Ingo Egloff SPD: Sie reden etwas wirr, Herr Kol- lege!)

Das kann auch an Ihnen liegen.

Den Zusatzantrag der Grünen, Herr Sarrazin, finde ich direkt sympathisch.

(Manuel Sarrazin GAL: Bitte nicht!)

Abgesehen davon, dass er im Vorspann eine bessere Recherche der Sachlage zu erkennen gibt, lässt er deutlich werden, dass sich die Opposition auf den Sachverstand und die Tatkraft des Senats verlässt und ihn um konkrete Änderungsvorschläge bittet.

(Wilfried Buss SPD: Was denn sonst?)

Meine Damen und Herren! Wir halten an den Grundprinzipien der Richtlinie fest. Die Öffnung des europäischen Marktes für Dienstleistungen verbessert die Absatzchancen deutscher und nicht zuletzt auch Hamburger Unternehmen im europäischen Ausland und schafft tausende neuer Arbeitsplätze, einer seriösen Studie zufolge, insgesamt bis zu 600 000 und davon allein 100 000 in Deutschland. Das hat auch der Wirtschaftssenator eben explizit erwähnt, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht ganz unwichtig ist. Die Bedeutung dieses Aspekts kann bei unseren Schwierigkeiten gar nicht genug hervorgehoben werden.

Die Dienstleistungsrichtlinie beinhaltet eine ganze Reihe von positiven Aspekten, die wir nicht vergessen sollten. So sieht sie vor – um nur ein kleines Beispiel dafür zu geben –, dass Dienstleister in den Behörden einen einheitlichen Ansprechpartner haben und alle Verwaltungsformalitäten elektronisch erledigen können.

(Gesine Dräger SPD: Dafür brauchen Sie eine Richtlinie?)

Ich sagte, ein kleines Beispiel.

Allerdings kann die Liberalisierung auch Wettbewerbern den Zutritt zum deutschen Markt weiter erleichtern. Das ist wohl wahr. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass es hier eben nicht zu einer Nivellierung von Qualitätsstandards zulasten der deutschen Verbraucher kommt. Ebenso müssen wir darauf drängen, dass die lokalen Behörden trotz des Herkunftslandprinzips vor Ort die ausländischen Unternehmen kontrollieren dürfen. Auch muss klargestellt werden, dass die Dienstleistungsrichtlinie die Mitgliedstaaten nicht zur Privatisierung von Leistungen der Daseinsvorsorge zwingt. Privatisierungen haben in der Regel Vorteile. Hier haben wir eine Ausnahme. Um sensible Bereiche bei uns zu schützen, muss der Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips genau präzisiert werden. Dabei müssen wir die berechtigten Bedenken des Handwerks und der freien Berufe einbeziehen.

Der neu zuständige EU-Kommissar Charlie McCreevy hat bereits angedeutet, dass er in diesem Bereich zu Kompromissen bereit ist. Von einer Liberalisierung ausgenommen werden könnten – so ist aus Brüssel zu hören – das Gesundheitswesen und die öffentliche Daseinsvorsorge.

Meine Damen und Herren! Bei der nun anstehenden Nachbesserung der Dienstleistungsrichtlinie gilt es, Risiken zu minimieren und Chancen zu maximieren. Dies geht nicht durch hektischen Aktionismus, sondern durch eine ausgewogene Einflussnahme.

(Beifall bei der CDU)

An diesem Ziel will die CDU-Fraktion gerne mitwirken. Fatal für Hamburger Belange – und nicht nur dort – wäre es, wenn europafeindliche Töne in der Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie die Oberhand gewännen. Europapolitik ist so gut wie ihre Akteure. Wer im Glashaus sitzt und mit Steinen wirft, schadet nur der europäischen Idee.

(Beifall bei der CDU)

Was uns weiterbringt, ist eine fundierte Beratung darüber, wie Hamburgs Interessen chancenreich in den laufenden Prozess eingebracht werden können. Von daher plädieren wir für eine Überweisung der Drucksache an den Fachausschuss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Sarrazin.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ein Satz zu Herrn Dees: Ich werde hier nicht die parteipolitischen großen Grabenkämpfe aufmachen. Dafür ist das Thema zu komplex und ich glaube, dass das bisher kaum einer in seiner ganzen Tragweite durchblickt hat. Das hat auch, wenn man die Dokumente studiert, die Anhörung im EP im November gezeigt, dass es wirklich ein schwieriges Thema ist. Aber wenn Sie von dem Preis des polnischen Anbieters reden, dann gehen Sie natürlich davon aus, dass die polnischen Standards geringer sind als die deutschen. Das mag in vielen Bereichen der Fall sein, aber es ist eine typisch deutsche Debatte, nur davon auszugehen, dass wir immer die höchsten Standards hätten und andere immer die niedrigsten. In vielen Bereichen stimmt das, aber auch nicht immer.

Der zweite Punkt ist, dass Sie zu Recht gesagt haben, dass der Senat in der Pflicht steht, darzulegen, was seine Inhalte sind. Ich habe gerade heute die Antwort auf meine Große Anfrage gesehen und da muss ich wirklich sagen, dass ich enttäuscht bin. Ich hätte mir gewünscht, dass der Senat offener darlegt, welches seine Positionen sind und auch offener zu den Chancen und Risiken für Hamburg speziell Stellung nimmt, damit wir auch hier im Parlament offener und wirklich anhand der Sache diskutieren könnten. Da ist dann leider auch ein bisschen unser Zusatzantrag vorweggenommen.

Zum Bereich Gesundheitsdienstleistungen. Im Ratsdokument der luxemburgischen Präsidentschaft ist im Erwägungsgrund 47 a) festgehalten, dass die Gesundheitsdienstleistungen aus Sicht des Rates im wesentlichen Bereich nicht unter das Herkunftslandprinzip fallen werden, sondern eher unter den Bereich der Niederlassungsfreiheit. Das ist auch ein Bereich, der sehr kompliziert und schwierig ist. Deswegen würde ich ihn nicht so einfach für Beispiele nehmen.

Insgesamt kann man sagen, dass die Dienstleistungsrichtlinie ein dermaßen komplexes Thema ist, dass man in der Behandlung, gerade auch in einem Parlament, Schwierigkeiten hat, das einfach zusammenzufassen. Trotzdem gibt es auch einen gewissen komischen Aspekt der Debatte heute.

Erstens – das hat Herr Dees auch schon genannt –, hat der Senat in den europapolitischen Schwerpunkten den Entwurf der Kommission als eine Harmonisierung nationalstaatlicher Regelungen bezeichnet. Das ist tatsächlich ein Witz. Tatsächlich bedeutet die Dienstleistungsrichtlinie mit der Einführung des Herkunftslandprinzips das Gegenteil, nämlich die Wegkehr von der Harmonisierung nationalstaatlicher Regelungen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Aber auch im SPD-Antrag ist im Petitum ein Bundesratsbeschluss erwähnt. Mir sind leider zwei bekannt. Einer aus dem April und einer aus dem Juli. Es wäre dann vielleicht eine Klarstellung im Ausschuss noch einmal angebracht oder dass vielleicht die Übermittlung des zweiten Beschlusses nicht schnell genug gelaufen ist.

(Rolf Harlinghausen CDU: Deswegen sagte ich ja blutarm!)

Auch das hat für mich eine gewisse Komik.

Die Dienstleistungsrichtlinie hat ein Ziel und das Ziel ist auch der jetzigen Situation unterzuordnen, ganz egal, wie man dazu steht. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Die Wirtschaftsfreiheit, die mit dem freien Binnenmarkt im Schengener Raum hergestellt werden sollte, die zum großen Teil, zum Beispiel im Bereich der Personenfreizügigkeit auch gegeben ist, ist für Dienstleistungen tatsächlich noch nicht hergestellt. Gleichzeitig ist der Dienstleistungssektor in unserer heutigen Wirtschaftswelt von immer größerer wirtschaftlicher Bedeutung. Wir alle wissen, dass es in einer postindustriellen Gesellschaft immer mehr auf qualitative und gute Dienstleistungen ankommt, gerade auch im europäischen Binnenmarkt. Deswegen begrüßen alle Seiten – das gilt auch für die Gewerkschaften, für die SPD und auch für uns – grundsätzlich das Anliegen, den Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt zu verbessern.

Die Kommission hat diesen Entwurf, über den wir diskutieren, Anfang letzten Jahres vorgelegt. Es gibt ein Ratsdokument, das, glaube ich, im Januar dieses Jahres von der luxemburgischen Präsidentschaft aufgelegt wurde, in dem zahlreiche Änderungen festgehalten sind. Aus unserer Sicht nicht genügend, aber man sieht schon, dass es in eine andere Richtung geht.

Das Europäische Parlament hat im November eine Anhörung mit vielen Experten zu dem Thema durchgeführt. Es gab nicht nur dort, aber auch dort sehr viel Kritik, nicht nur von Interessenverbänden, sondern auch von Experten, die sehen, dass handwerkliche Fehler vorliegen. In der letzten Woche hat – das hat Herr Harlinghausen auch gesagt – die Kommission angekündigt, die Dienstleistungsrichtlinie insgesamt zu überarbeiten. Insofern sehe ich den ersten Punkt des SPD-Antrages nicht mehr als wirklich zeitgemäß an. Sie haben ihn vorher eingereicht. Das ist nicht Ihr Fehler, aber da ist mehr in Bewegung als wir das vor wenigen Wochen noch denken oder sehen konnten.