Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Dass es im Bereich des Kindeswohls in Zukunft keine Fehler mehr gibt – diesen außerordentlich wichtigen Baustein sollten wir nicht verkennen –, ist nicht nur Aufgabe der Politik, sondern eine Aufgabe, der wir uns alle stellen

sollten. Ich möchte gern, dass wir im Ausschuss über Lösungsvorschläge diskutieren. Deshalb meine Bitte, den Antrag an den Ausschuss für Familien, Kinder und Jugend zu überweisen. – Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU – Wolfhard Ploog CDU: Vielen Dank, sehr gut!)

Das Wort erhält die Abgeordnete Frau Dr. Hilgers.

Verehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Sie, Frau Schnieber-Jastram, haben gestern gesagt, Kinder hätten ein Recht auf Zuwendung und Liebe. Das ist schön postuliert, aber auch geradewegs am Thema vorbei. Denn was ist, wenn Kindern dieses Recht von ihren Eltern verwehrt wird, wenn sie hungern, wenn sie in ihren eigenen Exkrementen liegen, wenn sie gequält und gedemütigt werden, was, wenn die Traumatisierung des Kindes in der Familie gravierender ist als die Trennung von der Familie? Hier, Frau Schnieber-Jastram, setzt die öffentliche Verantwortung für das Kindeswohl ein – Ihre Verantwortung, Frau Senatorin.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Sie sind aber, wie Sie uns schon öfter belehrt haben, nicht die fallzuständige Kraft. Ehrlich gesagt, das ist auch besser so, wenn ich mir Ihre Reden anhöre, ihr demonstratives Unbeteiligtsein, Ihre Ignoranz.

(Beifall bei der SDP und der GAL – Unmutsäuße- rungen von der CDU – Frank-Thorsten Schira CDU: Na, na, na!)

Fallzuständige Kräfte sind aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes, …

(Unruhe – Glocke)

Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Dr. Hilgers.

(Zuruf von Frank-Thorsten Schira CDU)

Herr Schira, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.

(Beifall bei der SPD)

Fallzuständige Kräfte, Herr Schira,

(Frank-Thorsten Schira CDU: Wie soll man denn ausschauen?)

sind aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes, die jeden Tag mit Familien konfrontiert sind, wo Kindern nicht zu ihrem Recht auf Entfaltung ihrer wunderbaren Persönlichkeit kommen, wo den Kindern eingebläut wird, dass sie nichts wert sind.

(Zurufe von der CDU)

Ich weiß gar nicht, was daran so komisch ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der CDU.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Sie sind so komisch, weil Sie so viel Unfug reden!)

Wir erwarten, verehrter Kollege Herr Hesse, viel von diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie haben eine hohe Verantwortung und sie tragen ein hohes Risiko bei Fehlentscheidungen. Sie werden ihres Lebens nicht mehr

froh, wenn sie ein Kind verlieren. Wir haben diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den letzten Jahren gemeinsam viel Neues aufgepackt: Schnittstellenprojekte, Zusammenarbeit mit dem FIT, Beachtung der Auskömmlichkeit der Budgets und so weiter.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Weil es notwendig war, Frau Hilgers, weil vorher nichts passiert ist!)

Ich habe von gemeinsamen Dingen gesprochen, Herr Hesse.

Die Bezirke sind wiederum gehalten, die ihnen auferlegten Sparverpflichtungen im Personalbudget zu erbringen. In dieser Schere, neue Aufgaben und gleichzeitig die Verpflichtung, im Budget für Hilfen zur Erziehung sowie im Personalbudget zu sparen, wird der ASD aufgerieben, wird er von uns überfordert. Wir aber müssen den ASD stark machen, um die Aufgaben zu erfüllen, die wir von ihm erwarten. Herr Kausch, Sie haben so hübsch aus unseren Kleinen Anfragen zitiert. Die Zahlen stimmten auch alle, aber die eine Zahl, nämlich die der durchschnittlichen Fallbelastung pro Mitarbeiter, die ist uns verweigert worden. Es wäre schon interessant, wo Sie die herhaben.

Deshalb muss der ASD dringend aus der Vakanzenbewirtschaftung heraus und deshalb muss für diese wichtige Arbeit auch wieder extern ausgeschrieben werden können, wie es die Kollegen von der GAL formuliert haben.

Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Herr Kausch, können hier nicht den Bezirken den schwarzen Peter zuschieben.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Solange die Bezirke diese Sparverpflichtung haben, wird es auch und gerade den ASD in den Bezirken treffen. Dieses Ablenkungsmanöver, Herr Kausch, liebe Kollegen von der CDU, gilt nicht.

Sie, Frau Schnieber-Jastram, haben gestern auch mehrfach betont, wie wichtig es ist, Hinweise aus der Bevölkerung zu erhalten. Das ist wichtig und ich hoffe, dass Sie schnell, wie im Jugendausschuss angekündigt, eine öffentlichkeitswirksame Kampagne wie in Berlin starten. Unsere Erfahrung mit solchen Kampagnen wie zum Beispiel bei "Wer nichts tut, macht mit" war eine sehr gute. Aber auch dies wird – das erhöhte Melde- und Fallaufkommen nach dem Tod von Jessica zeigt es – einen erhöhten Arbeitsaufwand und einen erhöhten Mittelbedarf nach sich ziehen. Also bereiten Sie sich darauf vor.

Das Wissen über gefährdete Kinder und ihre Familien, Frau Senatorin, ist aber auch bei den staatlichen Dienststellen, das Wissen ist auch in den Akten. Auch die Kurabschlussberichte der inzwischen eingestellten Kinderkuren können solche Hinweise enthalten. Bitte nutzen Sie auch diese Informationen, nutzen Sie sie, um den Kindern zu helfen, lassen Sie nicht zu, dass erst im Nachhinein klar wird, dass es Hinweise gab. Bei den jetzt entdeckten Kindern gab es aktuelle oder frühere Kontakte zum ASD, zum Hilfesystem, es gab Hinweise. Diese Hinweise gehen verschütt insbesondere bei Umzügen der Familie. Hier setzt unser Zusatzantrag an, denn diese Informationen, die wir haben, sind ebenfalls eine mögliche Quelle, um Kinder, deren Wohl gefährdet ist, zu finden. Prüfen Sie diese Quellen, lassen Sie sie bitte nicht im Aktenschrank verschimmeln.

Zudem muss endlich – auch das machen die Fälle der jüngsten Zeit deutlich – ein qualifiziertes Übergabemanagement zwischen den Bezirken eingeführt werden. Da darf nicht nur die Kostenübernahme Thema sein. Es muss eine qualifizierte Übergabe, einen Sachstandsbericht, ein Gespräch geben. Sonst verlieren wir auf diesem Wege immer wieder Familien und ihre Kinder.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Für die Zukunft brauchen wir auch ein – so habe ich es einmal genannt – verbindliches, nachsorgendes Fallmanagement. Wir schlagen vor, dass jeweils ein halbes beziehungsweise zwei Jahre nach Ablauf einer Maßnahme noch einmal seitens des ASD geguckt wird, ob die Hilfe zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation der Kinder geführt hat. Bisher ist das dem persönlichen Engagement des Mitarbeiters anheim gestellt.

Ich bin froh, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, dass Sie Ihre Verantwortung wahrnehmen, die Ihre Senatorin vermissen lässt. Sie überweisen beide Anträge. Lassen Sie uns gemeinsam den ASD stärken und mithelfen, Kinder vor Not zu bewahren.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Frau Blömeke hat das Wort.

(Olaf Ohlsen CDU: Das muss doch nun wirklich nicht sein!)

Frau Präsidentin! Doch, das muss noch einmal sein, weil ich gern noch einmal auf das eingehen möchte, was Herr Kausch gesagt hat.

Es war einiges Wahres dran, langsam bewegen Sie sich auch in die Richtung, die wir gerne hätten. Aber eines will mir nicht einleuchten, Herr Kausch: Wie können Sie sagen, dass man die Rückstandslisten oder die Wartelisten nicht miteinander vergleichen kann? Plötzlich sind es getrennte Kinder. Das ist nicht wahr. Es sind sowohl die Fälle, die beim FIT auf der Warteliste standen, als auch die beim ASD, es sind Kinder in Not. Da geben Sie mir Recht. In jedem Notfall, den wir haben – egal, wie auch immer er aussieht –, muss diesen Kindern geholfen werden. Darum ist Ihre Argumentation nicht stichhaltig und der Vergleich dieser beiden Wartelisten richtig. Deswegen müssen wir die Stellen beim ASD genauso besetzen, weil wir da ebenfalls Wartelisten haben.

Es ist der falsche Ansatzpunkt, die Zahlen schönzureden, die Sie gerade genannt haben. Ich könnte jetzt auch Zahlen bringen. Von 2000 bis 2005 – also in den letzten fünf Jahren, sozusagen unter Ihrer Regierung – hat sich zum Beispiel die Anzahl der vakanten Stellen eindeutig erhöht, nämlich von zwölf auf in diesem Jahr 23 Stellen.

Eigentlich brauchen wir uns gar nicht an den Zahlen aufzuhängen, denn man muss sich einmal Folgendes vorstellen: Es kommen Eltern zum ASD. Jeder Fall ist ein Notfall – egal, ob man sich nur mit seinen Kindern so erzürnt, dass man nicht mehr ein noch aus weiß – und jeder Notfall wird erst einmal nach einer vorhandenen Personalressource kategorisiert. Das heißt, ASD-Mitarbeiter sagen, das ist zwar schlimm, aber wir haben noch zehn andere viel, viel schlimmere Fälle; du, liebe Familie, kommst erst einmal auf eine Liste, weil du vielleicht nur ein vierzehnjähriges Kind hast, das nicht vom Verhungern bedroht ist. Aber das sind genau die präventiven Hilfen,

die wir brauchen. Es darf kein Kind, kein Jugendlicher auf einer Warteliste verschwinden, wenn Eltern sich an das Amt wenden und um Hilfe bitten. Darum sind diese Zahlen auch nicht richtig und Wartelisten darf es in dem Zusammenhang nicht geben.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Hesse.

(Katja Husen GAL: Böse gucken! – Gegenruf von Michael Neumann SPD: Noch böser!)

Herr Neumann, Sie werden diesem Thema vollkommen gerecht mit Ihren Zwischenrufen und diskreditieren sich gerade selber.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir unterhalten uns jetzt nicht über ein Thema, bei dem Polemik angebracht ist. Ich muss Ihnen ein Kompliment machen, Frau Hilgers, der zweite Teil Ihrer Rede war der Sache auch angemessen, denn er hat auf Probleme hingewiesen, er hat Lösungsansätze aufgezeigt, denen wir als CDU-Fraktion auch gerne nachgehen und die wir auch im Ausschuss gerne mit Ihnen diskutieren werden.

Was mir aber nicht gefällt,