Protokoll der Sitzung vom 07.12.2005

Für einen Stadtstaat mit sehr begrenzter Fläche, wie es Hamburg ist, besteht die besondere Notwendigkeit des ökonomischen Umgangs mit dem Faktor Boden. Die Altbauquartiere zum Beispiel haben sehr geringe Abstandsflächen. Es gibt dort eine sehr große Akzeptanz. Das Mindestmaß von 2,50 Metern entspricht dem Bedürfnis des Stadtstaates. Es ermöglicht auch bei schmalem Grundstückszuschnitt noch eine bauliche Nutzung. Es gilt für all dies, dass Abweichungen im B-Plan selbstverständlich möglich sind. Dort, wo Bebauungspläne aufgestellt werden, werden Sie in Zukunft auch Abstandsflächen regeln können.

In der neuen Hamburgischen Bauordnung werden zwei wichtige Grundsätze Hamburger CDU-Politik verwirklicht. Neue Freiheit – hören Sie gut zu – für eigenverantwortliches Handeln, wo es möglich ist, aber auch staatliche Aufsicht und Fürsorge dort, wo sie nötig sind.

(Beifall bei der CDU – Oh-Rufe von der SPD und der GAL)

Wahlrecht und Abstufungen bei den Genehmigungsverfahren schaffen Spielräume, Beschleunigung und Kosteneinsparung bei vielen Bauvorhaben, die zukünftig mit größerer Eigenverantwortung durchgeführt werden können und zugleich die Möglichkeit einer umfassenden staatlichen Betreuung, wenn diese vom Bauherren her gewünscht oder geboten ist.

Herr Lieven, meinen Sie eigentlich, wer die Augen schließt, stehe im Dunkeln? Auch wenn ich jetzt die Augen zu mache, stehe ich, glaube ich, nicht im Dunkeln. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Klooß.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Regeln einer Bauordnung bestimmen die künftige Qualität von Wohnraum und Wohnquartieren in Hamburg und sind daher für das Leben jedes einzelnen Bürgers von zentraler Bedeutung.

(Hartmut Engels CDU: Genau!)

Vor diesem Hintergrund muss aber in aller Deutlichkeit kritisiert werden, dass der Senat weder inhaltlich noch im Verfahrungsablauf die Sorgfalt an den Tag legt, die einem Vorhaben dieser Art angemessen wäre.

(Beifall bei der SPD und bei Claudius Lieven GAL – Glocke)

Herr Abgeordneter, darf ich Sie kurz unterbrechen?

Meine Damen und Herren, es ist zu laut geworden. Ich bitte die Damen und Herren, entweder Platz zu nehmen oder bitte hinaus zu gehen. – Vielen Dank.

Es handelt sich vielmehr um ein unausgegorenes Gesetz mit schweren Mängeln.

(Olaf Ohlsen CDU: Ach, nun komm, erzähl' doch nichts! – Hans-Detlef Roock CDU: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)

Zu den vielen inhaltlichen Mängeln haben die Kollegen Quast und Lieven hier schon ausführlich Stellung genommen. Das will ich nicht wiederholen.

Ich will aber in Erinnerung rufen, dass die Experten, die wir angehört haben, in vielen Punkten massive Bedenken angemeldet und eine ganze Reihe von Anregungen gemacht haben, wie man es besser machen könnte. Diese Bedenken und Anregungen sind leider seitens des Senates überhaupt nicht aufgenommen worden. Stattdessen wird der Entwurf aus der Drucksache nun durch die Instanzen gedrückt und das mit marginalen Änderungen, obwohl es keinen sachlichen Grund gibt, dieses Vorhaben derart unreflektiert voranzutreiben.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Für mich ist das eine fatale Verbindung von Ignoranz und Arroganz.

(Olaf Ohlsen CDU: Starke Worte!)

Die äußerst ergiebige Sachverständigenanhörung hätte es verdient, noch einmal in den Fraktionen diskutiert zu werden. Aber auch hier hat sich die CDU-Fraktion – hören Sie genau zu – trotz anderslautender Absprachen quer gestellt.

(Hans-Detlef Roock CDU: Sie, Herr Klooß, sind doch nicht zu Potte gekommen im Rechtsaus- schuss!)

Sie, Herr Roock, haben das offenbar mit einem ehrgeizigen Zeitplan rechtfertigen wollen. Ich sehe eine Missachtung der parlamentarischen Arbeit darin, wenn sich eine Fraktion mit ihrer absoluten Mehrheit derart vor den Karren ihrer eigenen Regierung spannen lässt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Meine Damen und Herren von der CDU, die Gesetzgebungskompetenz liegt noch immer bei der Bürgerschaft und nicht beim Senat. Der Meinungsfindungsprozess der Bürgerschaft darf nicht dadurch ersetzt werden, dass man sich in blindem Vertrauen auf die Fachbehörden einer vorgefertigten Meinung anschließt.

Wir sehen diesen Entwurf nach wie vor mit einer Vielzahl von Mängeln behaftet. Diese Unklarheiten werden – das ist für alle jetzt schon absehbar – mit einer behördlichen Richtlinie – vielleicht auch noch mehr – beseitig werden müssen. Das haben auch die Senatsvertreter beschämt in der Anhörung einräumen müssen. Das ist ungefähr so, als wenn ein Autohersteller einen neuen Wagen vom Band lässt, obwohl er weiß, dass er sofort eine Rückrufaktion wegen diverser akuter Mängel wird vornehmen lassen müssen.

Das zentrale neue Element der neuen Hamburgischen Bauordnung soll die Baugenehmigung mit Konzentrationswirkung sein. Sinn und Zweck einer solchen Regelung ist natürlich die Deregulierung und die Erleichterung gegenüber dem bisherigen Verfahren für die Anwender. Aber wo ist hier der Deregulierungseffekt? Da es sich bei dieser Materie um absolutes Neuland für die Hamburger Behörden handelt, werden wir zunächst feststellen, dass ein Wust von neuen Regelungen und Dienstanweisungen auf die jeweiligen Fachbehörden zukommen wird.

(Hans-Detlef Roock CDU: Quatsch!)

Das allein wäre nun kein Grund, auf Neuerungen schlechterdings zu verzichten. Es ist aber allemal ein Grund, derart umwälzende Veränderungen mit großer Sorgfalt vorzubereiten, und zwar insbesondere ihre behördliche Umsetzung in geeigneter Weise zu organisieren.

Da passt es ins Bild, dass die mit der Umsetzung unmittelbar befassten Experten, die wir hören wollten – nämlich die Rechtsdezernenten und Baudezernenten aus dem Bezirk – gar nicht erst zur Anhörung geladen werden durften.

Ein vorausschauender Gesetzgeber hätte dieses gesetzliche Vorhaben im Übrigen auch genutzt – damit bin ich bei Ihnen, Herr Wersich –, den Hamburger Bürgerinnen und Bürgern endlich ein Nachbarschaftsgesetz zu geben, wie es in vielen Bundesländern bereits vorhanden ist. Stattdessen werden nun systemwidrig – das haben die Experten aufgezeigt – diverse zivilrechtliche Ansprüche und Vorschriften in die neue Bauordnung aufgenommen, wo sie juristisch-handwerklich nicht hingehören und wo natürlich diese widrige Materie nur ungenügend, weil lückenhaft, geregelt wird. Auch hier zeigt sich, dass dies kein großer Wurf ist.

Bei den Beratungen ist von Experten und von unserer Seite an den Senat herangetragen worden, auch den Erlass eines Hamburgischen Nachbarschaftsgesetzes in Betracht zu ziehen. Hierzu kam dann der Kommentar, Herr Kusch wolle dies nicht, als ob es darum ginge, was der eine oder andere Senator will oder nicht will. Die Zeit ist reif für ein solches Gesetzesvorhaben. Der Anlass ist durch den geplanten Neuerlass der Bauordnung auch gegeben.

Sicher, auch unter uns Sozialdemokraten ist ein solches Vorhaben nicht in Angriff genommen worden. Ich werfe Ihnen daher gar nicht vor, dass Sie bisher keine Bemühungen in dieser Richtung angestellt haben. Was ich

Ihnen aber vorhalte, ist, dass Sie jetzt nicht tätig werden, obwohl die Gelegenheit günstig ist.

(Dr. Diethelm Stehr CDU: Weil es nicht sinnvoll ist!)

In Schleswig-Holstein gibt es ein solches Gesetz. Man mag einwenden, dass man nicht alles nachmachen muss, was diese Exoten in Schleswig-Holstein vorgeben. Ich meine aber, dass man dem Hamburger Bürger nicht vorenthalten sollte, was man seinen Nachbarn in Norderstedt oder Pinneberg gewährt.

Es bleibt dabei: Wesentliche Kritikpunkte an dem Vorhaben sind nicht ausgeräumt. Wir von der SPD-Fraktion haben unsere Vorschläge und Meinungen in einem Petitum klar formuliert. Es ist bedauerlich, dass Sie nun, obwohl Sie selbst um die handwerklichen Fehler und Ungenauigkeiten des Entwurfs wissen, diese neue Bauordnung so verabschieden werden. Ich denke, wir werden uns daher schneller mit der Materie erneut zu befassen haben, als dies bei neu erlassenen Vorschriften sonst der Fall ist. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Willfried Maier GAL)

Das Wort erhält der Abgeordnete Lieven.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Wersich, ich bin erstaunt. Sie haben sich in den ganzen langwierigen Erörterungen der Gesetzesnovelle praktisch überhaupt nicht zu Wort gemeldet. Da hätten Sie Ihr ganzes detailliertes Fachwissen oder Ihre Meinung dazu einbringen können und sollen. Ich erspare es mir und Ihnen, das alles Punkt für Punkt zu widerlegen.

(Michael Fuchs CDU: Das wäre ja eine Katas- trophe!)

Inhaltlich wäre es wahrlich kein Problem.

Zu dem, was Herr Senator Freytag sagte: Ein Drittel weniger Regelung in der Bauordnung, Beschränkung auf das Notwendigste, das sei Ihre Devise. Darüber, was in einer Bauordnung notwendig sei, kann und sollte man hier streiten: der materielle Gehalt einer Bauordnung, die städtebauliche Qualität, die Qualität des Stadtbildes, der Schutz historischer Bausubstanz. Das sind auch Qualitäten, die in einer Bauordnung verankert und gesichert werden müssen. Daran darf man offensichtlich nicht lediglich viele Juristen lassen – Herr Freytag ist leider schon in der nächsten Besprechung –, denn diese erkennen nur Beschleunigung und Deregulierung als Fetisch an und der materielle Regelungsgehalt des Gesetzes interessiert sie wenig.

De facto sind 68 Prozent der Baugenehmigungen in Hamburg nach sechs Wochen beschieden und 82 Prozent nach zwölf Wochen. Das sind sehr respektable Werte. Damit steht Hamburg im Bundesvergleich gut da. Bei vielen Vorhaben muss man in einer Großstadt ganz einfach sehen, dass sie komplexer sind, dass sie eine intensivere Prüfung brauchen als ein Einfamilienhaus auf dem Dorf.

Zu Ihrem Beschleunigungsansatz und den fiktiven Genehmigungen, die Sie hier aussprechen und die Sie ermöglichen, muss ich sagen, dass ich gespannt bin, was

passiert, wenn ein Häuslebauer damit zur Bank geht. Vielleicht erhält er dann auch eine fiktive Finanzierung zurück. Dann geht es mit dem Bauen ordentlich schneller.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Meine Damen und Herren, Gründlichkeit geht – zumal beim Bau – häufig vor Schnelligkeit. Das sollte sich der Senat hinter die Ohren schreiben. Das Gleiche gilt auch bei vielen anderen Vorhaben, siehe Bahn. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)