Protokoll der Sitzung vom 02.02.2006

Das Wort erhält der Abgeordnete Lühmann.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der CDU, den wir heute debattieren, hat die Absicht, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Diese Absicht – und ich glaube, das ist Konsens hier im Hause – teilen wir nicht nur, sondern begrüßen wir ausdrücklich. Wir müssen auch feststellen, dass bei ganz vielen Menschen, gerade hier in Hamburg – wahrscheinlich ob der Nähe zu Skandina- vien –, die Vorstellung vorherrscht, dass Fahren mit Licht am Tage ein sinnvoller Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit wäre.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Es gibt aber auch ande- re Gründe, Herr Lühmann!)

Das Problem ist allein, dass wenn man sich mal die Zahlen anschaut, der Erfolg so groß in der Sache nicht ist.

Schauen wir uns doch einmal an, wie hoch das Risiko von Menschen ist, im Straßenverkehr getötet zu werden. Das liegt in Schweden bei 5,92 – also fast sechs Einwohner von 100 000 – und in Deutschland liegt das bei 8,01. Das ist tatsächlich ein gutes Stück höher. Das Erstaunliche ist nur, dass es in Dänemark bei 8,02 liegt, und zwar im Jahre 2002, als dort schon längst die Pflicht bestand, am Tage mit Licht zu fahren. Das relativiert doch die Erfolgsaussicht dieser Maßnahme ganz erheblich.

Dann hat die Bundesanstalt für Straßenwesen eine vergleichende Untersuchung angestellt, die im Juli 2005 fertiggestellt worden ist. Diese Untersuchung besagt, dass die Ergebnisse aus diesen Ländern, eben aus Skandinavien, nicht direkt auf mitteleuropäische Länder wie Deutschland übertragbar sind, da hier andere klimatische, topographische und verkehrliche Rahmenbedingungen vorliegen.

Was man vielleicht noch ergänzen müsste, ist, dass es hier auch eine etwas andere Vorstellung gibt, wie man sich im Verkehr verhält, beispielsweise von Rechthaberei – bevor ich bei Grün halte, da gehe ich doch lieber auf das Unfallrisiko ein – bis hin zu solchen Fragen, wie hoch beispielsweise die Autoverkehrsdichte ist. Der Autobe

stand in Dänemark liegt bei 465 Autos pro 1000 Einwohner. In Deutschland liegt er anderthalb mal so hoch, nämlich bei 650. So ließen sich diverse Unterschiede durchaus festmachen.

Daher sagt auch die Bundesanstalt für Straßenwesen eindeutig:

"Neben methodischen Bedenken an diesen Untersuchungen werden insbesondere auch Vorbehalte wegen möglicher Verschlechterungen der Sicherheit von Motorradfahrern und der nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer vorgetragen."

Diese Vorbehalte sind, Herr Hesse, tatsächlich nicht von der Hand zu weisen, ansonsten müssten wir gar nicht darüber debattieren.

Für Motorradfahrer besteht in Deutschland seit 1988 die Pflicht zum Fahren mit Licht am Tag.

Das dient dem Ausgleich des Nachteils, dass ein Motorrad im Verhältnis zum Auto eine relativ schmale Silhouette hat und relativ schwer zu erkennen ist. Deswegen soll Licht angemacht werden. Nun kommt die Bundesanstalt für Straßenwesen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass bei einer generellen Einführung des Tagesfahrlichts auch für Autos andere als die bislang vorgeschriebenen Signalisierungsarten vorzusehen seien. Was das jetzt genau sein soll, lässt die BASt leider offen, aber der ADAC sagt schon einmal, man müsste eventuell über eine andere Lichtfarbe nachdenken, über ein Gelb zum Beispiel für Motorradfahrer, damit die überhaupt noch erkannt werden.

Was es aber gänzlich schwierig macht, ist die Situation der Fußgänger und Fahrradfahrer. Deswegen, Frau Cords, hat der ADFC nicht zugestimmt, er lehnt diese Lösung generell ab. Da muss man sich angucken, wie im Moment argumentiert wird. Es gibt eine Argumentation, die lautet: Weil schon am Tage so viele Autos mit Licht fahren, da könne man die, die ohne Licht fahren, schlechter sehen. Wenn an dieser Argumentation etwas dran ist, dann stimmt das doch erst recht für die, die noch kleiner und noch schwächer oder gar nicht beleuchtet sind. Das ist ganz eindeutig der Fall.

(Wolfgang Beuß CDU: Sie können doch auch mit Licht fahren!)

Es kommt gerade in den Städten auf die Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern an. Das ist eine andere Situation, als wir sie im außerörtlichen Verkehr haben.

Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse zu diesen Fragen sind leider ausgesprochen dünn. Es liegen zur Sicherheit von Fußgängern und Fahrradfahrern ausweislich der Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen europaweit gerade zwei Studien vor. Eine Studie ist aus Schweden und eine aus Dänemark. Da heißt es, man komme in Abhängigkeit von der Methodik in Bezug auf die verhinderten Unfälle auf sehr verschiedene Ergebnisse. Die liegen zwischen 21 Prozent, was ein riesiger Erfolg wäre, und 3 Prozent, was immer noch unbestritten ein Erfolg wäre.

Aber die Übertragbarkeit der Ergebnisse ist ein bisschen schwierig. Wenn Sie sich angucken, wie in Dänemark zum Beispiel ein Radweg geführt wird, nämlich direkt an der Straße und nicht hinter parkenden Autos, die nicht an Kreuzungen verschwenkt werden und die auch in Kopenhagen eine Mindestbreite von 2,20 Meter, in der Regel

sogar eine Breite von 2,70 Meter aufweisen, dann können wir uns alle vorstellen, dass dort mehr Fahrradfahrer sind und dass sie besser gesehen werden als in Deutschland. Deswegen ist es viel wichtiger, dass die Autofahrer die Radfahrer erkennen, und nicht, dass die Radfahrer die Autofahrer durch eine Beleuchtung erkennen können.

Bei Fußgängern ist die Schwankungsbreite übrigens geradezu dramatisch. In Schweden gibt es einen Erfolg – nach nur einer Studie, wohlgemerkt, es ist nie weiter verifiziert worden – mit einem Rückgang um 25 Prozent. In Dänemark hat man aufgrund der Einführung des Tagesfahrlichts für Autos eine Steigerung der Unfälle mit Fußgängern um 16 Prozent festgestellt. Das müsste uns allen zu denken geben. Auch der ADAC sieht in Bezug auf Radfahrer und Fußgänger noch einen ganz erheblichen Forschungsbedarf. Deswegen sollten wir es uns auch nicht so leicht machen zu sagen, das wird schon richtig sein, weil man es in Skandinavien macht, sondern wir müssen genauer nachsehen, was da eigentlich passiert, passieren soll und was die Folgen und die Ursachen von Unfällen sind.

Eines allerdings scheint schon jetzt sinnfällig. Die ganze Idee dieses Fahrens mit Licht am Tage beruht auf der Vorstellung, dass es wichtig ist, gut gesehen zu werden. Nun ist bei den meisten Unfällen, die wir in der Stadt beobachten können, nicht das Hauptproblem, dass so viele Fußgänger Autos übersehen, sondern dass sehr viele Autofahrer Fußgänger und Radfahrer übersehen. Das geben die bei den Unfällen übrigens auch immer zu Protokoll. Wir wissen, dass das das Hauptproblem ist. Weil das so ist, gibt es sogar die Befürchtung, dass infolge einer allgemeinen Einführung des Tagesfahrlichts die Dominanz des Autos eher noch verstärkt wird und damit psychologisch ein Vorfahrtsrecht suggeriert wird, das die Autofahrer darin bestärkt, ohnehin die Wichtigeren im Straßenverkehr zu sein, und die wahre Unfallursache eben die Unsichtbarkeit der anderen sei.

Aus diesem Grunde gibt es zum Beispiel in Italien und Ungarn – Herr Hesse, Sie haben diese beiden Länder genannt – eine Pflicht für das Fahren mit Licht nur außerorts. Das macht Sinn. Man muss noch einmal darüber nachdenken, ob die Lösung des Fahrens mit Licht außerorts und innerorts gleich beurteilt werden sollte, weil die Situation tatsächlich stark unterschiedlich ist.

Ganz besonders interessant ist das, was in Frankreich passiert. In Frankreich hat es im Winter 2004/2005 einen Modellversuch zum Fahren mit Licht am Tage gegeben. Zu dieser Auswertung schreibt die BASt wörtlich:

"Jedoch ist eine Analyse der französischen Daten schwierig, weil in den letzten Jahren eine Reihe anderer Verkehrssicherheitsmaßnahmen eingeführt wurden, die einen sehr positiven Effekt auf die Verkehrssicherheit auf Frankreichs Straßen hatten. Den Effekt des Tagesfahrlichts von diesen Effekten zu trennen, ist voraussichtlich nicht eindeutig möglich."

Das kann man nur annehmen, wenn man sich anguckt, welche Maßnahmen in Frankreich ergriffen werden. Frankreich hat Tempolimits eingeführt, Frankreich hat die Kontrolldichte erheblich erhöht und Frankreich kontrolliert wesentlich stärker nach Alkoholeinfluss am Steuer und verhängt dort Strafen, die bei einem Strafmaß von 750 Euro beginnen und von da an ungebremst weiter gehen.

(Olaf Ohlsen CDU: Aber Herr Lühmann, das geht doch jetzt nicht!)

Das hat natürlich wesentlich größere Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit und Frankreich hat deswegen in den Jahren 2001 bis 2005 einen Rückgang der Verkehrstoten um sagenhafte 32 Prozent zu verzeichnen. Da sind die wirklichen Stellschrauben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der GAL)

Deswegen sind wir der Meinung, dass es zwingend notwendig ist, dass wir uns mit diesen Fragen noch einmal näher im Innenausschuss befassen. Ich danke ausdrücklich dafür, dass uns die Mehrheitsfraktion Gelegenheit dazu gibt, und hoffe, dass wir dort mit Menschen reden können, die uns zu den zahlreichen Fragen – innerorts, außerorts, Auswirkungen auf Fußgänger, Radfahrer und Motorradfahrer – vernünftig Auskunft geben, damit wir nicht etwa aus der Stadt heraus Empfehlungen an den Bund geben, die sich am Ende gegen städtische Interessen richten würden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der GAL)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 18/3540 an den Innenausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist einstimmig so beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 47. Drucksache 18/3542, Antrag der CDU-Fraktion zum Thema Frühförderung.

[Antrag der Fraktion der CDU: Frühförderung – Drucksache 18/3542 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 18/3624 ein Antrag der SPD-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion der SPD: Frühförderung behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder – Hamburg muss endlich die Ziele der Frühförderungsverordnung (FrühV) umsetzen – Drucksache 18/3624 –]

Beide Drucksachen möchte die SPD-Fraktion an den Sozialausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Strasburger.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren!

"Wer schreibt, bleibt, wer abschreibt, bleibt länger."

Das ist ein Sprichwort von Schülern in Bezug auf Versetzung und Benotung an Schulen. Gemessen an diesem Sprichwort wird es heute eng für die SPD, Herr Kienscherf.

(Vizepräsidentin Dr. Verena Lappe übernimmt den Vorsitz.)

Ob das größtenteils wortwörtliche Abschreiben fremder Arbeiten – hier des von uns eingereichten Frühförderungsantrags – für eine Nichtversetzung ausreicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Dass ein derartiges Vorgehen jedoch nur die Bewertung "Ungenügend" nach sich ziehen kann, liegt auf der Hand. Es liegt nun an Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, ob Sie das Klassenziel

doch noch erreichen und ob Sie unserem Antrag zustimmen.

(Dirk Kienscherf SPD: Ja, ganz bestimmt, sonst hätten wir den Zusatzantrag ja nicht geschrieben!)

Es hätte ja doch sein können, dass Sie einsichtig sind.

Mit dem von uns vorgelegten Antrag zur Frühförderung behinderter oder von der Behinderung bedrohter Kinder möchten wir für alle Beteiligten Kosten- und Verwaltungsklarheit schaffen. Es geht ganz konkret darum, eine Leistungsvereinbarung zwischen den Krankenkassen und den Sozialhilfeträgern herbeizuführen. Eine solche Vereinbarung soll die derzeit offene Frage klären, wer die Leistungen der interdisziplinären Frühförderstellen und der sozialpädiatrischen Zentren in welchem Umfang trägt. Derzeit besteht, soweit ich weiß, in keinem Bundesland eine derartige Einigung. Lediglich Dortmund soll sich im März oder April einigen.

Ein kurzer Exkurs in die Historie dazu: Als Konsequenz einer Änderung des Sozialgesetzbuches IX im Jahre 2001 wurden alle bis dahin geltenden Entgeltverträge gekündigt. Eine von der rotgrünen Bundesregierung im Jahre 2003 erlassene Frühförderungsverordnung hat zwar Vorgaben für die Übernahme und Teilung der Kosten zwischen den beteiligten Rehabilitationsträgern – den Krankenkassen und den sozialen Trägern – gemacht, jedoch müssen diese seitdem Einvernehmen zwischen den Leistungserbringern herstellen. Dieser Versuch ist bisher, wie ich eben schon gesagt habe, bis jetzt keinem Bundesland gelungen.

Zu der aktuellen Situation in Hamburg: Derzeit gilt in Hamburg eine Übergangsvereinbarung, nach der die Sozialhilfeträger im Rahmen der Kostenübernahme der Leistungen der medizinischen Rehabilitation in Vorleistung treten können und dies auch tun. Obwohl die Sozialbehörde intensiv daran arbeitet, konnte zwischen den beteiligten Verhandlungspartnern aufgrund der bundesgesetzlich unklaren Regelung seit vier Jahren keine Vergütungsvereinbarung getroffen werden.

Auf der Arbeitsebene ist den Krankenkassen in Hamburg Ende 2005 seitens der Sozialbehörde ein Kostenvorschlag gemacht worden, zu dem sich die Krankenkassen aber noch nicht geäußert haben.